Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 II 745



116 II 745

129. Beschluss der I. Zivilabteilung vom 13. November 1990 i.S. S. AG
gegen D. (Berufung) Regeste

    Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; Anforderungen an die Berufungsbegründung.

    Präzisierung der Rechtsprechung, wonach auf eine Berufung, deren
Begründung im wesentlichen mit jener der konnexen staatsrechtlichen
Beschwerde oder einer kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde übereinstimmt,
nicht eingetreten wird (BGE 116 II 92 Nr. 16, 115 II 396 ff.).

Sachverhalt

    A.- Mit Urteil vom 16. September 1988 wies das Bezirksgericht Horgen
eine von der S. AG gegen Margrit D. erhobene Klage auf Zahlung von Fr.
31'850.-- nebst Zins und Zahlungsbefehlskosten ab. Die Klägerin focht
dieses Urteil mit Berufung beim Obergericht des Kantons Zürich an,
das die Klage seinerseits mit Urteil vom 26. Mai 1989 abwies. Eine von
der Klägerin dagegen erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wies das
Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 9. Juli 1990 ab,
soweit es darauf eintrat.

    Die Klägerin hat gegen das Urteil des Obergerichts auch Berufung beim
Bundesgericht eingelegt. Sie beantragt, dieses Urteil aufzuheben und die
Klage gutzuheissen. Das Bundesgericht tritt auf die Berufung nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Begründung der Berufung stimmt ab Seite 3 (unter dem Titel
"Im einzelnen") bis Seite 16 der eingereichten Rechtsschrift wörtlich mit
jener der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde überein. Die Rechtsschriften
unterscheiden sich nur in der Bezeichnung des Rechtsmittels und den
Ausführungen zur Fristwahrung. Zudem wird unter dem Titel "Begründung der
bundesgerichtlichen Berufung" lit. a auf einer halben Seite einleitend
zusammengefasst, welche Vorwürfe gegen das Obergericht erhoben werden. Eine
entsprechende Passage findet sich in der Nichtigkeitsbeschwerde unter
dem Titel "Zur Beschwerde". Schliesslich folgt in dieser Rechtsschrift
auf den Seiten 16 und 17 als "Zusammenfassung" eine Aufzählung der von
der Klägerin gegenüber dem Urteil des Obergerichts erhobenen Vorwürfe.

Erwägung 2

    2.- a) Einen ähnlich gelagerten Fall hat das Bundesgericht in
BGE 116 II 93 beurteilt. Dort (E. 1) hat es darauf hingewiesen, dass
gemäss ständiger Rechtsprechung zwei Bundesrechtsmittel nicht miteinander
verbunden werden dürfen, sondern je getrennt erhoben und begründet werden
müssen. Eine unzulässige Umgehung dieser Rechtsprechung liege vor,
wenn zwei Rechtsmittel zwar in getrennten Eingaben, aber mit gleicher
Begründung eingereicht und zudem Rügen des einen Rechtsmittels mit solchen
des andern vermengt würden. In verschiedenen neueren Entscheiden habe
das Bundesgericht ein solches Vorgehen als missbräuchlich bezeichnet
und sei auf beide Rechtsmittel nicht eingetreten (BGE 115 II 397 E. 2,
113 IV 46 f.). In ähnlicher Weise setze sich eine Partei dem Vorwurf
des Missbrauchs von Rechtsmitteln aus, wenn sie eine Berufung an das
Bundesgericht mit einer kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde vermenge, indem
sie unbekümmert um die Verschiedenartigkeit der Rechtsmittel in beiden
Eingaben weitgehend dieselbe Begründung vortrage. Auf die Berufung sei
schon aus diesem Grund nicht einzutreten.

    Aus diesem letzten Satz darf nicht abgeleitet werden, das Bundesgericht
betrachte als Grund, warum auf beide Rechtsmittel nicht einzutreten sei,
dass deren Begründung wörtlich übereinstimmt. In BGE 115 II 398 ist klar
festgehalten worden, der Grund liege nicht in der Vermengung der Rügen als
solcher, sondern darin, dass als deren Folge im Einzelfall die Begründung
für die bundesrechtlichen Rechtsmittel nicht ausreichend klar ersichtlich
sei und damit den gesetzlichen Anforderungen nicht genüge. Daran wurde mit
BGE 116 II 93 nichts geändert, wie insbesondere aus Erwägung 2 hervorgeht,
wo dargelegt wird, warum die einzelnen Rügen - unabhängig von ihrer
wörtlichen Übereinstimmung mit jenen der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde
- unzulässig sind. In diesem Sinne ist Erwägung 2 im Verhältnis zu Erwägung
1 nicht als Neben-, sondern als Hauptbegründung zu betrachten.

    b) Diese Rechtsprechung, der sich die II. Zivilabteilung in
einem unveröffentlichten Urteil vom 31. Januar 1990 (i.S. P. gegen
S.) angeschlossen hat, ist von POUDRET kritisiert worden (Irrecevabilité
ou sanction disciplinaire? Remarques à propos de la dualité de
recours au contenu identique, JdT 1990 I S. 290 ff.). Dieser Autor
wirft dem Bundesgericht vor, es prüfe zu Unrecht nicht, ob im Falle
von gleich begründeten Rechtsmitteln neben unzulässigen auch zulässige
Rügen erhoben werden; zudem stellten die Nichteintretensentscheide eine
disziplinarische Massnahme dar, die im Gesetz nicht vorgesehen sei. Gerügt
wird schliesslich, dass in einzelnen Entscheiden darauf hingewiesen
worden sei, es dürfe insbesondere von rechtskundigen Parteivertretern
erwartet werden, dass sie von den Rechtsmitteln in der vom Gesetzgeber
vorgeschriebenen Art Gebrauch machten.

    Die von POUDRET geäusserte Kritik ist indessen unbegründet. Zum einen
verkennt dieser Autor den Sinn und die Tragweite der von ihm kritisierten
Rechtsprechung. Wie bereits festgehalten worden ist, macht nicht allein
schon die übereinstimmende Begründung die Rechtsmittel unzulässig. In
solchen Fällen ist vielmehr jede Rechtsschrift daraufhin zu prüfen,
ob damit Rügen vorgebracht werden, die im Rahmen des entsprechenden
Rechtsmittels grundsätzlich zulässig sind und den jeweiligen
Begründungsanforderungen genügen; indessen ist daran festzuhalten,
dass zufolge der Verflechtung nicht offenkundig aufscheinende und
nicht eindeutig zugeordnete Vorbringen vom Bundesgericht übergangen
werden (BGE 115 II 398). Zum andern kann im Nichteintreten auch keine
gesetzwidrige Massnahme gesehen werden, denn die Begründungsanforderungen
beruhen auf gesetzlicher Vorschrift (Art. 55 Abs. 1 lit. c, Art. 90
Abs. 1 lit. b OG). Nach ständiger Praxis wird zudem auf ungenügend
begründete oder unzulässige Rügen nicht eingetreten, ohne dass der
Rechtsmittelkläger Gelegenheit zur Verbesserung erhält (BGE 106 II 176,
109 Ia 225 E. 2b). Die Bestimmung von Art. 55 Abs. 2 OG, die ohnehin
nur für das Berufungsverfahren gilt, findet insoweit keine Anwendung
(BGE 92 II 303). Schliesslich bestehen auch keine Bedenken dagegen,
im Einzelfall zu berücksichtigen, ob eine Rechtsschrift von einem
Rechtsanwalt oder einem juristischen Laien verfasst worden ist. Dass ein
Rechtsanwalt aufgrund seiner Ausbildung und beruflichen Tätigkeit besser
als ein juristischer Laie in der Lage sein muss, eine den gesetzlichen
Anforderungen gerecht werdende Rechtsschrift einzureichen, versteht
sich von selbst. Das ist denn auch von Bedeutung, wenn geprüft wird,
ob eine staatsrechtliche Beschwerde ausreichend begründet worden ist
(BGE 109 Ia 226 E. 2b). Zudem handelt es sich um einen Gesichtspunkt,
der im Bereich der aus Art. 4 BV abgeleiteten Garantien - insbesondere
des Verbotes des überspitzten Formalismus, auf das sich POUDRET beruft -
praxisgemäss zu berücksichtigen ist (BGE 114 Ia 109, 113 Ia 90 E. 3d,
108 Ia 212, 106 Ia 16 E. 3 und 4). Aufgrund der von POUDRET vorgebrachten
Einwände besteht somit kein Anlass für eine Änderung der Rechtsprechung.

Erwägung 3

    3.- Gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. c OG muss in der Berufungsschrift
dargelegt werden, welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie durch den
angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Die Gesetzesartikel brauchen
allerdings nicht ausdrücklich genannt zu werden, falls aus den Vorbringen
hervorgeht, gegen welche Regeln des Bundesprivatrechts die Vorinstanz
verstossen haben soll (BGE 93 II 321/2 E. 2c mit Hinweis). Unerlässlich
ist aber, dass die Berufung auf die Begründung des angefochtenen Urteils
eingeht und im einzelnen zeigt, welche Vorschriften und warum sie von
der Vorinstanz verletzt worden sind. Allgemein gehaltene Einwände,
die ohne aufgezeigten oder erkennbaren Zusammenhang mit bestimmten
Entscheidungsgründen der Vorinstanz vorgebracht werden, genügen diesen
Anforderungen nicht (BGE 106 II 176 mit Hinweisen). Unzulässig sind
sodann Rügen, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen und
die Beweiswürdigung der Vorinstanz richten (BGE 116 II 93 E. 2 mit
Hinweisen). Vorbehalten bleiben lediglich die in Art. 63 Abs. 2 und
Art. 64 OG erwähnten Ausnahmen.

    Was die Klägerin unter dem Titel "Begründung der bundesgerichtlichen
Berufung" lit. a vorbringt, wird den erwähnten Begründungsanforderungen
nicht gerecht, da es sich um allgemein gehaltene Behauptungen handelt, mit
welchen nicht auf die einzelnen Erwägungen der Vorinstanz eingegangen und
insbesondere nicht dargelegt wird, inwiefern diese Bundesrecht verletzen
sollen. Ebenfalls nicht zu hören sind die Ausführungen unter lit. b Ziffern
1 bis 4, denn damit kritisiert die Klägerin tatsächliche Feststellungen
und die Beweiswürdigung der Vorinstanz, ohne eine der gemäss Gesetz
zulässigen Sachverhaltsrügen zu erheben. Unter den Ziffern 5 und 6 geht
die Klägerin sodann auf eine Erwägung des Bezirksgerichts ein, der sich
das Obergericht indessen nicht angeschlossen hat, weil sie aus seiner
Sicht rechtlich unerheblich war. Unter den gegebenen Umständen besteht
kein Anlass, auf diese Eventualbegründung einzugehen. Im übrigen erschöpft
sie sich ohnehin in unzulässiger Kritik an der Beweiswürdigung. Das gilt
auch für die abschliessenden Vorbringen unter Ziffer 7, so dass auf die
Berufung insgesamt nicht eingetreten werden kann.