Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 II 9



116 II 9

2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Februar 1990 i.S.
B.L. (Berufung) Regeste

    Art. 1 Abs. 2 IPRG; Umfang des Vorbehalts völkerrechtlicher Verträge.

    Der Vorbehalt völkerrechtlicher Verträge in Art. 1 Abs. 2 IPRG
bezieht sich auf den gesamten Bereich, der im IPRG geregelt ist. Soweit
solche Verträge bestehen, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung
ausländischer Urteile in der Schweiz daher auch nach dem Inkrafttreten
des IPRG ausschliesslich nach diesen Staatsverträgen (E. 3).

    Vertrag zwischen der Schweiz und Spanien über die gegenseitige
Vollstreckung von Urteilen oder Erkenntnissen in Zivil- und Handelssachen
(SR 0.276.193.321); Art. 6, Anerkennung von Scheidungsurteilen.

    - Ist ein in der Schweiz angehobenes Scheidungsverfahren zwischen
in der Schweiz wohnenden spanischen Eheleuten weiterzuführen, wenn nach
Anhängigmachung der schweizerischen Scheidungsklage in Spanien ein weiteres
Scheidungsverfahren angehoben wird und der spanische Richter die Scheidung
der Parteien ausspricht? Frage bejaht, falls der schweizerische Richter
für die Scheidungsklage zuständig gewesen ist (E. 4).

    - Massgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der
Zuständigkeitsvoraussetzungen: Jener der Klageeinleitung in der Schweiz
für die Frage des Wohnsitzes; jener der Klageeinleitung in Spanien für
die Voraussetzungen, für welche das schweizerische Recht auf das spanische
verweist (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Die Eheleute B.L. sind spanische Staatsangehörige. Sie
heirateten im Jahre 1969 in der Schweiz und hatten seither ihren Wohnsitz
ununterbrochen in der Schweiz.

    a) Am 21. August 1981 reichte Frau B.L. beim Zivilamtsgericht Bern
Klage auf Scheidung, eventuell Trennung ihrer Ehe ein. Ihr Ehemann
beantragte mit Klageantwort vom 4. März 1982, auf die Klage sei nicht
einzutreten, weil die Voraussetzungen gemäss Art. 7h NAG nicht erfüllt
seien.

    b) Am 17. September 1982 verfügte die Präsidentin des Zivilamtsgerichts
Bern auf Gesuch der Klägerin vorsorgliche Massnahmen nach Art. 145
ZGB. Der gemeinsame Haushalt der Parteien wurde aufgehoben und der Ehemann
verpflichtet, das eheliche Domizil bis spätestens am 1. November 1982
zu verlassen. Die beiden aus der Ehe hervorgegangenen Kinder wurden
unter die Obhut der Mutter gestellt; dem Vater wurde ein Besuchsrecht
eingeräumt. Der Beklagte wurde sodann verpflichtet, für den Unterhalt von
Frau und Kindern monatlich und zum voraus einen Beitrag von Fr. 1'300.--
inklusive Kinderzulagen zu bezahlen. Gleichzeitig wurde das Hauptverfahren
auf Antrag der Klägerin auf unbestimmte Zeit sistiert.

    c) Mit Verfügung vom 27. März 1985 wurde das Hauptverfahren
wieder aufgenommen. Die Parteien reichten in der Folge ein spanisches
Scheidungsurteil ein, das der Richter erster Instanz in Carballo am
30. Juni 1987 gestützt auf eine Klage des Ehemannes vom 27. November 1986
gefällt hatte. Die von der Ehefrau erhobene Einrede der Streithängigkeit
hatte der spanische Richter verworfen.

    Das Zivilamtsgericht Bern beschränkte in der Hauptverhandlung
vom 25. Mai 1988 das Verfahren auf die Frage, ob in Spanien ein
Scheidungsverfahren hängig oder rechtskräftig beurteilt sei und ob
die örtliche Zuständigkeit des Zivilamtsgerichts gegeben sei. Mit
Zwischenentscheid vom gleichen Datum bejahte das Zivilamtsgericht Bern
seine örtliche Zuständigkeit und erkannte, auf die Scheidungsklage der
Ehefrau sei materiell einzutreten.

    B.- Gegen diesen Zwischenentscheid appellierte der Beklagte an den
Appellationshof des Kantons Bern. Er beantragte Nichteintreten auf die
Klage und ersuchte um Aussetzung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen
Erledigung des in Spanien hängigen Scheidungsprozesses.

    Mit Urteil vom 22. Juli 1988 sprach die 2. Kammer des Zivilgerichtes
von La Coruna als zweite spanische Instanz erneut die Scheidung der
Parteien aus. Dieses Urteil wurde als endgültig bezeichnet.

    Mit Entscheid vom 21. August 1989 bestätigte der Appellationshof des
Kantons Bern (I. Zivilkammer) den Zwischenentscheid des Zivilamtsgerichts,
dass auf die Klage materiell einzutreten sei.

    C.- Gegen diesen Entscheid des Appellationshofes hat der
Beklagte Berufung an das Bundesgericht erhoben. Er beantragt, auf die
Scheidungsklage sei nicht einzutreten; eventuell sei das angefochtene
Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Gleichzeitig ersucht er um Bewilligung der unentgeltlichen
Rechtspflege.

    Die Klägerin beantragt die Abweisung der Berufung und die Bestätigung
des Urteils des Appellationshofes. Auch sie ersucht um Bewilligung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Am 22. Juli 1988 ist die Ehe der Parteien in Spanien in einem
zweitinstanzlichen, als endgültig bezeichneten Urteil geschieden worden.
Wenn dieses Scheidungsurteil in der Schweiz anerkannt werden muss,
entfällt zwangsläufig der Gegenstand der von der Klägerin in Bern abhängig
gemachten Scheidungsklage. Es ist daher in erster Linie zu prüfen, ob
die Voraussetzungen zur Anerkennung des spanischen Scheidungsurteils in
der Schweiz gegeben sind.

    Diese Frage ist aufgrund des Vertrages zwischen der Schweiz
und Spanien über die gegenseitige Vollstreckung von Urteilen oder
Erkenntnissen in Zivil- und Handelssachen vom 19. November 1896 zu
beurteilen, der am 6. Juli 1898 in Kraft getreten und heute noch
gültig ist (SR 0.276.193.321). Obwohl in diesem Vertrag nur von der
Vollstreckung von Urteilen die Rede ist, gilt er nicht nur für die
Vollstreckung, sondern auch für die Anerkennung der Urteile (GULDENER,
Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz,
S. 131). An der Massgeblichkeit dieses Staatsvertrages hat sich durch
das Inkrafttreten des IPRG nichts geändert. In Art. 1 Abs. 2 IPRG werden
völkerrechtliche Verträge allgemein vorbehalten. Dieser Vorbehalt bezieht
sich, wie sich aus seinem Wortlaut und seiner Stellung ergibt, auf den
gesamten Bereich, der im IPRG geregelt ist (Botschaft des Bundesrates zum
IPRG vom 10. November 1982, BBl 1983, Bd. I, 297 f.; IVO SCHWANDER, in:
Die allgemeinen Bestimmungen des IPRG, St. Gallen 1988, S. 45; H.U. WALDER,
daselbst, S. 205 ff.). Nicht anwendbar ist im vorliegenden Fall hingegen
das Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen
(SR 0.211.212.3). Diesem Abkommen, das nur zwischen den Vertragsstaaten
gilt, ist Spanien bisher nicht beigetreten.

Erwägung 4

    4.- Nach Art. 6 des Vertrages zwischen der Schweiz und Spanien vom
19. November 1896 kann die Vollstreckung - und damit auch die Anerkennung
- eines im jeweils andern Staat gefällten Urteils nur in folgenden Fällen
verweigert werden:

    "1. wenn der Entscheid von einer nicht zuständigen Behörde ausgegangen
   ist;

    2. wenn er erlassen wurde, ohne dass die Parteien gehörig vorgeladen
   oder gesetzlich vertreten waren;

    3. wenn die Grundsätze des öffentlichen Rechtes des Landes, in welchem
   die Vollstreckung stattfinden würde, dieser entgegenstehen."

    a) Ob der Entscheid im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 von einer
zuständigen oder unzuständigen Behörde ausgegangen sei, kann nicht
aufgrund des Staatsvertrages selber beurteilt werden, da dieser keine
Gerichtsstandsvorschriften enthält. Diese Frage bestimmt sich deshalb
nach dem Recht des Staates, in welchem die Entscheidung geltend gemacht
wird. Dies führt hier zu einer Prüfung aufgrund des schweizerischen Rechts
(GULDENER, aaO, S. 135 f.).

    b) Nach schweizerischem Recht war der spanische Heimatrichter zur
Scheidung der Parteien dann nicht zuständig, wenn in der Schweiz ein
ausschliesslicher und unverzichtbarer Gerichtsstand für die Scheidung
bestand. Dies war der Fall, wenn die Scheidungsklage vor der Anrufung des
spanischen Gerichts in der Schweiz bei einem zuständigen Richter anhängig
gemacht worden war. Eine Widerklage auf Scheidung oder Trennung konnte in
der Folge aufgrund des Sachzusammenhangs nur beim Gericht der Erstklage
erhoben werden, das zwecks Vermeidung widersprechender Urteile zum
Entscheid über beide Klagen berufen war. Dieser durch die Rechtsprechung
begründete ausschliessliche und zwingende Gerichtsstand gilt nicht nur
innerhalb der Schweiz, sondern auch im Verhältnis zum Ausland (BGE 113
II 104 f. E. 3, 91 II 323 f. E. 3a, 80 II 100 f.; BÜHLER/SPÜHLER, Berner
Kommentar, N 51 ff. zu Art. 144 ZGB, N 152 in Verbindung mit N 137 der
Einleitung; GULDENER, aaO, S. 178 N 18).

    Nichts anderes ergibt sich übrigens nach den Bestimmungen des am
1. Januar 1989 in Kraft getretenen IPRG. Gemäss Art. 27 Abs. 2 lit. c
IPRG wird eine im Ausland ergangene Entscheidung in der Schweiz nicht
anerkannt, wenn eine Partei nachweist, dass ein Rechtsstreit zwischen
denselben Parteien über denselben Gegenstand zuerst in der Schweiz
eingeleitet oder in der Schweiz entschieden worden ist.

    c) Im folgenden bleibt somit zu prüfen, ob der von der Klägerin in
der Schweiz angerufene Richter für die Beurteilung der Scheidungsklage
zuständig war. Ist dies der Fall, so kann das spanische Urteil nicht
anerkannt werden, weil alsdann der spanische Richter aus schweizerischer
Sicht nicht zuständig gewesen ist.

Erwägung 5

    5.- Es fragt sich vorerst, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung
der Zuständigkeit des schweizerischen Richters abzustellen ist.

    Nach allgemeinen Grundsätzen des Zivilprozessrechtes müssen die
Prozessvoraussetzungen im Zeitpunkt der Fällung des Sachurteils noch
gegeben sein, wobei es genügt, wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt eintreten
(GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 229; KUMMER, Grundriss
des Zivilprozessrechts, S. 87; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts,
2. Aufl., S. 149 Rz. 85). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gilt
jedoch bei Scheidungsklagen für die Zuständigkeit eine Ausnahme: Hier muss
die Zuständigkeit im Zeitpunkt der Anhängigmachung der Klage gegeben sein,
um zu verhindern, dass die Parteien durch spätere Wohnsitzverlegung auf die
Beurteilung der Zuständigkeit Einfluss nehmen können (BGE 91 II 322 E. 3,
90 II 215 E. 2 mit Hinweisen). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.

    Hingegen bleibt zu prüfen, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung
jener Voraussetzungen massgeblich sei, für welche das schweizerische
Recht auf das Heimatrecht der Parteien verweist. Hierzu ist danach
zu fragen, von wann an einem in der Schweiz wohnhaften Ausländer die
Einreichung einer Scheidungsklage in seiner Heimat vernünftigerweise
verwehrt werden kann. Dies ist in einem Fall wie dem vorliegenden
der Zeitpunkt der Einreichung der Zweitklage im ausländischen
Heimatstaat. War die schweizerische Zuständigkeit in jenem Zeitpunkt
gegeben, so war es dem Beklagten zuzumuten, seine Widerklage auf Scheidung
oder Trennung beim schweizerischen Richter der Erstklage zu erheben.
Waren die Voraussetzungen des Art. 7h Abs. 1 NAG für die schweizerische
Zuständigkeit bis zu jenem Zeitpunkt eingetreten, so bestand kein Grund,
den Gerichtsstand des Sachzusammenhanges nicht zu berücksichtigen. Es ginge
zu weit, für diese Prozessvoraussetzungen auf den Zeitpunkt der Einreichung
der Klage in der Schweiz abzustellen. Im vorliegenden Fall wäre dies umso
weniger gerechtfertigt, als das Verfahren in der Schweiz in aller Form
sistiert worden ist, ohne dass sich der Beklagte dagegen zur Wehr gesetzt
hat. Erst mehr als ein Jahr nach der Wiederaufnahme des Prozesses reichte
der Beklagte in seinem Heimatstaat Spanien eine eigene Scheidungsklage
ein. Für die Frage, ob dies im damaligen Zeitpunkt noch angängig gewesen
sei, kann vernünftigerweise nur auf diesen Zeitpunkt abgestellt werden.

Erwägung 6

    6.- (Das Bundesgericht bejahte, dass die Voraussetzungen des im
vorliegenden Falle noch anwendbaren Art. 7h Abs. 1 NAG erfüllt waren. Der
angerufene Schweizer Richter war demnach für die Scheidungsklage zuständig,
weshalb das in der Zwischenzeit in Spanien ergangene Scheidungsurteil nicht
anerkannt werden konnte; das in der Schweiz angehobene Scheidungsverfahren
war deshalb weiterzuführen.)