Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IA 133



117 Ia 133

23. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Juli 1991 i.S. F.
gegen E. AG und Obergericht des Kantons Thurgau (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 4 und 58 BV; Besetzung des Gerichts; Anspruch auf rechtliches
Gehör.

    Kann einem an einer zweiten kantonalen Berufungsverhandlung neu
mitwirkenden Gerichtsmitglied der Prozessstoff durch Aktenstudium
zugänglich gemacht werden, wird der Anspruch der Parteien auf rechtliches
Gehör nicht verletzt, wenn ihnen nicht erneut Gelegenheit gegeben wird,
sich vernehmen zu lassen. Die Auswechslung eines Richters verstösst unter
der genannten Voraussetzung auch nicht gegen Art. 58 BV (E. 1).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, sein Anspruch auf rechtliches
Gehör sei dadurch verletzt worden, dass das Obergericht ihm trotz
veränderter Besetzung keine Gelegenheit gegeben habe, sich neu mündlich
oder schriftlich vernehmen zu lassen; dies sei mit § 169 aZPO/TG und
Art. 4 BV nicht vereinbar. Durch die Auswechslung eines Richters an der
zweiten Berufungsverhandlung sei auch Art. 58 BV verletzt worden.

    e) Die Prozessparteien haben Anspruch darauf, dass kein Richter
urteilt, der nicht Kenntnis von ihren Vorbringen und vom Beweisverfahren
hat. Entscheidend ist dabei, dass einem neu mitwirkenden Richter der
Prozessstoff durch Aktenstudium zugänglich gemacht werden kann. Dieser
Anspruch war im vorliegenden Fall gewahrt, ohne dass dem Beschwerdeführer
erneut hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, sich vernehmen
zu lassen. Das an der zweiten Berufungsverhandlung neu mitwirkende
Gerichtsmitglied besass aufgrund der Akten die gleichen Kenntnisse wie
die übrigen Richter. Sachverhalt und materiellrechtliche Ausgangslage
blieben unverändert und waren auch aufgrund des Rückweisungsentscheides
des Bundesgerichts nicht zu ergänzen. Somit konnte nach wie vor auf das
Ergebnis der Beweisverhandlung vom 23. Juni 1988, das im Appellationsbrief
enthalten war, und auf die Parteivorträge vor Obergericht, die im ersten
Urteil ausreichend zusammengefasst waren, abgestellt werden.

    Von einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs kann daher weder unter
dem Gesichtspunkt einer willkürlichen Anwendung von § 169 aZPO/TG noch im
Rahmen einer direkten Anrufung von Art. 4 BV die Rede sein. Diesbezüglich
ist festzuhalten, dass in BGE 96 I 324 eine Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör nur deshalb angenommen wurde, weil nicht alle
urteilenden Richter der ausschliesslich mündlichen, in keinem Protokoll
festgehaltenen Beweisabnahme beigewohnt hatten. Die Tatsache schliesslich,
dass ein Richter an einem Urteil mitgewirkt hat, ohne an sämtlichen
Verhandlungen teilgenommen zu haben, verstösst nicht gegen Art. 58 BV
(BGE 96 I 323). Was in der Beschwerde sonst unter Berufung auf die
Garantie des verfassungsmässigen Richters vorgebracht wird, ist entweder
bereits widerlegt worden oder erschöpft sich in nicht rechtsgenüglich
substantiierten allgemeinen Vorwürfen.