Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IB 243



117 Ib 243

31. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23.
September 1991 i.S. Wasserversorgung Horgen, Thalwil, Rüschlikon, Kilchberg
gegen Regierungsrat des Kantons Schwyz und Eidgenössisches Departement
des Innern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 24sexies Abs. 5 BV, Art. 16 und 18a NHG, Art. 1 Hochmoorverordnung
vom 21. Januar 1991; befristete Massnahmen zum Schutz von Moorlandschaften.

    1. Anwendbarkeit von Art. 16 NHG (E. 2a).

    2. Als Objekt des Bundesinventars der Hoch- und Übergangsmoore von
nationaler Bedeutung stellt das fragliche Gebiet nach Art. 24sexies BV
ein Schutzobjekt dar (E. 2b).

    3. Interessenabwägung zwischen den Interessen des Naturschutzes
einerseits und andern öffentlichen Interessen sowie der Eigentumsgarantie
andererseits (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Der Zweckverband Wasserversorgung Horgen, Thalwil, Rüschlikon,
Kilchberg (HTRK) besitzt Trinkwasserfassungen und Transportleitungsanlagen
auf dem Kantonsgebiet Schwyz, im Raum Rothenthurm-Biberbrugg. Die
Trinkwasserversorgungsanlage besteht seit dem Jahr 1909; sie sichert für
rund 30 000 Einwohner mit Spitälern usw. die Trinkwasserversorgung und
den zugehörigen Feuerschutz.

    Von der 7,2 km langen Transportleitung von Rothenthurm bis Biberbrugg
befinden sich ca. 3,3 km im Hochmoorgebiet. Die Leitung liegt auf diesem
Teilstück in etwa parallel zur Biber, welche das Hochmoorgebiet von
Rothenthurm bis zum Stöckentobel in vielen Schlaufen durchquert. Da sich
aufgrund des Mäandrierens der Biber immer wieder Bachlaufveränderungen
ergeben und instabile Uferbereiche der Biber der erodierenden Wirkung
des periodisch auftretenden Hochwassers nicht standhalten können, sind
zur Sicherung der Leitungsanlagen immer wieder kleinere Bauarbeiten und
Uferbefestigungen nötig.

    Im Hinblick auf eine beabsichtigte Verordnung zum Schutz der
Hochmoorebene von Biberbrugg-Rothenthurm erliess der Regierungsrat des
Kantons Schwyz mit Beschluss vom 29. Januar 1985 gestützt auf Art. 27
RPG eine Planungszone für die Hochmoorebene Biberbrugg-Rothenthurm. Das
Justizdepartement des Kantons Schwyz verlängerte am 19. Dezember 1989
gestützt auf § 12 Abs. 2 des kantonalen Planungs- und Baugesetzes
vom 14. Mai 1987 die Geltungsdauer dieser bis Ende 1989 befristeten
Massnahme bis Ende 1990. Mit Verfügung vom 13. Dezember 1990 erliess
das EDI gestützt auf Art. 16 NHG vorsorgliche Massnahmen zum Schutz
des Moorgebietes Biberbrugg-Rothenthurm. Danach werden unter anderem
innerhalb des gesamten Gebietes das Errichten von neuen Bauten und
Anlagen, Veränderungen der Ufer der Biber und der übrigen Bachläufe
sowie die Beseitigung der bachbegleitenden Gehölze untersagt. In der
Zone B gilt ein Verbot der Vornahme von Entwässerungen, Abgrabungen und
Aufschüttungen sowie der Anlagen von neuen Wölbäckern. In der Zone C sind
unter anderem Terrainveränderungen verboten. Diese Bestimmungen gelten
bis zum Inkrafttreten einer definitiven kantonalen Schutzverordnung,
längstens aber bis zum 31. Dezember 1994.

    Mit Eingabe vom 21. Januar 1991 führt die Wasserversorgung Horgen,
Thalwil, Rüschlikon, Kilchberg (HTRK) Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim
Bundesgericht.

    Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Das EDI stützt die angefochtene Verfügung auf Art. 16 NHG. Nach
dieser Bestimmung kann das EDI, wenn einer Naturlandschaft im Sinne
von Art. 15 NHG, einer geschichtlichen Stätte oder einem Kulturdenkmal
von nationaler Bedeutung unmittelbare Gefahr droht, ein solches Objekt
durch befristete Massnahmen unter den Schutz des Bundes stellen und die
nötigen Sicherungen zu seiner Erhaltung anordnen. Objekt von nationaler
Bedeutung sind in erster Linie Stätten und Sachen, die als solche in
die vom Bund nach Art. 5 und Art. 18a NHG zu erstellenden Inventare
aufgenommen worden sind. Schutzwürdig sind aber auch solche Objekte,
die nicht oder noch nicht in das Verzeichnis aufgenommen wurden, wenn an
ihrer Erhaltung ein über den Kanton oder die Gegend, in der sie liegen,
hinausgreifendes Interesse besteht (BGE 100 Ib 163 E. 2).

    Damit Art. 16 NHG anwendbar ist, muss dem Schutzobjekt eine
unmittelbare Gefahr drohen. Das bedeutet insbesondere, dass die Gefahr
zeitlich unmittelbar bevorstehen muss. Diese Wendung ist nach einer dem
Zweck des Gesetzes entsprechenden Auslegung auch dahingehend zu verstehen,
dass die Gefahr das Objekt von nationaler Bedeutung unmittelbar in seinem
bisherigen Bestand treffen muss (BGE 100 Ib 164).

    b) Die angefochtene Schutzverfügung bezieht sich auf das Gebiet der
bisherigen kantonalen Planungszone Biberbrugg-Rothenthurm. Das Gebiet
ist Teil der Moorlandschaft Rothenthurm-Altmatt-Biberbrugg, welche als
Objekt Nr. 1308 im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler
von nationaler Bedeutung (BLN) aufgeführt ist. Es umfasst Biotope von
nationaler Bedeutung im Sinne von Art. 18a NHG: Mit der Verordnung
über den Schutz der Hoch- und Übergangsmoore von nationaler Bedeutung
(Hochmoorverordnung) vom 21. Januar 1991 wurde das Bundesinventar
der Hoch- und Übergangsmoore von nationaler Bedeutung geschaffen. Das
von der angefochtenen Verfügung betroffene Gebiet ist darin als Teil
des Objektes Nr. 303 Altmatt-Biberbrugg aufgeführt. Nach dem Entwurf
zu einer Flachmoorverordnung sollen die Flachmoore in diesem Gebiet als
Objekt Nr. 1951 ins Bundesinventar der Flachmoore von nationaler Bedeutung
aufgenommen werden. Sowohl Art. 1 der Hochmoorverordnung als auch Art. 1
der im Entwurf vorliegenden Flachmoorverordnung stellen fest, dass die
inventarisierten Objekte das Erfordernis der besonderen Schönheit im Sinne
von Art. 24sexies Art. 5 BV erfüllen. Solche Objekte, nämlich Moore und
Moorlandschaften von besonderer Schönheit und von nationaler Bedeutung,
stellen nach Art. 24sexies Abs. 5 BV besondere Schutzobjekte dar.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin stellt die gesetzliche Grundlage sowohl
für die vorsorglichen Massnahmen als auch für den Schutz der Hoch-
und Flachmoore als solche zu Recht nicht in Frage. Sie rügt eine
überlange Dauer der Beschränkung der Eigentümerbefugnisse, indem mit
der angefochtenen Verfügung das bereits seit sechs Jahren bestehende
Veränderungsverbot um weitere vier Jahre verlängert werde. Weiter macht sie
geltend, es sei zu Unrecht eine Interessenabwägung zwischen den Interessen
des Naturschutzes und den damit kollidierenden, ebenfalls öffentlichen
Interessen an der unversehrten Bewahrung der Wassertransportanlage
unterblieben.

    a) Die Eigentumsgarantie gewährleistet das Eigentum, wie das
Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung festhält, nicht unbeschränkt,
sondern nur innert den Schranken, die ihm im öffentlichen Interesse
durch die Rechtsordnung gezogen sind. Wichtige öffentliche Interessen,
wie die in der Bundesverfassung verankerten Anliegen der Raumplanung, des
Umweltschutzes, des Gewässerschutzes und des Natur- und Heimatschutzes,
sind der Gewährleistung des Eigentums grundsätzlich gleichgestellt. Die
Zulässigkeit darauf gestützter, eigentumsbeschränkender Massnahmen basiert
somit auf einer Interessenabwägung mit der Eigentumsgarantie (BGE 105 Ia
336 f. E. 3c mit Hinweisen).

    b) Um dem Aussterben einheimischer Tier- und Pflanzenarten
entgegenzuwirken, sind genügend grosse Lebensräume (Biotope) zu
erhalten (Art. 18 Abs. 1 NHG). Moore und andere Standorte, die eine
ausgleichende Funktion im Naturhaushalt erfüllen oder besonders günstige
Voraussetzungen für Lebensgemeinschaften aufweisen, sind besonders
zu schützen (Art. 18 Abs. 1bis NHG). Die Beeinträchtigung derartiger
Lebensräume durch technische Eingriffe ist grundsätzlich zu vermeiden
(Art. 18 Abs. 1ter NHG). Erst wenn sich Eingriffe unter Abwägung aller
Interessen als unvermeidlich erweisen, stellt sich die Frage nach Schutz-,
Wiederherstellungs- oder Ersatzmassnahmen. Mit dem Erlass von Art. 24sexies
Abs. 5 BV (in Kraft seit 6. Dezember 1987) und der Art. 18a bis 18d NHG (in
Kraft seit 1. Februar 1988) wurde der Biotopschutz noch einmal verstärkt
(BGE 114 Ib 272 f. E. 4 mit Hinweisen). Moore und Moorlandschaften
von besonderer Schönheit und von nationaler Bedeutung (Art. 24sexies
Abs. 5 BV) ebenso wie Biotope von nationaler Bedeutung (Art. 18a Abs. 1
NHG) sind zwingend geschützt (BGE 116 Ib 208 f. E. 4b). Im örtlichen
Anwendungsbereich von Art. 24sexies Abs. 5 BV dürfen weder Anlagen gebaut
noch Bodenveränderungen irgendwelcher Art vorgenommen werden. Stellt
ein Gebiet ein Schutzgebiet im Sinne dieser Verfassungsbestimmung
dar, so besteht darin ein absolutes Veränderungsverbot (vgl. THOMAS
FLEINER-GERSTER, in Kommentar BV, Art. 24sexies, Rz. 45). Ausnahmen sind
nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Verfassungsbestimmung nur zulässig
für "Einrichtungen, die der Aufrechterhaltung des Schutzzweckes und der
bisherigen landwirtschaftlichen Nutzung dienen". Eine Interessenabwägung
gegenüber dem verfassungsmässig vorgesehenen Veränderungsverbot kann im
Einzelfall nicht in Frage kommen. Vielmehr sind Interessenabwägung und
Verhältnismässigkeit diesbezüglich bereits in der abstrakten Rechtsnorm
vorab entschieden worden.

    c) Anderes ergibt sich auch aus der Besitzstandsgarantie nicht. Danach
dürfen neue Eigentumsbeschränkungen auf nach altem Recht rechtmässig
erstellte Bauten nur angewendet werden, wenn ein gewichtiges öffentliches
Interesse dies verlangt und das Gebot der Verhältnismässigkeit eingehalten
ist (BGE 113 Ia 122 E. 2a). Denn die angefochtenen Massnahmen beziehen sich
auf das Errichten von neuen Bauten und Anlagen, Veränderungen der Ufer
der Biber und auf Terrainveränderungen, und damit nicht unmittelbar auf
die bestehenden Bauten und Anlagen. Zudem können, wie das EDI in seiner
Vernehmlassung ausführt, Ausnahmen von der zuständigen kantonalen Behörde
auf Gesuch hin bewilligt werden, wenn sie mit den verfassungsrechtlich
zulässigen Ausnahmen im Einklang stehen.

    d) Die von der Beschwerdeführerin angefochtenen Bestimmungen
betreffen allesamt Massnahmen, die nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck von
Art. 24sexies Abs. 5 BV, soweit diese Verfassungsbestimmung Anwendung
findet, ausgeschlossen oder nur dem Schutzzweck entsprechend zulässig
sind. Wie weit dieser Anwendungsbereich und damit der Schutzbereich von
Art. 24sexies Abs. 5 BV in örtlicher und sachlicher Hinsicht definitiv
geht, braucht hier jedoch nicht im einzelnen geprüft zu werden. Im Rahmen
der vorsorglichen Massnahmen kann es nicht darum gehen, über den örtlichen
und sachlichen Umfang des Schutzobjektes verbindlich zu entscheiden und
der definitiven Nutzungsplanung und damit der Frage, welche Massnahmen mit
dem Schutzzweck verträglich sind, vorzugreifen. Hiezu erweist sich die
in Ziff. 1.7 der angefochtenen Verfügung vorgesehene Prüfung einzelner
Massnahmen auf ihre ausnahmsweise Zulässigkeit hin als geeignet. Auch
die von der Beschwerdeführerin gestellten Eventualbegehren sind deshalb
als unbegründet abzuweisen.

    e) Nachdem Teile der Anlagen der Beschwerdeführerin
unbestrittenermassen im Moorgebiet liegen und die definitive
kantonale Schutzverordnung bis Ende 1994 in Aussicht steht, erscheint
die angefochtene Verfügung auch in zeitlicher Hinsicht nicht als
unverhältnismässig. Inwieweit sich aus der Eigentumsbeschränkung ein
Entschädigungsanspruch aus materieller Enteignung ergeben kann, ist nicht
im vorliegenden Verfahren zu prüfen.