Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IA 157



117 Ia 157

27. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 21. März 1991 i.S. S. gegen v. S., Generalprokurator und
Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

    1. Der ehemalige Generalprokurator genügt als (ausserordentlicher)
Ersatzrichter am Wirtschaftsstrafgericht wegen seiner früheren Stellung
im Verfahren den Anforderungen von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK nicht (E. 3).

    2. Bei Gutheissung einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen
Verletzung des Anspruchs auf den verfassungsmässigen Richter hebt das
Bundesgericht neben dem direkt angefochtenen Zwischenentscheid auch
das in der Zwischenzeit ergangene Sachurteil auf, soweit dieses den
Beschwerdeführer betrifft (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Im gegen S. und A. hängigen Strafverfahren setzte das
Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern die Hauptverhandlung auf den
26. Juni 1990 an. Die Zusammensetzung des Gerichts wurde S. auf Ersuchen
hin am 28. März 1990 mitgeteilt. Mit Eingabe vom 20. Juni 1990 beantragte
er die Ersetzung von v. S., welcher bis Ende 1988 Generalprokurator des
Kantons Bern gewesen war und als ausserordentlicher Suppleant zum dritten
Mitglied des Gerichts bestellt worden war. Das Wirtschaftsstrafgericht
lehnte das Gesuch am 22. Juni 1990 unter Ausschluss von v. S. ab. Es erwog
unter anderem, v. S. sei mit dem Geschäft nicht direkt befasst gewesen
und habe auch nie Weisungen erteilt; somit fehlten objektive Gründe für
die Parteilichkeit. Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 16. August 1990
beantragt S., der Entscheid des Wirtschaftsstrafgerichts des Kantons Bern
vom 22. Juni 1990 sei aufzuheben. Er macht geltend, dieser verletze Art. 58
Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Zur Begründung bringt er insbesondere
vor, der ehemalige Generalprokurator sei gegenüber den Beamten der
Staatsanwaltschaft weisungsberechtigt gewesen und habe im Verfahren gegen
den Mitangeklagten A. beim Überweisungsantrag mitgewirkt. Unter diesen
Umständen müsse v. S. als befangen gelten. Das Bundesgericht heisst die
Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid, mit dem
sein Gesuch um Ersetzung von v. S. abgewiesen worden ist, verletze den
verfassungsmässigen Anspruch auf einen unbefangenen und unparteiischen
Richter (Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK).

    a) Der aus Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK abgeleitete
Anspruch auf einen unbefangenen und unparteiischen Richter bietet
nur eine Minimalgarantie (BGE 114 Ia 53 E. 3b; 112 Ia 292 E. 3); die
Kantone sind berechtigt, weitergehende Ansprüche zu gewährleisten. In der
staatsrechtlichen Beschwerde beruft sich der Beschwerdeführer lediglich
auf die Minimalgarantie. In einem solchen Fall prüft das Bundesgericht
mit voller Kognition, ob die angefochtene Verfügung mit den Anforderungen
an einen unbefangenen und unparteiischen Richter nach Art. 58 Abs. 1 BV
und Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar sei (BGE 116 Ia 33 E. 2a).

    b) Das Wirtschaftsstrafgericht und Richter-Suppleant v. S. erachten
die Rüge der Voreingenommenheit als zu spät erhoben. Sie bringen vor, die
vom Beschwerdeführer behaupteten Ablehnungsgründe seien diesem schon lange
bekannt gewesen; es sei rechtsmissbräuchlich, sie erst derart kurz vor
Verhandlungsbeginn vorzubringen. Indessen ist das Wirtschaftsstrafgericht
im angefochtenen Entscheid auf das Ablehnungsgesuch eingetreten und
ist demzufolge nicht von einem rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch
ausgegangen (vgl. BGE 114 Ia 350 E. e); es hat vielmehr das Gesuch
materiell behandelt und abgewiesen. Der Rechtsmissbrauch und auch die
Verwirkung des Anspruchs (BGE 116 Ia 142 E. 4 Nr. 58 E. 1; 114 Ia 349
f. E. d) bilden somit nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheids. Aus
diesem Grund braucht das Bundesgericht darauf nicht einzugehen.
   c) (vgl. BGE 116 Ia 33 f. E. 2b)

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer wirft v. S. nicht ein bestimmtes Verhalten
vor; er lehnt ihn ab, weil dieser in seiner früheren Funktion als
Generalprokurator in einem zurückliegenden Verfahrensstadium auf den
Prozess hat Einfluss nehmen können. Der Beschwerdeführer rügt, der
Richter sei aus funktionellen oder organisatorischen Gründen nicht
unvoreingenommen.

    a) Die Besorgnis der Voreingenommenheit und damit ein Misstrauen
gegenüber dem Richter kann dann entstehen, wenn sich einzelne Richter
bereits in einem früheren Zeitpunkt in amtlicher (richterlicher oder
nichtrichterlicher) Funktion mit der konkreten Streitsache befasst
haben. In welchen Fällen eine solche sogenannte Vorbefassung unter
dem Gesichtswinkel von Verfassung und Konvention die Ausstandspflicht
begründet, kann jedoch nicht allgemein gesagt werden. Immerhin muss
das Verfahren in bezug auf den konkreten Sachverhalt und die konkret
zu entscheidenden Rechtsfragen trotz der Vorbefassung als offen
erscheinen und darf nicht den Anschein der Vorbestimmtheit erwecken
(BGE 116 Ia 34 f. E. 3a). Die Ausstandsfrage ist demnach anhand
der tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Fragen zu entscheiden
(BGE 115 Ia 220 E. 5a; 116 Ia 391 E. 2b); entscheidend ist, ob in den
verschiedenen Verfahrensabschnitten, bei denen der Richter mitgewirkt
hat, eine ähnliche oder qualitativ gleiche Frage geprüft wurde. Dabei
ist nicht wesentlich, ob die Prüfungen tatsächlich vorgenommen werden;
unter dem Gesichtswinkel des Anscheins der Befangenheit kommt es in
erster Linie auf die objektive Kompetenzordnung und weniger darauf an,
in welchem Umfange davon Gebrauch gemacht wird (BGE 114 Ia 69). Schon
aus der Kompetenzordnung ergibt sich, ob bei objektiver Beurteilung
mit genügendem Grund der Anschein entsteht, der Richter werde nicht
mehr unvoreingenommen prüfen oder habe wegen seiner Vorkenntnisse
im Richterkollegium ein verstärktes Gewicht (BGE 112 Ia 301 f.). Die
Besorgnis der Befangenheit ist ferner unter Umständen begründet, weil
durch die doppelte Mitwirkung der Sinn der Verfahrensordnung unterlaufen
wird (BGE 114 Ia 55 E. a, 57, 71). Dieser besteht aus rechtsstaatlichen
Überlegungen oft darin, zwischen Strafuntersuchung, Anklagezulassung und
abschliessender materieller Beurteilung zu trennen. Zu beachten ist ferner
der Umfang des Entscheidungsspielraums bei der Beurteilung der sich in
beiden Abschnitten stellenden Fragen und die Bedeutung der Entscheidungen
im Hinblick auf den Fortgang des Verfahrens (BGE 116 Ia 35 E. 3a).

    b) Das Bundesgericht erachtete - in Anlehnung an die Rechtsprechung
der Strassburger Organe zur Befangenheit aus funktionellen oder
organisatorischen Gründen (Urteil des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte i.S. De Cubber vom 26. Oktober 1984, Publications de
la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, Vol. 86 = EuGRZ
1985 S. 407 ff., vgl. auch EuGRZ 1986 S. 672 f.) - die Personalunion
von Untersuchungsrichter und erkennendem Strafrichter nach den
Verfahrensordnungen der Kantone Wallis (BGE 112 Ia 290 ff.; EuGRZ
1986 S. 670), Freiburg (BGE 113 Ia 73; unveröffentlichtes Urteil
vom 22. Dezember 1986 i.S. F., E. 3), Bern (unveröffentlichtes
Urteil vom 9. Januar 1987 i.S. F., E. 3) und Jura (unveröffentlichtes
Urteil vom 10. Juni 1987, i.S. B., E. 4) als verfassungswidrig. Gleich
entschied es bezüglich der Personalunion von Untersuchungsrichter und
erkennendem Strafrichter im bündnerischen Ehrverletzungsprozess (BGE
114 Ia 277 f. E. 2b) und im zürcherischen Privatklageverfahren (BGE
115 Ia 217 ff.). Als verfassungswidrig wurde auch die Personalunion
von Überweisungsrichter und Sachrichter betrachtet (BGE 114 Ia 50
ff. betr. Kanton Zürich; vgl. BGE 113 Ia 73 ff. E. 3 betr. Kanton
Freiburg; Ziff. 92 ff. des Berichts der Kommission vom 7. Mai 1985
i.S. Ben Yaacoub, Publications de la Cour européenne des droits de
l'homme, Série A, Vol. 127; das Bundesgericht liess die Frage in BGE 114
Ia 139 ff. betr. der Strafverfahrensordnung des Kantons Bern offen). Der
Europäische Gerichtshof sah sodann eine Verletzung von Art. 65 Ziff. 1
EMRK in der Tatsache, dass ein Richter in einem Fall mitwirkte, mit
dem er bereits in seiner früheren Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft
befasst war (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofes i.S. Piersack
vom 1. Oktober 1982, Publications de la Cour européenne des droits de
l'homme, Série A, Vol. 53 = EuGRZ 1985 S. 301 ff., vgl. auch EuGRZ 1986
S. 672 f.). Ebenfalls als unzulässig betrachtete er in einem speziell
gelagerten Fall die Personalunion von Haftrichter und Sachrichter (Urteil
des Europäischen Gerichtshofes i.S. Hauschildt vom 24. Mai 1989, Ziff. 51
ff., Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A,
Vol. 154, und Bericht der Kommission vom 16. Juli 1987, Ziff. 96 ff.;
vgl. auch die in BGE 115 Ia 180 ff. nicht publizierte E. 3b/aa in: EuGRZ
1989 S. 330). Ferner entschied das Bundesgericht, Art. 58 Abs. 1 BV und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK seien verletzt, weil der bernische Strafmandatsrichter
im gleichen Verfahren auf Einsprache hin als Strafrichter urteilte (BGE
114 Ia 150 ff. E. 7).

    Als verfassungskonform betrachtet das Bundesgericht dagegen,
dass dieselben Richter den Sachentscheid treffen und sodann über
Revisionsbegehren befinden (BGE 113 Ia 62 ff.; 107 Ia 15 ff.; Urteil
vom 15. November 1978 i.S. K. c. Kanton Zürich, E. 2, publiziert in: ZBl
80/1979 S. 537 f.). Ebensowenig gilt der Richter wegen der Mitwirkung an
einem unterinstanzlichen Urteil, das im Rechtsmittelverfahren aufgehoben
worden ist, bei der erneuten Beurteilung der Sache als befangen (BGE
116 Ia 30 E. 2a; 113 Ia 410 E. 2b). Den Anschein der Voreingenommenheit
verneinte das Bundesgericht auch in Fällen, wo dieselben Richter das
Abwesenheitsurteil nach baselstädtischem Verfahren erneut beurteilten
(BGE 116 Ia 32 ff.) und wo personelle Identität von Haftprüfungs- und
Haftentschädigungsrichter bestand (116 Ia 391 E. 2b).

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer bringt vor, v. S. sei bis Ende 1988
Generalprokurator gewesen und als solcher sei er gegenüber den
Staatsanwälten und damit indirekt gegenüber den Untersuchungsrichtern
weisungsberechtigt gewesen. Diese Befugnis sei v. S. auch in der
vorliegenden Strafuntersuchung zugestanden, welche am 13. März 1988
gegen ihn, den Beschwerdeführer, eröffnet worden sei. Zudem habe
v. S. im Verfahren gegen den Mitangeklagten am Überweisungsbeschluss
vom 28. August/15. Dezember 1986 mitgewirkt. Aus diesen Gründen genüge
v. S. den Anforderungen von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK nicht. V. S. wendet dagegen im wesentlichen ein, er sei in der
Angelegenheit nie staatsanwaltschaftlich tätig gewesen und habe dem für die
Anklage zuständigen stellvertretenden Prokurator keine Weisungen erteilt.

    a) Das Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern ist als
2. Kriminalkammer des Obergerichts konzipiert (Art. 9a des Gesetzes über
die Organisation der Gerichtsbehörden (GOG) vom 31. Januar 1909). Es
urteilt unter Mitwirkung von drei Richtern (Art. 9 Abs. 1 GOG). Für
Mitglieder, die verhindert sind, an den Verhandlungen teilzunehmen,
sind vom Obergerichtspräsidenten bezeichnete Mitglieder einer anderen
Kammer oder Ersatzmänner beizuziehen (Art. 15 Abs. 1 GOG). Wenn kein
Mitglied einer anderen Kammer zur Verfügung steht, darf der Präsident
der Kriminalkammer als ausserordentliche Ersatzmänner Gerichtspersonen,
Fürsprecher oder Notare beiziehen, jedoch nicht den mit dem zu
beurteilenden Fall befassten Untersuchungsrichter (Art. 15 Abs. 2 GOG).
Ebenfalls als unfähig, an der Verhandlung und Beurteilung einer Strafsache
teilzunehmen, gilt, wer in der gleichen Strafsache bereits als Staatsanwalt
aufgetreten ist (Art. 32 Ziff. 7 des Gesetzes über das Strafverfahren des
Kantons Bern (StrV) vom 20. Mai 1928). Somit sind sowohl Staatsanwalt als
auch Untersuchungsrichter ausdrücklich als Ersatzrichter ausgeschlossen,
wenn sie sich bereits einmal mit der Strafsache befasst haben. Abgesehen
davon kann ein Richter nach der allgemeinen Regel abgelehnt werden, wenn
Tatsachen vorliegen, welche geeignet sind, ihn als befangen erscheinen
zu lassen und Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu erregen (Art. 33
StrV).

    Der Generalprokurator ist, wie auch der Bezirksprokurator, ein Beamter
der Staatsanwaltschaft (Art. 84 Abs. 1 GOG). Er führt die Aufsicht über
den Bezirksprokurator und erteilt ihm die nötigen Weisungen (Art. 97
Abs. 1 Satz 2 GOG). Der Bezirksprokurator seinerseits ist gegenüber
dem Generalprokurator weisungsgebunden und hat ihm Bericht zu erstatten
(Art. 94 GOG). Er ist befugt, die Einleitung einer Strafuntersuchung durch
den zuständigen Untersuchungsrichter anzuordnen; ebenso kann er verlangen,
dass der Untersuchungsrichter vor Eröffnung einer Strafverfolgung einzelne
Untersuchungsmassnahmen vornimmt (Art. 91 GOG). Der Bezirksprokurator
hat auch die Voruntersuchungen zu überwachen. Er ist befugt, jederzeit
in die Untersuchungsakten Einsicht zu nehmen, den Untersuchungshandlungen
beizuwohnen und die Vornahme einzelner Untersuchungshandlungen durch den
Untersuchungsrichter anzuordnen (Art. 94 StrV).

    Ein Fall, in dem zur Hauptsache stafbare Handlungen gegen das
Vermögen oder Urkundenfälschungen in Frage stehen und dessen Beurteilung
besondere wirtschaftliche Kenntnisse oder die Würdigung einer grossen
Zahl schriftlicher Beweismittel voraussetzt, wird nach Abschluss der
Voruntersuchung an das Wirtschaftsstrafgericht überwiesen (Art. 208b
StrV). Ist der Überweisungsbeschluss durch den Untersuchungsrichter
und den Bezirksprokurator zu fassen, legt der Untersuchungsrichter die
Akten mit einem schriftlichen Antrag dem Bezirksprokurator vor (Art. 184
Abs. 1 StrV). Hält er dafür, dass der Angeschuldigte einer strafbaren
Handlung hinreichend verdächtig erscheint, so stellt er den Antrag auf
Überweisung an das zuständige Gericht (Art. 184 Abs. 3 StrV). Stimmt
der Bezirksprokurator zu, so ist der Antrag des Untersuchungsrichters
zum Beschluss erhoben (Art. 185 StrV). Ferner ist nach den Weisungen
des Generalprokurators des Kantons Bern vom 23. September 1981 für
die Überweisung an das Wirtschaftsstrafgericht die Genehmigung des
Generalprokurators erforderlich. Diese soll die einheitliche Anwendung
von Art. 208 StrV sicherstellen (vgl. Vorbemerkungen zu den erwähnten
Weisungen).

    b) Die Fragestellung im vorliegenden Fall ist vergleichbar
mit derjenigen, welche dem bereits erwähnten Fall Piersack zugrunde
lag. Piersack wurde durch ein Gericht, welches sich aus dem Präsidenten,
zwei Beisitzern und zwölf Geschworenen zusammensetzte, zu einer
Freiheitsstrafe verurteilt. Der Gerichtspräsident verfügte während
des Verfahrens und der Beratung über umfassende Befugnisse. In seiner
früheren Stellung im "ministère public" hatte dieser Gerichtspräsident
eine staatsanwaltschaftliche Funktion inne. Er war damals während
längerer Zeit Vorgesetzter über die mit der Ermittlung gegen Piersack
befassten Staatsanwälte gewesen und hatte über gewisse Kontroll- und
Beratungsbefugnisse verfügt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
bejahte die Befangenheit des Gerichtspräsidenten; entscheidend dafür war
allein der Umstand, dass der Gerichtspräsident früher bei der die Anklage
erhebenden Staatsanwaltschaft eine Stellung besass, die eine Mitarbeit
am betreffenden Fall möglich machte; indessen war für den Gerichtshof
unbedeutend, von welchem Umfang die effektive Tätigkeit im konkreten Fall
war (Urteil Piersack, Ziff. 30 f.).

    c) Als Beamter der Staatsanwaltschaft (Art. 84 Abs. 1 GOG) untersteht
der Generalprokurator Art. 32 Ziff. 7 StrV, wonach ein Richter unfähig ist,
an der Verhandlung und Beurteilung einer Strafsache teilzunehmen, wenn er
in der gleichen Sache bereits als Staatsanwalt aufgetreten ist. Ob unter
"Auftreten" im Sinne dieser Bestimmung lediglich dasjenige als Partei
in einem Haupt- oder Rechtsmittelverfahren zu verstehen sei (vgl. MAX
WAIBLINGER, Das Strafverfahren des Kantons Bern, Langenthal 1937 und 1942,
N 6 zu Art. 32/33 StrV, S. 79) oder ob dieser Ausdruck im Lichte der
Rechtsprechung des Bundesgerichts und der Strassburger Konventionsorgane
weiter auszulegen sei, kann hier offen bleiben. Im vorliegenden Fall
besass v. S. in seiner Funktion als Generalprokurator bis Ende 1988,
somit auch während der Voruntersuchung gegen den Beschwerdeführer,
ein Weisungsrecht gegenüber den Bezirksprokuratoren (Art. 94 und
Art. 97 Abs. 1 Satz 2 GOG) und damit eine Einflussmöglichkeit gegenüber
den Untersuchungsrichtern (vgl. Art. 91 GOG und Art. 94 StrV). Diese
Kompetenzen ermöglichten ihm einen Einfluss auf das Verfahren, der sich
mit demjenigen der Anklagebehörde, des Überweisungsrichters und des
Untersuchungsrichters vergleichen lässt: Er besass eine wesentliche
Stellung in einem Verfahrensteil, der vom Sinn der Verfahrensordnung
her von der definitiven, materiellen Beurteilung getrennt sein soll. Ob
v. S. von seinen Einflussmöglichkeiten tatsächlich Gebrauch gemacht hat,
ist nicht von Bedeutung; ebenso ist im konkreten Fall nicht wichtig, dass
er in seiner Funktion als Generalprokurator beim Überweisungsbeschluss vom
28. August/15. Dezember 1986 mitgewirkt hat. Entscheidend ist allein,
dass aufgrund der bernischen Verfahrensordnung der objektive Anschein
der Befangenheit entstehen kann, wenn der frühere Generalprokurator auch
als Richter amtet. Der Richter, der vorher im gleichen Verfahren als
Generalprokurator amtete, bietet somit nicht hinreichende Gewähr, um jeden
berechtigten Zweifel an seiner Unparteilichkeit auszuschliessen. Aufgrund
seiner Stellung während der Voruntersuchung hat der Generalprokurator als
befangen zu gelten (Art. 33 StrV, Art. 58 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK);
er ist deshalb gleich zu behandeln wie die anderen Staatsanwälte und die
Untersuchungsrichter, die mit der gleichen Strafsache bereits befasst
waren. Die Beschwerde ist demnach insoweit begründet und gutzuheissen,
weshalb es sich erübrigt, die anderen Rügen zu behandeln.

Erwägung 4

    4.- a) Demnach ist die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen und der
angefochtene Zwischenentscheid aufzuheben. Damit wird dem Sachurteil des
Wirtschaftsstrafgerichts des Kantons Bern vom 5. Juli 1990 die Grundlage
entzogen, weil das Gericht in einer gegen Art. 58 Abs. 1 BV und Art.
6 Ziff. 1 EMRK verstossenden Zusammensetzung entschieden hat. Dieses
Sachurteil ist zwar nicht ausdrücklich Gegenstand des staatsrechtlichen
Beschwerdeverfahrens; da jedoch mit einer staatsrechtlichen Beschwerde, die
sich gegen den Beschluss über ein Ablehnungs- oder Ausstandsgesuch richtet,
die Wiederherstellung des verfassungsmässigen Zustands bezweckt wird,
ist im Antrag auf Aufhebung dieses Beschlusses sinngemäss auch derjenige
auf Aufhebung des vom Gericht in der verfassungswidrigen Zusammensetzung
gefällten Sachurteils zu sehen. Dies rechtfertigt sich zudem dadurch,
dass die verfassungswidrige Zusammensetzung eines Gerichts innert
nützlicher Frist gerügt werden muss, ansonsten das Recht zur Anfechtung
des Sachurteils wegen des gleichen Grundes verwirkt würde (BGE 116 Ia 142
E. 4, Nr. 58 E. 1; 114 Ia 349 f. E. d). Anders zu entscheiden hiesse, vom
Beschwerdeführer zu verlangen, dass er dem Bundesgericht dieselben Fragen
in einer zweiten Beschwerde, welche sich gegen das Sachurteil richtete,
vorlege. Nach dem Gesagten ist auch das Urteil des Wirtschaftsstrafgerichts
des Kantons Bern vom 5. Juli 1990 förmlich aufzuheben.

    b) Mit der staatsrechtlichen Beschwerde gegen kantonale Verfügungen
(Art. 84 Abs. 1 OG) kann der einzelne lediglich die ihm zustehenden
verfassungsmässigen Rechte durchsetzen. Folglich sind die Wirkungen
des bundesgerichtlichen Entscheids über eine Beschwerde, mit der die
Verletzung des Anspruchs auf den verfassungsmässigen Richter geltend
gemacht wird, auf den Beschwerdeführer begrenzt. Namentlich kennt das
staatsrechtliche Beschwerdeverfahren keine Ausdehnung der Rechtswirkung
des Bundesgerichtsentscheids auf Personen, die sich nicht am Verfahren
beteiligt haben. Dies gilt auch im Bereich von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6
Ziff. 1 EMRK, zumal nach der bundesgerichtlichen Praxis entsprechende
Einwände nach Treu und Glauben möglichst früh vorgebracht werden müssen,
ansonsten der Anspruch auf Anrufung der verletzten Verfassungsbestimmung
verwirkt (BGE 116 Ia 142 E. 4, 388 E. 1; 114 Ia 280 E. e, 349 E. d) und
damit die Strafsache trotz der Beurteilung durch einen verfassungsmässigen
Richter nicht aufgehoben wird. Nach dem Gesagten ist das Urteil des
Wirtschaftsstrafgerichts des Kantons Bern vom 5. Juli 1990 lediglich
gegenüber dem Beschwerdeführer aufzuheben, nicht auch gegenüber dem
anderen Mitangeklagten.