Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IV 105



116 IV 105

21. Urteil des Kassationshofes vom 27. April 1990 i.S. Eidgenössisches
Justiz- und Polizeidepartement gegen K. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 55 StGB, Art. 32 Ziff. 1 und 33 Flüchtlingskonvention, Art. 3
EMRK, Art. 43 Abs. 1 und 45 AsylG; Landesverweisung, asylrechtliche
Ausweisungsbeschränkung und Non-Refoulement-Prinzip.

    1. Art. 55 StGB ist gegenüber Flüchtlingen im Lichte der
asylrechtlichen Ausweisungsbeschränkung gemäss Art. 32 Ziff. 1
Flüchtlingskonvention und Art. 43 Abs. 1 AsylG auszulegen und anzuwenden,
gegebenenfalls also restriktiver (E. 3a).

    Diese asylrechtliche Ausweisungsbeschränkung ist bei der Aussprechung
der Landesverweisung, nicht aber beim Widerruf des bedingten Vollzuges
oder beim probeweisen Aufschub nach Art. 55 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen;
über die Flüchtlingseigenschaft entscheidet der Strafrichter nötigenfalls
entsprechend den allgemeinen Voraussetzungen für die Prüfung von Vorfragen
(E. 3b und 4e) (Praxisänderung gegenüber BGE 101 IV 375 und Präzisierung
der Rechtsprechung in BGE 111 IV 12).

    2. Die Anwendung des Non-Refoulement-Prinzips (Art. 33
Flüchtlingskonvention) wird in Art. 45 AsylG - und gemäss Art. 3 EMRK -
auf Personen ausgedehnt, die an der Grenze oder im Landesinnern um Asyl
nachsuchen (E. 4a und b).

    Diese asyl- und menschenrechtlichen Gründe gegen eine Landesverweisung
dürfen erst bei deren Vollstreckung Beachtung finden; ob sie vorliegen,
hat die zuständige Vollzugsbehörde in einem vom Entscheidungsverfahren
streng zu unterscheidenden Vollstreckungsverfahren zu prüfen (E. 4f-i)
(Bestätigung und Präzisierung der Rechtsprechung in BGE 111 IV 12).

Sachverhalt

    A.- K. wurde mit Verfügung der Direktion der Justiz des Kantons
Zürich vom 21. Oktober 1988 auf den 26. November 1988 aus dem Vollzug
zweier Zuchthausstrafen von 4 Jahren und 1 1/2 Jahren (Zusatzstrafe)
wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz und einfacher
Körperverletzung bedingt entlassen. Die Probezeit wurde auf 2 Jahre
festgesetzt. Der Vollzug der gerichtlichen Landesverweisung von 15 Jahren,
die gegen ihn im Strafurteil unbedingt ausgesprochen worden war, wurde
dabei nicht aufgeschoben. Vielmehr wurde das Bundesamt für Polizeiwesen
ersucht, einen allfälligen weiteren Aufenthalt von K. in der Schweiz
aufgrund des ihm gewährten Asyls zu regeln.

    In der Folge teilte die Amtsstelle des Delegierten für
das Flüchtlingswesen (nachfolgend DFW genannt), an welche die
Entlassungsverfügung vom 21. Oktober 1988 durch das Bundesamt für
Polizeiwesen zuständigkeitshalber weitergeleitet worden war, der Direktion
der Justiz des Kantons Zürich mit, das K. gewährte Asyl erlösche mit dem
Vollzug der Landesverweisung automatisch; eines formellen Entscheides des
DFW über die Beendigung des Asyls bedürfe es nicht; es sei vielmehr Sache
der Vollzugsbehörde, auch unter asylrechtlichen Gesichtspunkten (Grundsatz
der Nichtrückschiebung gemäss Art. 45 AsylG, Art. 3 EMRK, Art. 33 des
Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge) die Zulässigkeit
des Vollzugs der Landesverweisung zu prüfen. Als Entscheidungshilfe
anerbot der DFW der zürcherischen Behörde, sein Amt für Auskünfte und
Stellungnahmen zu Fragen der Zumutbarkeit und Durchführbarkeit einer
allfälligen Rückschiebung in den Heimatstaat in Anspruch nehmen zu können.

    Auf schriftliche Anfrage der Direktion der Justiz teilte der DFW mit
Schreiben vom 17. November 1988 mit, eine erneute gründliche Durchsicht
und Würdigung der Asylakten wie auch weitere Abklärungen liessen die
Wahrscheinlichkeit, dass K. im Falle seiner Rückschaffung in die Türkei
zum heutigen Zeitpunkt von Menschenrechtsverletzungen bedroht sei, als
nicht erheblich erscheinen. Hierauf wies die Direktion der Justiz K. mit
Verfügung vom 21. November 1988 an, innert einer Frist von 15 Tagen seit
bedingter Entlassung die Schweiz zu verlassen.

    B.- Dagegen erhob K. beim Regierungsrat des Kantons Zürich Rekurs
und beantragte im Hauptpunkte, auf einen Vollzug der Landesverweisung
sei zu verzichten.

    Der Regierungsrat betrachtete in seinem Rekursentscheid vom 31. Mai
1989 die Verfügung der Direktion der Justiz vom 21. November 1988 als
nichtig, weil sie von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden
sei, und hob sie daher auf. Auf den Rekurs von K. trat er nicht ein und
leitete die Rekursschrift und die Akten an den DFW zwecks Entscheidung
über eine Beendigung des Asyls weiter.

    C.- Gegen diesen Beschluss führt das Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei, soweit er den Vollzug
der Landesverweisung betreffe, aufzuheben und die Sache zur materiellen
Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    K. und die Vorinstanz beantragen die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Dem Beschwerdegegner wurde die bedingte Entlassung aus dem
Strafvollzug gewährt. Hingegen wurde ein probeweiser Aufschub des
Vollzuges der Landesverweisung in der Verfügung der Direktion der Justiz
des Kantons Zürich vom 21. Oktober 1988 abgelehnt, gleichzeitig indessen
das Bundesamt für Polizeiwesen aufgrund des dem Beschwerdegegner gewährten
Asyls ersucht, "die Frage eines weiteren Aufenthalts von K. nach dessen
bedingter Entlassung zu regeln". Diese Verfügung änderte die Direktion der
Justiz am 21. November 1988 dahin ab, dass der Beschwerdegegner angewiesen
wurde, "innert einer Frist von 15 Tagen seit bedingter Entlassung, unter
Nachweis der Ausreise mittels beigelegtem, von einem schweizerischen
Grenzposten ausgefüllten Formular, die Schweiz zu verlassen". Die
Vorinstanz hob im angefochtenen Entscheid die zweite Verfügung auf, so
dass die ursprüngliche Verfügung der ersten Instanz wieder in unveränderter
Weise Geltung erlangte.

    Mit ihrer ersten Verfügung vom 21. Oktober 1988 verzichtete
die Direktion der Justiz - obwohl sie den probeweisen Aufschub nach
Art. 55 Abs. 2 StGB ablehnte - der Sache nach auf den Vollzug der
strafgerichtlichen Landesverweisung, indem sie es dem Bundesamt für
Polizeiwesen anheimstellte, den weiteren Aufenthalt des Beschwerdegegners
in der Schweiz zu regeln, d.h. ihn auszuweisen oder auch nicht. Dieser
Entscheid erging im Rahmen der Regelung des Strafvollzuges, d.h. der
bedingten Entlassung nach Art. 38 StGB. Dagegen kann beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht werden (Art. 97 Abs. 1 und
98 lit. g OG; BGE 106 IV 332). Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement
ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 103 lit. b OG und Art. 247 Abs. 3
Satz 2 BStP). Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die sich gegen den
Rekursentscheid, der die erste Verfügung der Direktion der Justiz wieder
unverändert aufleben liess, richtet und damit gegen den Verzicht auf den
Vollzug der strafrechtlichen Landesverweisung, ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz vertrat die Auffassung, wenn in Anwendung von
Art. 55 StGB feststehe, dass die Landesverweisung zu vollziehen sei,
seien die asylrechtlichen Belange von der sachlich allein zuständigen
Bundesbehörde, dem Delegierten für das Flüchtlingswesen, abzuklären;
die kantonalen Strafvollzugsbehörden seien hierzu nicht zuständig.
Sie hob die Anordnung, der Beschwerdegegner habe die Schweiz innert einer
angesetzten Frist zu verlassen, als eine von einer sachlich unzuständigen
Behörde erlassene und somit nichtige Verfügung auf.

    Demgegenüber ist das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement der
Ansicht, die gerichtliche Landesverweisung stütze sich auf Art. 55 StGB,
weshalb diese ausschliesslich in die Zuständigkeit der kantonalen
Strafvollzugsbehörden falle; soweit asylrechtliche Bestimmungen zu
berücksichtigen seien, sei deren Anwendung als Vorfrage durch die
Strafvollzugsbehörden zu beurteilen; im übrigen sei der ebenfalls in
Betracht zu ziehende Art. 3 EMRK nicht asylrechtlicher Natur; da gegen
Verfügungen betreffend den Strafvollzug die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an das Bundesgericht zulässig sei, treffe die Auffassung der Vorinstanz
nicht zu, wonach nur der DFW ein rechtsgleiches und den Anforderungen
von Art. 32 Ziff. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genügendes Verfahren
gewährleisten könne.

Erwägung 3

    3.- Der Richter kann nach Art. 55 StGB den Ausländer, der zu Zuchthaus
oder Gefängnis verurteilt wird, aus dem Gebiete der Schweiz verweisen. Das
Gesetz spricht schlechthin vom Ausländer, und Ausländer ist jeder, der
nicht das Schweizer Bürgerrecht besitzt. Eine Unterscheidung danach,
aufgrund welcher Rechtsgrundlage und welcher Aufenthaltsbewilligung
der Ausländer in der Schweiz verweilt, wird nicht getroffen. So kann die
Landesverweisung auch gegen einen Niedergelassenen (Aufenthaltsbewilligung
C) ausgesprochen werden (BGE 112 IV 70; vgl. im übrigen zum Verhältnis
zwischen strafrechtlicher Landesverweisung und fremdenpolizeilicher
Ausweisung: BGE 114 Ib 1). Das gleiche gilt grundsätzlich auch gegenüber
Flüchtlingen und Asylbewerbern (so auch HEINZ SCHÖNI, Asylverfahren und
gerichtliche Landesverweisung nach Art. 55 StGB, Asyl 1988/1 S. 13),
jedoch sehen die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und das Asylgesetz
eine Einschränkung der Zulässigkeit der Ausweisung eines Flüchtlings aus
der Schweiz vor.

    a) Gemäss Art. 32 Ziff. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951
über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (SR 0.142.30) weisen die
vertragschliessenden Staaten einen Flüchtling, der sich rechtmässig auf
ihrem Gebiete aufhält, nur aus Gründen der Staatssicherheit oder der
öffentlichen Ordnung aus. Art. 43 Abs. 1 Asylgesetz (SR 142.31) trägt
dieser Bestimmung der Flüchtlingskonvention Rechnung und konkretisiert
sie wie folgt: "Ein Flüchtling, dem die Schweiz Asyl gewährt hat, darf nur
ausgewiesen werden, wenn er die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz
gefährdet oder die öffentliche Ordnung in schwerwiegender Weise verletzt
hat." Diese Vorschriften des Asylrechts regeln nicht die Voraussetzungen,
unter denen ein Flüchtling aus dem Gebiete der Schweiz zu verweisen ist,
sondern besagen lediglich, dass er nur ausgewiesen werden darf, wenn die
erwähnten besonderen Voraussetzungen erfüllt sind. Soweit es also um die
strafrechtliche Landesverweisung eines Flüchtlings geht, ist Art. 55 StGB
im Lichte von Art. 32 Ziff. 1 Flüchtlingskonvention und Art. 43 Abs. 1
AsylG, d.h. gegebenenfalls restriktiver als gegenüber anderen Ausländern,
auszulegen und anzuwenden (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht AT II,
S. 207 Fussnote 2; zu den ordentlichen Voraussetzungen von Art. 55 StGB:
BGE 104 IV 222, 94 IV 102, STRATENWERTH, aaO S. 206 ff.).

    Unter den Begriff der Ausweisung nach der zitierten Vorschrift des
Asylgesetzes fällt gemäss der Botschaft des Bundesrates vom 31. August
1977 neben der Ausweisung nach den Bestimmungen des Ausländerrechts
auch die gerichtliche Landesverweisung im Sinne von Art. 55 StGB (BBl
1977 III S. 137). In der Botschaft wird ausdrücklich angeführt, die
Ausweisungsbeschränkung stehe nicht nur dem Vollzug, sondern bereits
der Verfügung der Ausweisung entgegen. Abs. 2 von Art. 43 AsylG erwähnt
denn auch neben dem Vollzug der "Ausweisung" auch jenen der "gerichtlichen
Landesverweisung" als Grund für ein Erlöschen des Asyls, womit zum Ausdruck
gebracht wird, auch die strafrechtliche Landesverweisung könne gegenüber
einem Flüchtling ausgesprochen und vollzogen werden, allerdings nur sofern
die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sind. Art. 43 AsylG stärkt mithin
in Ausführung der bindenden völkerrechtlichen Norm in Art. 32 Ziff. 1
Flüchtlingskonvention den dem Flüchtling gewährten Rechtsschutz (so auch
die Botschaft, BBl 1977 III S. 137).

    b) In BGE 111 IV 12 entschied das Bundesgericht, der Strafrichter
habe bei der Anordnung der Landesverweisung gemäss Art. 55 StGB nicht
vorfrageweise zu prüfen, ob diese Nebenstrafe sich nach den Bestimmungen
des Asylrechts durchsetzen lasse oder ob der Täter nach Asylgesetz
die weitere Tolerierung seines Aufenthaltes in der Schweiz beanspruchen
könne; allenfalls aus dem Asylrecht sich ergebende Einwände seien erst in
jenem Zeitpunkt zu prüfen, in welchem feststehe, dass die angeordnete
Landesverweisung nicht infolge Bewährung bei probeweisem Aufschub
weggefallen sei, sondern vollzogen werden müsse.

    Diese Praxis ist in zweifacher Hinsicht zu präzisieren.

    aa) Sie gilt nur, soweit es um die Anwendung des Grundsatzes des
Non-Refoulement - der auch allein Gegenstand des zitierten Entscheides
bildete - geht. Bei der Aussprechung der Landesverweisung hat der
Richter nicht zu prüfen, ob eine Ausweisung des Betroffenen gegen
das Non-Refoulement-Prinzip oder gegen Art. 3 EMRK verstosse. Diesen
Gesichtspunkten ist erst beim Vollzug der Landesverweisung Rechnung zu
tragen (dazu näher unten Ziff. 4, insbesondere lit. i).

    bb) Soweit es dagegen um die Verurteilung eines Flüchtlings zu
einer Landesverweisung geht, hat der Strafrichter - und nur dieser,
nicht aber die Strafvollzugsbehörde, sowie selbst der Richter nur
bei der Aussprechung der Nebenstrafe (dazu unten E. 4 lit. e) - die
einschränkenden Voraussetzungen der Art. 32 Ziff. 1 Flüchtlingsabkommen
und Art. 43 Abs. 1 AsylG zu beachten, also Art. 55 StGB gegebenenfalls
restriktiver anzuwenden. Diese Entscheidung betrifft eine strafrechtliche
Landesverweisung, weshalb die Zuständigkeit des Strafrichters zur
Berücksichtigung von Art. 32 Ziff. 1 Flüchtlingsabkommen und Art. 43 Abs. 1
AsylG gegeben ist; die gesetzliche Grundlage für die Ausfällung einer
strafrechtlichen Landesverweisung bleibt dabei Art. 55 Abs. 1 StGB (zu
Art. 32 Ziff. 1 Flüchtlingskonvention vgl. VIKTOR LIEBER, Wer entscheidet
über die Landesverweisung von Flüchtlingen?, SJZ 74/1978 S. 21 ff., der
von einer völkerrechtlichen Vorbehaltsschranke spricht; siehe auch WALTER
KÄLIN, Das schwierige Verhältnis zwischen Asylverfahren und gerichtlicher
Landesverweisung: eine Entgegnung, Asyl 1988/2 S. 7 ff.). Soweit in BGE
101 IV 375 die Auffassung vertreten wurde, der Bundesrat sei zur Anwendung
von Art. 32 Ziff. 1 Flüchtlingskonvention zuständig, kann daran nicht
festgehalten werden.

    Wieweit die Strafbehörden über die Flüchtlingseigenschaft des
Betroffenen zu entscheiden haben, wenn die Asylbehörden über diese
Frage noch nicht befunden haben, richtet sich nach den allgemeinen
Voraussetzungen zur Prüfung von Vorfragen (dazu BGE 105 II 311 E. 2
und 102 Ib 369; vgl. auch BGE 112 IV 120). Wurde die Frage - wie im
vorliegenden Fall - durch einen positiven Asylentscheid rechtskräftig
bejaht, so gilt der Betroffene gemäss Art. 25 AsylG gegenüber allen
eidgenössischen und kantonalen Behörden, und zwar auch gegenüber dem
Strafrichter, als Flüchtling (BGE 112 IV 119, der die analoge Situation
bei der Anwendung von Art. 31 Ziff. 1 des Flüchtlingsabkommens betrifft).

Erwägung 4

    4.- a) Gemäss Art. 45 AsylG darf niemand in irgendeiner Form zur
Ausreise in ein Land gezwungen werden, in dem sein Leib, sein Leben oder
seine Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet sind
oder in dem die Gefahr besteht, dass er zur Ausreise in ein solches Land
gezwungen wird (Abs. 1). Auf diese Bestimmung kann sich eine Person nicht
berufen, wenn erhebliche Gründe dafür vorliegen, dass sie die Sicherheit
der Schweiz gefährdet, oder wenn sie als gemeingefährlich gelten muss,
weil sie wegen eines besonders schweren Verbrechens oder Vergehens
rechtskräftig verurteilt worden ist (Abs. 2).

    Diese Vorschrift umschreibt den Grundsatz des Non-Refoulement und
seine Grenzen, und zwar, da der Grundsatz gemäss Art. 45 AsylG prinzipiell
für jedermann gilt, weitergehend als Art. 33 des Flüchtlingsabkommens,
der den Grundsatz der Natur des Abkommens entsprechend auf Flüchtlinge
beschränkt. Angesichts seiner fundamentalen Bedeutung ist der Grundsatz
in das schweizerische Asylgesetz aufgenommen und sein Anwendungsbereich
auf Personen ausgedehnt worden, die an der Grenze oder im Landesinnern
um Asyl nachsuchen (Botschaft BBl 1977 III S. 138).

    b) Gemäss Art. 3 EMRK darf niemand einer unmenschlichen Behandlung
unterworfen werden. Die Europäische Menschenrechtskommission hat
wiederholt erkannt, dass die Abschiebung oder Auslieferung eines
Ausländers in ein Land, in welchem die durch die EMRK garantierten
Rechte grob verletzt werden, eine "unmenschliche Behandlung" im Sinne
dieser Bestimmung darstellen können (vgl. TRECHSEL, EuGRZ, 1987 S. 72
mit Hinweisen). Art. 3 EMRK ist bereits verletzt, wenn eine Person in
ein bestimmtes Land abgeschoben wird, in welchem ihr mit erheblicher
Wahrscheinlichkeit eine Art. 3 EMRK verletzende Behandlung droht. In der
Lehre wird die Auffassung vertreten, dies gelte auch für die Wegweisung,
wenn die Person praktisch keine andere Möglichkeit hat, als sich in das
Land zu begeben, wo ihr die Menschenrechtsverletzung droht (BGE 111 Ib
70 E. 2a mit Hinweisen; WALTER KÄLIN, Das Prinzip des Non-Refoulement,
Diss. Bern 1982, S. 261).

    Neben Art. 45 AsylG ist bei der Abschiebung eines Ausländers in ein
anderes Land auch diese EMRK-Bestimmung zu berücksichtigen.

    c) Bei diesen asyl- und menschenrechtlichen Gründen gegen eine
Verweisung eines Ausländers aus dem Gebiete der Schweiz geht es, wie
bereits in BGE 111 IV 13 E. 2c angenommen wurde, nicht um eigentliche
Vorfragen, deren Entscheidung für die Anwendung von Art. 55 StGB
notwendig wäre, sondern um Hindernisse, welche gemäss Asylrecht
oder der Europäischen Menschenrechtskonvention dem Vollzug einer
Landesverweisung im konkreten Fall entgegenstehen können, ähnlich wie
das Fehlen der Hafterstehungsfähigkeit dem Vollzug einer rechtskräftigen
Freiheitsstrafe. Daran ist festzuhalten.

    d) Bei der Landesverweisung nach Art. 55 StGB haben die Organe
der Strafrechtspflege verschiedene Entscheide zu treffen, die genau zu
unterscheiden sind. Der Richter spricht die Landesverweisung aus und
entscheidet gleichzeitig, ob deren Vollzug gemäss Art. 41 Ziff. 1 StGB
bedingt aufgeschoben werde oder nicht, sowie später, bei mangelnder
Bewährung, ob der bedingte Vollzug zu widerrufen sei (Art. 41 Ziff. 3
StGB). Nur wenn der des Landes Verwiesene bedingt aus dem Strafvollzug
entlassen wird (Art. 38 StGB), hat die Strafvollzugsbehörde die
Möglichkeit, den Vollzug einer unbedingt ausgesprochenen Landesverweisung
nach Art. 55 Abs. 2 StGB probeweise aufzuschieben, wobei dieser Aufschub
im Falle eines Widerrufs der bedingten Entlassung dahinfällt (Art. 55
Abs. 4 StGB).

    e) Allein bei der Aussprechung der Landesverweisung im Strafurteil kann
und darf der Richter berücksichtigen, dass die Zulässigkeit der Ausweisung
eines Flüchtlings gemäss Art. 32 Ziff. 1 Flüchtlingskonvention und Art. 43
Abs. 1 AsylG eingeschränkt ist (s. oben Ziff. 3). Beim probeweisen Aufschub
dieser Nebenstrafe nach Art. 55 Abs. 2 StGB oder bei einem Widerruf des
bedingten Vollzuges gemäss Art. 41 Ziff. 3 StGB ist dies ausgeschlossen,
selbst wenn sich die Verhältnisse in der Zwischenzeit änderten und
dem Betroffenen beispielsweise inzwischen Asyl gewährt wurde. Die
genannten Gesetzesbestimmungen erlauben eine Abänderung des Urteils,
mit welchem die Landesverweisung ausgesprochen wurde, nur im Rahmen und
unter den Voraussetzungen, die darin umschrieben sind; Art. 55 Abs. 2
StGB gestattet dies lediglich, wenn der Zweck der bedingten Entlassung,
nämlich die Resozialisierung, es erheischt (vgl. dazu BGE 114 IV 97,
104 Ib 153 E. 1 und 2, 331 E. 2 und 103 Ib 25 E. 1 und 2).

    f) Wann der Grundsatz des Non-Refoulement oder der Nichtrückschiebung
nach Art. 45 AsylG zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dessen
systematischer Einordnung im Gesetz bzw. im Flüchtlingsabkommen und
seinem Sinn und Zweck. Er bildet keine Voraussetzung für die Anerkennung
der Flüchtlingseigenschaft oder die Asylgewährung. Auch stellt er keinen
Grund dar, das gewährte Asyl nicht zu widerrufen (Art. 41 AsylG) oder die
Wegweisung gemäss Art. 21a AsylG nicht auszusprechen. Vielmehr hindert
der Grundsatz des Non-Refoulement und desgleichen Art. 3 EMRK allein die
Vollstreckung einer asylrechtlichen Ausweisung.

    Das gleiche muss bei der durch den Strafrichter auszusprechenden
Landesverweisung gemäss Art. 55 StGB gelten. Einer Aussprechung der
Landesverweisung stehen der Grundsatz des Non-Refoulement und Art. 3 EMRK
nicht entgegen. Vielmehr sind diese Gesichtspunkte erst beim Vollzug der
Landesverweisung zu berücksichtigen. Der Vollzug hat zu unterbleiben,
wenn die ernstliche Gefahr von schweren Menschenrechtsverletzungen nicht
ausgeschlossen werden kann.

    Art. 45 AsylG bzw. Art. 33 Flüchtlingsabkommen und Art. 3 EMRK können
und dürfen demnach erst Beachtung finden, wenn es darum geht, festzulegen,
wann und wie eine Ausweisung aus dem Gebiete der Schweiz zu vollziehen
ist. Dies muss unabhängig davon gelten, ob eine Landesverweisung - was
mehrheitlich der Fall ist - erst längere Zeit nach ihrer Aussprechung
(nach erfolgtem Strafvollzug) vollstreckt werden oder ob dies unmittelbar
nach dem Entscheid des Richters (z.B. Widerruf des bedingten Vollzuges)
oder der Strafvollzugsbehörde (Ablehnung des probeweisen Aufschubs des
Vollzuges) erfolgen kann. Auch in den beiden letztgenannten Fällen darf
aus naheliegenden Gründen beim Entscheid nicht berücksichtigt werden, ob
die Ausweisung nach dem Grundsatze des Non-Refoulement vollzogen werden
kann oder nicht. Sonst könnte, weil der Entscheid des Richters und auch
ein solcher einer Strafvollzugsbehörde nach ihrer Ausfällung nicht mehr
abänderbar sind (lata sententia iudex desinit iudex esse), z.B. einer
späteren Veränderung der Verhältnisse im Ausreiseland, die keine schweren
Menschenrechtsverletzungen mehr befürchten liesse, nicht mehr Rechnung
getragen werden. Dies ist nicht der Sinn des Rückschiebeverbots.

    g) Dürfen der Grundsatz des Non-Refoulement und Art. 3 EMRK nach
dem Gesagten nicht berücksichtigt werden, wenn es um die Ausfällung der
Landesverweisung oder den probeweisen Aufschub des Vollzuges nach Art. 55
Abs. 2 StGB geht, so fragt sich, in welchem Verfahren dies geschehen
kann. Da sowohl das Gerichtsverfahren als auch das Verfahren vor der
zuständigen Strafvollzugsbehörde betreffend die bedingte Entlassung und
den probeweisen Aufschub des Vollzuges der Landesverweisung abgeschlossen
sind bzw. sein müssen, bleibt nur die Möglichkeit des Erlasses einer
Vollstreckungsverfügung.

    Darunter versteht das Prozessrecht eine eigenständige Anordnung
über die zwangsweise Durchsetzung einer vollstreckbaren Verfügung (GYGI,
Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. S. 139 unten; vgl. dazu auch die
Regelung in Art. 5 Abs. 2 und Art. 41 Abs. 1 lit. a und b VwVG). Diese
ergeht in einem vom Entscheidungs- oder Erkenntnisverfahren - welches
abgeschlossen sein muss - getrennten Vollstreckungsverfahren, das dazu
dient, den der richterlichen Entscheidung entsprechenden Zustand zu
verwirklichen, sofern er nicht freiwillig hergestellt wird (vgl. GULDENER,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. S. 46).

    Auch im Strafverfahren schliesst sich dem Entscheidungs- oder
Erkenntnisverfahren ein Vollstreckungsverfahren an. Das Hauptbeispiel
bildet der Strafantrittsbefehl, in welchem bestimmt wird, wann und wo der
Verurteilte eine Freiheitsstrafe zu erstehen hat. In aller Regel erschöpft
sich ein solches Verfahren darin, dass die Verfügung erlassen wird, weil
sich betreffend die Modalitäten des Vollzuges des Urteils keinerlei Fragen,
zu denen der Betroffene vorher angehört werden müsste, stellen. Wo dies
jedoch der Fall ist, wie etwa bei der Frage der Hafterstehungsfähigkeit,
kann eine Anhörung des Betroffenen und können weitere Abklärungen wie
die Einholung eines Sachverständigengutachtens und dergleichen notwendig
sein, bevor die Vollstreckungsverfügung erlassen werden kann (vgl. zu
den entsprechenden Regelungen in den Zivilprozessgesetzen: GULDENER,
aaO S. 625 oben).

    h) Handelt es sich um die Vollstreckung der Nebenstrafe der
Landesverweisung und stellt sich dabei die Frage einer Verletzung des
Grundsatzes der Nichtrückschiebung oder von Art. 3 EMRK, so sind ebenso
im Vollstreckungsverfahren die notwendigen Abklärungen zu treffen und
der Betroffene anzuhören. Dem des Landes verwiesenen Ausländer ist
nötigenfalls zunächst die Möglichkeit einzuräumen, in ein Land seiner
Wahl auszureisen (BGE 110 IV 6; für Flüchtlinge schreibt Art. 32 Ziff. 3
der Genfer Flüchtlingskonvention dies vor). Zweckmässigerweise wird ihm
dabei die zwangsweise Ausschaffung in sein Heimatland anzudrohen und
ihm die Gelegenheit zu geben sein, Einwendungen dagegen (im Sinne des
Grundsatzes des Non-Refoulement und von Art. 3 EMRK) vorzubringen.

    Sowohl vom Strafgerichtsverfahren als auch vom Verfahren, in welchem
den Strafvollzugsbehörden z.B. die Befugnisse gemäss Art. 38 und Art. 55
Abs. 2 StGB zustehen, und die beide Entscheidungsverfahren darstellen,
ist ein solches durch die Strafvollzugsbehörden durchzuführendes
Vollstreckungsverfahren streng zu unterscheiden. Vom Verfahren vor
dem Strafgericht ist es stets getrennt, weil unterschiedliche Behörden
zuständig sind. Mit jenem vor den Strafvollzugsbehörden kann es in der
Weise verbunden sein, dass beispielsweise der Entscheid über die Ablehnung
des probeweisen Aufschubs und die Anordnung betreffend die Vollstreckung
der Landesverweisung in der gleichen Verfügung enthalten sind; vorzuziehen
ist allerdings der Erlass getrennter Verfügungen, weil diese in jedem
Falle, besonders wegen des unterschiedlichen Rechtsmittelweges (dazu
nachstehend), auseinandergehalten werden müssen.

    Ein derartiges Vollstreckungsverfahren erfüllt im übrigen
auch die Anforderungen von Art. 13 EMRK betreffend ein Recht auf
eine wirksame Beschwerde, weil in aller Regel in den entsprechenden
kantonalen Verfahrensregelungen ein Weiterzug der Verfügung der unteren
Verwaltungsbehörde an eine obere Verwaltungsinstanz gegeben ist (BGE 111 Ib
72 E. 4 mit Hinweisen) und weil gegen den Entscheid der letzten kantonalen
Instanz jedenfalls die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung
verfassungsmässiger Rechte und der EMRK zur Verfügung steht (vgl. BGE
108 Ia 69, der sich auf den Fall einer Vollstreckungsverfügung betreffend
die Hafterstehungsfähigkeit bezieht). Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gegen eine Vollstreckungsverfügung ist hingegen ausgeschlossen (Art. 101
lit. c OG).

    i) Dass Art. 3 EMRK und Art. 45 AsylG durch die Strafvollzugsbehörden
im Vollstreckungsverfahren anzuwenden sind, kann nicht zweifelhaft
sein. Die Landesverweisung gemäss Art. 55 StGB ist menschenrechtskonform
zu vollziehen. Der Grundsatz des Non-Refoulement ist ebenfalls in einem
durch die Schweiz ratifizierten Staatsvertrag enthalten und regelt
auch in seiner Ausgestaltung in Art. 45 AsylG, wie ausgeführt wurde,
nicht bloss die Voraussetzung einer Ausweisung nach Asylrecht, sondern
jeglicher Verweisung eines um Asyl nachsuchenden Ausländers aus dem
Gebiete der Schweiz.

    Der Umstand, dass die Strafvollzugsbehörden damit aufgerufen
sind, vor allem in bezug auf Art. 45 AsylG Fragen zu beurteilen, die
ihnen nicht vertraut sind, kann für sich allein und bei der gegebenen
Rechtslage nicht zu einer anderen Entscheidung führen. Durch Beizug der
Akten und allenfalls eines Amtsberichtes des DFW können sich auch die
Strafvollzugsbehörden die nötigen Unterlagen und Kenntnisse verschaffen,
um ihre Vollstreckungsverfügungen unter Beachtung aller massgeblichen
Normen erlassen zu können.

Erwägung 5

    5.- Die Beschwerde wird danach gutgeheissen. Die Direktion der
Justiz war zuständig, die Ausreise des Beschwerdegegners durch eine
Vollstreckungsverfügung im Sinne der obigen Erwägungen anzuordnen. Diese
Verfügung wurde zu Unrecht aufgehoben. Der angefochtene Entscheid wird
deshalb aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung
zurückgewiesen. Dabei wird sie sich mit der materiellen Berechtigung
der Ausreiseanordnung und den vom Beschwerdegegner dagegen vorgebrachten
Einwendungen zu befassen haben.