Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IA 66



117 Ia 66

11. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25.
April 1991 i.S. Grüne Partei des Kantons Zürich und Mitbeteiligte
gegen Kantonsrat und Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 85 lit. a OG; Stimmrechtsbeschwerde; zulässige Rügen.

    In der Stimmrechtsbeschwerde gegen die Anordnung einer
Volksabstimmung über einen Strassenkredit kann nicht geltend gemacht
werden, die Rechtmässigkeit der Strasse hätte vor der Anordnung der
Abstimmung beurteilt werden müssen (E. 1d/cc). Zulässigkeit der Rüge,
die Orientierung der Stimmbürger über eine Vorlage sei nicht hinreichend
und zudem einseitig (E. 1d/dd).

Sachverhalt

    A.- Der Kantonsrat Zürich fasste am 4. Dezember 1989 nach Einsichtnahme
in einen Antrag des Regierungsrats einen Beschluss über die Bewilligung
eines Kredits für den Bau des Autobahnzusammenschlusses Lindengarten
bis Römerhof und des Halbanschlusses Flughafen in Kloten mit folgendem
Wortlaut:

    "I. Für den Bau des Autobahnzusammenschlusses Lindengarten bis Römerhof
   und des Halbanschlusses Flughafen in Kloten wird zu Lasten des
   Strassenfonds ein Objektkredit von Fr. 54'400'000.-- bewilligt.

    II. Die Kreditsumme erhöht oder vermindert sich entsprechend der

    Baukostenentwicklung zwischen der Aufstellung des Kostenvoranschlages
   (Preisstand April 1989) und der Bauausführung.

    III. Dieser Beschluss unterliegt der Volksabstimmung.

    IV. Veröffentlichung im Amtsblatt, Textteil.

    V. Mitteilung an den Regierungsrat zum Vollzug."

    Mit Beschluss vom 20. Dezember 1989 ordnete der Regierungsrat des
Kantons Zürich an, der obenerwähnte Kreditbeschluss des Kantonsrats
sei am 1. April 1990 mit Stimmzettel 4 der kantonalen Volksabstimmung
zu unterbreiten.

    Gegen diese Beschlüsse des Regierungsrats und des Kantonsrats
führen die Grüne Partei und die Sozialdemokratische Partei des Kantons
Zürich sowie verschiedene Stimmbürger staatsrechtliche Beschwerde
(Stimmrechtsbeschwerde) beim Bundesgericht und stellen die folgenden
Anträge:

    "1. Es sei der angefochtene Beschluss des Regierungsrats des Kantons

    Zürich in bezug auf Stimmzettel 4 und der diesem zugrundeliegende

    Beschluss des Kantonsrats des Kantons Zürich über die Bewilligung eines

    Kredits von Fr. 54'400'000.-- für den Bau des Autobahnzusammenschlusses

    Lindengarten bis Römerhof und des Halbanschlusses Flughafen in Kloten
   aufzuheben.

    2. Es sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu gewähren;
   insbesondere sei der Regierungsrat des Kantons Zürich anzuweisen,
   die mit

    Beschluss vom 20. Dezember 1989 auf den 1. April 1990 angesetzte
kantonale

    Volksabstimmung über die in Ziff. 1 umschriebene Vorlage abzusetzen.

    3. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der

    Beschwerdegegner."
   (S. auch BGE 117 Ib 35.)

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- d) cc) Mit der Stimmrechtsbeschwerde gemäss Art. 85 lit.  a OG
kann nur die Verletzung politischer Rechte gerügt werden, so beispielsweise
die Beeinträchtigung des aktiven und passiven Wahlrechts, des Stimmrechts
oder des Referendums- und Initiativrechts. Zulässige Beschwerdegründe sind
etwa die unlautere Beeinflussung der Willensbildung, Verfahrensfehler,
Anerkennung oder Nichtanerkennung des Stimm- und Wahlrechts, Gültig- oder
Ungültigerklärung einer Initiative oder eines Referendums etc. Dagegen
kann ein Stimmbürger einen Sachentscheid einer kantonalen Behörde, mit
welchem ein Beschluss wegen inhaltlicher Unvereinbarkeit mit übergeordnetem
Recht aufgehoben oder nicht genehmigt wird, nicht wegen Verletzung des
Stimmrechts anfechten. Die staatsrechtliche Beschwerde gestützt auf
Art. 85 lit. a OG ist in einem solchen Fall - von hier nicht in Betracht
fallenden Ausnahmen abgesehen - nur zulässig, soweit die Rechtmässigkeit
des Abstimmungsverfahrens oder die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses
in Frage steht, nicht aber, wenn die materielle Zulässigkeit eines an
sich rechtmässig zustande gekommenen Beschlusses umstritten ist (Urteil
vom 12. Oktober 1988 in ZBl 90/1989, S. 275; BGE 113 Ia 245 E. 2b, 111
Ia 137 E. 3, 100 Ia 430). Kann aber die materielle Rechtmässigkeit eines
von Verwaltungs- und Rechtsmittelbehörden zu treffenden Sachentscheids
grundsätzlich nicht Gegenstand der Stimmrechtsbeschwerde sein, so gilt
dies auch für die Rüge, es sei von den zuständigen Instanzen noch kein
solcher Sachentscheid gefällt worden. Genau dies tun die Beschwerdeführer
aber in den Ziffern 27 bis 33 ihrer Beschwerdeschrift. Insoweit kann auf
ihre staatsrechtliche Beschwerde somit nicht eingetreten werden. Sie machen
in diesem Zusammenhang zwar Verfahrensmängel geltend. Diese beziehen sich
jedoch nicht auf das Abstimmungsverfahren, sondern auf das den materiellen
Sachentscheid betreffende Entscheidungs- und Rechtsmittelverfahren.

    dd) Die Beschwerdeführer machen immerhin geltend, die von ihnen
gerügten Verfahrensmängel würden verhindern, dass der Stimmbürger in
Kenntnis aller wesentlichen Umstände seinen Entscheid treffen könne. Das
vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete politische Stimmrecht gibt
dem Bürger einen Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt
wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und
unverfälscht zum Ausdruck bringt (BGE 115 Ia 206 E. 4, 114 Ia 432 E. 4a mit
Hinweisen). Daraus folgt, dass jeder Stimmbürger seinen Entscheid gestützt
auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung soll
treffen können (BGE 115 Ia 206 E. 4, 114 Ia 432 E. 4a mit Hinweis). Die
freie Meinungsbildung schliesst grundsätzlich jede direkte Einflussnahme
der Behörden aus, welche geeignet wäre, die freie Willensbildung der
Stimmbürger im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen zu verfälschen (BGE
114 Ia 432 E. 4a mit Hinweisen). Das bedeutet, dass die Stimmbürger
hinreichend über eine Abstimmungsvorlage informiert werden müssen und
dass diese Information in einem ausgewogenen Rahmen zu bleiben hat.
Insoweit die Beschwerdeführer eine Verletzung dieser Grundsätze geltend
machen, ist auf ihre Stimmrechtsbeschwerde auch hinsichtlich der in den
Ziffern 27 bis 33 der Beschwerdeschrift erhobenen Rügen einzutreten.