Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IV 83



116 IV 83

17. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 26. März 1990 i.S. H. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt und Staatsanwaltschaft des
Kantons Solothurn Regeste

    Art. 347 StGB; Ehrverletzung durch Inserat.

    1. Legitimation des Strafantragstellers (E. 1b).

    2. Gerichtsstand bei einer durch das Mittel der Druckerpresse
begangenen Ehrverletzung (E. 3).

    3. Vom gesetzlichen Gerichtsstand darf durch Vereinbarung der
beteiligten Kantone nur aus triftigen Gründen abgewichen werden, wobei
bei Antragsdelikten den Interessen des Verletzten ein besonderes Gewicht
zukommt (E. 4a).

    4. Bedeutung des Begehungs-/Erfolgsortes bei
Presse-Ehrverletzungsdelikten (E. 4c).

Sachverhalt

    A.- In der Juni-Ausgabe 1988 der Sex-Anzeige-Zeitschrift "T."
(Verlag: R. AG, Basel) erschien eine Kontaktanzeige mit Brustbild von H.,
ohne dass dieser davon wusste.

    Am 30. August 1988 erstattete H. bei der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt
Strafanzeige (und Strafantrag) gegen Unbekannt wegen Urkundenfälschung,
Kreditschädigung, Verleumdung und eventuell übler Nachrede sowie gegen
die R. AG wegen Gehilfenschaft zu Kreditschädigung, übler Nachrede
und eventuell Verantwortlichkeit der Presse in Verbindung mit diesen
Straftatbeständen.

    Das ganze Verfahren wurde am 15. November 1988 durch die
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt an den Kanton Solothurn
abgetreten. Da der Erfolg in X./SO (Aufgabeort des Insertionsauftrages
und Wohnort des Anzeigers) eingetreten sei, anerkannte das
Untersuchungsrichteramt Solothurn am 7. Dezember 1988 den Gerichtsstand
in diesem Kanton. Am gleichen Tag eröffnete es dem Anzeiger, dass der
Anzeige gegen die R. AG wegen Gehilfenschaft zu Kreditschädigung und
übler Nachrede keine Folge gegeben werde.

    Eine dagegen gerichtete Beschwerde von H. hiess das Obergericht
des Kantons Solothurn am 1. Februar 1989 teilweise gut und wies das
Untersuchungsrichteramt an, der Anzeige gegen die R. AG wegen übler
Nachrede Folge zu geben; in bezug auf die Kreditschädigung wies es die
Beschwerde ab.

    Seine gegen diesen Entscheid gerichtete eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde wies das Bundesgericht am 24. Mai 1989 ab.

    Mit Eingabe vom 13. Februar 1990 an die Anklagekammer des
Bundesgerichts beantragt H., es sei festzustellen, dass die Behörden
des Kantons Basel-Stadt zur Verfolgung der R. AG wegen Pressedelikten
zuständig seien.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn beantragt, das Gesuch
gutzuheissen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt beantragt Abweisung
des Gesuches.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Gegenstand der Anzeige des Gesuchstellers war zunächst jene
gegen Unbekannt, die - nach dem Entscheid des Bundesgerichts vom 24. Mai
1989 - neben Verleumdung eventuell übler Nachrede als Antragsdelikte auch
den Tatbestand der Urkundenfälschung als Offizialdelikt umfasst, und die
vom Einstellungsbeschluss des Untersuchungsrichters vom 7. Dezember 1988
nicht berührt wurde, sowie jene gegen die R. AG wegen Gehilfenschaft,
eventuell Verantwortlichkeit der Presse.

    Der Untersuchungsrichter des Kantons Solothurn anerkannte am
7. Dezember 1989 auf Ersuchen der Behörden des Kantons Basel-Stadt die
Zuständigkeit der Behörden des Kantons Solothurn bezüglich beider Anzeigen.

    b) Auch wenn mit dieser Anerkennung der Gerichtsstand zwischen den
beiden beteiligten Kantonen nicht mehr streitig ist, ist zwar nicht der
blosse Anzeiger (BGE 71 IV 58 E. 1; SCHWERI, Gerichtsstandsbestimmung,
N 545), wohl aber der Antragsteller berechtigt, den Gerichtsstand für die
Antragsdelikte durch die Anklagekammer bestimmen zu lassen (BGE 88 IV 143
f.; 78 IV 250 ff. E. 2; WAIBLINGER, ZBJV 85, S. 489 f.). Auf das Gesuch
ist daher einzutreten. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft
Basel-Stadt hat der Gesuchsteller seine Rechte durch die Ergreifung von
Rechtsmitteln im Kanton Solothurn keineswegs "verwirkt", denn er strebte
damit ausschliesslich die Durchsetzung seines Anspruches auf Verfolgung
und Bestrafung des Täters der strafbaren Handlung gegen seine Ehre an.

Erwägung 2

    2.- Die Bestimmung des Gerichtsstandes richtet sich danach, was dem
Angeschuldigten vorgeworfen werden kann, d.h. auf Grund der Aktenlage
im Zeitpunkt des Entscheides der Anklagekammer überhaupt in Frage kommt
(BGE 113 IV 109 E. 1 mit Hinweis).

Erwägung 3

    3.- Hauptgegenstand des dem Gesuch zu Grunde liegenden
Strafverfahrens ist eine durch das Mittel der Druckerpresse begangene
Ehrverletzung. Bezüglich dieses Delikts richtet sich der Gerichtsstand
ausschliesslich nach Art. 347 StGB, da die Ehrverletzung durch die Presse
im Inland begangen wurde.

    a) Nach Art. 347 StGB sind bei strafbaren Handlungen, die im Inland
durch das Mittel der Druckerpresse begangen wurden, ausschliesslich die
Behörden des Ortes zuständig, wo die Druckschrift herausgegeben wurde,
sofern der Verfasser unbekannt ist. Ist hingegen der Verfasser bekannt,
so sind die Behörden seines Wohnortes ebenfalls zuständig, wenn dieser
in der Schweiz liegt; aber selbst in diesem Fall wird das Verfahren da
durchgeführt, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde. Die nachträgliche
Ermittlung des Verfassers bleibt daher grundsätzlich ohne Einfluss auf
den Gerichtsstand.

    b) Es ist nicht Sache der Anklagekammer, darüber zu befinden, wer
schliesslich gemäss Art. 27 StGB als Täter zu bestrafen ist; darüber wird
das Strafverfahren Aufschluss zu geben haben.

    c) Als Herausgeber wird im Impressum der Zeitschrift die R. AG
Basel bezeichnet: Die Firmenbezeichnung lässt erkennen, dass der Sitz
der Gesellschaft in Basel ist; Gerichtsstand ist ebenfalls Basel-Stadt;
auch als Postadresse des T.-Verlages wird Basel angegeben.

    Damit steht ohne jeden Zweifel Basel als Herausgabeort der Zeitschrift
fest, womit die Behörden des Kantons Basel-Stadt gemäss Art. 347 StGB
zuständig wären.

    d) Der Gesuchsteller stellte den Strafantrag gegen die R. AG deshalb zu
Recht bei der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt. Damit wurde die Untersuchung
aber zuerst im Kanton Basel-Stadt angehoben. Ein eigentliches Wahlrecht
stand dem Gesuchsteller im vorliegenden Fall nicht zu, da ihm der
Verfasser bzw. Einsender nicht bekannt war.

Erwägung 4

    4.- Als gesetzlicher Gerichtsstand hat nach dem Gesagten sowohl nach
dem damaligen als auch dem heutigen Stand der Ermittlungen Basel-Stadt
zu gelten. Dieser Gerichtsstand ist indessen durch Vereinbarung zwischen
den beiden Kantonen Basel-Stadt und Solothurn geändert worden.

    Da inzwischen keine neuen Tatsachen bekanntgeworden sind bzw. die
Verhältnisse sich seit der Anerkennung nicht grundlegend geändert haben -
der Verfasser bzw. Aufgeber des Inserates konnte bis zum heutigen Tag
nicht ermittelt werden -, ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die
abweichende Vereinbarung zulässig war, und nicht, ob eine nachträgliche
Änderung sich aufdränge.

    a) Vom gesetzlichen Gerichtsstand darf nur ausnahmsweise abgewichen
werden, wenn triftige Gründe es gebieten (BGE 88 IV 43 E. 2). Von dieser
Möglichkeit ist zurückhaltend Gebrauch zu machen, denn die Überlegungen,
welche den gesetzlichen Gerichtsstand als unzweckmässig erscheinen lassen,
müssen sich gebieterisch aufdrängen (BGE 86 IV 63 E. 3).

    Vom gesetzlichen Gerichtsstand kann auch durch Vereinbarung unter den
Kantonen abgewichen werden, wenn die strikte Anwendung dieser Regeln ihrem
Zweck zuwiderliefe, der darin besteht, die richtige und rasche Anwendung
des materiellen Strafrechts zu ermöglichen. Die Anklagekammer kann in
diesem Fall nur in die Gerichtsstandsfrage eingreifen, wenn die Kantone
beim Abschluss ihrer Vereinbarung das ihnen dabei naturgemäss zustehende
Ermessen überschritten haben (SCHWERI, aaO, N 410).

    Für die Beurteilung der Frage, ob triftige Gründe eine solche
Abweichung aufdrängen, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu entscheiden,
nicht nach den Überlegungen und Vorstellungen der Behörde, die den
Gerichtsstand anerkannte (SCHWERI, aaO, N 480). Zu berücksichtigen sind
dabei auch die Interessen des Verletzten, denen ein besonderes Gewicht
zukommt, wenn es um Antragsdelikte geht. Könnten die Kantone nämlich nach
Belieben einen abweichenden Gerichtsstand vereinbaren, so hätten sie es in
der Hand, den Verletzten seines Rechtes zu berauben, mittels Strafantrag
die Bestrafung des Täters zu verlangen, da es nach feststehender Praxis
nicht genügt, dass der Strafantrag im einen Kanton gestellt wurde,
um auch einen anderen Kanton zur Strafverfolgung zu verpflichten; denn
das kantonale Recht bestimmt, bei welcher Behörde der Strafantrag zu
stellen und in welchem Verfahren ihm Folge zu geben ist (BGE 89 IV 175,
mit Hinweisen); die richtige Anwendung des materiellen Strafrechts ist
aber in Frage gestellt, wenn zufolge eines im jeweiligen Kanton nach
kantonalem Recht gar nicht oder nicht gültig gestellten Strafantrages
eine Bestrafung des Täters nicht mehr möglich ist.

    b) Die Behörden des Kantons Solothurn übernahmen die beiden Verfahren
nach der Darstellung des Obergerichts des Kantons Solothurn, weil der
Insertionsauftrag nach Ansicht der Basler Behörden in X. der Post übergeben
worden sei und der Anzeiger auch dort wohne; der Erfolg einer allfälligen
strafbaren Handlung sei somit ebenfalls dort eingetreten.

    c) Die Postaufgabe in X. kann im vorliegenden Fall keine Abweichung
vom gesetzlichen Gerichtsstand begründen. Den Akten lassen sich keinerlei
Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Ermittlungen gegen Unbekannt
zu einem konkreten Tatverdacht gegen eine bestimmte Person geführt
haben. Dieser Umstand könnte in bezug auf die Ehrverletzung ohnehin keine
Änderung der nach Art. 347 StGB begründeten Zuständigkeit aufdrängen
(E. 3a).

    Im übrigen besteht bei den Ehrverletzungsdelikten der Verleumdung und
der üblen Nachrede der Erfolg nicht - wie die Gesuchsgegnerinnen offenbar
angenommen haben - in der Kenntnisnahme der ehrenrührigen Äusserung
durch den Verletzten selber, sondern durch Dritte (vgl. SCHWERI, aaO,
N 190). Aber auch unter dem Gesichtspunkt des Erfolges vermöchte weder
der Briefeinwurf noch der Wohnort des Gesuchstellers in X. etwas an der
Zuständigkeit der Basler Behörden zu ändern, denn bei Art. 347 StGB spielt
der Begehungsort (Aufgabe des Inseratenauftrages) keine, der Erfolgsort
(Kenntnisnahme durch Dritte) lediglich ausnahmsweise dann eine Rolle, wenn
sich die Wirkungen der Veröffentlichung im wesentlichen auf das Gebiet
eines Kantons beschränkt haben (BGE 79 IV 57 E. 3); ein "Erfolg" in X.,
wo der Gesuchsteller wohnt, lässt sich in diesem Sinne zwar nicht völlig
ausschliessen, doch gehen diesbezüglich die Interessen des Verletzten
(E. 4a) vor.

    Was die ebenfalls angezeigte Urkundenfälschung betrifft, so ist
für die Bestimmung des Gerichtsstandes für dieses Delikt der Ort, wo
die gefälschte Urkunde der Post übergeben wird, ohne Bedeutung, denn
ausgeführt ist die Urkundenfälschung im Sinne von Art. 346 StGB dort,
wo die Urkunde gefälscht wurde; der Wohnort des Opfers spielt hier keine
Rolle. Bezüglich des eigentlichen Begehungsortes der Urkundenfälschung
lassen sich aber den Akten keinerlei Hinweise entnehmen.

    d) Die Solothurner Behörden gingen daher bei der Anerkennung des
Gerichtsstandes von offensichtlich falschen Voraussetzungen aus, womit
sie ihr Ermessen überschritten. Sie sind daher, auch wenn sie bei der
Anerkennung ihrer Zuständigkeit vollständige Kenntnis der Akten hatten,
unter den gegebenen Umständen bei dieser Anerkennung nicht zu behaften
(vgl. auch SCHWERI, aaO, N 490), insbesondere weil einer solchen
überwiegende gewichtige Interessen des Verletzten entgegenstehen.