Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IA 166



117 Ia 166

28. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. April 1991 i.S.
Gesellschaft X. c. Y. AG (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 58 BV und Art. 6 EMRK. Schiedsgerichtsbarkeit; Anspruch auf den
verfassungs- und konventionsmässigen Richter.

    Die aus Art. 58 BV und Art. 6 EMRK fliessenden Garantien beziehen
sich nicht bloss auf staatliche Gerichte, sondern ebenfalls auf private
Schiedsgerichte. Das gilt insbesondere auch für den Anspruch auf richtige
Besetzung des Gerichts (E. 5).

    Führen trotz der Demission eines Schiedsrichters die übrigen
Mitglieder des Schiedsgerichts das Verfahren weiter, ohne dass sie
aufgrund einer Parteiabrede zu einem solchen Vorgehen ermächtigt wären,
so ist der Anspruch der Parteien auf ordnungsgemässe Zusammensetzung der
Spruchkammer verletzt, und zwar selbst dann, wenn der Demissionär sein
Mandat ohne wichtigen Grund niedergelegt hat (E. 6).

Sachverhalt

    A.- Die Gesellschaft X., eine Firma mit Sitz in Belgrad, als
Klägerin und die Y. AG, mit Sitz in Oberhausen in Deutschland, als
Beklagte sind seit 1984 Parteien eines Schiedsgerichtsverfahrens vor
einem der Verfahrensordnung der Internationalen Handelskammer in Paris
unterstehenden Schiedsgericht mit Sitz in Zürich. Das Schiedsgericht setzte
sich anfänglich zusammen aus dem Obmann A., dem von der Klägerin ernannten
Schiedsrichter B. und dem von der Beklagten ernannten Schiedsrichter C.

    Nachdem zwischen den Schiedsrichtern Meinungsverschiedenheiten
bezüglich der Abnahme von Beweisen entstanden waren, erklärte B. am
28. Oktober 1986 seinen Rücktritt als Schiedsrichter und verliess die
Sitzung des Schiedsgerichts. In der Folge fällte das Schiedsgericht
einen Entscheid, mit dem das Rechtsbegehren 1 der Klägerin abgewiesen
wurde. Dieser Teilschiedsspruch wurde vom Schiedsgerichtshof der
Internationalen Handelskammer am 16. September 1987 genehmigt und am
8. November 1987 von A. sowie am 31. Oktober 1987 von C. unterzeichnet.

    B.- Am 19. Mai 1987 leitete die Gesellschaft X. bei der
Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich ein
Ablehnungsverfahren gegen A. und C. ein mit der Begründung, die beiden
Schiedsrichter seien befangen, weil sie das Schiedsverfahren nach dem
Rücktritt von B. weitergeführt hätten. Am 20. Dezember 1989 hob das
Bundesgericht einen Entscheid der Verwaltungskommission des Obergerichts
auf, der das Ablehnungsbegehren geschützt hatte. Daraufhin wies die
Verwaltungskommission des Obergerichts das Ablehnungsbegehren mit Beschluss
vom 19. Mai 1990 ab.

    Die Gesellschaft X. hatte beim Obergericht des Kantons Zürich auch
Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Teilschiedsspruch erhoben, mit welcher
sie geltend gemacht hatte, das Schiedsurteil verletze zürcherisches
Zivilprozessrecht, Art. 4 und 58 BV sowie Art. 6 EMRK. Das Obergericht
wies die Beschwerde, nachdem es das Verfahren bis zum Abschluss des
Ablehnungsverfahrens sistiert hatte, mit Beschluss vom 4. Juli 1990 ab.

    C.- Das Bundesgericht heisst die von der Gesellschaft X. eingereichte
staatsrechtliche Beschwerde gut und hebt den obergerichtlichen Entscheid
vom 4. Juli 1990 auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- a) Die sich aus Art. 58 BV und Art. 6 EMRK ergebenden Garantien
beziehen sich nicht bloss auf staatliche Gerichte, sondern auch auf private
Schiedsgerichte, deren Entscheide denjenigen der staatlichen Rechtspflege
hinsichtlich Rechtskraft und Vollstreckbarkeit gleichstehen und die
deshalb dieselbe Gewähr für eine unabhängige Rechtsprechung bieten müssen.
Das gilt insbesondere auch für den Anspruch auf richtige Besetzung des
Gerichts (BGE 92 I 276 E. 4; 81 I 327 E. 3; 80 I 341 mit Hinweisen;
vgl. auch 115 Ia 404 E. 3 b).

    b) Nach § 254 Abs. 1 aZPO/ZH, der Art. 31 Abs. 1 des Konkordats
über die Schiedsgerichtsbarkeit entspricht, muss der Endentscheid unter
Mitwirkung sämtlicher Schiedsrichter gefällt werden. Die Vorschrift
enthält einen wesentlichen Verfahrensgrundsatz im Sinne von § 281
Ziff. 1 ZPO/ZH (STRÄULI/MESSMER/WIGET, Kommentar zur Zürcherischen
Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 1982, N 7 zu § 255). Das Mitwirkungsgebot
gilt auch für Teilschiedssprüche, wie im vorliegenden Fall einer in Frage
steht (aaO, N 1 zu § 254).

Erwägung 6

    6.- a) Das Obergericht stützt sich auf seine Rechtsprechung, wonach
schiedsgerichtliche Entscheide auch bei Uneinigkeit auf dem Zirkulationsweg
gefällt werden dürfen, wenn ein Schiedsrichter sich der mündlichen
Beratung in missbräuchlicher Weise entzieht (ZR 77/1978, Nr. 107).
Diese Rechtsprechung ist im vorliegenden Fall nicht zu überprüfen. Der
Fall liegt bereits insoweit anders, als ein Mitglied des Schiedsgerichts
sein Amt niedergelegt und eine weitere Mitwirkung am Verfahren abgelehnt,
sich mithin nicht bloss in Verzögerungsabsicht einer mündlichen Beratung
entzogen hat.

    b) Nach den unbeanstandet gebliebenen Feststellungen des Obergerichts
wurde die Amtsniederlegung am 28. Oktober 1986 erklärt, das Verfahren mit
Verhandlung vom 7. Februar 1987 fortgesetzt und der Teilschiedsspruch am
8. November 1987 gefällt bzw. unterzeichnet. Damit liegt offensichtlich
auch nicht der anders zu beurteilende Fall vor, dass ein am Urteil
mitwirkender, mit dem Entscheid jedoch nicht einverstandener Schiedsrichter
sich weigert, das Urteil zu unterzeichnen (§ 254 Abs. 1 aZPO/ZH; vgl. auch
Art. 33 Abs. 2 des Konkordats über die Schiedsgerichtsbarkeit).

    c) Ob sich das im Auftragsrecht geltende freie Widerrufsrecht auch auf
den Schiedsauftrag bezieht und der Schiedsrichter gestützt darauf - unter
Vorbehalt der Schadenersatzpflicht bei Rücktritt zur Unzeit (Art. 404
Abs. 2 OR) - sein Mandat jederzeit niederlegen kann (LEUCH, Kommentar
zur Berner Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 1956, N 1 zu Art. 391; GAUTSCHI,
Berner Kommentar, N 34c zu Art. 394 OR), kann offenbleiben. Denn wird in
Übereinstimmung mit einer verbreiteten Lehrmeinung (STRÄULI/MESSMER/WIGET,
aaO, N 1 zu § 245; LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage
interne et international en Suisse, N 1.4 zu Art. 23 Konkordat;
JOLIDON, Commentaire du Concordat suisse sur l'arbitrage, N 22 zu
Art. 23; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979,
S. 607 Anm. 67; RÜEDE/HADENFELDT, Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht,
S. 166) davon ausgegangen, dass eine Mandatsniederlegung durch einen
Schiedsrichter nur aus wichtigen Gründen zulässig ist, so stellt sich
sogleich die Frage, wer über die Rechtmässigkeit des Rücktritts zu
befinden habe. Dass darüber die verbliebenen Schiedsrichter entscheiden,
ist jedenfalls ausgeschlossen. Einzig sachgerecht erscheint, den Entscheid
in die Kompetenz des ordentlichen Richters zu stellen. Dieser hat entweder
das Erlöschen des Schiedsrichtermandats festzustellen oder, wenn wichtige
Gründe für eine Mandatsniederlegung fehlen, den Demissionär aufzufordern,
am Verfahren weiterhin mitzuwirken. Auf diesem Boden scheint denn auch
die zürcherische Praxis zu stehen (ZR 77/1978, Nr. 2).

    Erfolgt eine Demission ohne wichtigen Grund, kann dies nicht zur
Folge haben, dass das Verfahren einfach ohne den Demissionär und ohne
neuen Schiedsrichter weitergeführt werden kann (vgl. GAILLARD, Les
manoeuvres dilatoires des parties et des arbitres dans l'arbitrage
commercial international, Revue de l'arbitrage 1990, S. 786). Diese
Auffassung liesse sich einzig vertreten, wenn der Schiedsvertrag oder
die Schiedsklausel eine Bestimmung enthielte, wonach bei Ausfall oder
Weigerung eines Schiedsrichters das Verfahren von den übrigen Mitgliedern
des Schiedsgerichts fortgesetzt wird. Mangels einer solchen Abrede aber
ist das Schiedsgericht nach einer Demission erst wieder ordnungsgemäss
besetzt, wenn entweder der Demissionär - allenfalls auf Weisung des
ordentlichen Richters hin - auf seinen Rücktritt zurückgekommen oder
unbesehen des Fehlens wichtiger Gründe zum Rücktritt ersetzt worden ist,
weil sich die Amtsführung realiter nicht erzwingen lässt (JOLIDON, aaO,
N 22 zu Art. 23; GAILLARD, aaO, S. 785). Die Wirkung der unbefugten
Mandatsniederlegung erschöpft sich daher in der Möglichkeit einer
Schadenersatzpflicht (GAILLARD, aaO; LALIVE/POUDRET/REYMOND, aaO, N 1.4
zu Art. 23 Konkordat) und von Disziplinarmassnahmen (§ 245 aZPO/ZH); sie
kann mithin - ohne entsprechende Parteiabrede - niemals darin bestehen,
dass das Schiedsverfahren einfach ohne Mitwirkung des Demissionärs seinen
Fortgang nimmt. Führen trotz der Demission eines Schiedsrichters die
übrigen Mitglieder des Schiedsgerichts das Verfahren weiter, ohne dass
die Parteien sie zu einem solchen Vorgehen ermächtigt hätten, ist das
Schiedsgericht nicht ordnungsgemäss besetzt. Die gegenteilige Auffassung
des Obergerichts ist mit dem fundamentalen Anspruch der Parteien auf
ordnungsgemässe Zusammensetzung der Spruchkammer nicht vereinbar und
verletzt daher Art. 58 BV sowie Art. 6 EMRK.

    d) Die Parteien haben die Beurteilung der Streitsache einem
Dreierschiedsgericht übertragen. Gefällt wurde der Teilschiedsspruch
lediglich von zwei Schiedsrichtern. Insoweit liegt eine klare Verletzung
von § 254 Abs. 1 aZPO/ZH vor. Das Obergericht ist deshalb auch in Willkür
verfallen, wenn es den Entscheid des Schiedsgerichts nicht gestützt auf
diese Bestimmung aufgehoben hat.