Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IV 71



116 IV 71

13. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. März
1990 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Fahren in angetrunkenem Zustand (Art. 91 Abs. 1 SVG); Beteiligung daran
(Art. 24 f. StGB); Überlassen eines Fahrzeugs an eine nicht fahrfähige
Person (Art. 2 Abs. 3 VRV).

    Beim Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand kann nur Täter
sein, wer das Fahrzeug führt. Personen, die nicht massgeblich an der
Führung des Fahrzeugs beteiligt sind, können lediglich, je nach den
konkreten Umständen, wegen Anstiftung oder Gehilfenschaft zu Fahren in
angetrunkenem Zustand und/oder wegen Überlassens eines Fahrzeugs an eine
nicht fahrfähige Person verurteilt werden (Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Am 13. Dezember 1987, um ca. 21.30 Uhr, begaben sich B.  und W. im
PW Fiat 126 der ersteren nach Gerlafingen. Sie hielten sich dort in einem
Restaurant auf, wo sie gemeinsam alkoholische Getränke konsumierten.
Schon zum Mittagessen und zum Abendessen hatten sie gemeinsam Alkohol
konsumiert. Bei Wirtschaftsschluss, um ca. 23.30 Uhr, verliessen sie
zusammen mit andern Gästen das Lokal. W., die keinen Führerausweis besass,
nahm auf dem Fahrersitz des PW Fiat 126 Platz. Zu den beiden Frauen
gesellte sich A., der von ihnen nach Hause gefahren werden wollte und im
Fond des Wagens Platz nahm. Als W. mit übersetzter Geschwindigkeit auf der
Hauptstrasse in Biberist fuhr, kam der PW Fiat 126 in einer Linkskurve
ins Schleudern. Der Wagen geriet auf die linke Fahrbahnhälfte und
kollidierte mitten auf der Emmenbrücke mit dem korrekt entgegenkommenden
Wagen des S. Infolge des heftigen Zusammenstosses erlitten die beiden
Fahrzeuglenker sowie die Mitfahrer B. und A. mittelschwere bis schwere
Verletzungen. An beiden Fahrzeugen entstand Totalschaden. Die Analyse der
W. und B. um 01.55 Uhr bzw. um 01.40 Uhr abgenommenen Blutproben ergab
Blutalkoholkonzentrationen von 1,52-1,68 Gewichtspromille (für W.) bzw.
1,81-2,01 Gewichtspromille (für B.) im Zeitpunkt der Blutentnahmen.

    B.- Der Amtsgerichtspräsident von Bucheggberg-Kriegstetten
sprach die Fahrzeughalterin B., die auf dem Beifahrersitz gesessen
war, am 26./29. August 1988 des Fahrens in angetrunkenem Zustand, des
Überlassens eines Personenwagens an eine Person ohne Führerausweis sowie
der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig und verurteilte sie
deswegen zu einer Gefängnisstrafe von 7 Wochen, bedingt vollziehbar bei
einer Probezeit von 2 Jahren. Die Strafkammer des Obergerichts des Kantons
Solothurn bestätigte am 13./25. September 1989 auf die Appellation
der Verurteilten hin den erstinstanzlichen Entscheid im Schuld- und
im Strafpunkt.

    C.- Die Verurteilte ficht den Entscheid des Solothurner Obergerichts
vom 13./25. September 1989 sowohl mit staatsrechtlicher Beschwerde als
auch mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde an. Mit der letzteren
stellt sie den Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die
Sache zu ihrer Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Obergericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit
darauf überhaupt eingetreten werden kann. Die Staatsanwaltschaft hat auf
Vernehmlassung verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Das Obergericht ging unter Berufung auf BGE 98 IV 15 und
113 IV 84 davon aus, dass Mittäterschaft zu Fahren in angetrunkenem
Zustand möglich ist und dass als Mittäter insbesondere der mitzechende
Fahrzeughalter qualifiziert werden kann, der seinen Wagen einem
angetrunkenen Zechkumpan überlässt und selber im Wagen als Passagier
mitfährt. Es sprach die Beschwerdeführerin, die diese Voraussetzungen
erfüllte, daher des Fahrens in angetrunkenem Zustand schuldig. Die
Beschwerdeführerin leistete nach den weiteren Ausführungen im angefochtenen
Entscheid durch die Überlassung ihres Wagens an die angetrunkene W.,
die zudem, wie die Beschwerdeführerin jedenfalls bei pflichtgemässer
Aufmerksamkeit wissen konnte (Art. 95 Ziff. 1 Abs. 3 SVG), keinen
Führerausweis besass, schuldhaft einen Tatbeitrag, der für den von W.
verursachten Verkehrsunfall und dessen Folgen natürlich und adäquat
kausal war.
   ...

Erwägung 3

    3.- a) Das Bundesgericht hat in BGE 98 IV 11 ff., der die Verurteilung
des mit dem angetrunkenen Lenker mitfahrenden Fahrzeughalters
wegen fahrlässiger Körperverletzung zum Gegenstand hatte, in einer
knappen Erwägung im Zusammenhang mit der Frage der Konkurrenz zwischen
Beteiligung an Fahren in angetrunkenem Zustand einerseits und Überlassen
eines Fahrzeugs an einen nicht fahrfähigen Führer (Art. 2 Abs. 3 VRV)
andererseits festgehalten, dass wegen Mittäterschaft zu Fahren in
angetrunkenem Zustand nicht nur derjenige zur Rechenschaft zu ziehen
sei, der sein Fahrzeug einem angetrunkenen Führer überlässt, sondern
beispielsweise auch der für seine Kollegen bestimmende Anführer
eines Trinkgelages (S. 15). SCHULTZ warf unter Hinweis auf einen
vom Bundesgericht auf die Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten hin
bestätigten Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt (BJM
1971 S. 192) die Frage auf, ob in solchen Fällen wirklich Mittäterschaft
und nicht nur Gehilfenschaft vorliege (ZBJV 109/1973 S. 429; SCHULTZ,
Rechtsprechung und Praxis zum Strassenverkehrsrecht in den Jahren
1968-1972, S. 164 oben). Der genannte Autor hält an anderer Stelle fest,
dass unter anderem beim Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand
nur derjenige Täter sein kann, welcher das Fahrzeug führt (SCHULTZ, Die
strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht, 1968,
S. 217; SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des SVG, S. 130). Dieser Auffassung
ist mit eingehender Begründung auch REHBERG ("Fremdhändige" Täterschaft bei
Verkehrsdelikten? in Lebendiges Strafrecht, Festgabe Schultz 1977, S. 72
ff., 82). Nach der herrschenden Lehre und Rechtsprechung in Deutschland
kann nur der Fahrzeugführer beim Tatbestand der Trunkenheit im Verkehr
(§ 316 dt. StGB) Täter sein (JAGUSCH/HENTSCHEL, Strassenverkehrsrecht,
30. Auflage, 1989, N. 34 zu § 316; LEIPZIGER KOMMENTAR (Rüth), 10. Auflage,
1988, N. 122 zu § 316 dt. StGB). Das Bundesgericht hat in BGE 113 IV 84
offengelassen, ob der an der Führung des Fahrzeugs nicht massgeblich
Beteiligte Mittäter bei Fahren in angetrunkenem Zustand sein kann; in
jenem Fall kam eine Verurteilung wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand
(als Mittäter) ohnehin nicht in Betracht.

    b) Das Bundesgericht schliesst sich in Änderung seiner Rechtsprechung
der Auffassung an, dass beim Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem
Zustand Täter nur sein kann, wer das Fahrzeug führt. Ob man diese Straftat
als "Sonderdelikt" oder als "eigenhändiges Delikt" qualifizieren will,
kann hier dahingestellt bleiben. Art. 91 Abs. 1 und 2 sowie Art. 31 Abs. 2
SVG richten sich erkennbar allein an den Fahrzeugführer. Insoweit besteht
kein Unterschied zu Art. 58 MFG, auf den BGE 75 IV 189 E. 1 und auch
BGE 68 IV 31 Bezug nehmen. Dass das Verschulden des Dritten angesichts
von dessen Tatbeitrag und Interesse an der Fahrt allenfalls mindestens
gleich schwer wiegt wie das Verschulden des angetrunkenen Fahrzeugführers,
erlaubt es nicht, ihn kurzerhand als Mittäter zu qualifizieren. Die vom
angetrunkenen Fahrzeugführer ausgehende Gefahr ist nicht Tatbestandsmerkmal
von Art. 91 SVG; daher kann derjenige, welcher etwa als bestimmender
Anführer eines Trinkgelages oder dadurch, dass er sein Fahrzeug einem
Angetrunkenen überliess, einen Beitrag zu dieser Gefahr leistete, nicht
unter Hinweis darauf als Mittäter zu Fahren in angetrunkenem Zustand
verurteilt werden. Der nicht massgeblich an der Führung des Fahrzeugs
Beteiligte kann, je nach den Umständen, lediglich als Anstifter oder
Gehilfe zu Fahren in angetrunkenem Zustand verurteilt werden. Überlässt
er ein Fahrzeug dem Angetrunkenen, so erfüllt er dadurch den Tatbestand
von Art. 2 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 96 VRV. Dieser Tatbestand kann,
je nach den Umständen, zu Anstiftung oder Gehilfenschaft zu Fahren in
angetrunkenem Zustand in echter Konkurrenz stehen (vgl. dazu BJM 1971,
S. 192).

    c) Die Beschwerdeführerin erfüllte durch die Überlassung ihres
Fahrzeugs an die angetrunkene W. den Tatbestand von Art. 2 Abs. 3 in
Verbindung mit Art. 96 VRV. Ob sie darüber hinaus auch den Tatbestand der
Anstiftung oder der Gehilfenschaft zu Fahren in angetrunkenem Zustand
erfüllt habe, kann mangels hinreichender diesbezüglicher tatsächlicher
Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht entschieden werden. Die Sache
ist insoweit zur Ergänzung des Sachverhalts und zur neuen Entscheidung
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird gegebenenfalls auch darüber
zu befinden haben, in welchem Konkurrenzverhältnis das Überlassen des
Fahrzeugs an einen nicht fahrfähigen Führer zur allfälligen Teilnahme
(Anstiftung oder Gehilfenschaft) zu Fahren in angetrunkenem Zustand steht.