Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IB 197



117 Ib 197

25. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Mai 1991 i.S. C.
gegen Kanton A. (Direktprozess) Regeste

    Staatshaftung für spitalärztliche Tätigkeit; Aufklärungspflicht
des Arztes.

    1. Ein zu Heilzwecken vorgenommener ärztlicher Eingriff in die
körperliche Integrität des Patienten ist widerrechtlich, sofern nicht
ein Rechtfertigungsgrund - insbesondere die Einwilligung des ausreichend
aufgeklärten Patienten - vorliegt. Da die ärztliche Aufklärungspflicht
sowohl dem Schutz der freien Willensbildung des Patienten wie auch
dem Schutz seiner körperlichen Integrität dient, besteht im Fall ihrer
Verletzung nicht nur eine Ersatzpflicht für immateriellen, sondern auch
für anderen Schaden (E. 2).

    2. Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht: Allgemeine Grundsätze
und Feststellung, dass der Patient im beurteilten Falle nicht ausreichend
aufgeklärt worden ist (E. 3 und 4).

    3. Zulassung des Einwandes der hypothetischen Einwilligung des
Patienten; Beweislast (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Am 9. November 1979 wurde der damals 55 Jahre alte C., während er
eine fünfundzwanzig bis dreissig Kilogramm schwere Kiste in den Händen
hielt, von der herunterfallenden Hecktüre seines Lieferwagens am Kopf
getroffen. Wegen Schmerzen in der Schultergegend und einer Schwäche des
linken Beines suchte er am 12. November 1979 seinen Hausarzt auf, der nach
zwei Tagen die Überweisung in das Kantonsspital B. anordnete. Dort blieb
C. zur Untersuchung bis am 20. November 1979 und wurde dann wegen eines
Querschnittsyndroms in die Neurochirurgische Klinik des Kantonsspitals A.
überwiesen. Im Kantonsspital wurden am 21. November 1979 unter anderem eine
Myelographie (Röntgenkontrastdarstellung des Wirbelkanals nach Einbringen
eines öligen Kontrastmittels) und anschliessend durch den Oberarzt X. eine
Laminektomie (operative Freilegung des Rückenmarks durch Entfernen eines
oder mehrerer Wirbelbögen) durchgeführt. Gemäss dem Operationsbericht wurde
im Bereich Th (Brustwirbel) 9-10 eine intradurale (innerhalb der Dura, der
harten Rückenmarkshaut, gelegene) Diskushernie gefunden und entfernt. Nach
der Operation wies C. eine vollständige schlaffe Lähmung beider Beine auf.

    Am 24. Oktober 1986 reichte C. beim Bundesgericht Klage gegen den
Kanton A. ein. Er stellte den Antrag, den Beklagten zur Zahlung von
Schadenersatz und Genugtuung im Gesamtbetrag von Fr. 3'290'126.10
nebst Zins zu verpflichten. Der Kläger stützte seine Forderung auf
das kantonale Verantwortlichkeitsgesetz. Der Beklagte anerkannte zwar
seine Passivlegitimation nach Massgabe dieses Gesetzes, beantragte
aber die Abweisung der Klage, weil nach seiner Auffassung die
gesetzlichen Haftungsvoraussetzungen fehlen. In der Folge beschränkte der
Instruktionsrichter das Verfahren auf die Haftungsfrage und ordnete einen
zweiten Schriftenwechsel an, in dem beide Parteien an ihren Standpunkten
festhielten.

    Im nachfolgenden Vorbereitungs- und Beweisverfahren wurde vorerst
ein Gutachten von Prof. H. eingeholt, dem Chefarzt der Abteilung
für Neuroradiologie des Institutes für Diagnostische Radiologie der
Universität und des Inselspitals Bern. Nach Erstattung des Gutachtens
wurde der Experte ausserdem zu seinen Ausführungen und zu Ergänzungsfragen
der Parteien einvernommen. Auf Antrag des Beklagten wurde zudem bei
Prof. G., Chefarzt der Neurochirurgischen Klinik der Universität Basel,
ein neurochirurgisches Ergänzungsgutachten eingeholt und anschliessend
auch dieser Experte persönlich befragt.

    Am 27. August 1990 erklärte der Instruktionsrichter das Vorbereitungs-
und Beweisverfahren für geschlossen. Gleichzeitig setzte er Frist zur
Einreichung schriftlicher Schlussbemerkungen, welche von den Parteien
anstelle mündlicher Vorträge im Sinne von Art. 68 Abs. 1 BZP gewünscht
worden waren.

    Am 15. Januar 1991 reichten beide Parteien ihre Schlussbemerkungen
ein. Der Kläger stellte damit die Anträge, die Klage sei bezüglich der
Haftungsfrage gutzuheissen, eventuell habe das Gesamtgericht zusätzliche
Beweise abzunehmen. Der Beklagte schloss auf Abweisung der Klage.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Eine chirurgische Massnahme, wie sie am Beklagten vorgenommen
worden ist, stellt einen Eingriff in die körperliche Integrität des
Patienten dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Verletzung
absoluter Rechtsgüter ist ein solcher Eingriff rechtswidrig, falls er
nicht auf einer die Widerrechtlichkeit ausschliessenden Rechtfertigung
beruht. Wichtigster Rechtfertigungsgrund ist die vorherige Einwilligung
des Patienten, der ausreichend über den beabsichtigten Eingriff
aufgeklärt worden sein muss (BGE 115 Ib 180/81, 114 Ia 358 E. 6,
112 II 128, 108 II 61 ff. E. 2 und 3). In den zitierten Entscheiden
ist darauf hingewiesen worden, dass das Erfordernis der Einwilligung
des Patienten und der damit verbundene Aufklärungsanspruch in dessen
allgemeinen Persönlichkeitsrechten gründet und dem Schutz sowohl der
Willensfreiheit, dem Selbstbestimmungsrecht, wie auch der körperlichen
Integrität des Patienten dient. Die Aufklärungspflicht gehört deshalb zu
den allgemeinen Berufspflichten des Arztes, und zwar unabhängig davon,
ob er im Rahmen eines privatrechtlichen Vertragsverhältnisses oder als
Beamter oder Angestellter des Staates handelt.

    b) Die Rechtsprechung des Bundesgerichts ist in der Lehre teilweise
kritisiert worden. Eingewendet wird einerseits, ein Heileingriff könne
nicht als widerrechtlich beurteilt werden und stelle keine Körperverletzung
dar, auch dann nicht wenn er misslinge. Andererseits wird die Ansicht
vertreten, die Aufklärungspflicht des Arztes diene nicht dem Schutz
der körperlichen Integrität des Patienten, sondern ausschliesslich dem
Schutz seiner freien Willensbildung; folgerichtig müsse die Haftung des
Arztes im Fall mangelhafter oder fehlender Aufklärung des Patienten auf
den immateriellen Schaden beschränkt werden, welcher dem Patienten durch
die Beeinträchtigung seines Selbstbestimmungsrechts erwachse (WIEGAND,
Der Arztvertrag, insbesondere die Haftung des Arztes, in: Arzt und
Recht, S. 114; HONSELL, Die zivilrechtliche Haftung des Arztes, ZSR
109/1990 S. 145 f.; HONSELL, in: Symposium Stark, Neuere Entwicklungen
im Haftpflichtrecht, S. 21; BUCHLI-SCHNEIDER, recht 1988, S. 96).

    c) Trotz diesen Einwänden ist an der bisherigen Rechtsprechung
festzuhalten. Dem allgemeinen Persönlichkeitsschutz - sei er privat- oder
öffentlichrechtlich (vgl. dazu BGE 114 Ia 357 E. 5) - liegt das Prinzip
zugrunde, fremdbestimmte Eingriffe in die geschützten Rechtsgüter zu
verbieten und die Verfügung darüber allein ihrem Inhaber vorzubehalten. Der
Zweck eines Eingriffs in die körperliche Integrität ändert deshalb nichts
an dessen Widerrechtlichkeit, solange er nicht vom Rechtsträger selbst,
sondern von einem Dritten, zum Beispiel dem operierenden Chirurgen,
bestimmt wird. Allein der Inhaber des Rechtsgutes ist grundsätzlich
befugt, über den Zweck des Eingriffs zu entscheiden. Die Kritiker
des Bundesgerichts berücksichtigen zudem nicht, dass es auch ärztliche
Eingriffe in die körperliche Integrität eines Menschen gibt, die nicht der
Heilung einer Krankheit dienen. Zu erwähnen sind etwa die Sterilisation
oder die Entnahme eines Organs für eine Transplantation. Warum in
solchen Fällen andere Haftungsprinzipien gelten sollen, obwohl von der
Art der ärztlichen Tätigkeit her kein Unterschied besteht, wird von den
Kritikern nicht begründet und ist auch nicht einzusehen. Übersehen wird
schliesslich, dass das Abstellen auf den Heilzweck problematisch ist,
weil es im Einzelfall schwierig sein kann, diesen Zweck zu definieren
und zu beurteilen. Das gilt namentlich für Heilmethoden, die von jenen
der Schulmedizin abweichen (vgl. dazu JOST GROSS, Die persönliche
Freiheit des Patienten, Diss. Bern 1977, S. 127 f. und S. 147 ff.;
BUCHER, in: Symposium Stark, S. 43; ARZT, Die Aufklärungspflicht des
Arztes aus strafrechtlicher Sicht, in: Arzt und Recht, S. 55 f.). Diese
Überlegungen sprechen ebenfalls dafür, den Entscheid über den Zweck des
Eingriffs in die körperliche Integrität grundsätzlich dem betroffenen
Rechtsträger vorzubehalten, d.h. einen solchen Eingriff unabhängig von
der Zielsetzung des eingreifenden Dritten unter Vorbehalt der Einwilligung
des Rechtsträgers als widerrechtlich zu beurteilen.

    Die Aufklärungspflicht dient sodann entgegen der erwähnten Kritik
nicht nur dem Schutz der freien Willensbildung des Patienten, sondern auch
dem Schutz seiner körperlichen Integrität. Das ergibt sich ohne weiteres
aus der persönlichkeitsrechtlichen Grundlage dieser Pflicht. Denn der
allgemeine Persönlichkeitsschutz umfasst den Schutz der körperlichen
Integrität wie den darauf bezogenen Schutz des Rechtsträgers, nach freiem
Willen über einen allfälligen Eingriff in seine körperliche Integrität
zu entscheiden. Beides ist untrennbar miteinander verbunden (GUILLOD,
La responsabilité civile des médecins: un mouvement de pendule, in: La
responsabilità del medico e del personale sanitario fondata sul diritto
pubblico, civile e penale, S. 74; vgl. auch NÜSSGENS, BGB-RGRK, Anhang
II zu § 823 BGB, N 65). Die gegenteilige Auffassung verkennt diesen
Zusammenhang.

    d) Damit bleibt es dabei, dass der Arzt oder - wie im vorliegenden
Fall - jener, der für ihn einzustehen hat, die gehörige Aufklärung und
Einwilligung des Patienten als Rechtfertigungsgrund zu beweisen hat
(BGE 115 Ib 181, 113 Ib 425).

Erwägung 3

    3.- a) Der Beklagte hat in der Klageantwort vorgebracht, jeder der in
der Neurochirurgischen Klinik des Kantonsspitals A. operierten Patienten
werde vorgängig über die Operation, deren mögliche Folgen sowie über
die Folgen einer Unterlassung des Eingriffs umfassend orientiert. So
sei auch der Kläger nach der myelographischen Untersuchung über die
möglichen Folgen des Eingriffs und über die Folgen der Unterlassung
des Eingriffs informiert worden. Er habe seine klare Zustimmung zur
Operation gegeben. Zum Beweis seiner Behauptungen berief sich der Beklagte
insbesondere auf die Krankengeschichte (Anamnese und Status) des Klägers,
wo folgendes festgehalten wird:

    "Am 21.11.79, nach der notfallmässig durchgeführten Myelographie mit
   festgestellter Passagenbehinderung, wurde mit dem Patienten gesprochen
   und die dringende Operation vorgeschlagen. Die möglichen Konsequenzen
   eines

    Nichteingreifens wurden ihm klargemacht. Über Möglichkeiten von
operativen

    Komplikationen wurde der Patient auch informiert. Er hat sich mit dem

    Eingriff einverstanden erklärt."

    Als weitere Beweismittel führte der Beklagte in der Klageantwort die
Ärzte Dr. B, Dr. X. und Prof. P. als Zeugen auf. In der Duplikschrift
hielt der Beklagte an seinen Behauptungen fest. Im Beweisverfahren wurden
die erwähnten Ärzte nicht als Zeugen einvernommen. Prof. P. nahm zwar an
der Vorbereitungsverhandlung vom 19. Juni 1989 teil, jedoch als Berater
des Beklagten für medizinische Fachfragen, womit er als Zeuge ausser
Betracht fiel. In den Schlussbemerkungen hielt der Beklagte daran fest,
dass der Kläger vor der Operation ausreichend aufgeklärt worden sei,
erwähnte aber die Zeugenangebote nicht mehr, sondern berief sich nun
ausschliesslich auf den zitierten Text der Krankengeschichte. Dazu führte
er zusätzlich aus, die Art der Aufklärung entspreche einer seit Jahren
in der Neurochirurgischen Klinik des Kantonsspitals A. gehandhabten
Praxis. Auf die Unterzeichnung eines Formulars, worin der Patient die
erhaltene Aufklärung bestätigt, werde verzichtet. Dies in der Überzeugung,
dass im speziellen Vertrauensverhältnis, das zwischen Arzt und Patient
wachsen und bestehen solle, kein Platz vorhanden sei für ein Misstrauen
bezeugendes Formular. Das Gespräch mit dem Patienten werde aber immer
geführt, und dies werde dann jeweils in der Krankengeschichte entsprechend
vermerkt, wie das auch hier geschehen sei.

    Der Kläger hat demgegenüber bereits in der Klageschrift behauptet,
er sei über das Operationsrisiko, die gemäss ärztlicher Erfahrung
möglicherweise eintretenden Komplikationen und die hohe Gefahr des
Eingriffs nicht aufgeklärt worden; wenn er um diese Gefahr gewusst hätte,
so wäre er zweifellos mit der Operation nicht einverstanden gewesen,
sondern hätte Alternativen gesucht, um sich vorerst beobachten zu
lassen. In der Replik behauptete der Kläger sodann, er sei weder durch
Dr. X. noch durch einen anderen Arzt vor der Operation auch nur um sein
Einverständnis gefragt, geschweige denn über das angeblich grosse Risiko
orientiert oder aufgeklärt worden. In den Schlussbemerkungen hielt der
Kläger an seinen Behauptungen fest und machte zusätzlich geltend, es sei
kaum glaubhaft, dass sich ein Patient bei einem so grossen Risiko einer
Operation unterziehen würde, ohne vorher weitere eingehendere Abklärungen
über alternative Behandlungsmöglichkeiten verlangt zu haben. Der Kläger
zog überdies in Zweifel, dass der zitierte Text der Krankengeschichte am
angegebenen Datum verfasst worden sei.

    b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Arzt
verpflichtet, den Patienten über Art und Risiken der in Aussicht genommenen
Behandlungsmethoden aufzuklären, es sei denn, es handle sich um alltägliche
Massnahmen, die keine besondere Gefahr und keine endgültige oder länger
dauernde Beeinträchtigung der körperlichen Integrität mit sich bringen. Der
Patient soll über den Eingriff oder die Behandlung soweit unterrichtet
sein, dass er seine Einwilligung in Kenntnis der Sachlage geben kann. Die
Aufklärung darf jedoch keinen für seine Gesundheit schädlichen Angstzustand
hervorrufen (BGE 113 Ib 426 E. 6, 108 II 61 E. 2). Massstab des Ausmasses
der Aufklärung sind auf der einen Seite die vom Arzt gestellte Diagnose
und die nach den medizinischen Kenntnissen des damaligen Zeitpunktes mit
dem Eingriff verbundenen Risiken. Ob die Diagnose rückblickend richtig war,
ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Das Stellen einer falschen Diagnose
bildet allenfalls einen selbständigen Haftungsgrund. Andererseits kann
der Arzt im allgemeinen davon ausgehen, dass er es mit einem verständigen
Patienten zu tun hat, der im Rahmen seiner Lebenserfahrung um die
allgemein bekannten Gefahren der in Frage stehenden Operation weiss. Nicht
aufzuklären hat der Arzt deshalb über Komplikationen, die mit einem
grösseren Eingriff regelmässig verbunden sind oder ihm folgen können,
wie zum Beispiel Blutungen, Infektionen, Thrombosen oder Embolien. Zu
berücksichtigen sind aber auch die konkreten Umstände. So braucht der Arzt
einen Patienten oder dessen gesetzlichen Vertreter dann nicht in allen
Einzelheiten über die Gefahren der geplanten Operation aufzuklären, wenn
auf der Hand liegt, dass diesem aufgrund früherer ähnlicher oder gleicher
Operationen die einschlägigen Risiken bereits bekannt sein müssen (vgl. BGE
115 Ib 178). Allgemein gilt aber, dass der Arzt bei gewöhnlich mit grossen
Risiken verbundenen Operationen, die schwerwiegende Folgen haben können,
den Patienten ausführlicher aufklären und informieren muss, als wenn es
sich um einen im allgemeinen unproblematischen Eingriff handelt.

    c) In bezug auf die Beweislage ist davon auszugehen, dass der
Beklagte stillschweigend auf die Einvernahme der ursprünglich als Zeugen
angebotenen Ärzte verzichtet hat. Mit Verfügung vom 27. August 1990
hat der Instruktionsrichter das Vorbereitungsverfahren für geschlossen
erklärt. Falls der Beklagte dennoch auf der Einvernahme der Zeugen hätte
bestehen wollen, hätte er gemäss Art. 67 Abs. 2 BZP innerhalb von zehn
Tagen einen entsprechenden Antrag stellen müssen. Statt dessen hat er sich
in den Schlussbemerkungen nur noch auf den Wortlaut der Krankengeschichte
berufen, ohne das Zeugenangebot zu erwähnen. Daraus muss geschlossen
werden, dass er sich zum Beweis seiner Behauptungen lediglich noch auf
die Krankengeschichte stützen will.

    Wie bereits erwähnt worden ist, bestreitet der Kläger, vom geplanten
Eingriff überhaupt unterrichtet und über die möglichen Folgen aufgeklärt
worden zu sein. Ob seine Sachdarstellung glaubwürdiger ist als jene des
Beklagten, braucht indessen nicht untersucht und entschieden zu werden, da
sich aus den folgenden Erwägungen ergeben wird, dass die Aufklärung selbst
dann als ungenügend beurteilt werden muss, wenn das Gericht zu Gunsten
des beweispflichtigen Beklagten annimmt, der Kläger sei so informiert
und aufgeklärt worden, wie dies in der Krankengeschichte festgehalten
worden ist. Unerheblich ist damit einerseits der Verdacht des Klägers, der
zitierte Text sei nicht am 21. November 1979, sondern später und von einer
anderen Person als angegeben niedergeschrieben worden. Andererseits braucht
auch nicht zu den Fragen Stellung genommen zu werden, welcher Beweiswert
der Krankengeschichte im Arzthaftungsprozess im allgemeinen zukommt und ob
es zweckmässig ist, den Patienten ein Formular unterschreiben zu lassen,
in welchem der genaue Inhalt der Aufklärung und die Einwilligung angegeben
werden (vgl. dazu WIEGAND, aaO, S. 116; NÜSSGENS, aaO, N 96 ff.). In diesem
Zusammenhang ist lediglich festzuhalten, dass es unter dem Gesichtspunkt
der Beweistauglichkeit nicht genügt, in der Krankengeschichte nur ganz
allgemein zu vermerken, der Patient sei über die geplante Operation und
ihre möglichen Komplikationen informiert worden, wie das im vorliegenden
Fall geschehen ist.

Erwägung 4

    4.- Gemäss der Expertise G., die insoweit mit der Expertise
H. übereinstimmt und von den Parteien nicht angefochten worden ist,
stellten die beteiligten Ärzte beim Kläger am 21. November 1979 die
Differentialdiagnose einer thorakalen Diskushernie; die Artdiagnose wurde
nicht definitiv gestellt. Als operativer Eingriff geplant war vor allem
eine dekompressive Laminektomie im Bereich der Brustwirbelsäule, wie sie
dann auch tatsächlich vorgenommen worden ist.

    Die Experten sind sich sodann darin einig, dass die grossen Risiken
einer Laminektomie zur Entfernung einer thorakalen Diskushernie zur Zeit
der Operation bekannt waren. Beide Gutachter verweisen insbesondere auf
eine Publikation von PEROT/MUNRO (Transthoracic Removal of Midline Thoracic
Disc Protrusions Causing Spinal Cord Compression, J. Neurosurgery 31,
1969, S. 452-458), aus der hervorgeht, dass, bei insgesamt einundneunzig
erfassten Fällen, neunundzwanzig Patienten geheilt wurden und bei
zweiundzwanzig Patienten eine Zustandsverbesserung eintrat. Andererseits
starben aber sechs Patienten an den Folgen der Operation, sechzehn waren
danach gelähmt und bei achtzehn Patienten war keine Verbesserung zu
beobachten. Noch ungünstiger sind die Ergebnisse bezüglich der Patienten,
bei welchen die Laminektomie - wie auch beim Kläger - oberhalb von
Th 10-11 vorgenommen wurde. In dieser Kategorie starben zwei von
insgesamt vierunddreissig Operierten, während zwölf gelähmt waren und
bei neun Patienten keine Verbesserung eintrat. Nur sechs Patienten wurden
geheilt, und bei fünf Patienten wurde ein verbesserter Zustand erzielt.
Der Experte G. weist in seinem Gutachten zudem allgemein darauf hin,
dass höchstwahrscheinlich bereits eine geringgradige Lageänderung des
Rückenmarkes im Bereich der Dekompressionszone genüge, um im empfindlichen,
in bezug auf Durchblutungsstörungen höchst gefährdeten Rückenmark eine
solche Schädigung herbeizuführen, dass eine Komplettierung der Lähmung
eintritt. Dazu könne auch die Vornahme einer explorativen Laminektomie
ausreichen.

    Diese Ausführungen der Experten erlauben es, über die Frage
zu entscheiden, ob der Kläger bezüglich der Risiken des operativen
Eingriffs ausreichend aufgeklärt worden ist. Das ist aufgrund der
gegebenen Umstände zu verneinen. Den an der Operation teilnehmenden
Ärzten musste bewusst sein, dass die Durchführung einer Laminektomie
im thorakalen Bereich oberhalb Th 10-11 in beinahe siebzig Prozent der
Fälle zu keiner Verbesserung des Zustandes des Patienten führt. Zudem
besteht in nahezu fünfunddreissig Prozent der Fälle die Gefahr einer
Paraplegie. Über diese vom Gesichtspunkt eines medizinischen Laien aus
sehr ungünstigen Erfolgsaussichten hätte der Kläger ausdrücklich und unter
Angabe der ungefähren prozentualen Anteile aufgeklärt werden müssen. Dass
dies der Fall war, ist von der Beklagten in ihren Rechtsschriften nicht
behauptet worden. Aus der Krankengeschichte ergibt sich das ebenfalls
nicht, da dort lediglich allgemein festgehalten wird, der Kläger sei über
Möglichkeiten operativer Komplikationen informiert worden. Aus diesem
Grund kann der Beweis einer ausreichenden Aufklärung des Klägers mit der
Krankengeschichte nicht geführt werden. Er ist damit gescheitert.

Erwägung 5

    5.- a) In BGE 66 II 36 ist das Bundesgericht ohne Begründung davon
ausgegangen, der Patient brauche nicht über die Risiken einer ärztlichen
Behandlung aufgeklärt zu werden, wenn aufgrund der gegebenen Umstände
anzunehmen sei, dass er auch bei erfolgter oder ausreichender Aufklärung
seine Einwilligung gegeben hätte. In späteren Entscheiden ist dagegen
offengelassen worden, ob der Arzt seine Haftung mit dem Einwand der
hypothetischen Einwilligung des Patienten bestreiten könne (BGE 108 II 64,
113 Ib 426). In BGE 108 II 64 hat das Bundesgericht aber festgehalten, die
Beweislast für eine solche hypothetische Einwilligung hätte jedenfalls der
Arzt zu tragen, da es sich um ein Verteidigungsmittel des Arztes handle.

    Nach ständiger Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofes,
auf die bereits in BGE 108 II 63/4 hingewiesen worden ist, wird der
Arzt zum Beweis zugelassen, dass sich der Patient auch bei gehöriger
Aufklärung zu der Operation entschlossen hätte; andererseits ist
der Patient aber verpflichtet, plausibel darzulegen, weshalb er aus
seiner Sicht bei Kenntnis der aufklärungspflichtigen Umstände vor
einem Entscheidungskonflikt gestanden hätte, ob er die ihm empfohlene
Behandlung gleichwohl ablehnen solle (Urteil vom 26. Juni 1990, NJW 1990 S.
2928 f.). An diese sogenannte Substantiierungspflicht des Patienten ist
gemäss der Praxis des Bundesgerichtshofes ein strenger Massstab anzulegen
(NJW 1984 S. 1809; Heilmann, Der Stand der deliktischen Arzthaftung,
NJW 1990 S. 1518). Abzustellen ist insoweit aber nicht abstrakt auf
die Handlungsweise eines verständigen Patienten, sondern konkret auf
die persönliche Willenslage des betroffenen Patienten (NJW 1984 S. 1399,
1980 S. 1334).

    b) In der schweizerischen Lehre ist die Zulassung des Einwandes der
hypothetischen Einwilligung des Patienten umstritten. GUILLOD, der sich
am ausführlichsten mit der Frage befasst hat, ist der Auffassung, der
Zweck der verletzten Norm verbiete die Berücksichtigung des Einwandes (Le
consentement éclairé du patient, Diss. Neuenburg 1986, S. 84 ff.). RASCHEIN
(Widerrechtlichkeit und Verschulden in der Arzthaftpflicht, ZGRG 1989
S. 64), GROSS (Haftung für medizinische Behandlung, S. 214) und ALFRED
KELLER (in: Arzt und Recht, S. 133) nehmen dagegen die Zulässigkeit des
Einwandes an, ohne ihre Auffassung aber zu begründen. BUCHLI-SCHNEIDER
(aaO, S. 97) führt mit Hinweis auf deutsche Lehrmeinungen aus, dem Arzt
stehe der beweispflichtige Einwand des rechtmässigen Alternativverhaltens
offen. WIEGAND (aaO, S. 117) vertritt die Ansicht, der Patient habe zu
beweisen, dass die fehlende Aufklärung ursächlich für den eingetretenen
Schaden gewesen sei; das sei nur dann anzunehmen, wenn nachgewiesen werde,
dass ein vernünftiger und besonnener Patient nach erfolgter Aufklärung
seine Zustimmung zur Behandlung oder Operation verweigert hätte. Um eine
Kausalitätsfrage geht es auch nach Auffassung von HAUSHEER (Schweizer
Beitrag in: Medical Responsibility in Western Europe, S. 757/8).

    c) In BGE 108 II 64 ist das Bundesgericht davon ausgegangen, die
Frage der Zulässigkeit des Einwandes der hypothetischen Einwilligung des
Patienten sei eine solche der Kausalität. Diesen dogmatischen Ansatz
hat GUILLOD kritisiert, der die Frage dem Bereich des rechtmässigen
Alternativverhaltens zuordnen will (Le consentement éclairé du patient,
S. 85). In der deutschen Literatur ist demgegenüber zutreffend darauf
hingewiesen worden, dass die rechtliche Einordnung des Einwandes
Schwierigkeiten bereitet, weil ein Unterlassen nur dann kausal ist, wenn
pflichtgemässes Handeln den Erfolg verhindert hätte. Dabei handelt es sich
aber im Ergebnis um die Frage nach rechtmässigen Alternativen (NÜSSGENS,
aaO, N 153). Zu untersuchen wäre nach der einen Zuordnung, ob zwischen der
unterlassenen Aufklärung durch die Ärzte und der mangelnden Einwilligung
des Klägers in den operativen Eingriff sowie den daraus entstandenen Folgen
ein hypothetischer Zusammenhang besteht (BGE 115 II 447). Nach der anderen
Zuordnung wäre zu prüfen, ob der Kläger selbst dann in die Operation
eingewilligt hätte, wenn er ausreichend über deren Risiken aufgeklärt
worden wäre. Bei beiden Fragestellungen wird somit entscheidend auf eine
hypothetische Stellungnahme des Patienten abgestellt, welche entweder
als Glied im Kausalzusammenhang oder im Rechtswidrigkeitszusammenhang
verstanden wird. Aufgrund beider Betrachtungsweisen ist der Einwand der
hypothetischen Einwilligung des Patienten aber zuzulassen.

    Wie sodann aus der zitierten schweizerischen Literatur hervorgeht,
wird die Zulässigkeit des Einwandes der hypothetischen Einwilligung
des Patienten mehrheitlich befürwortet, und zwar unabhängig von der
Frage seiner rechtlichen Einordnung. Diese Stellungnahmen zeigen,
dass es die Lehre überwiegend für richtig hält, die Haftung des
Arztes wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht in diesem Sinne
einzuschränken. Gleichzeitig wird damit auch den Beweisschwierigkeiten
des Arztes Rechnung getragen, soweit sie auf einem Umstand beruhen,
der zum Wissensbereich des Patienten gehört. Das bedeutet aber nicht,
dass von der Beweislastverteilung gemäss BGE 108 II 64 dem Grundsatz
nach abzuweichen ist. Die Beweislast des Arztes für seine Behauptung,
der Patient hätte auch bei hinreichender Aufklärung in den Eingriff
eingewilligt, rechtfertigt sich einerseits, weil es um einen Beweis im
grösseren Rahmen des Rechtfertigungsgrundes der Einwilligung geht. Daran
ändert die hier offengelassene Frage der rechtlichen Einordnung bei der
Kausalität oder dem rechtmässigen Alternativverhalten nichts. Andererseits
wird in der deutschen Literatur zur Begründung der Beweislastverteilung
zutreffend darauf hingewiesen, dass der Beweis in den Verantwortungsbereich
des Arztes fällt, weil er den Eingriff ohne Einwilligung des Patienten
vorgenommen hat (NÜSSGENS, aaO, N 157; BAUMGÄRTEL, Handbuch der Beweislast
im Privatrecht, Bd. 1, N 48 zu § 823 I BGB; HEILMANN, aaO, S. 1518).

    Bei Beurteilung der Hypothese ist sodann nicht bloss darauf
abzustellen, ob ein vernünftiger und besonnener Patient nach erfolgter
Aufklärung seine Einwilligung verweigert hätte. Massgebend muss vielmehr
sein, wie sich der in Frage stehende Patient unter den konkreten
Umständen verhalten hätte. Dem Schutz des Selbstbestimmungsrechtes des
Patienten kommt in dieser Hinsicht ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. dazu
NÜSSGENS, aaO, N 159). Vom Patienten kann allerdings - im Einklang mit der
Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofes - verlangt werden, dass
er glaubhaft macht oder wenigstens behauptet, warum er auch bei gehöriger
Aufklärung die Einwilligung zur Vornahme des Eingriffs insbesondere aus
persönlichen Gründen verweigert hätte. Insoweit ist ihm eine Mitwirkung
bei der Feststellung des Sachverhaltes zuzumuten, weil es um Tatsachen
geht, die im allgemeinen aus seinem Wissensbereich stammen. Daraus folgt
aber auch, dass im Falle fehlender Mitwirkung des Patienten dennoch nach
objektiviertem Massstab darauf abgestellt werden kann, ob die Ablehnung des
Eingriffs vom Standpunkt eines vernünftigen Patienten aus unverständlich
gewesen wäre (MERTENS, MünchKomm, N 457 zu § 823 BGB). Im Sinne dieser
Ausführungen und mit den erwähnten Einschränkungen ist der Beklagte somit
zum Beweis der hypothetischen Einwilligung des Klägers zuzulassen.

    d) Dieser Beweis muss indessen als gescheitert betrachtet werden. Zum
einen hat der Kläger glaubwürdig dargelegt, dass er bei Kenntnis
der geringen Erfolgsaussichten des geplanten Eingriffs und der damit
verbundenen statistisch sehr erheblichen Gefahr des Eintritts einer
Paraplegie die Operation jedenfalls hinausgeschoben hätte, um die
Entwicklung seines Gesundheitszustandes beobachten und nach anderen
Behandlungsmethoden suchen zu lassen. Zum anderen ist es dem Beklagten
nicht gelungen, eine besondere zeitliche Dringlichkeit der Operation
nachzuweisen. Der Gutachter G. hat zwar in seiner Expertise die Ansicht
geäussert, die Operation habe am 21. November 1979 nicht auf den nächsten
Tag verschoben werden dürfen, ihre Dringlichkeit könne daher in Stunden
ausgedrückt werden. Zur Frage, ob die unstreitig durch die Operation
verursachte Lähmung ohnehin eingetreten wäre, hat der Experte dagegen nicht
eindeutig Stellung genommen. Im Gutachten selbst führt er zwar aus, eine
abwartende Haltung der Ärzte hätte bei der gegebenen Rückenmarkskompression
zu einer Verschlechterung des Zustandes führen können. Dass eine
Verschlechterung auch tatsächlich eingetreten wäre, behauptet er aber
nicht. Anlässlich der Vorbereitungsverhandlung vom 27. August 1990 hat er
zudem ausgeführt, es handle sich um eine schwierige Frage, da es an einer
allgemeinen Erfahrungsgrundlage bezüglich des Spontanverlaufs fehle. Der
Experte H. hat in seinem Gutachten dargelegt, unter Umständen hätte eine
bessere myelographische Untersuchung eine sicherere Diagnose ergeben,
was dann eventuell die Operationsplanung verändert hätte; unter diesen
Gesichtspunkten sei - unter gebührender Berücksichtigung der Dringlichkeit
- die Notfallmässigkeit des Eingriffes im unmittelbaren Anschluss an die
insuffiziente Myelographie nicht gegeben gewesen.

    In Würdigung dieser Expertenäusserungen ist davon auszugehen, dass
dem Kläger noch genügend Zeit zur Verfügung gestanden hätte, um das von
ihm behauptete alternative Vorgehen auch tatsächlich durchzuführen. Die
Annahme einer hypothetischen Einwilligung des Klägers scheidet damit aus.