Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IV 121



116 IV 121

23. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. April 1990 i.S. X.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 68 Ziff. 1 StGB; Anwendbarkeit dieser Bestimmung beim
gewerbsmässigen und beim fortgesetzten Delikt.

    1. Die Anwendung von Art. 68 Ziff. 1 StGB hat bei einem Schuldspruch
wegen gewerbsmässiger Deliktsbegehung grundsätzlich ausser Betracht zu
bleiben. Voraussetzungen einer Abweichung von diesem Prinzip (E. 2b aa).

    2. Der generelle Ausschluss von Art. 68 Ziff. 1 StGB beim fortgesetzten
Delikt lässt sich nicht begründen; er kann zu einem Verstoss gegen das
Schuldprinzip führen (Änderung der Rechtsprechung). Notwendigkeit der
Überprüfung der Rechtsprechung zum fortgesetzten Delikt auch ausserhalb
des Strafzumessungsbereichs (E. 2b cc).

Sachverhalt

    A.- X. war Geschäftsführer der A. AG. In dieser Funktion war er
massgeblich an der Vermittlung von Warentermingeschäften beteiligt, bei
denen verschiedene Kunden zu Schaden kamen. Nachdem er am 17. April 1978
mit weiteren Personen die später in C. AG umbenannte B. AG gegründet
hatte, trat er als Geschäftsführer der A. AG zurück. Im Rahmen der
Aktivitäten der C. AG stellte er einem grösseren Personenkreis profitable
Kapitalanlagen in Aussicht; eine Anlage der in der Folge eingegangenen
Kundengelder erfolgte indessen nie.

    B.- Mit Urteil vom 17. Juni 1987 sprach das Obergericht des Kantons
Zürich X. des wiederholten gewerbsmässigen Betrugs sowie weiterer Delikte
schuldig und verurteilte ihn zu einer Gesamtstrafe von 2 Jahren und 6
Monaten Zuchthaus, abzüglich 43 Tage Untersuchungshaft, und zu einer Busse
von Fr. 1'000.--. Überdies verpflichtete es ihn zur Zahlung zahlreicher
Schadenersatzforderungen.

    C.- Dagegen führt X. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Er
beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur
neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten
ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Zu prüfen bleibt damit nur noch der mit der Nichtigkeitsbeschwerde
erhobene Einwand, die Vorinstanz habe zu Unrecht wiederholten
gewerbsmässigen Betrug angenommen.

    a) Hiezu ist vorweg festzuhalten, dass aus dem angefochtenen Urteil
nicht schlüssig hervorgeht, ob, wie der Beschwerdeführer behauptet,
die Vorinstanz auf der Basis ihrer Annahme, es liege wiederholter
gewerbsmässiger Betrug vor, Art. 68 Ziff. 1 StGB überhaupt angewendet
hat. Da sich weder die Vorinstanz noch die Staatsanwaltschaft zur
Nichtigkeitsbeschwerde geäussert haben, ist jedoch im Zweifel davon
auszugehen, dass die Vorinstanz die dem Beschwerdeführer auferlegte Strafe
nach Art. 68 Ziff. 1 StGB geschärft hat.

    b) Der Beschwerdeführer macht geltend, die wiederholte Tatbegehung
sei in der Gewerbsmässigkeit begriffsnotwendig enthalten; die Anwendung
von Art. 68 StGB scheide bei einer Verurteilung wegen gewerbsmässiger
Deliktsbegehung deshalb aus.

    aa) Gewerbsmässig handelt nach der in BGE 115 IV 34 ff. präzisierten
Rechtsprechung, wer in der Absicht, zu einem Erwerbseinkommen zu
gelangen, und mit der Bereitschaft, in unbestimmt vielen Fällen oder
bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu handeln, die Tat wiederholt
verübt. Der in dieser Gewerbsmässigkeitsdefinition verwendete Begriff
der "wiederholten" Tatbegehung ist indessen nicht in einem technischen
Sinn zu verstehen; er bedeutet nichts anderes als "mehrfaches" Handeln
(BGE 107 IV 83). Wiederholte Tatbegehung als Verübung mehrerer, in sich
abgeschlossener, je auf gesondertem Willensentschluss beruhender strafbarer
Handlungen bildet somit nicht Begriffsmerkmal der Gewerbsmässigkeit.

    Richtig ist allerdings, dass die im besonderen Teil des StGB für
gewerbsmässige Deliktsbegehung vorgesehenen Strafrahmen eine mehrfache
Verwirklichung des Tatbestandes immer schon einkalkulieren und deshalb
bei einem Schuldspruch wegen gewerbsmässiger Tatbegehung die Anwendung
von Art. 68 StGB grundsätzlich ausser Betracht zu bleiben hat (BGE 76
IV 101). Von diesem Grundsatz ist in Übereinstimmung mit HAUSER/REHBERG
(Strafrecht I, Zürich 1988, S. 202) aber abzuweichen, wenn während
verschiedener, voneinander getrennter Zeitabschnitte gewerbsmässig
delinquiert wurde, ohne dass den einzelnen Phasen ein umfassender
Entschluss zugrunde lag und die Deliktsserien auch objektiv nicht als
Einheit im Sinne eines zusammenhängenden Geschehens erscheinen. In solchen
Fällen, in denen sich der Täter wiederholt zur gewerbsmässigen Begehung
voneinander unabhängiger Deliktsserien entschliesst, kann eine deliktische
Intensität erreicht sein, bei der der Richter die Möglichkeit haben muss,
durch Heranziehung von Art. 68 Ziff. 1 StGB bei der Strafzumessung über das
im besonderen Teil des StGB für gewerbsmässige Deliktsbegehung vorgesehene
Strafmaximum hinauszugehen.

    bb) Eine Anwendung von Art. 68 StGB in diesen Fällen auch beim
gewerbsmässigen Delikt lässt sich umso eher rechtfertigen, als vom nach
oben erweiterten Strafrahmen nicht notwendigerweise Gebrauch gemacht werden
muss. In aller Regel wird vielmehr eine Erhöhung nach pflichtgemässem
Ermessen innerhalb der ordentlichen Strafandrohung dem Verschulden des
Täters gerecht.

    cc) Soweit der Ausschluss einer Strafschärfung nach Art. 68 Ziff. 1
StGB bei Gewerbsmässigkeit aus den gleichen Gründen erfolgt, wie sie bei
der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts angeführt werden, kann daran
nicht länger festgehalten werden. Diese Rechtsfigur wurde namentlich
deshalb eingeführt, um dem Richter die Möglichkeit zu geben, bei echter
Konkurrenz auf eine Strafschärfung nach Art. 68 StGB zu verzichten, wo
sie als ungerecht erscheint (BGE 90 IV 132; vgl. auch 91 IV 66). Mit Recht
weist die Literatur indessen darauf hin, dass eine generelle Privilegierung
des fortgesetzt Delinquierenden bei der Strafzumessung zu Ungerechtigkeiten
und letztlich zu einem Verstoss gegen das Schuldprinzip führen kann (vgl.
NOLL/TRECHSEL, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, Zürich 1986,
S. 240; SCHULTZ, Allg. Teil I, 4. Aufl., Bern 1982, S. 131, und WERNER
ARNOLD KNECHT, Das fortgesetzte Delikt im Schweizerischen Strafrecht,
Diss. Bern 1969, S. 99). So ist in der Tat nicht einzusehen, weshalb
ein Täter, der eine grössere Deliktsserie von vornherein bis in die
Einzelheiten plant und deshalb den für die Annahme des fortgesetzten
Delikts erforderlichen "einheitlichen Willensentschluss aufweist, besser
gestellt sein soll als ein anderer, der immer wieder derselben Versuchung
erliegt oder, wie der Drogenabhängige, immer wieder in dieselbe Zwangslage
gerät" (STRATENWERTH, Allg. Teil I, § 19 N 19).

    Der Vollständigkeit halber ist hier anzufügen, dass erhebliche Bedenken
auch gegenüber der bisherigen Praxis beim fortgesetzten Delikt bestehen,
wonach alle Einzelhandlungen erst nach Abschluss des letzten Teilaktes zu
verjähren beginnen (BGE 105 IV 13 mit Hinweisen); auch die inzwischen mit
gewichtigen Einschränkungen versehene Rechtsprechung, nach der sich die
Rechtskraft einer Verurteilung wegen eines fortgesetzten Delikts auch
auf jene Delikte beziehen soll, die dem Richter nicht bekannt waren
(BGE 90 IV 132), wird bei Gelegenheit erneuter Prüfung bedürfen. Die
durch im Grunde sophistische Unterscheidungskriterien vom wiederholten
Delikt abgegrenzte Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts erscheint
insgesamt als nicht haltbar, weil sie sachlich nicht zusammenhängende,
gesondert zu erörternde Problembereiche (Verjährung, res-iudicata-Wirkung,
Strafzumessung) vermengt und damit den Zugang zu sachgerechten Lösungen
der anstehenden Fragen erschwert.

Erwägung 3

    3.- Bei Anwendung der dargelegten Grundsätze auf den vorliegenden Fall
ergibt sich, dass die Anwendung von Art. 68 StGB durch die Vorinstanz
bundesrechtlich nicht zu beanstanden ist. Gemäss ihren verbindlichen
tatsächlichen Feststellungen, die der Beschwerdeführer unzulässigerweise
angreift (vgl. Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP), ist zwischen den beiden
Betrugsserien, die dieser im Rahmen der Aktivitäten der A. AG einerseits
und der C. AG andererseits begangen hat, eine klare Zäsur erkennbar, und
die beiden Deliktskomplexe haben nichts miteinander zu tun. Damit aber
ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer während verschiedener,
voneinander getrennter Zeitabschnitte gewerbsmässig delinquiert hat, ohne
dass den einzelnen Phasen ein umfassender Entschluss zugrunde lag. Da die
vom Beschwerdeführer begangenen Betrugsserien objektiv auch keine Einheit
im Sinne eines zusammenhängenden Geschehens bilden, hat die Vorinstanz
Art. 68 Ziff. 1 StGB mithin zu Recht angewandt; die im Rahmen dieser
Bestimmung vorgenommene Straferhöhung verletzt Bundesrecht nicht.