Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IA 378



117 Ia 378

59. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
6. März 1991 i.S. Imhof und Perren gegen Kanton Wallis (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK: Rechtsschutzbestimmungen
im Bereiche der Landumlegung.

    1. Es verstösst nicht gegen Art. 58 Abs. 1 und Art. 6 Ziff. 1
EMRK, eine Rekurskommission einzusetzen, welche in den Bereichen der
Landumlegung und der Grenzregulierung als unabhängiges Spezialgericht
endgültig entscheidet (E. 4).

    2. a) Der Einleitungsbeschluss zu einer Landumlegung und die Abgrenzung
des Perimeters betreffen sog. "civil rights" im Sinne von Art. 6 Ziff. 1
EMRK und erfordern daher eine gerichtliche Anfechtungsmöglichkeit;
das Verfahren vor dem Staatsrat und das Verfahren der staatsrechtlichen
Beschwerde genügen diesen Anforderungen nicht (E. 5a, 5b und 5c).

    b) Die auslegende Erklärung der Schweiz zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK findet
keine Anwendung (E. 5d).

Sachverhalt

    A.- Das Gesetz zur Ausführung des Bundesgesetzes über die Raumplanung
des Kantons Wallis vom 23. Januar 1987 will die zweckmässige und
haushälterische Nutzung des Bodens und eine geordnete wirtschaftliche
Entwicklung sicherstellen. Es sieht in den Artikeln 17 und 18 die
Landumlegung und die Grenzregulierung vor und bestimmt u.a., dass
das Verfahren hierüber auf dem Dekretsweg vom Grossen Rat geregelt
werde. Gestützt darauf erliess der Grosse Rat des Kantons Wallis am
16. November 1989 das Dekret über die Landumlegung und die Grenzregulierung
(Landumlegungsdekret). Das Dekret enthält im einzelnen Bestimmungen über
die Einleitung, die Arten und die Durchführung von Landumlegungen und
regelt die Grenzregulierung.

    Gegen dieses Dekret haben Armand Imhof und Raymond Perren
beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben und die
Aufhebung verschiedener Dekretsbestimmungen beantragt. Sie machen
u.a. geltend, der Rechtsschutz genüge den Anforderungen der Europäischen
Menschenrechtskonvention nicht. - Das Bundesgericht heisst die Beschwerde
teilweise gut, soweit es auf sie eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Mit ihrer staatsrechtlichen Beschwerde im Sinne von Art.  84 Abs. 1
lit. a OG beanstanden die Beschwerdeführer in verschiedener Hinsicht die
Rechtsschutzbestimmungen im Landumlegungsdekret. Zum einen rügen sie,
der Rechtsschutz sei verfassungs- und konventionswidrig, soweit eine
Rekurskommission zum endgültigen Entscheid eingesetzt wird. Zum andern
machen sie geltend, es verletze Art. 6 Ziff. 1 EMRK, dass über bestimmte
Fragen der Staatsrat endgültig entscheide. Diese beiden Rügen sind im
folgenden getrennt voneinander zu behandeln.

Erwägung 4

    4.- a) Mit dem Landumlegungsdekret wird eine Rekurskommission
geschaffen. Diese wird gemäss Art. 50 vom Grossen Rat jeweilen
für eine Legislaturperiode ernannt, besteht aus fünf Mitgliedern
und zwei Ersatzmitgliedern und weist mindestens einen Juristen
auf. Das Verfahren richtet sich nach den Bestimmungen des Gesetzes
über das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsrechtspflege
(VVRG). Die Rekurskommission ist bei Anwesenheit von drei Mitgliedern
beschlussfähig. Die Rekurskommission entscheidet nach Art. 51 Abs. 1 des
Dekretes über alle ihr unterbreiteten Streitfälle mit voller Kognition
und endgültig.

    Im Bereiche der Landumlegung befindet die Rekurskommission nach
Art. 50 Abs. 1 des Dekretes über Beschwerden gegen Beschlüsse der
Ausführungskommission; diese betreffen gemäss Art. 40 Abs. 3 des
Dekretes insbesondere die Vornahme der Schatzungen, die Erstellung
des Verzeichnisses der Neuzuteilungsansprüche und der ausgeschiedenen
Landflächen, die Erstellung des Planes für die Neuzuteilung, die
Ermittlung der Entschädigungen, die Erhebung der Zwischenleistungen und die
Erstellung des Kostenverteilers und der Schlussabrechnung. Hinsichtlich der
Grenzregulierung können der Entscheid des Gemeinderates über die Einleitung
des Verfahrens sowie dessen Entscheidung über die Einsprachen nach
Art. 59 Abs. 1 und Art. 64 Abs. 4 des Dekretes bei der Rekurskommission
angefochten werden.

    b) Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verbieten Ausnahmegerichte
und die Bestellung von ad hoc oder ad personam berufenen Richtern und
verlangen damit - zum Zwecke der Verhinderung jeglicher Manipulation
und zwecks Garantie der erforderlichen Unabhängigkeit - eine durch
Rechtssatz bestimmte Gerichts- und Verfahrensordnung (BGE 114 Ia 53
f., mit Hinweisen). Als Ausnahmegerichte gelten solche Spruchkörper,
die ausserhalb der ordentlichen Gerichtsorganisation stehen und nur
für einen oder mehrere konkrete Fälle gebildet werden (BGE 113 Ia 423,
mit Hinweis). Keine derartigen Ausnahmegerichte stellen demgegenüber
Spezialgerichte dar, welche für ausgewählte Sachbereiche geschaffen
werden. Die Sondergerichte werden als zulässig betrachtet, wenn
ihre Zuständigkeit und Organisation durch einen generell-abstrakten
Erlass geordnet sind und sachliche Gründe wie das Erfordernis von
Spezialkenntnissen ihre Errichtung rechtfertigen können (BGE 113 Ia 423;
JÖRG PAUL MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung,
Bern 1991, S. 309; ALFRED KÖLZ, BV-Kommentar, Rz. 36 zu Art. 58).

    Bei der Rekurskommission nach Landumlegungsdekret handelt es sich um
ein derartiges Sondergericht. Die Kommission wird mit dem angefochtenen
Dekret geschaffen. Ihre Zusammensetzung, die Art der Wahl und das Verfahren
werden im Dekret in den Grundzügen geregelt. Solche Sondergerichte
sind nicht nur nach Art. 58 Abs. 1 BV (BGE 113 Ia 423), sondern ebenso
nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK zulässig. Diese Konventionsbestimmung erfordert
nicht einen in die herkömmlichen gerichtlichen Einrichtungen integrierten
Spruchkörper (Urteil des Gerichtshofes vom 28. Juni 1984 i.S. Campbell
und Fell, Ziff. 76, Publications de la Cour européenne des droits de
l'homme, Série A vol. 80 = EuGRZ 1985 S. 534 (540); FROWEIN/PEUKERT,
EMRK-Kommentar, 1. Aufl. 1985, N. 88 zu Art. 6); der Gerichtshof hat auch
den Beizug von Fachrichtern grundsätzlich zugelassen (Urteil vom 22. Juni
1989 i.S. Langborger, Ziff. 34, Série A vol. 155).

    Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer entspricht die
Rekurskommission auch den übrigen Anforderungen an gerichtliche
Spruchkörper, wie sie sich aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergeben (vgl. BGE
115 Ia 410; Urteil des Gerichtshofes vom 29. April 1988 i.S. Belilos,
Ziff. 64 mit Hinweisen, Série A vol. 132 = EuGRZ 1989 S. 21 (30)). Die
Rekurskommission verfügt aufgrund ihrer Wahl über die notwendige
Unparteilichkeit und Unabhängigkeit von den Verwaltungsbehörden. Mit der
Anwendbarkeit der Bestimmungen des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren
und die Verwaltungsrechtspflege (VVRG) sind auch die Voraussetzungen für
ein faires Verfahren gegeben.

    Ferner kann die Rekurskommission auch unter dem Gesichtswinkel der
Prüfungsbefugnis nicht beanstandet werden. Die Kommission ist nicht auf
eine blosse Missbrauchskontrolle von Sachverhalt und Rechtsanwendung
beschränkt (vgl. BGE 115 Ia 410). Nach Art. 51 Abs. 1 des Dekretes
urteilt sie hinsichtlich der Landumlegungen vielmehr mit voller
Entscheidungsbefugnis. Für die Grenzregulierung sind die Bestimmungen der
Landumlegung nach Art. 57 Abs. 3 des Dekretes sinngemäss anwendbar. Die
volle Entscheidungsbefugnis kann daher im Sinne einer verfassungs- und
konventionsmässigen Interpretation des angefochtenen Dekretes auch im
Verfahren der Grenzregulierung gemäss den Art. 59 und 64 des Dekretes
zum Zuge kommen.

    Die Rekurskommission befindet in den erwähnten Bereichen
endgültig. Dies bedeutet, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans
kantonale Verwaltungsgericht ausgeschlossen ist. Weder Art. 58 Abs. 1 BV
noch Art. 6 Ziff. 1 EMRK verlangen einen mehrstufigen Rechtsweg. Damit sind
die Rechtsschutzbestimmungen auch in dieser Hinsicht nicht zu beanstanden.

    Demnach erweist sich die Beschwerde als unbegründet, soweit mit ihr
die Einsetzung der Rekurskommission und deren Befugnisse gerügt werden.

Erwägung 5

    5.- Schliesslich machen die Beschwerdeführer geltend, die
Rechtsschutzbestimmungen genügten deshalb den Anforderungen von Art. 6
Ziff. 1 EMRK nicht, weil der Staatsrat auf Beschwerde hin nach Art. 16
und Art. 30 Abs. 2 des Dekretes endgültig über die Einleitung von
Landumlegungen befindet.

    a) Für die Beurteilung der vorgebrachten Rügen ist vorerst zu
prüfen, ob die Entscheidungen des Staatsrates über die Einleitung von
Landumlegungen und über die Abgrenzung des Perimeters sog. Zivilrechte
im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK betreffen. Hierfür ist zunächst der
Anwendungsbereich dieser Konventionsbestimmung zu umschreiben, wie er
sich sowohl aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung als auch aus den
Entscheidungen der Organe der Menschenrechtskonvention für den Bereich
des Bau- und Planungsrechts ergibt.

    Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung stellen Streitigkeiten
über die Zulässigkeit der Enteignung und über die Höhe der
Enteignungsentschädigung "des contestations sur des droits et des
obligations de caractère civil" im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK dar. Dies
hat das Bundesgericht vorerst für das bundesrechtliche Enteignungsverfahren
festgehalten (BGE 111 Ib 231 f., 112 Ib 177 f., mit Hinweisen) und hernach
für das kantonale Enteignungsverfahren bestätigt (BGE 115 Ia 66). Ein
öffentliches Vorkaufsrecht (BGE 114 Ia 19) hat das Bundesgericht ebenso
unter dem Gesichtswinkel von Art. 6 Ziff. 1 EMRK geprüft wie eine kommunale
Planung, die dem Gemeinwesen für die Erstellung einer öffentlichen
Schiessanlage das Enteignungsrecht einräumt (BGE 114 Ia 127 f.).

    Der Europäische Gerichtshof hat verschiedentlich festgehalten,
dass Enteignungsverfahren in den Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff. 1
EMRK fallen (vgl. Urteil Sporrong und Lönnroth vom 23. September 1982,
Ziff. 79-83, Série A vol. 52 = EuGRZ 1983 S. 523 (527 f.); Urteil Bodén vom
27. Oktober 1987, Ziff. 29 und 32, Série A vol. 125-B = EuGRZ 1988 S. 452
(454 f.); Urteil Zimmermann und Steiner vom 13. Juli 1983, Ziff. 22, Série
A vol. 66 = EuGRZ 1983 S. 482). Ebenso sind Verwaltungsentscheidungen,
mit denen der Erwerb von landwirtschaftlichen Grundstücken verweigert
worden waren, zu den Art. 6 Ziff. 1 EMRK unterliegenden Gegenständen
gezählt worden, da der Ausgang solcher Verfahren unmittelbaren Einfluss
auf die zivilrechtlichen Ansprüche haben (Urteil Ringeisen vom 16. Juli
1971, Ziff. 94, Série A vol. 13; Urteil Sramek vom 22. Oktober 1984,
Ziff. 34, Série A vol. 84 = EuGRZ 1985 S. 336 (339); Resolution des
Ministerkomitees i.S. Karlsson vom 24. September 1990 und Bericht der
Kommission vom 12. April 1989, Ziff. 35-41, vgl. EuGRZ 1989 S. 266;
vgl. auch Fall L. gegen Schweden betreffend Grunderwerbsgenehmigung
für eine landwirtschaftliche Parzelle, EuGRZ 1991 S. 196). In einem
Nichtzulassungsentscheid hat die Kommission Entscheidungen der Organe einer
umfassenden Landumlegung unter Art. 6 Ziff. 1 EMRK subsumiert (Entscheid
i.S. X. gegen Belgien vom 2. Oktober 1975, DR 3, 135). Weiter hat der
Gerichtshof Fälle unter dem Gesichtswinkel der "civil rights" untersucht,
in denen Ausnahmebewilligungen für die Erstellung von Gebäuden in Frage
standen, welche der geltenden Zonenordnung widersprachen; der umstrittene
Anspruch der Grundeigentümer, ihre Parzellen zu überbauen, wies nach den
Urteilserwägungen klar einen zivilrechtlichen Charakter auf (Urteil Allan
Jacobsson vom 25. Oktober 1989, Ziff. 73, Série A vol. 163 = RUDH 1989
S. 166 (168); Urteil Skärby vom 28. Juni 1990, Ziff. 29, Série A vol. 180-B
= RUDH 1990 S. 437 (440)). In diesem Zusammenhang verdient insbesondere
die Entscheidung über einen von einer Gemeindeexekutive erlassenen
Bebauungsplan Beachtung, welcher Beschränkungen der Überbaubarkeit einer
Parzelle bewirkte und insbesondere eine Mindestparzellengrösse forderte
und die Teilung der betroffenen Parzelle zwecks Errichtung eines zweiten
Gebäudes ausschloss; auch hier hat der Gerichtshof die Bestimmung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK für anwendbar erklärt (Urteil Mats Jacobsson vom
28. Juni 1990, Ziff. 34, Série A vol. 180-A = RUDH 1990 S. 434 (436)).
Schliesslich sind einige Entscheidungen im Zusammenhang mit der Art der
Nutzung des Privateigentums bzw. deren Einschränkung ergangen und unter dem
Gesichtswinkel der "civil rights" beurteilt worden: Sie betreffen den aus
Gründen des Landschafts- und Naturschutzes ausgesprochenen Widerruf einer
Kiesausbeutungsbewilligung (Urteil Fredin vom 18. Februar 1991, Ziff. 63,
Série A vol. 192 = RUDH 1991 S. 84 (89)), die Art der Bewirtschaftung von
Waldgrundstücken und die Verpflichtung zur Bepflanzung mit einheimischen
Kiefern (Resolution des Ministerkomitees i.S. Denev vom 23. Oktober 1990
und Bericht der Kommission vom 4. Juli 1989, Ziff. 45 = EuGRZ 1991 S. 195
f.), die Beschränkung der (landwirtschaftlichen) Nutzung eines Grundstückes
infolge einer allgemeinen Unterschutzstellung (Bericht der Kommission
i.S. Oerlemans vom 3. April 1990, Ziff. 61-64 = EuGRZ 1991 S. 364 f. und
RUDH 1991 S. 42 f.) sowie der Einbezug einer Liegenschaft in ein System
der Wohnraumbewirtschaftung (Zulassungsentscheid der Kommission i.S. Lindén
vom 1. Oktober 1990 = EuGRZ 1991 S. 196).

    b) Nach dem Landumlegungsdekret hat der Staatsrat insbesondere
Beschwerden zu beurteilen, die sich gegen die Gültigkeit der Abstimmung
der Grundeigentümer oder gegen die Verpflichtung, der Umlegung beizutreten,
richten (Art. 16) oder die die Landumlegung auf Beschluss des Gemeinderates
hin betreffen (Art. 30). Im Vordergrund stehen hierbei insbesondere
die Abgrenzung des Perimeters der Landumlegung und damit der Einbezug
einzelner Grundstücke in das Landumlegungsverfahren.

    Der Abgrenzung des Umlegungsgebietes kommt sowohl für die
Durchführung der Landumlegung als solcher als auch für die Ansprüche
der einzelnen Grundeigentümer grösste Bedeutung zu (vgl. ALFRED KUTTLER,
Parzellarordnungsmassnahmen im Dienste der Raumplanung, in: Mélanges André
Grisel, Neuenburg 1983, S. 533 f.). Im einzelnen hat der Einbezug eines
Grundstückes in die Umlegung eine Eigentumsbeschränkung zur Folge (vgl.
KUTTLER, aaO, S. 527). So gilt nach Art. 18 Abs. 1 des Dekretes für die
betroffenen Parzellen der Umlegungsbann: Während des Umlegungsverfahrens
dürfen ohne Genehmigung der Ausführungskommission keine rechtlichen oder
tatsächlichen Änderungen an den Grundstücken vorgenommen werden. Der
Grundeigentümer ist daher in seiner rechtlichen und tatsächlichen
Verfügungsbefugnis beschränkt, und dies angesichts der beträchtlichen Dauer
mancher Landumlegung auf lange Zeit hinaus. Daran ändert auch nichts,
dass der Entscheid der Ausführungskommission nach Art. 18 Abs. 2 des
Dekretes an die Rekurskommission weitergezogen werden kann. Diese durch
den Einbezug in die Landumlegung bewirkten Beschränkungen sind vergleichbar
mit der oben wiedergegebenen Strassburger Praxis zu Nutzungsbeschränkungen
und Überbauungs- und Veräusserungsverboten. Unter diesem Gesichtswinkel
fällt daher der Einleitungsbeschluss in den Anwendungsbereich von Art. 6
Ziff. 1 EMRK.

    Weiter ist zu beachten, dass das Landumlegungsverfahren - im Rahmen
des verfassungsmässigen Anspruchs auf Realersatz oder, soweit ein solcher
nicht geleistet werden kann, auf Geldausgleich (vgl. BGE 116 Ia 109) - zu
einer Änderung der Grundstücksverhältnisse führt, allenfalls die Begründung
von gemeinschaftlichem Eigentum zur Folge hat (vgl. Art. 35 Abs. 3 Dekret)
und die Enteignung von kleinen Parzellen mit sich bringt (Art. 35 Abs. 3
Dekret). Die Möglichkeit der Anfechtung der Neuzuteilung am Schlusse
des Verfahrens ändert an der Tragweite des Einbezuges einer Parzelle
nichts. Das Bundesgericht bezeichnete die Überprüfung des Einbezuges
eines Grundstückes erst im Zeitpunkt der Genehmigung der Neuzuteilung
im Jahre 1981 als unzweckmässig (ZBl 84/1983 S. 183 f.). Später hat es
den Einleitungsbeschluss - unter dem Gesichtswinkel von Art. 87 OG -
als selbständig anfechtbaren Endentscheid behandelt (BGE 110 Ia 134).

    Aufgrund dieser Überlegungen ergibt sich, dass die Beschwerden, über
die der Staatsrat nach Art. 16 Abs. 2 und Art. 30 des Dekretes endgültig
entscheidet, sog. Zivilrechte im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK betreffen.

    c) Die Anwendbarkeit der EMRK hat zur Folge, dass die Betroffenen
Anspruch auf eine richterliche Beurteilung des Einleitungsbeschlusses
und der Abgrenzung des Perimeters haben.

    Es bedarf keiner weitern Ausführungen, dass der Staatsrat kein
Gericht darstellt und daher den Anforderungen von Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht genügt (vgl. BGE 115 Ia 69, 186 f.). Da das angefochtene Dekret
die Entscheide des Staatsrates als endgültig bezeichnet und damit
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht
ausschliesst, steht somit auf kantonaler Ebene kein Richter im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK zur Verfügung.

    Es fragt sich daher, ob das anschliessende Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde vor Bundesgericht den Erfordernissen der
gerichtlichen Prüfung gerecht wird und damit die Lücke im kantonalen
Rechtsschutzverfahren zu kompensieren vermag. Dies ist zu verneinen (BGE
115 Ia 69/70 und 187). Im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das
Bundesgericht den Sachverhalt und die Anwendung des kantonalen Rechts bei
einem leichten Eingriff nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür. Diese
beschränkte Kognition genügt den Anforderungen an eine richterliche
Prüfung nicht (vgl. Urteil Belilos, aaO, Ziff. 71 f.). Auch in dieser
Hinsicht fehlt es demnach an einem Richter zur Überprüfung der Einleitung
des Umlegungsverfahrens.

    d) Schliesslich stellt sich die Frage, ob die auslegende Erklärung
der Schweiz zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK im vorliegenden Fall zur Anwendung
gelangen kann. Die Schweiz hat mit der Ratifikation der Konvention im
Jahre 1974 eine auslegende Erklärung abgegeben (AS 1974 2173). In der
Folge des Urteils Belilos ist diese auslegende Erklärung neu gefasst
worden (AS 1988 1264 und 1989 276). Im vorliegenden Verfahren braucht
die Gültigkeit dieser Erklärungen nicht näher untersucht zu werden, da
ihnen für die Beurteilung des vorliegenden Falles keine Bedeutung zukommt.

    Nach Art. 64 Ziff. 1 EMRK kann jeder Staat bei der Unterzeichnung
oder Ratifikation bezüglich bestimmter Vorschriften der Konvention
einen Vorbehalt anbringen, soweit ein zu dieser Zeit in seinem Gebiet
geltendes Gesetz nicht mit der betreffenden Vorschrift übereinstimmt. Der
Gerichtshof und die Kommission haben auslegende Erklärungen den Vorbehalten
gleichgestellt (vgl. Urteil Belilos, aaO, Ziff. 49; Bericht der Kommission
i.S. Temeltasch vom 5. Mai 1982, Ziff. 68-82, DR 31, 120 (68 ff.) =
EuGRZ 1983 S. 150 = VPB 48/1984 Nr. 104). Nach der Rechtsprechung können
nur solche Gesetze vorbehalten werden, welche im Zeitpunkt des Anbringens
des Vorbehaltes in Kraft standen; für neuere Erlasse entfaltet der frühere
Vorbehalt keine Wirkung (vgl. Bericht der Kommission i.S. Campbell und
Cosans vom 16. Mai 1980, Ziff. 103, Série B vol. 42, S. 12 (39); CD 15,
33 (38); CD 12, 121 (125)). Das im vorliegenden Fall angefochtene Dekret
stammt aus der Zeit nach der auslegenden Erklärung bzw. deren Änderung. Es
kann auch nicht gesagt werden, es handle sich um die Revision eines
älteren Erlasses, auf welche die Strassburger Organe den ursprünglichen
Vorbehalt unter Umständen noch anwenden (vgl. Bericht i.S. Campbell und
Cosans, aaO). Mit dem Landumlegungsdekret wird die Baulandumlegung im
Kanton erstmals einlässlich geregelt - anders als Meliorationen gemäss
dem ausdrücklich vorbehaltenen Gesetz über die Bodenverbesserungen und
andere Massnahmen zu Gunsten der Landwirtschaft vom 2. Februar 1961
(vgl. Communication de l'Office fédéral de la justice vom 27. Dezember
1988, S. 37).

    Demnach steht auch die auslegende Erklärung der Schweiz der Anwendung
von Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf das angefochtene Landumlegungsdekret nicht
entgegen.

    e) Aufgrund dieser Erwägungen ergibt sich, dass das Landumlegungsdekret
den Anforderungen von Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht genügt, soweit der
Staatsrat nach Art. 16 und Art. 30 Abs. 2 des Landumlegungsdekretes
Beschwerden endgültig entscheidet. Die vorliegende staatsrechtliche
Beschwerde ist daher gutzuheissen. Dementsprechend sind die Textstellen,
"der endgültig entscheidet" und "Le Conseil d'Etat décide de manière
définitive" in Art. 16 beziehungsweise "Der Staatsrat entscheidet
endgültig" und "Le Conseil d'Etat statue définitivement" in Art. 30
Abs. 2 aufzuheben. Das Bundesgericht hat nicht von sich aus darüber zu
entscheiden, ob damit der Rechtsweg an die Rekurskommission oder an das
Verwaltungsgericht geöffnet werde und welche Vorkehren der Gesetzgeber
allenfalls zu treffen hat.