Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IA 251



117 Ia 251

40. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
14. Juni 1991 i.S. M. gegen P. AG und Obergericht des Kantons Zug
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 87 OG; Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid.

    Art. 87 OG kommt selbst dann zur Anwendung, wenn ein Zwischenentscheid
nur in bezug auf die Kosten- und Entschädigungsfolgen angefochten wird
(E. 1a).

    Der Umstand, dass über die Kosten- und Entschädigungsfolgen
des letztinstanzlichen Rückweisungsentscheides im neuen kantonalen
Verfahren nicht mehr entschieden werden kann, stellt keinen nicht
wiedergutzumachenden Nachteil dar; dieser Kostenentscheid kann im Anschluss
an das neue kantonale Urteil mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten
werden, gegebenenfalls direkt nach einem unterinstanzlichen Entscheid
(E. 1b).

Sachverhalt

    A.- Die P. AG reichte gegen M. Strafanzeige ein wegen ungetreuer
Geschäftsführung im Sinne von Art. 159 StGB, eventuell wegen Betrugs
im Sinne von Art. 148 StGB. Am 22. Juni 1990 stellte das Verhöramt Zug
die Strafuntersuchung gegen M. ein, auferlegte ihm jedoch einen Teil der
Untersuchungskosten. M. gelangte in der Folge an die Justizkommission des
Obergerichts des Kantons Zug und beantragte die Aufhebung der Kostenauflage
sowie eine Entschädigung aus ungerechtfertigter Haft. Die P. AG erhob
gegen den Einstellungsbeschluss ebenfalls Beschwerde und beantragte die
Fortsetzung des Strafverfahrens.

    Am 8. November 1990 hiess die Justizkommission die Beschwerde der
P. AG gut, hob die angefochtene Einstellungsverfügung auf und wies das
Verhöramt an, die Strafuntersuchung gegen M. fortzusetzen (Ziffer 1 des
Dispositivs). Die Beschwerde von M. wurde als gegenstandslos geworden
abgeschrieben (Ziffer 2 des Dispositivs). M. wurde verpflichtet, der
P. AG eine Parteientschädigung von Fr. 400.-- zu bezahlen (Ziffer 4
des Dispositivs).

    M. führt staatsrechtliche Beschwerde und beantragt, die Ziffern 1 und
4 des Entscheides der Justizkommission des Obergerichts vom 8. November
1990 seien aufzuheben. Er rügt eine Verletzung von Art. 4 BV (Willkür).

    Das Bundesgericht tritt auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht ein

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit einer staatsrechtlichen
Beschwerde von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 116 Ia 317,
79 mit Hinweis).

    Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen kantonal
letztinstanzlichen Entscheid im Rahmen eines Strafverfahrens. Der
Beschwerdeführer rügt einzig eine Verletzung von Art. 4 BV. Gemäss
Art. 87 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung dieser
Verfassungsbestimmung erst gegen letztinstanzliche Endentscheide
zulässig, gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für
den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben.

    a) Endentscheid im Sinne von Art. 87 OG ist jeder Entscheid,
der ein Verfahren vorbehältlich der Weiterziehung an eine höhere
Instanz abschliesst, sei es durch einen Entscheid in der Sache
selber, sei es aus prozessualen Gründen. Als Zwischenentscheide
gelten dagegen jene Entscheide, die das Verfahren nicht abschliessen,
sondern bloss einen Schritt auf dem Weg zum Endentscheid darstellen
(BGE 116 Ia 43; 115 Ia 317, je mit Heinweisen). Im vorliegenden Fall
hat die Justizkommission des Obergerichts die Beschwerde der P. AG
gutgeheissen, den Einstellungsbeschluss aufgehoben und die Sache
zur Fortsetzung der Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer dem
Verhöramt zurückgewiesen. Das kantonale Verfahren ist demnach noch nicht
abgeschlossen; vielmehr wird das Verhöramt nochmals zu entscheiden haben.
Rückweisungsentscheide sind aber nach ständiger Praxis des Bundesgerichts
Zwischenentscheide (BGE 116 Ia 43; 106 Ia 228, je mit Hinweisen). Daran
ändert nichts, dass der Beschwerdeführer die Beschwerdelegitimation der
P. AG im kantonalen Verfahren anficht.

    Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich nicht nur gegen
den Rückweisungsentscheid an sich, sondern auch gegen die von der
Justizkommission beschlossene Parteientschädigung, die der Beschwerdeführer
der P. AG für das kantonale Beschwerdeverfahren zu bezahlen hat. Das
Bundesgericht hat in seiner neueren Rechtsprechung festgehalten, dass
Art. 87 OG auch dann zur Anwendung kommt, wenn ein Zwischenentscheid
in bezug auf die Kosten- und Entschädigungsfolgen angefochten ist
(unveröffentlichte Urteile vom 7. Mai 1991 i.S. H.; vom 22. November 1990
i.S. St., E. Ia; vom 4. Oktober 1990 i.S. F., E. 1 und vom 29. Mai 1990
i.S. M., E. 3). Zu prüfen ist daher, ob der angefochtene Entscheid für den
Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hat.

    b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es eines
Nachteils rechtlicher Natur; eine bloss tatsächliche Beeinträchtigung
wie beispielsweise die Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens
genügt nicht. Der Nachteil ist nur dann rechtlicher Natur, wenn er auch
durch einen für den Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr
behoben werden könnte (BGE 115 Ia 314 E. c; 108 Ia 104). Dabei ist es
nicht nötig, dass sich der Nachteil schon im kantonalen Verfahren durch
einen günstigen Endentscheid beheben lässt. Es genügt, wenn er in einem
anschliessenden bundesgerichtlichen Verfahren beseitigt werden kann
(BGE 116 Ia 445 E. 1b). An dieser Voraussetzung fehlt es im vorliegenden
Fall. Dem Beschwerdeführer steht gegen den kantonalen Endentscheid in der
Hauptsache wiederum die staatsrechtliche Beschwerde offen, mit welcher
er die heute erhobenen Rügen hinsichtlich der Beschwerdelegitimation der
P. AG im kantonalen Verfahren nochmals vorbringen kann. In bezug auf die
der P. AG zugesprochene Parteientschädigung ist zwar einzuräumen, dass die
unteren kantonalen Instanzen darüber nicht mehr befinden können. Indessen
wird der Beschwerdeführer zusammen mit der staatsrechtlichen Beschwerde
in der Hauptsache auch noch den Zwischenentscheid vom 8. November 1990
mitanfechten können (BGE 106 Ia 234). Obwohl nicht zu verkennen ist,
dass über die Parteientschädigung an die P. AG im kantonalen Verfahren
endgültig entschieden wurde, besteht kein Grund, vom Erfordernis des
Art. 87 OG eine Ausnahme zu machen. Das Bundesgericht hat bereits im
Entscheid BGE 106 Ia 229 ff. festgehalten, dass Gründe der Prozessökonomie
zum Erlass des Art. 87 OG geführt haben. Mit dieser Bestimmung sollte
das Bundesgericht entlastet werden. Es soll sich als Staatsgerichtshof
im Rahmen einer Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV in der Regel
nur einmal mit einem Prozess befassen müssen (BGE 106 Ia 235 E. 3d
mit Hinweisen). Diese Forderung hat seit dem Inkrafttreten des heute
geltenden Organisationsgesetzes von 1943 nichts an Aktualität eingebüsst.
Die notorische Überlastung des Bundesgerichts gebietet vielmehr, am
dargelegten Grundsatz festzuhalten (BGE 106 Ia 235 E. 3d).

    Es fragt sich indessen, ob diese Rechtsprechung dem Beschwerdeführer
hinsichtlich der beanstandeten Parteientschädigung im vorliegenden Fall
nicht doch zum Nachteil gereichen könnte. Dies wäre zum Beispiel denkbar,
wenn eine der kantonalen Instanzen voll zu seinen Gunsten entscheiden,
wenn das kantonale Verfahren zufolge Gegenstandslosigkeit oder Rückzugs
des Rechtsmittels als erledigt erklärt oder wenn das Strafverfahren
eingestellt würde. Der Beschwerdeführer könnte dann gegen den Sach-
resp. Prozessentscheid mangels Rechtsschutzinteresses keine weiteren
Rechtsmittel ergreifen, somit auch den Zwischenentscheid nicht mehr
mitanfechten. Dieser Umstand ist jedoch für das vorliegende Verfahren
nicht von Belang. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts kann ein
Betroffener gegen den Kostenentscheid staatsrechtliche Beschwerde führen,
auch wenn ihm die Legitimation zur Anfechtung des Hauptentscheides fehlt;
denn durch den Kostenentscheid (Gerichts- und/oder Parteikosten) wird er
persönlich und unmittelbar in seinen Interessen betroffen (BGE 109 Ia 91;
100 Ia 298 E. 4). Daher könnte der Beschwerdeführer im Anschluss an das
neue kantonale Urteil staatsrechtliche Beschwerde erheben, gegebenenfalls
direkt nach einem unterinstanzlichen Entscheid (vgl. BGE 106 Ia 236). Diese
hätte sich allenfalls ausschliesslich gegen die im Zwischenentscheid vom
8. November 1990 der P. AG zugesprochene Parteientschädigung zu richten.