Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IV 97



116 IV 97

19. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. Juli
1990 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell
A.Rh. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Bedingter Strafvollzug.

    Die resozialisierende Wirkung des Vollzugs kurzer Freiheitsstrafen
ist zwar umstritten, doch kann der Vollzug solcher Strafen namentlich
gegenüber an sich sozial integrierten Tätern, die sich noch nie im
Strafvollzug befunden haben, eine Schock- und Warnungswirkung zeitigen. Der
Richter hat zu prüfen, ob der von ihm angeordnete Vollzug einer früheren
Freiheitsstrafe von kurzer Dauer auf den Täter eine solche Wirkung habe,
und er muss eine allfällige Schock- und Warnungswirkung im Rahmen seiner
Entscheidung über die Gewährung des bedingten Vollzugs hinsichtlich der
neuen Strafe mitberücksichtigen (E. 2b).

Sachverhalt

    A.- Am 31. Januar 1989, um 23.15 Uhr, fuhr K. mit seinem PW auf der
Weidstrasse von Heiden Dorfzentrum in Richtung Weid. Er geriet auf der
leicht ansteigenden asphaltierten Nebenstrasse bei guten Verhältnissen
im Bereich einer Rechtskurve in einen links der Strasse angebrachten
Eisenzaun. Am Zaun und am Fahrzeug entstand Sachschaden im Betrag von
je ca. Fr. 1'000.--. K. fuhr nach Hause, ohne sich um den Schaden zu
kümmern. Am 1. Februar 1989, um 9.10 Uhr, meldete der Geschädigte L. der
Polizei den Schaden am Zaun. Aufgrund von Spuren und Aussagen von Nachbarn
konnte K. noch am gleichen Vormittag als der fehlbare Fahrzeuglenker
ausfindig gemacht werden. Da K. um ca. 11.00 Uhr, anlässlich der ersten
Kontaktnahme, deutliche Anzeichen von Alkoholisierung (Alkoholgeruch)
aufwies, musste er sich einem Alcotest unterziehen. Dieser verlief
positiv. Die Analyse der ihm daraufhin abgenommenen Blutprobe ergab
eine Blutalkoholkonzentration von 0,31 bis 0,41 Gew.-%o im Zeitpunkt der
Blutentnahme und damit eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,3
Gew.-%o zur Zeit der Fahrt. Bei Berücksichtigung des von K. anlässlich
seiner Einvernahme durch das Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh. vom
22. Februar 1989 nachträglich geltend gemachten Nachtrunks von 50 bis
100 g Cognac ergibt sich, je nach Variante, eine durchschnittliche
Blutalkoholkonzentration von 0,7 bis 1,0 Gew.-%o zur Zeit der Fahrt.

    B.- Das Obergericht von Appenzell A.Rh. sprach K. am 12. Dezember
1989 des Nichtbeherrschens des Fahrzeugs (Art. 31 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 90 Ziff. 1 SVG), des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall (Art. 51
Abs. 3 in Verbindung mit Art. 92 Abs. 1 SVG) sowie der Vereitelung einer
Blutprobe (Art. 91 Abs. 3 SVG) schuldig und verurteilte ihn deswegen zu
einer unbedingten Gefängnisstrafe von vier Wochen sowie zu einer Busse
von Fr. 1'500.--. Es widerrief zudem den K. mit Strafverfügung des
Verhöramtes von Appenzell A.Rh. vom 25. Juni 1987 gewährten bedingten
Strafvollzug hinsichtlich einer Gefängnisstrafe von zwei Wochen wegen
Fahrens in angetrunkenem Zustand.

    C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
den Anträgen, der Entscheid des Obergerichts von Appenzell A.Rh. vom
12. Dezember 1989 sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung
vom Vorwurf der Vereitelung einer Blutprobe, eventuell zur Gewährung
des bedingten Strafvollzugs und zum Verzicht auf den Widerruf des ihm
am 25. Juni 1987 gewährten bedingten Strafvollzugs an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. wurde zu einer
Vernehmlassung zur Frage der Gewährung des bedingten Strafvollzugs
eingeladen. Sie beantragt die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde auch
in diesem Punkt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- b) Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass ihm unter den
gegebenen Umständen jedenfalls in bezug auf die neue Gefängnisstrafe von
vier Wochen der bedingte Vollzug gewährt werden müsse.

    Die Vorinstanz hat nicht übersehen, dass der Beschwerdeführer
sich nicht im Spezialrückfall befindet. Sie hat zutreffend ausgeführt,
dass es sich aber bei der Vereitelung einer Blutprobe und dem Fahren in
angetrunkenem Zustand um ähnliche Tatbestände handelt. Das gilt gerade
in einem Fall der vorliegenden Art, in dem der Fahrzeuglenker zur Zeit
der Fahrt bzw. des Unfalls unbestrittenermassen Alkohol im Körper hatte.

    Die Vorinstanz weist darauf hin, dass gemäss BGE 100 IV 194 f. ein
genügender Grund für eine schlechte Prognose schon dann gegeben sei,
wenn jemand nach einer früheren Verurteilung - auch unter Gewährung
des bedingten Strafvollzugs - auf gleichem oder ähnlichem Gebiet
erneut straffällig geworden ist. Diese Rechtsprechung ist indessen
durch neueste Entscheide, gerade auch auf dem Gebiet des Fahrens in
angetrunkenem Zustand, relativiert worden (siehe BGE 115 IV 81, 85;
vgl. auch STRATENWERTH, Strafrecht, Allg. Teil II, § 4 N 62).

    Das Obergericht hat entgegen einem Einwand in der
Nichtigkeitsbeschwerde nicht ausser acht gelassen, dass nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung (siehe BGE 107 IV 91 zu Art. 41
Ziff. 3 Abs. 2 StGB) bei der Beurteilung der Bewährungsaussichten im
Sinne von Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB die zu erwartenden Wirkungen des
angeordneten Vollzugs der zweiwöchigen Gefängnisstrafe gemäss Entscheid
des Verhöramtes von Appenzell A.Rh. vom 25. Juni 1987 mitberücksichtigt
werden müssen. Es erwartet aber vom Vollzug dieser kurzen zweiwöchigen
Gefängnisstrafe allein keine dauernde Bewährung des Beschwerdeführers. Zur
Begründung hält es fest, dass erstens die resozialisierende Wirkung
von kurzen Freiheitsstrafen (bis zu drei Monaten) stark umstritten sei,
dass zweitens zudem der automobilistische Leumund des Beschwerdeführers
getrübt sei und dessen Verurteilung wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand
im Zeitpunkt der Gegenstand des angefochtenen Entscheides bildenden Taten
nur rund zwei Jahre zurückgelegen habe und dass drittens im vorliegenden
Fall nicht unvorhergesehene Umstände dazu geführt hätten, dass sich
der Beschwerdeführer nach dem Konsum von Alkohol in drei verschiedenen
Gasthäusern noch zwecks Heimfahrt ans Steuer seines Wagens gesetzt habe.

    Es besteht Anlass zur Annahme, dass der im angefochtenen Urteil
an erster Stelle enthaltene Hinweis auf die Zweifelhaftigkeit der
resozialisierenden Wirkung kurzer Freiheitsstrafen für die Verweigerung
des bedingten Vollzugs hinsichtlich der Gefängnisstrafe von vier Wochen
von entsprechender Bedeutung war.

    Es trifft zu, dass die resozialisierende Wirkung kurzer
Freiheitsstrafen umstritten ist (siehe etwa STRATENWERTH, op. cit., §
3 N 19-22; KARL-LUDWIG KUNZ, Die kurzfristige Freiheitsstrafe und die
Möglichkeit ihres Ersatzes, ZStrR 103/1986, S. 182 ff.; KARL-LUDWIG KUNZ
(Hrsg.), Die Zukunft der Freiheitsstrafe, 1989, passim; SCHULTZ, Bericht
und Vorentwurf zur Revision des Allgemeinen Teils ... des Schweizerischen
Strafgesetzbuches, 1987, S. 74 ff.; vgl. auch BGE 99 IV 134, 108 IV 150
oben). Dieser Umstand darf sich aber etwa in einem Fall der vorliegenden
Art, in dem der Widerruf des bedingten Vollzugs hinsichtlich einer früheren
Strafe und die Gewährung des bedingten Vollzugs hinsichtlich einer neuen
Strafe zur Diskussion stehen, nicht zum Nachteil des Angeschuldigten in dem
Sinne auswirken, dass beide Strafen vollzogen werden. Soweit in BGE 98 IV
81 zumindest andeutungsweise eine andere Auffassung vertreten wurde, kann
daran nicht festgehalten werden. Der Vollzug kurzer Freiheitsstrafen kann
sodann namentlich gegenüber an sich sozial integrierten Personen, die sich
noch nie im Strafvollzug befunden haben, eine Schock- und Warnungswirkung
zeitigen (siehe BGE 110 IV 67). Die kurze Freiheitsstrafe gewinnt unter
anderem aus diesem Grunde in neuester Zeit in verschiedenen Ländern wieder
an Wertschätzung (KARL-LUDWIG KUNZ, ZStrR 103/1986, S. 195 ff.).

    Indem die Vorinstanz die Verweigerung des bedingten Vollzugs
hinsichtlich der Gefängnisstrafe von vier Wochen insbesondere auch
mit dem Argument begründete, dass die resozialisierende Wirkung kurzer
Freiheitsstrafen umstritten sei, und sie die Möglichkeit einer Schock-
und Warnungswirkung des von ihr angeordneten Vollzugs der zweiwöchigen
Gefängnisstrafe nicht prüfte, verletzte sie Bundesrecht. Das Argument
der Vorinstanz ist im übrigen insoweit etwas widersprüchlich, als auch
die beiden Strafen von zwei und vier Wochen zusammen noch eine kurze
Freiheitsstrafe darstellen.

    Die Sache ist daher in teilweiser Gutheissung der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde in bezug auf die Frage der Gewährung des
bedingten Vollzugs hinsichtlich der Gefängnisstrafe von vier Wochen an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird zu prüfen haben, ob der von
ihr angeordnete Vollzug der Gefängnisstrafe von zwei Wochen eine Schock-
und Warnungswirkung auf den Beschwerdeführer haben und ob davon eine
dauernde Bewährung des Beschwerdeführers erwartet werden könne.