Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 V 145



116 V 145

26. Urteil vom 17. April 1990 i.S. B. gegen ELVIA, Schweizerische
Versicherungs-Gesellschaft und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
Regeste

    Art. 6 Abs. 2 UVG, Art. 9 Abs. 2 UVV: Unfallähnliche
Körperschädigungen.

    - Die Lumbago und die Diskushernie lassen sich nicht unter eine
unfallähnliche Körperschädigung subsumieren (Erw. 5c).

    - Der Ausschluss dieser Befunde aus der Liste der unfallähnlichen
Körperschädigungen ist gesetz- und verfassungsmässig (Erw. 6c).

Sachverhalt

    A.- Der 1957 geborene Mario B. arbeitet im Fitness-Center C., einem
für die obligatorische Unfallversicherung nunmehr der ELVIA Schweizerische
Versicherungs-Gesellschaft in Zürich (nachfolgend ELVIA), ehemals Helvetia
Unfall, unterstellten Betrieb. Als er am 1. Mai 1987 beim Aufräumen der
Gewichte 4 oder 5 Scheiben à je 10 kg vom Boden aufhob und in etwa 6
Metern Entfernung in gebückter Haltung wieder abstellen wollte, verspürte
er einen heftigen "Zwick" im Rücken auf der Höhe Lenden-/Brustwirbel.
Er konnte sich nur mit Mühe und unter starken Schmerzen, welche 2 bis
3 Tage andauerten, teilweise wieder aufrichten (Befragungsprotokoll
vom 5. August 1987). Am 3. Juni 1987 wurde eine Bagatellunfall-Meldung
erstattet. Im Arztzeugnis vom 22. Juli 1987 diagnostizierte Dr. U. eine
akute Thoraco-Lumbalgie nach Heben einer schweren Last. Der Versicherte
war vom 5. bis 17. Mai 1987 arbeitsunfähig.

    Die ELVIA bestritt mit Verfügung vom 7. September 1987 ihre
Leistungspflicht, weil mangels eines ungewöhnlichen äusseren Faktors
der Unfallbegriff nicht erfüllt sei. Sie wies eine hiegegen erhobene
Einsprache ab und hielt in ihrem Entscheid vom 12. Oktober 1987 fest,
dass auch keine unfallähnliche Körperschädigung vorliege.

    B.- Beschwerdeweise liess Mario B. beantragen, der Einspracheentscheid
sei aufzuheben und die Helvetia Unfall sei "der Leistungspflicht
zu unterstellen"; eventuell sei zur Frage, ob eine unfallähnliche
Körperschädigung bestehe, ein Kurzgutachten einzuholen.

    Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wies die Beschwerde
mit Entscheid vom 5. Februar 1988 ab.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Mario B. die vor der
Vorinstanz gestellten Anträge sinngemäss erneuern; gegebenenfalls sei
die Sache zur Neubeurteilung an eine der Vorinstanzen zurückzuweisen.

    Die ELVIA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
eventuell Durchführung einer medizinischen Expertise. Das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) verzichtet auf einen Antrag.

    D.- Das Eidg. Versicherungsgericht holte beim BSV einen ergänzenden
Bericht zu Fragen der unfallähnlichen Körperschädigung im Zusammenhang
mit Lumbago ein, welcher am 25. November 1988 zusammen mit einem
fachtechnischen Bericht des Dr. S., Chefarzt der MEDAS St. Gallen, vom
2. November 1988 erstattet wurde. Die Parteien nahmen hiezu im Rahmen
eines zweiten Schriftenwechsels Stellung. Nachdem der Rechtsvertreter
des Versicherten nebst zwei Röntgenbildern ein Zeugnis des Hausarztes
Dr. U. vom 27. Dezember 1988 und dessen Röntgenbericht vom 8. Februar 1989
eingereicht hatte, liessen sich die ELVIA und das BSV mit Zusatzbericht
vom 19. Mai 1989 nochmals vernehmen. Darin beantragt das Bundesamt
Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Ferner wurden nachträglich
die von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) in einem
Parallelverfahren eingereichten Unterlagen, namentlich der Bericht
des Chefarztes der Unfallmedizin, Dr. R., vom 5. Juli 1989 und eine
Aktennotiz des Anstalts-Chefarztes Prof. Dr. Sch. vom 7. Juli 1989,
dem Rechtsvertreter des Versicherten unterbreitet, der eine ergänzende
Vernehmlassung einreichte.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Kognition)

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 6 Abs. 1 UVG werden die Leistungen der
Unfallversicherung bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und
Berufskrankheiten gewährt, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt.

    Gemäss Art. 9 Abs. 1 UVV gilt als Unfall die plötzliche, nicht
beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors
auf den menschlichen Körper. Damit wurde im wesentlichen die vom Eidg.
Versicherungsgericht in ständiger Rechtsprechung verwendete Definition des
Unfalls übernommen. Der äussere Faktor ist ungewöhnlich, wenn er den Rahmen
des im jeweiligen Lebensbereich Alltäglichen oder Üblichen überschreitet,
was im Einzelfall nach den objektiven Verumständungen zu beurteilen ist
(BGE 112 V 202 Erw. 1 mit Hinweisen).

    b) Gemäss Art. 6 Abs. 2 UVG kann der Bundesrat Körperschädigungen,
die den Folgen eines Unfalles ähnlich sind, in die Versicherung
einbeziehen. Von dieser Kompetenz hat der Bundesrat in Art. 9 Abs. 2 UVV
Gebrauch gemacht und folgende Körperschädigungen auch ohne ungewöhnliche
äussere Einwirkung den Unfällen gleichgestellt:

    a. Knochenbrüche, sofern sie nicht eindeutig auf eine Erkrankung
   zurückzuführen sind; b. Verrenkungen von Gelenken;

    c. Meniskusrisse;

    d. Muskelrisse;

    e. Muskelzerrungen;

    f. Sehnenrisse;

    g. Bandläsionen;

    h. Trommelfellverletzungen.

    Diese Aufzählung der den Unfällen gleichgestellten Körperschädigungen
ist abschliessend. Daher ist es unzulässig, die Liste der unfallähnlichen
Körperschädigungen durch Analogieschlüsse zu erweitern (BGE 114 V 302
Erw. 3d, 303 Erw. 3e; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht,
2. Aufl., 1989, S. 202).

    c) Nach der Rechtsprechung gelten nur die in Art. 9 Abs. 2 lit. a UVV
genannten Knochenbrüche dann nicht als unfallähnliche Körperschädigung,
wenn sie eindeutig auf eine Erkrankung zurückzuführen sind. Für die
übrigen in der Verordnungsbestimmung erwähnten Verletzungen ist eine
solche Einschränkung nicht vorgesehen. Dem Wortlaut nach können somit die
in Art. 9 Abs. 2 lit. b bis h UVV aufgezählten Läsionen auch dann eine
unfallähnliche Körperschädigung darstellen, wenn sie ganz oder teilweise
auf einer Krankheits- oder Degenerationserscheinung beruhen. Dagegen
kann die ausschliesslich aufgrund eines pathologischen Prozesses erfolgte
Läsion nicht als unfallähnliche Schädigung anerkannt werden. Da diese mit
Ausnahme des ungewöhnlichen äusseren Faktors sämtliche anderen Merkmale
des Unfallbegriffs voraussetzt, muss auch bei einer auf Krankheits- oder
Abnützungserscheinung basierenden Beeinträchtigung eine plötzliche,
nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eintreten, welche die
Verletzung verursacht. Der Auslösungsfaktor kann alltäglich und diskret
sein. Wesentlich ist, dass ein plötzliches Ereignis, beispielsweise eine
heftige Bewegung oder das plötzliche Aufstehen aus der Hocke, die in Art. 9
Abs. 2 lit. b bis h UVV erwähnten Verletzungszustände hervorruft. Fehlt
es an einem solchen unmittelbaren Geschehen und ist die Läsion vielmehr
wiederholten, im täglichen Leben erfolgten Mikrotraumata zuzuschreiben,
die eine allmähliche Abnützung bewirken, welche schliesslich das Ausmass
der eine Behandlung erfordernden Schädigung erreicht, liegt kein Unfall,
sondern eine Krankheit vor (BGE 114 V 301 Erw. 3c; RKUV 1988 Nr. U 57
S. 373 Erw. 4b).

Erwägung 3

    3.- a) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird zu Recht nicht
mehr behauptet, es liege ein Unfall im Sinne von Art. 9 Abs. 1 UVV vor.
Wie die Vorinstanz zutreffend festhielt, fehlt es beim Vorfall vom 1. Mai
1987 an einem auf den Körper einwirkenden ungewöhnlichen äusseren
Faktor. Der Arbeitsablauf laut Befragungsprotokoll vom 5. August
1987 bietet keine Anhaltspunkte für die Annahme einer unkoordinierten
Bewegung, die als ungewöhnlicher äusserer Faktor in Frage käme. Auch eine
augenfällige Überanstrengung ist angesichts der beruflichen Tätigkeit des
Beschwerdeführers, zu welcher das Aufräumen von Gewichten im Fitness-Center
gehörte und die auf eine entwickelte Muskulatur schliessen lässt, sowie
aufgrund seines Alters zu verneinen.

    b) Die Leistungspflicht des Unfallversicherers lässt sich entgegen
dem vorinstanzlichen Entscheid nicht mit der Begründung verneinen, die
Lumbago weise auf eine Krankheit hin. Nach der Rechtsprechung können die
in Art. 9 Abs. 2 lit. b bis h UVV aufgezählten Läsionen auch dann eine
unfallähnliche Körperschädigung darstellen, wenn sie ganz oder teilweise
auf einer Krankheits- oder Degenerationserscheinung beruhen. Wesentlich ist
aber, dass ein plötzliches Ereignis, beispielsweise eine heftige Bewegung
oder das plötzliche Aufstehen aus der Hocke, die in Art. 9 Abs. 2 lit. b
bis h UVV erwähnten Verletzungszustände hervorruft (BGE 114 V 301 Erw. 3c;
RKUV 1988 Nr. U 57 S. 373 Erw. 4b).

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer hob am 1. Mai 1987 beim Aufräumen der Gewichte
4 oder 5 Scheiben à je 10 kg vom Boden auf und wollte sie in einiger
Entfernung in gebückter Haltung wieder abstellen, als er einen heftigen
"Zwick" im Rücken auf der Höhe Lenden-/Brustwirbel verspürte. Damit
liegt ein unmittelbares Geschehen im Sinne der dargelegten Rechtsprechung
vor, welches die Merkmale der Plötzlichkeit sowie der Unfreiwilligkeit
aufweist und zu einer Körperschädigung führte. Da Lumbago (bzw. Lumbalgie)
als solche in der abschliessenden Aufzählung von Art. 9 Abs. 2 UVV
nicht genannt ist, stellt sich die Frage, ob die beim Beschwerdeführer
diagnostizierte akute Thoraco-Lumbalgie unter eine der in der Liste
erwähnten unfallähnlichen Körperschädigungen subsumiert werden kann.

    a) Gemäss der medizinischen Literatur bezeichnet Lumbago bzw. Lumbalgie
("Hexenschuss") einen durch sensible Eigeninnervation der Lendenwirbelsäule
ausgelösten, meistens akut einsetzenden, stechenden, zunächst segmentalen
Kreuzschmerz ohne Irritation der Ischiaswurzeln. Sie ist oft mit
Lähmungsgefühl, Schonhaltung und schmerzbedingter Bewegungseinschränkung
der Lendenwirbelsäule, muskulärem Hartspann der Rückenmuskulatur
und Druckschmerzhaftigkeit der Dornfortsätze verbunden (PSCHYREMBEL,
Klinisches Wörterbuch, 256. Aufl., 1990, S. 979; ROCHE, Lexikon Medizin,
2. Aufl., 1987, S. 1065; THIELE, Handlexikon der Medizin, S. 1502). Das
gleiche Erscheinungsbild zeigt sich gemäss Bericht des Dr. S., Chefarzt
der MEDAS St. Gallen, vom 2. November 1988 auch bei der etwas höher, im
thoraco-lumbalen Übergangsbereich auftretenden Thoraco-Lumbalgie. In der
Stellungnahme vom 5. Juli 1989 im Parallelfall weist Dr. R., Chefarzt der
Abteilung Unfallmedizin der SUVA, darauf hin, dass der Begriff Lumbago
grundsätzlich für dieses klar umschriebene klinische Krankheitsbild
reserviert ist; die Diagnose einer Lumbago setze voraus, dass andere für
akute Kreuzschmerzen in Frage kommende Ursachen diagnostisch ausgeschlossen
wurden; akute posttraumatische Schmerzzustände infolge schwerer (direkter
oder indirekter) äusserer Einwirkungen fielen grundsätzlich nicht unter
den klinischen Begriff Lumbago. Nach HOPPLER (Krankenversicherung und
unfallähnliche Körperschädigungen, SKZ 1988 S. 128) kommt es selten vor,
dass eine Lumbago als Unfallfolge bezeichnet werden kann.

    b) Laut Bericht des Dr. S. führen verschiedene Ursachen zu Lumbago:
Unphysiologische und übermässige Belastung des Rückens kann einen
Ermüdungsschmerz der strapazierten Muskeln und Bänder auslösen. Abnützung
sowie namentlich Einrisse und Spaltbildungen im dorsalen Abschnitt der
Bandscheibe als Folge starker chronischer oder akuter Biegespannungen
können ebenfalls Schmerzen verursachen und schliesslich eine Verlagerung
des Bandscheibenkerns in Richtung Spinalkanal bewirken. Diese unter
der Bezeichnung Protrusion bekannte Erscheinung kommt besonders im
Bereich der 4. und 5. Lendenbandscheibe häufig vor. Im weiteren können
Gefügestörungen im Bewegungssegment (d.h. Verlagerung des oberen Wirbels
nach hinten infolge Bandscheibenverschmälerung und damit zusammenhängende
Verschiebungen in den kleinen Gelenken) zu Zerrungen an Gelenkkapseln
und am hinteren Längsband führen. Bei akuter Lumbago sind gemäss Bericht
des Dr. S. meist auch Blockierungen der subluxierten Wirbelgelenke im
Spiel. Schliesslich sind auch lokale Entzündungen an der Wirbelsäule oder
in ihrer Umgebung (z.B. bei Infektionen) in der Lage, das klassische
Bild einer Lumbago zu erzeugen, in diesen Fällen aber meist nicht mit
schlagartigem Beginn.

    Die Differentialdiagnose der Lumbago ist gemäss der erwähnten
Stellungnahme des Dr. R. sehr vielgestaltig und umfasst multiple
Erkrankungen aus dem rheumatischen, neurologischen, neurochirurgischen,
orthopädischen, urologischen und gynäkologischen Bereich. Für die Lumbago
ist das plötzliche Auftreten der Schmerzen ohne wesentliche äussere
Einwirkung typisch; eine "dumme" Bewegung, eventuell auch eine Erkältung
genügt, und manchmal ist für den Versicherten gar keine Ursache erkennbar.

    Die Auffassungen des Dr. S. und des Dr. R. stimmen - unter
Vorbehalt der Erwägung 4c - darin überein, dass als Ursachen der
Lumbago Funktionsstörungen des Bewegungssegmentes bzw. unphysiologische
und übermässige Belastungen des Rückens, degenerative Veränderungen
bzw. Abnützungen als Folge starker chronischer und akuter Biegespannungen
in Betracht kommen.

    c) Gemäss Bericht des Dr. S. können bei Lumbago unfallähnliche
Körperschädigungen im Sinne von Art. 9 Abs. 2 UVV eine Rolle spielen,
namentlich Subluxationen der kleinen Wirbelgelenke, Muskelrisse und
-zerrungen, Sehnenrisse sowie Bänderzerrungen und -risse. Bei jungen
Versicherten könne Lumbago den einzigen Befund oder den Hauptbefund
darstellen, während bei älteren Versicherten gleichzeitig mehrere Faktoren,
wie degenerative Abnützungserscheinungen an der Wirbelsäule, insuffiziente
Rückenmuskulatur und unverhältnismässige Belastung, vorhanden seien.

    Demgegenüber ist die akute Lumbago gemäss Auffassung des Dr. R. eine
funktionelle Störung eines oder mehrerer Wirbelsäulensegmente, ohne dass
organische Läsionen im Sinne unfallähnlicher Körperschädigungen vorlägen.
Gerade die häufigen schlagartigen Heilungen der Lumbago durch einfache
Handgriffe beweisen nach seiner Auffassung, dass organische Verletzungen
von Muskeln, Sehnen oder Bändern fehlten. Soweit hingegen Luxationen,
Muskelrisse und -zerrungen, Sehnenrisse oder Bandläsionen im Bereich der
Wirbelsäule als akute Verletzungen vorliegen, welche zugleich das Bild
einer Lumbago zeigen, so handle es sich in der Regel um die Folge schwerer
(direkter oder indirekter) äusserer Einwirkungen, die den Unfallbegriff
im Sinne von Art. 9 Abs. 1 UVV erfüllten.

    Die erwähnte Meinungsverschiedenheit dürfte jedoch nur selten von
praktischer Tragweite sein (vgl. Erwägung 4d nachfolgend). Denn auch
Dr. S. hält den Nachweis, ob und inwieweit im Einzelfall bei Lumbago
unfallähnliche Körperschädigungen im Sinne von Art. 9 Abs. 2 UVV
vorliegen, für praktisch unmöglich. Es sei lediglich feststellbar, ob
an der Wirbelsäule radiologisch bereits über das Alter hinausgehende
Verschleisserscheinungen beständen. Dr. R. argumentiert, ein
solcher Nachweis sei nicht möglich, weil bei der akuten Lumbago keine
unfallähnlichen Körperschädigungen vorlägen bzw. sich mit den zur
Verfügung stehenden diagnostischen Mitteln keine solchen Verletzungen
nachweisen liessen.

    d) Aus diesen Darlegungen folgt, dass bei Lumbago als Hauptbefund
mit den verfügbaren diagnostischen Mitteln der Nachweis einer Verletzung
an Wirbelsäulengelenken, Muskeln, Sehnen oder am Bandapparat praktisch
ausgeschlossen ist. Kann eine unfallähnliche Körperschädigung im Sinne
von Art. 9 Abs. 2 UVV bei Lumbago somit medizinisch kaum je nachgewiesen
werden, ist es auch nicht möglich, diese allenfalls unter eine der in
dieser Liste aufgezählten Körperschädigungen zu subsumieren.

    Bestehen indessen in besonderen Fällen aufgrund der Akten konkrete
Anhaltspunkte, dass neben Lumbago unfallähnliche Körperschädigungen wie
namentlich Muskelzerrungen, Sehnenrisse oder Bandläsionen als selbständige
Diagnosen in Betracht fallen könnten, hat der Unfallversicherer
bzw. im Streitfall der Richter kraft des Untersuchungsgrundsatzes
(vgl. BGE 114 V 305 Erw. 5b, 115 V 142 Erw. 8a) entsprechende Abklärungen
vorzunehmen. Damit wird nicht zum vornherein ausgeschlossen, dass sich in
einem atypischen Fall hinter der vieldeutigen Diagnose Lumbago eventuell
eine unfallähnliche Körperschädigung verbirgt, die gegebenenfalls
mit dem Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit (BGE 114 V 305 Erw. 5b)
nachgewiesen werden könnte (vgl. in diesem Zusammenhang MAURER, Recht
und Praxis der schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung,
2. Aufl., 1963, S. 102). Neben Lumbago diagnostizierte unfallähnliche
Körperschädigungen müssen allerdings im Hinblick auf die Leistungspflicht
des Unfallversicherers dann unberücksichtigt bleiben, wenn diese gesamthaft
lediglich Nebenbefunde darstellen. Denn bei einem klinischen Bild,
das sich mit mehreren Diagnosen umschreiben lässt (Syndrome), muss für
die Abgrenzung der Leistungspflicht der Unfallversicherung von jener der
Krankenversicherung auf die Hauptdiagnose bzw. den Hauptbefund abgestellt
werden (vgl. RAMSEIER, Unfallähnliche Körperschädigungen, Therapeutische
Umschau, 1985, S. 576 f.).

Erwägung 5

    5.- a) Dr. R. und die SUVA, welche bei den Vorarbeiten zum UVG
und zur UVV mitwirkte, berufen sich auf die Absicht des Gesetz-
bzw. Verordnungsgebers, die Lumbago von der Unfallversicherung
auszuschliessen. Es gilt daher, die Entstehungsgeschichte von Art. 9
Abs. 2 UVV nachzuzeichnen.
   (Es folgen Ausführungen über die Auslegung des Gesetzes.)

    b) In Art. 11 des Vorentwurfes des BSV vom 30. März 1980,
welcher Art. 9 Abs. 2 UVV teilweise entspricht, waren unter lit. e
"Muskelzerrungen im Bereich der Extremitäten, am Brustkorb vorne und
seitlich oder am Becken vorn" aufgeführt. Die UVV-Kommission beschloss
in der Folge, dass "Muskelzerrungen im Bereich des Rückens (wie Lumbago,
Diskopathie) nicht zu den unfallähnlichen Körperschädigungen zu zählen"
seien (Protokoll der Sitzung vom 9./10. Juni 1980). Aus dem Protokoll
einer weiteren Sitzung vom 29. April 1981 ergibt sich eindeutig, dass man
ausdrücklich die Lumbago und lumbagoähnliche Verletzungen ausschliessen
wollte. Im Entwurf des Eidgenössischen Departementes des Innern vom
15. Juli 1981 erhielt die Bestimmung (neu unter lit. e von Art. 9)
folgende Fassung: "Muskelzerrungen mit Ausnahme jener im Bereich des
Rückens." Die verwaltungsinterne Redaktionskommission ersetzte diesen
Wortlaut durch die Formulierung: "Muskelzerrungen, ausgenommen im Rücken"
(Fassung vom 15. Januar 1982).

    Im Vernehmlassungsverfahren wurde von verschiedener Seite eingewendet,
es sei nicht einzusehen, weshalb Muskelzerrungen im Bereich des Rückens
von der Versicherung ausgeschlossen werden sollten; denn gerade solche
Verletzungen würden immer wieder Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen der
Leistungspflicht der Unfallversicherung und jener der Krankenversicherung
verursachen (Auswertung der Vernehmlassungen zum Verordnungsentwurf über
die Unfallversicherung vom Juli 1981, Bd. I, Dezember 1981). Das BSV
trug diesen Bedenken Rechnung und schlug eine Streichung des Zusatzes
"ausgenommen im Bereich des Rückens" vor. Der Streichungsantrag
wurde anlässlich der Sitzung der UVV-Kommission vom 29./30. März 1982
diskussionslos gutgeheissen.

    c) Ausgangspunkt für die Beantwortung der in Erwägung 4
gestellten Frage bildet der erwähnte Grundsatzbeschluss der Kommission,
Muskelzerrungen im Rückenbereich (wie Lumbago, Diskopathie) nicht zu den
unfallähnlichen Körperschädigungen zu zählen. Formell kam die Kommission
auf diesen Beschluss nie zurück. Das BSV schliesst jedoch in seiner
Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus der Streichung des
Zusatzes "ausgenommen im Rücken", es sei bezüglich der Muskelzerrungen
anlässlich der Sitzung vom 29./30. März 1982 "offenbar" zu einem
Meinungsumschwung gekommen. Das Bundesamt folgert aus der Streichung
des erwähnten Zusatzes weiter, der Verordnungsgeber habe damit Fälle
von Lumbago "im Sinne einer widerlegbaren Vermutung" unter den Begriff
der Muskelzerrungen nach Art. 9 Abs. 2 lit. e UVV subsumieren wollen.
Damit sei der Leistungsansprecher der von Dr. S. geschilderten Beweisnot
enthoben.

    Der Auffassung des BSV kann nicht beigepflichtet werden. Der
gesetzgeberische Wille, die Lumbago und die Diskushernie nicht in
die Liste der unfallähnlichen Körperschädigungen aufzunehmen, ist
entstehungsgeschichtlich klar dokumentiert. Überdies bezweckte die
ursprüngliche lit. e mit dem Zusatz "mit Ausnahme jener im Bereich
des Rückens" nicht nur, sondern "vor allem" den Ausschluss der Lumbago
(Protokoll der Sitzung vom 29. April 1981). Damit sollten offensichtlich
auch Muskelzerrungen beispielsweise im oberen Teil des Rückens, die
nichts mit Lumbago zu tun haben, ausgegrenzt werden. Die Streichung des
Zusatzes bedeutet daher nicht die Gleichstellung der Lumbago mit einer
Muskelzerrung. Ausserdem ist ein Zusammenhang zwischen der Ausdehnung
von Art. 9 Abs. 2 lit. e UVV auf alle Muskelzerrungen und derjenigen
Stellungnahme im Vernehmlassungsverfahren, welche in Verbindung mit den
Muskelzerrungen das "Verhebetrauma" im Sinne einer akuten Lumbago oder
einer akuten Torticollis (Genickstarre) nannte, nicht erstellt. Gemäss
einer Aktennotiz des Chefarztes Dr. Sch. erfolgte die Streichung des
Zusatzes "ausgenommen im Rücken" auf Antrag und Zusicherung der Mediziner
hin, bei richtiger medizinischer Betrachtungsweise bestehe keine Gefahr,
dass Lumbago als eine unfallähnliche Körperschädigung interpretiert
werden könne.

    Der Verordnungsgeber, der die unfallähnlichen Körperschädigungen in
Art. 9 Abs. 2 UVV präzis und differenziert formulierte, hätte die Lumbago
wie auch die Diskushernie bei entsprechender Absicht ausdrücklich in der
abschliessenden Liste unfallähnlicher Körperschädigungen erwähnt. Dass
er dies unterliess, ist als qualifiziertes Schweigen zu interpretieren
(vgl. BGE 114 V 302 Erw. 3d). Die Liste bezweckt nämlich, Fälle im
Grenzbereich zwischen Unfall und Krankheit einer besonderen Ordnung zu
unterwerfen, um Streitigkeiten darüber, ob ein Unfall oder eine Krankheit
vorliegt, zu vermeiden (BGE 114 V 301 Erw. 3c; RKUV 1988 Nr. U 57 S. 373
Erw. 4b). Es war angezeigt, die unfallähnlichen Körperschädigungen anhand
der gängigen medizinischen Terminologie möglichst genau zu umschreiben,
damit der Gefahr vorgebeugt werden konnte, dass bei der Auslegung der
einzelnen Kategorien unfallähnlicher Körperschädigungen nicht doch wieder
Abgrenzungsstreitigkeiten entstehen.

    d) Nach dem Gesagten bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass
Art. 9 Abs. 2 UVV die Lumbago miterfassen würde. Dasselbe gilt für die
Diskushernie, wie das Eidg. Versicherungsgericht bereits in RKUV 1988
Nr. U 58 S. 375 im Zusammenhang mit den Bandläsionen nach Art. 9 Abs. 2
lit. g UVV festgestellt hat.

Erwägung 6

    6.- Können Lumbago und Diskushernie unter keine der in Art. 9 Abs. 2
UVV aufgezählten unfallähnlichen Körperschädigungen subsumiert werden,
so fragt es sich weiter, ob die Nichtaufnahme in die Liste gesetz- oder
verfassungsmässig ist.
   a) (Überprüfung der Verordnungen des Bundesrates)

    b) Gemäss Art. 6 Abs. 2 UVG wurde der Bundesrat ermächtigt,
Körperschädigungen, die den Folgen eines Unfalles ähnlich sind, in
die Versicherung einzubeziehen. Diese Delegationsnorm enthält keine
Richtlinien über die Art und Weise, wie von der Ermächtigung Gebrauch
zu machen sei. Mit einer solchen Delegation wurde dem Bundesrat ein sehr
weiter Spielraum des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsstufe und
namentlich die Kompetenz eingeräumt, die unfallähnlichen Körperschädigungen
unter Beachtung der durch das Willkürverbot gesetzten Grenzen in einer
abschliessenden Liste zu umschreiben. Aufgrund dieser Befugnis war der
Bundesrat frei, im Sinne einer Abgrenzung Körperschädigungen in die Liste
aufzunehmen, "die juristisch nicht den Unfällen und medizinisch nicht den
Krankheiten" (MAURER, Recht und Praxis der schweizerischen obligatorischen
Unfallversicherung, 2. Aufl., 1963, S. 100) zugezählt werden können.

    c) In Anbetracht des dem Bundesrat eingeräumten Auswahlermessens (vgl.
IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, 6. Aufl.,
S. 405) sowie des Umstandes, dass der Beachtung medizinischer Erfahrungen
bei der Bezeichnung unfallähnlicher Körperschädigungen wesentliche
Bedeutung beizumessen war, übt das Eidg. Versicherungsgericht bei der
Überprüfung von Art. 9 Abs. 2 UVV auf die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit
grundsätzlich Zurückhaltung (BGE 114 V 304 Erw. 4c).

    Bei der Lumbago handelt es sich um ein klar umschriebenes
selbständiges Krankheitsbild. Dieses umfasst entsprechend der vieldeutigen
Diagnose verschiedenartige Erkrankungen, welche grundsätzlich in den
Leistungsbereich der Krankenversicherung fallen. Das Erscheinungsbild
der Lumbago unterscheidet sich in den meisten Fällen unzweideutig von
jenem unfallähnlicher Körperschädigungen. Dies gilt insbesondere auch
für die klar diagnostizierbare Diskushernie. Damit steht der Ausschluss
der Lumbago und der Diskushernie aus der Liste gemäss Art. 9 Abs. 2
UVV deren Zweck nicht entgegen, die oft schwierige Abgrenzung zwischen
Unfall und Krankheit zugunsten des Unfallversicherten aus Beweis-
und Praktikabilitätsgründen zu vermeiden (BGE 114 V 301 Erw. 3c;
RKUV 1988 Nr. U 57 S. 373 Erw. 4b). Eine unbegründete rechtliche
Unterscheidung ist darin angesichts der medizinischen Fakten nicht zu
erblicken. Der Ausschluss der Lumbago und der Diskushernie aus der Liste
der unfallähnlichen Körperschädigungen erweist sich somit als gesetz-
und verfassungsmässig.

Erwägung 7

    7.- Beim Beschwerdeführer wurde von Dr. U. im Arztzeugnis vom 22. Juli
1987 klar eine akute Thoraco-Lumbalgie nach Heben einer schweren Last
diagnostiziert. Sie kann nach dem Gesagten weder unter die Muskelzerrungen
gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. e UVV noch sonst unter eine der in dieser Liste
enthaltenen unfallähnlichen Körperschädigungen subsumiert werden. Sodann
bestehen aufgrund der Akten, namentlich auch der nachträglich aufgelegten
Röntgenbilder des Dr. U. (vom 8. Februar 1989), keine Anhaltspunkte dafür,
dass neben der Thoraco-Lumbalgie als selbständiger Befund z.B. noch eine
Muskelzerrung vorliegen könnte und deswegen zusätzliche Abklärungen
vorzunehmen wären. Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob
ein krankhafter Vorzustand bestand oder nicht, spielt im vorliegenden
Zusammenhang keine Rolle. Denn auch bei einer auf Krankheits- oder
Abnützungserscheinungen basierenden Beeinträchtigung kann eine plötzliche
schädigende Einwirkung auftreten, welche allenfalls eine unfallähnliche
Körperschädigung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 UVV verursacht (BGE 114
V 301 Erw. 3c). Ergänzende Abklärungen betreffend das Fehlen eines
krankhaften Vorzustandes, wie sie vom Beschwerdeführer beantragt werden,
erübrigen sich somit ebenfalls.

    Eine Leistungspflicht der ELVIA im Zusammenhang mit der vom
Beschwerdeführer erlittenen Thoraco-Lumbalgie ist zu verneinen. Der
Einspracheentscheid vom 12. Oktober 1987 und im Ergebnis auch der
angefochtene vorinstanzliche Entscheid bestehen zu Recht.