Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IV 353



116 IV 353

65. Urteil des Kassationshofes vom 28. September 1990 i.S. M. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 397 StGB. Voraussetzungen der Revision.

    1. Tat- und Rechtsfragen (E. 2b).

    2. Die Neuheit einer Tatsache kann nicht mit der Begründung verneint
werden, der Gesuchsteller berufe sich zu deren Beweis auf ein altes
Beweismittel (E. 3a).

    3. Ein in einem ersten Wiederaufnahmeverfahren mangels Erheblichkeit
abgelehnter Revisionsgrund darf zusammen mit anderen neuen Tatsachen
oder Beweismitteln (zwecks einer Gesamtwürdigung) in einem zweiten
Revisionsgesuch vorgebracht werden (E. 3b).

    4. Unterschied zwischen dem Bewilligungsverfahren und dem
wiederaufgenommenen Verfahren (E. 4b).

    5. Beim Begriff der Erheblichkeit stellen sich zwei Teilfragen:
einerseits die nach den Anforderungen, die an den Nachweis der neuen
Tatsache und auch das Vorhandensein des neuen Beweismittels zu stellen
sind, und anderseits jene nach der Wahrscheinlichkeit der Veränderung
des Sachverhalts (E. 4c).

    6. Eine neue Tatsache hat als nachgewiesen zu gelten, wenn deren
Nachweis möglich, d.h. nicht ausgeschlossen ist (E. 4d-f; Änderung und
Präzisierung der Rechtsprechung).

    7. Eine Veränderung des Sachverhalts, die zu einem günstigeren Urteil
führt, muss wahrscheinlich sein (E. 5a; Präzisierung der Rechtsprechung).

    8. Werden mehrere neue Tatsachen geltend gemacht, müssen sie in einer
Gesamtwürdigung beurteilt werden (E. 5b).

Sachverhalt

    A.- M. wurde vom Bezirksgericht Baden am 20. Dezember 1983 wegen
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus
und zu einer Busse von Fr. 2'000.-- verurteilt. Das Obergericht des
Kantons Aargau wies am 13. Juni 1984 eine Berufung des Verurteilten ab,
hiess gleichzeitig diejenige der Staatsanwaltschaft gut und ordnete
zusätzlich eine Landesverweisung auf Lebenszeit an. Gegen die Anordnung
der Landesverweisung sowie gegen die Verweigerung des bedingten Aufschubs
deren Vollzugs führte M. vor Bundesgericht erfolglos Beschwerde.

    Der bezirks- und obergerichtlichen Verurteilung liegt die Aussage
von C. zugrunde, er habe von M. als Bote eines P. in den Räumen des
türkischen Clublokals in Baden im Februar 1983 zweimal je 50 Gramm Heroin
entgegengenommen; gleichzeitig hatte E. ausgesagt, er habe auf Geheiss
des P. Mitte März 1983 bei M. Fr. 4'000.-- abgeholt und davon Fr. 3'500.--
auf das Konto einer türkischen Bank in Zürich einbezahlt.

    B.- In einem ersten Wiederaufnahmeverfahren rief der Verurteilte als
Revisionsgrund den Widerruf der Aussagen durch C. an. Am 20. November
1986 wies das Obergericht des Kantons Aargau dieses Gesuch ab mit der
Begründung, der Widerruf der Aussagen durch den Zeugen C. sei unglaubwürdig
und seine ursprünglichen Aussagen glaubhafter.

    Auf die dagegen gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde trat das
Bundesgericht am 15. Januar 1987 nicht ein; die staatsrechtliche Beschwerde
wies es am 16. März 1987 ab.

    C.- Ein zweites Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens wies das
Obergericht des Kantons Aargau am 15. September 1989 ab.

    D.- M. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache "zu neuer Prüfung
und/oder Gutheissung der Wiederaufnahme im Sinne der bundesgerichtlichen
Erwägungen" an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau liess sich mit dem Antrag
auf Abweisung der Beschwerde vernehmen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Während sich das erste Wiederaufnahmegesuch nur auf einen
Revisionsgrund gestützt hatte (Widerruf seiner Aussagen durch C. selbst),
machte der Beschwerdeführer im zweiten Gesuch drei verschiedene
Revisionsgründe geltend:

    a) Bereits zu Beginn der Untersuchung gegen ihn (M.) habe C. sich
gegenüber Dritten dahin geäussert, er habe ihn zu Unrecht belastet;
als Beweismittel wird der Zeuge N. angerufen, der Zellennachbar von
C. gewesen war;

    b) C. sei geisteskrank, d.h. er habe bereits bei seinen ersten
belastenden Aussagen an Schizophrenie gelitten, was durch zwei
psychiatrische Gutachten belegt werde;

    c) Er (der Beschwerdeführer) sei nie an einem Samstagabend im
genannten, nur am Freitag, Samstag und Sonntag geöffneten Türkenlokal
in Baden gewesen, so dass es ausgeschlossen sei, dass C. gemäss seiner
Aussage ihn dort an einem Tag kennengelernt und ihm am darauffolgenden
Tag das Heroin übergeben habe.

    Mit der Nichtigkeitsbeschwerde wird gerügt, die Vorinstanz habe
Art. 397 StGB verletzt, wenn sie die Wiederaufnahme des Verfahrens zu
seinen Gunsten nicht bewilligt habe.

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 397 StGB ist die Wiederaufnahme des Verfahrens
zugunsten des Verurteilten zuzulassen, wenn erhebliche neue Tatsachen oder
Beweismittel vorliegen. Erheblich sind neue Tatsachen oder Beweismittel,
wenn sie geeignet sind, die Beweisgrundlage des früheren Urteils so zu
erschüttern, dass aufgrund des veränderten Sachverhalts ein wesentlich
milderes Urteil möglich ist (BGE 92 IV 179 mit Hinweisen) oder ein
Teilfreispruch in Betracht kommt (BGE 101 IV 317).

    b) Mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde können nur Rechts-,
nicht aber Tatfragen aufgeworfen werden (Art. 269 Abs. 1 und 277bis Abs. 1
Satz 2 BStP).

    Rechtsfrage ist, ob die letzte kantonale Instanz von den richtigen
Begriffen der "neuen Tatsache", des "neuen Beweismittels" und deren
"Erheblichkeit" im Sinne von Art. 397 StGB ausgegangen ist. Ob eine
Tatsache oder ein Beweismittel dem Sachrichter bekannt war oder neu
ist, ist eine Tatfrage; ebenso, ob eine neue Tatsache oder ein neues
Beweismittel geeignet sei, die tatsächlichen Grundlagen des Urteils
zu erschüttern, dessen Revision verlangt wird (BGE 109 IV 173 mit
Hinweisen). Rechtsfrage ist dagegen wieder, ob die voraussichtliche
Veränderung der tatsächlichen Grundlagen rechtlich relevant ist,
d.h. zu einem im Schuld- oder Strafpunkt für den Verurteilten günstigeren
Urteil führen kann (vgl. dazu ADAM-CLAUS ECKERT, Die Wiederaufnahme des
Verfahrens im schweizerischen Strafprozessrecht, Berlin 1974, S. 58;
JÖRG REHBERG, Der Anfechtungsgrund bei der Nichtigkeitsbeschwerde an
den Kassationshof des Bundesgerichts, ZStrR 94/1975 II, S. 390 ff.; HANS
WALDER, Die Wiederaufnahme des Verfahrens in Strafsachen nach Art. 397
StGB, insbesondere aufgrund eines neuen Gutachtens, Berner Festgabe zum
Schweizerischen Juristentag 1979, S. 348).

Erwägung 3

    3.- Der erste der drei geltend gemachten Revisionsgründe (E.  1 lit. a)
betrifft die Frage der neuen Tatsache. Im angefochtenen Urteil erachtete
die Vorinstanz die mit diesem Revisionsgrund aufgestellte Behauptung
als keine neue Tatsache und den Zeugen N. ebensowenig als ein neues
Beweismittel; der Beschwerdeführer habe bereits im ursprünglichen
Strafverfahren vor Obergericht die Einvernahme dieses Zeugen beantragt;
der Antrag sei abgelehnt worden; im ersten Wiederaufnahmeverfahren habe
der Beschwerdeführer erneut auf diesen Zeugen hingewiesen; das neue
Wiederaufnahmebegehren lasse sich aber nicht auf dasselbe Beweismittel
stützen und zwar auch dann nicht, wenn die Einvernahme des Zeugen aufgrund
antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt worden sei.

    a) Neu sind Tatsachen und Beweismittel, die dem Gericht zur Zeit des
früheren Verfahrens nicht bekannt waren (Art. 397 StGB), d.h. ihm überhaupt
nicht in irgendeiner Form zur Beurteilung vorlagen (BGE 92 IV 179 und 80
IV 42; vgl. auch BGE 99 IV 183). Sie müssen nur für das Gericht, nicht
aber für den gesuchstellenden Verurteilten neu sein (BGE 69 IV 138 E. 4
und ständige Rechtsprechung; ECKERT, aaO, S. 53).

    In diesem Sinne war die Behauptung, der Zeuge C. habe sich
bereits im Stadium der damaligen gegen den Beschwerdeführer geführten
Untersuchung gegenüber einem Dritten dahin geäussert, er habe den
Beschwerdeführer zu Unrecht wegen Handels mit Heroin belastet, im ersten
Wiederaufnahmeverfahren neu. Denn im ursprünglichen Strafverfahren vor
Obergericht hatte sich der Beschwerdeführer zwar auf den Zeugen N. berufen,
ohne aber eine konkrete Tatsache zu behaupten, die dieser bezeugen
könne. Die Tatsachenbehauptung lag also dem Richter im ursprünglichen
Verfahren nicht zur Beurteilung vor, sondern wurde erstmals im ersten
Wiederaufnahmeverfahren im Plädoyer vorgebracht. Dass die behauptete
Tatsache mit einem bereits früher angerufenen Beweismittel - nämlich
dem Zeugen N. - unter Beweis gestellt werden sollte, ändert nichts an
ihrer Neuheit. Denn der Beschwerdeführer berief sich nicht auf ein neues
Beweismittel als Wiederaufnahmegrund, sondern auf eine neue Tatsache,
weshalb die Zulässigkeit der Wiederaufnahme unter diesem Gesichtspunkt
zu prüfen und zu bejahen war (so für die umgekehrte Situation eines
neuen Beweismittels für eine alte Tatsache: BGE 80 IV 42). Im ersten
Wiederaufnahmeverfahren wurde das Vorbringen denn auch nicht mangels
Neuheit, sondern wegen fehlender Erheblichkeit nicht als Revisionsgrund
anerkannt, weshalb das Bundesgericht das rechtliche Gehör nicht als
verletzt betrachtete.

    Die Vorinstanz verneinte daher zu Unrecht die Neuheit der Tatsache.

    b) Zu prüfen bleibt indessen, ob und wieweit eine neue Tatsache, die
in einem ersten Wiederaufnahmeverfahren als nicht erheblich bezeichnet
wurde, in einem zweiten Gesuch als Wiederaufnahmegrund erneut angerufen
werden kann.

    Die erneute Anrufung der gleichen neuen Tatsache oder des gleichen
neuen Beweismittels in einem zweiten Wiederaufnahmegesuch ist jedenfalls
dann nicht zulässig, wenn damit der frühere Antrag nur wiederholt
wird. Früher mangels Erheblichkeit abgelehnte Wiederaufnahmegründe
können dagegen zusammen mit anderen neuen Tatsachen oder Beweismitteln
ein weiteres Mal vorgebracht werden, wenn sie gemeinsam mit den
anderen neuen Tatsachen oder Beweismitteln erheblich sein können. Die
Ablehnung eines Wiederaufnahmegesuchs verbraucht den geltend gemachten
Wiederaufnahmegrund nicht (KLAUS WASSERBURG, Die Funktion des
Grundsatzes "in dubio pro reo" im Additions- und Probationsverfahren,
ZStW 94/1982, S. 936/7; KLEINKNECHT/MEYER, Strafprozessordnung,
39. A., § 372 N 9; LÖWE/ROSENBERG/GÖSSEL, Die Strafprozessordnung
und das Gerichtsverfassungsgesetz, 24. Aufl., § 370 N 20 und § 372
N 22; vgl. auch Obergericht Zürich, ZR 65/1966 N 91). Die Vorinstanz
verletzte daher Bundesrecht, wenn sie die Erheblichkeit der bereits im
ersten Wiederaufnahmeverfahren geltend gemachten neuen Tatsache, die im
zweiten Gesuch zusammen mit anderen Revisionsgründen angerufen wurde,
nicht erneut prüfte.

Erwägung 4

    4.- Beim zweiten Revisionsgrund (E. 1 lit. b) geht es um die Frage
der Erheblichkeit einer neuen Tatsache.

    a) Die Vorinstanz kam zum Schluss, der Beschwerdeführer habe
die von ihm geltend gemachte neue Tatsache der Geisteskrankheit des
Belastungszeugen C. zur Zeit der belastenden Aussagen nicht bewiesen,
weshalb das Wiederaufnahmebegehren abzuweisen sei; die gesundheitliche
Entwicklung des Belastungszeugen C. sei im übrigen unabhängig vom
Nachweis des Zustandes zur Zeit der Einvernahme auch nicht geeignet, einen
Freispruch oder eine erheblich geringere Bestrafung des Beschwerdeführers
zu bewirken. Eine Minderheit des Obergerichts nahm demgegenüber an,
dass auch Beweisindizien neue Tatsachen darstellten; die in den beiden
psychiatrischen Berichten relevierten gesundheitlichen Störungen von
C. seien erhebliche, mittelbare Beweise für seine Unglaubwürdigkeit,
zumal bereits seine Aussagen im Jahre 1983, die der Verurteilung des
Gesuchstellers zugrunde gelegen hätten, stark widersprüchlich gewesen
seien.

    b) Bei der Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten eines Verurteilten
ist zwischen dem im Bewilligungsverfahren zu treffenden Entscheid (iudicium
rescindens des gemeinen Rechts) und dem im wiederaufgenommenen Verfahren
zu fällenden neuen Urteil (iudicium rescissorium) zu unterscheiden. Wenn
die Wiederaufnahme bei Vorliegen neuer erheblicher Tatsachen oder
Beweismittel, die geeignet sind, zu einem günstigeren Urteil zu führen,
zuzulassen ist, so bedeutet dies, dass im Bewilligungsverfahren noch
nicht darüber entschieden wird, ob das frühere Urteil tatsächlich durch
ein neues zu ersetzen ist oder nicht; dies hat erst der Richter im
wiederaufgenommenen Verfahren zu entscheiden. Allein dort, wo bereits
in diesem Stadium des Verfahrens sicher ist, dass und wie das frühere
Urteil abzuändern ist (z.B. vollständiger Freispruch, weil der angeblich
Ermordete lebt), unterscheidet sich der Bewilligungsentscheid inhaltlich
nicht vom neu zu fällenden Urteil. Nur in solchen Fällen bedarf es daher
nicht zweier verschiedener Entscheide, wenn die gleiche Instanz für
beide zuständig ist. Das bildet jedoch die Ausnahme. Wenn es lediglich
möglich bzw. wahrscheinlich sein muss, dass das frühere Urteil aufgrund
der neuen Tatsachen oder neuen Beweismittel abzuändern sein wird, so
besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen iudicium rescindens und
iudicium rescissorium (vgl. dazu ADAM-CLAUS ECKERT, aaO, S. 98). Das
kantonale Strafprozessrecht kennt denn auch eine solche Zweiteilung
des Wiederaufnahmeverfahrens in das Bewilligungsverfahren einerseits -
dem seinerseits ein eigentliches Zulassungsverfahren vorausgehen kann
(wie etwa im deutschen Recht: §§ 368, 369 und 370 StPO) und regelmässig
ein Beweisverfahren vorausgeht - und das wiederaufgenommene Verfahren
andererseits (HAUSER, Strafprozessrecht, S. 302 ff. mit Verweisungen).

    Im Bewilligungsverfahren geht es darum, zu entscheiden, ob die
Voraussetzungen dafür vorhanden sind, das Verfahren gegen den Verurteilten
wiederaufzunehmen. Diese ergeben sich zunächst aus Art. 397 StGB,
welche Bestimmung im Sinne einer Minimalgarantie einen selbständigen
bundesrechtlichen Revisionsgrund zugunsten des Verurteilten aufstellt und
deren Verletzung mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde gerügt
werden kann (BGE 106 IV 47 E. 1). - Im übrigen ist dem Inhalte nach kein
wesentlicher Unterschied zwischen dem Revisionsgrund in § 230 Ziff. 1
StPO/AG und jenem des Art. 397 StGB zu erkennen (vgl. dazu DIETER GERSPACH,
Die Wiederaufnahme des Verfahrens im aargauischen Strafprozess, S. 79
ff.). Auch sieht das aargauische Strafprozessrecht eine Zweiteilung des
Verfahrens im beschriebenen Sinne vor, nämlich in einem Zulassungsverfahren
(§ 233; welches dem beschriebenen Bewilligungsverfahren entspricht)
und dem wiederaufgenommenen Verfahren (§ 234 StPO/AG; GERSPACH, aaO,
S. 144 ff. und 151 ff.).

    c) Beim Begriff der Erheblichkeit sind zwei Teilfragen zu
unterscheiden, nämlich jene nach den Anforderungen, die an den Nachweis
der neuen Tatsache und an das Vorhandensein eines neuen Beweismittels zu
stellen sind (dazu nachstehend), und jene nach der Wahrscheinlichkeit der
Veränderung des Sachverhalts, die erforderlich ist, damit eine Revision
zugelassen werden kann (vgl. E. 5 unten).

    d) Nach der ursprünglichen Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE
73 IV 43, zuletzt bestätigt in BGE 86 IV 78) setzte die Bewilligung der
Wiederaufnahme des Verfahrens nicht voraus, dass die neue erhebliche
Tatsache bewiesen wird, sondern genügte es, wenn sie glaubhaft
gemacht war. Diese Praxis wurde in BGE 92 IV 180 E. 2 in dem Sinne
abgeändert, dass "eine neue erhebliche Tatsache dargetan oder ein neues
erhebliches Beweismittel vorhanden" sein müsse. Begründet wurde diese
Praxisänderung einerseits vorwiegend damit, in die Befugnisse der Kantone
zur Regelung des Strafprozessrechtes dürfe nicht eingegriffen werden;
das Bundesrecht hindere die Revisionsinstanz nicht, die Beweisfrage
endgültig zu entscheiden. Andererseits wurde daraus lediglich gefolgert,
ein Wiederaufnahmegesuch dürfe nicht abgewiesen werden, ohne dass
die darüber entscheidende Behörde die zum Nachweis der neuen Tatsache
angeführten Beweise gewürdigt oder das zum Beweis einer alten Tatsache
angerufene neue Beweismittel auf seine Beweiskraft geprüft hat (S. 181).

    Daran, eine endgültige Entscheidung des Revisionsrichters in der
Beweisfrage sei von Bundesrechts wegen nicht ausgeschlossen, kann
nicht festgehalten werden; dies aus den in lit. b oben angeführten
und den nachstehenden Gründen. Im übrigen bedarf die bisherige
Bundesgerichtspraxis der Präzisierung.

    e) Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist, wie dargelegt (E. 2), von
Bundesrechts wegen bereits zuzulassen, wenn ein Novum geeignet ist, die
tatsächlichen Grundlagen des zu revidierenden Urteils so zu erschüttern,
dass ein Freispruch möglich ist. "Möglich" bedeutet hier wahrscheinlich
(vgl. E. 5a unten). Genügt aber bereits die Wahrscheinlichkeit einer
Abänderung des früheren Urteils für die Zulassung der Revision, so darf
der Nachweis einer solchen Wahrscheinlichkeit nicht dadurch verunmöglicht
werden, dass ein jeden begründeten Zweifel ausschliessender Beweis
betreffend die neue Tatsache verlangt wird.

    Dies zeigt das folgende Beispiel: Wird ein neuer Entlastungszeuge
angerufen, so hat der Richter im wiederaufgenommenen Verfahren in
einer möglicherweise schwierigen Abwägung der Glaubwürdigkeit dieses
Zeugen und eines im früheren Verfahren angehörten Belastungszeugen
sowie der Zuverlässigkeit ihrer Aussagen zu entscheiden. Könnte eine
Wiederaufnahme indessen bereits abgelehnt werden, weil der neue Zeuge
für sich allein betrachtet nicht genügend glaubwürdig ist, wäre eine
Gegenüberstellung der Glaubwürdigkeit der Zeugen sowohl im Rahmen der
für die Erheblichkeit vorgesehenen Wahrscheinlichkeitsprüfung als auch
im wiederaufgenommenen Verfahren ausgeschlossen. Auf diese Weise könnte
es bei einer Verurteilung aufgrund eines weniger glaubwürdigen Zeugen
im früheren Verfahren bleiben. Dies zu verhindern, ist aber gerade der
Zweck des Instituts der Revision. Dieser darf nicht durch zu strenge
Anforderungen an den Nachweis einer neuen Tatsache vereitelt werden.

    f) Das angefochtene Urteil ist nach dem Gesagten in diesem Punkte
mit dem Begriff der Erheblichkeit in Art. 397 StGB nicht vereinbar und
daher aufzuheben, weil zu hohe Anforderungen an den Nachweis der neuen
Tatsache gestellt wurden, wenn der Beweis für die Geisteskrankheit des
Zeugen im massgeblichen Zeitpunkt verlangt wurde. Die Vorinstanz wird bei
der neuen Beurteilung des Falles im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens
(Bewilligungsverfahren) zunächst zu prüfen haben, ob es möglich bzw. nicht
auszuschliessen ist, dass die später festgestellte Geisteskrankheit des
Zeugen C. sich bereits auf dessen belastende Aussagen auswirkte. Ist dies
zu bejahen, hat diese neue Tatsache als genügend nachgewiesen zu gelten.

Erwägung 5

    5.- Das Wiederaufnahmegesuch wurde auch mit der Begründung abgewiesen,
die beiden bisher erwähnten neuen Tatsachen wären - auch wenn die eine
als neu und deren Erheblichkeit als erneut zu prüfen bzw. die andere
als genügend nachgewiesen gelten könnte - nicht erheblich. Mangels
Erheblichkeit wurde auch der durch den Beschwerdeführer angerufene dritte
Revisionsgrund (E. 1 lit. c) zurückgewiesen. Dieser stützt sich auf die
Behauptung des Beschwerdeführers, er sei nie an einem Samstagabend im
genannten, nur am Freitag, Samstag und Sonntag geöffneten Türkenlokal
gewesen, so dass es ausgeschlossen sei, dass C. gemäss seiner Aussage
ihn dort an einem Tag kennengelernt und ihm am darauffolgenden Tag das
Heroin übergeben habe. Dabei wurde nur geprüft, ob jede einzelne neue
Tatsache für sich allein erheblich sei, nicht aber ob dies bei allen drei
gesamthaft betrachtet der Fall sei.

    Der Beschwerdeführer bringt dagegen insbesondere vor,
im Wiederaufnahmeverfahren gelte keine Umkehr der Beweislast; der
Verurteilte müsse nicht seine Unschuld beweisen, sondern es müsse wie für
einen Freispruch im ordentlichen Strafprozess genügen, wenn die neuen
entlastenden Tatsachen nicht leichthin umzustossende Zweifel begründen
würden; in Beachtung des auch im Wiederaufnahmeverfahren geltenden
Grundsatzes in dubio pro reo seien alle aufkommenden und begründbaren
Zweifel beachtlich; dabei dürften die einzelnen Elemente nicht isoliert
betrachtet werden, sondern es habe von neuem eine Gesamtwürdigung der
Beweislage zu erfolgen.

    a) Wenn nach der oben in E. 2a zitierten Rechtsprechung des
Bundesgerichts die Wiederaufnahme des Verfahrens zu bewilligen ist,
wenn ein günstigeres Urteil "möglich" ist, so darf dies nicht so
verstanden werden, als sei eine Revision bereits zuzulassen, wenn eine
Änderung des früheren Urteils nicht geradezu als unmöglich oder als
ausgeschlossen betrachtet werden müsse. Möglich ist eine solche Änderung
vielmehr, wenn sie sicher, höchstwahrscheinlich oder wahrscheinlich
ist. In diesem letzten und nicht im ersten Sinne ist der Ausdruck
"möglich" zu verstehen. Eine Revision zugunsten des Verurteilten bereits
zuzulassen, wenn ein günstigeres Urteil nicht ausgeschlossen ist, würde den
Interessenkonflikt zwischen Rechtssicherheit (Bestand des früheren Urteils)
und materieller Gerechtigkeit (Korrektur eines Fehlurteils), der bei der
Festlegung der Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens besteht,
einseitig zu Ungunsten der Rechtssicherheit lösen. Eine solche Lösung wird
denn auch nirgends in der Lehre oder in der Rechtsprechung befürwortet
(vgl. die Ausführungen in rechtsvergleichender Sicht bei WASSERBURG, aaO,
S. 949 ff.). Auch das Bundesgericht verstand dies in seinen bisherigen
Entscheiden nicht in diesem Sinne. Überdies verlangt der Beschwerdeführer
das ebenfalls nicht.

    b) Die Vorinstanz verletzte bei der Prüfung der Erheblichkeit
der geltend gemachten neuen Tatsachen jedenfalls Bundesrecht, indem
sie diese Tatsachen nur einzeln, nicht aber in einer Gesamtwürdigung
beurteilte; ob sie bei der Prüfung der Wahrscheinlichkeit einer Änderung
des zu revidierenden Urteils ebenfalls nicht vom richtigen Begriff der
Erheblichkeit ausging, kann unter diesen Umständen offenbleiben. Ist für
die Bewilligung der Wiederaufnahme, wie dargelegt wurde, entscheidend,
ob die tatsächliche Grundlage des früheren Urteils so erschüttert wird,
dass ein günstigerer Entscheid wahrscheinlich ist, so ist es beim Vorliegen
mehrerer Nova erforderlich, dass, wie der Richter im wiederaufgenommenen
Verfahren alle Umstände des Falles zu berücksichtigen hat, bei der
Bewilligung der Wiederaufnahme geprüft wird, ob, wenn nicht einzelne,
so allenfalls zwei oder mehr Nova zusammen diese Wirkung haben. Das
angefochtene Urteil ist mithin auch insoweit aufzuheben und die Sache
zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.