Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 II 689



116 II 689

120. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Dezember 1990 i.S.
Bank X gegen M. H. (Berufung) Regeste

    Haftung des vollmachtlosen Stellvertreters (Art. 39 OR).

    1. Der vollmachtlose Stellvertreter haftet aus Bereicherungsrecht
auch dann, wenn er die Leistung selber nicht empfangen hat, sondern diese
durch Anweisung einem andern hat zukommen lassen (E. 3b).

    2. Welche Folgen zeitigt ein Selbstverschulden des
Verhandlungspartners an der Unkenntnis des Vollmachtsmangels auf seinen
Schadenersatzanspruch? (E. 3c).

Sachverhalt

    A.- Über die von ihm beherrschte Gesellschaft N. S.p.a.  beaufragte
K. H. in den Jahren 1969 und 1970 die Bank X (Beklagte), der K. H.
AG einen treuhänderischen Kredit von DM 750'000.-- zu gewähren, wobei
Rückzahlungen aus dem Darlehen bis zu DM 600'000.-- seinem Privatkonto bei
der Beklagten gutgeschrieben werden sollten. Mit Vertrag vom 1. Oktober
1975 trat die ebenfalls von K. H. beherrschte I. an Stelle der N. S.p.a. in
die Rechtsstellung der Treugeberin ein.

    Die beiden Gesellschaften I. und K. H. AG trat K. H. mit Rechtsgeschäft
unter Lebenden seinem Sohn M. H. (Kläger) ab. Das Privatkonto, auf
welches die Rückzahlungen angewiesen wurden, ging mit seinem Tod auf die
Ehefrau als Alleinerbin und nach deren Ableben auf die Geschwister des
Klägers über.

    Noch zu Lebzeiten seiner Mutter hatte der Kläger die Beklagte
angewiesen, die Zahlungen aus dem Treuhandkredit nicht mehr deren
Privatkonto, sondern der I. gutzuschreiben. Die Beklagte nahm diese
Weisung entgegen, ohne sich näher um die Legitimation des Klägers zu
kümmern, und leitete erhebliche Beträge weisungsgemäss um.

    B.- Der Kläger hielt bei der Beklagten Guthaben von insgesamt
Fr. 196'942.--, welchen Betrag nebst Zins er mit Klage vom 28. März
1989 zur Auszahlung forderte. Die Beklagte widersetzte sich dem Begehren
mit einer Verrechnungsforderung auf Schadenersatz und ungerechtfertigte
Bereicherung von Fr. 256'836.30 aus vollmachtloser Stellvertretung.

    Am 11. April 1990 schützte das Handelsgericht des Kantons Zürich die
Klage im Betrage von Fr. 29'051.10 nebst Zins.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung der Beklagten teilweise gut
und weist die Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Für die rechtliche Beurteilung der Streitsache ist davon
auszugehen, dass der Kläger als vollmachtloser Stellvertreter seiner Mutter
die Beklagte wissentlich und willentlich angewiesen hat, bestimmte Gelder
nicht deren Privatkonto, sondern demjenigen der I. gutzuschreiben, dass
die Beklagte ihrerseits die Legitimation des Klägers zu dieser Anweisung
nicht geprüft hat und mit Zahlungen von Fr. 188'782.30 an die jetzigen
Inhaber des Privatkontos sowie mit Fr. 63'054.-- an Prozesskosten, total
mit Fr. 251'836.30, zu Verlust gekommen ist.

    Das Handelsgericht bejaht grundsätzlich die Haftung des Klägers nach
Art. 39 Abs. 1 OR für diesen Verlust, setzt die Ersatzpflicht aber zufolge
Selbstverschuldens der Beklagten in Anwendung von Art. 44 Abs. 1 OR um
einen Drittel auf Fr. 167'890.90 herab und verrechnet diesen Betrag mit
dem Guthaben des Klägers bei der Beklagten. Die Beklagte wendet sich unter
Berufung auf Art. 38 ff., 41 ff. und 62 ff. OR gegen die Kürzung, der
Kläger gegen einen Schadenersatz- oder Bereicherungsanspruch der Beklagten.

    a) Nach Art. 39 Abs. 1 OR haftet der vollmachtlose Stellvertreter
für das negative, bei Verschulden nach Billigkeit zudem für das positive
Interesse des Dritten (Art. 39 Abs. 2 OR), sofern dieser den Mangel
der Vollmacht weder gekannt hat noch hätte kennen sollen (BGE 106 II
132 E. 5 mit Hinweis). Vorbehalten bleibt zudem die Forderung aus
ungerechtfertigter Bereicherung (Art. 39 Abs. 3 OR).

    b) Die Fragen, ob die Beklagte den Mangel der Vollmacht hätte kennen
müssen, und wie sich dieser Umstand allenfalls auf die Leistungspflicht des
Klägers auswirkt, sind ohne Bedeutung, soweit der Anspruch der Beklagten
sich auf Bereicherungsrecht (Art. 62 ff. OR) abzustützen vermag, da dieser
Anspruch nach Art. 39 Abs. 3 OR in allen Fällen vorbehalten bleibt (BGE
90 II 414 E. 5b).

    Ein Bereicherungsanspruch steht dem Dritten nicht nur gegenüber
dem angeblich Vertretenen zu, der die Leistung empfangen, sondern auch
gegenüber dem vollmachtlosen Stellvertreter, der sie zu Handen des
angeblich Vertretenen entgegengenommen hat (BGE 97 II 71 E. 4b, 90 II
414 E. 5b). Aus ungerechtfertigter Bereicherung wird der vollmachtlose
Stellvertreter auch rückerstattungspflichtig, wenn er die Leistung
seinerseits einem Unbeteiligten, d.h. einem Vierten weitergegeben hat
(ZÄCH, N 78 zu Art. 39 OR). Vorliegend hat der Kläger als vollmachtloser
Stellvertreter indessen keine unmittelbare Leistung empfangen, sondern
diese durch Anweisung an die Beklagte der I. zukommen lassen. Es
stellt sich die Frage, ob er aus ungerechtfertigter Bereicherung haftet
oder sich darauf berufen kann, gegebenenfalls sei nicht er, sondern
I. ungerechtfertigt bereichert.

    aa) Wird eine Anweisung aus dem Deckungsverhältnis oder aus
dem Valutaverhältnis fehlerhaft und damit rechtsgrundlos erteilt
und vollzogen, entsteht der Bereicherungsanspruch unter den Personen,
zwischen denen die grundlose Zuwendung stattgefunden hat, somit entweder
zwischen denjenigen des Deckungs- oder denjenigen des Valutaverhältnisses
(VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts,
Band I, 3. Aufl. 1979, S. 477/8 mit zahlreichen Hinweisen). Gleiches gilt,
wenn es in beiden Leistungsverhältnissen an einem Rechtsgrund fehlt; auch
diesfalls ist ein unmittelbarer Bereicherungsanspruch des Angewiesenen
gegen den Leistungsempfänger zu verneinen. Die Rückabwicklung ist unter
den jeweils an einem der Leistungsverhältnisse Beteiligten vorzunehmen und
der Anweisende muss sich einen sogenannten Durchgangsverkehr anrechnen
lassen, wie wenn die Leistung zunächst seinem Vermögen zugeflossen
wäre (VON TUHR/PETER, aaO, S. 478 Fn. 28 mit Hinweisen). Andernfalls
würde der Angewiesene Einwendungen des Leistungsempfängers aus dessen
Rechtsbeziehungen zum Anweisenden oder aus Art. 64 OR ausgesetzt,
mithin Risiken aus Rechtsverhältnissen, auf deren Gestaltung er keinen
Einfluss hatte.

    bb) Beruht der Rechtsfehler im Deckungsverhältnis auf mangelnder
Vollmacht des anweisenden Stellvertreters, haftet der vollmachtlose
Stellvertreter als Schuldner an Stelle oder je nach Verwendung der
Leistung neben dem angeblich Vertretenen. Eine Bereicherung der Inhaber
des Privatkontos ist vorliegend nicht erstellt, der Kläger somit gegenüber
der Beklagten allein rückleistungspflichtig. Er muss sich den fingierten
Durchgangserwerb als ungerechtfertigte Bereicherung anrechnen lassen. Ob
im Valutaverhältnis gültig geleistet wurde, ist nach dem Gesagten im
vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen.

    Allerdings ist der Kläger nicht im gesamten Ausmass des von der
Vorinstanz festgestellten Verlusts der Beklagten ungerechtfertigt
bereichert, vielmehr nur im Umfange seines Durchgangserwerbs,
d.h. rechtsgrundlos erfolgten Leistungen der Beklagten an I. Deren genaue
Höhe lässt sich den Feststellungen der Vorinstanz nicht entnehmen;
sie braucht sich - insbesondere im Hinblick auf möglicherweise
unterschiedliche Zinssätze - auch nicht mit den Zahlungen der
Beklagten an die jetzigen Inhaber des Privatkontos gemäss dem Urteil des
Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 2. September 1988 zu decken. Den
Betrag der rechtsgrundlos erfolgten Zuwendungen wird die Vorinstanz daher
festzustellen haben. Daraus ergibt sich die Bereicherung des Klägers,
welche nebst Bereicherungszins (BGE 84 II 186 E. 4) herauszugeben
ist. Angesichts des verbindlich festgestellten Wissens des Klägers um die
fehlende Vollmacht und aufgrund seines Handlungsvorsatzes ist ihm dabei
die Entreicherungseinrede nach Art. 64 OR von vornherein verschlossen
(BGE 93 II 379; KELLER/SCHAUFELBERGER, Das Schweizerische Schuldrecht,
Band III, S. 85).

    c) Soweit der verbindlich festgestellte Verlust der Beklagten von Fr.
251'863.30 die Bereicherung des Klägers übersteigt, stellt sie Schaden
im Rechtssinne dar und es ist zu prüfen, ob der Kläger dafür Ersatz zu
leisten hat.

    aa) Der Schadenersatzanspruch aus Art. 39 OR entfällt, wenn der
Verhandlungspartner den Mangel der Vollmacht gekannt hat oder hätte
kennen müssen (Abs. 1). Das Kennenmüssen entspricht der fahrlässigen
Unkenntnis des Mangels, der Missachtung der nach den Umständen gebotenen
Aufmerksamkeit (ZÄCH, N 19 zu Art. 39 OR). Der Dritte muss folglich
den Vollmachtsmangel dann kennen, wenn er die nach Art. 3 Abs. 2 ZGB
geforderte Aufmerksamkeit ausser acht lässt und die Unaufmerksamkeit für
die Unkenntnis des Vollmachtsmangels kausal ist (KOLLER, Der gute und
der böse Glaube im allgemeinen Schuldrecht, S. 46 Rz. 167). Eine solche
Unaufmerksamkeit der Beklagten bejaht die Vorinstanz zu Recht. Durch
Stellvertreter angeordnete Bankanweisungen sind besonders sorgfältig
zu überprüfen, Bankvollmachten bereits nach Verkehrsübung auf ihre
Echtheit hin (ZÄCH, N 19 zu Art. 39 OR). Eine Bank verletzt ihre
Sorgfaltspflichten, wenn sie auf die Vorlage einer Vollmacht überhaupt
verzichtet und dem angeblichen Stellvertreter bloss aufgrund bestehender
Geschäftsbeziehungen und verwandtschaftlicher Bindungen zum Vertretenen
Vertrauen schenkt. Beizupflichten ist der Vorinstanz zudem darin, dass
die Sorgfaltspflichtverletzung und damit Fahrlässigkeit der Beklagten
nicht als leicht zu werten ist.

    Kontrovers ist in der Lehre die Frage, welche Folgen ein
Selbstverschulden des Dritten an der Unkenntnis des Vollmachtsmangels
auf seinen Schadenersatzanspruch aus Art. 39 OR zeitigt. Während einige
Autoren im Fehlen eigenen Verschuldens eine negative Haftungsvoraussetzung
erblicken und demzufolge bei gegebener Fahrlässigkeit einen Ersatzanspruch
zwingend ausschliessen (ZÄCH, N 20 zu Art. 39 OR; BUCHER, Schweizerisches
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 644; KOLLER, aaO, S.
118 Rz. 381; GEORGES VIOLAND, Die Stellvertretung ohne Ermächtigung,
Diss. St. Gallen 1988, S. 152), lassen andere ein Selbstverschulden des
Dritten als blossen Herabsetzungsgrund im Sinne von Art. 44 OR gelten
(OSER/SCHÖNENBERGER, N 15 zu Art. 39 OR; BECKER, N 7 zu Art. 39 OR;
PIOTET, Culpa in contrahendo, S. 102; ENGEL, Traité des obligations en
droit suisse, S. 276; KARL SCHERRER, Das negative Vertragsinteresse
als Schadenersatz aus unwirksamen Verträgen, Diss. Zürich 1928,
S. 39). Das Bundesgericht hat zu Art. 48 aOR ohne nähere Begründung
die Auffassung vertreten, ein Selbstverschulden des Dritten gebe einen
Herabsetzungsgrund ab (BGE 27 II 210 E. 8), sich später aber mit der
Frage nicht mehr befasst. Nach anscheinend unbestrittener Auffassung zu §
179 Abs. 3 BGB, welcher inhaltlich dem schweizerischen Recht entspricht,
schliesst Fahrlässigkeit des Dritten im deutschen Recht eine Haftung des
vollmachtlosen Stellvertreters aus (SOERGEL/LEPTIEN, N 19 zu § 179 BGB;
FLUME, Das Rechtsgeschäft, S. 804), und kommt insbesondere § 254 Abs. 1 BGB
über die Herabsetzung des Schadenersatzes zufolge Selbstverschuldens des
Geschädigten nicht zur Anwendung (THIELE, MünchKomm, N 42 zu § 179 BGB).

    bb) Eine Gesetzesbestimmung ist in erster Linie nach ihrem Wortlaut
auszulegen. An einen klaren und unzweideutigen Gesetzeswortlaut ist
die rechtsanwendende Behörde grundsätzlich gebunden, solange dieser
den wirklichen Sinn der Norm wiedergibt (BGE 114 II 406 E. 3). Bei der
Auslegung des Gesetzes ist auch systematischen Gesichtspunkten Rechnung
zu tragen und danach zu trachten, eine Norm in das gesamte Rechtssystem
zu integrieren und nach Möglichkeit Widersprüche zu vermeiden (BGE 114
Ia 197 E. cc).

    Die Auffassung, schuldhafte Unaufmerksamkeit des Geschädigten
schliesse die Haftung aus, steht im Einklang mit dem Gesetzestext, aber
im Widerspruch zum allgemeinen schweizerischen Schadenausgleichssystem,
welches im deliktischen (Art. 44 OR) wie im vertraglichen (Art. 99
Abs. 3 OR) Haftpflichtrecht das Selbstverschulden grundsätzlich bloss
als Herabsetzungsgrund und nur ausnahmsweise als Ausschlussgrund
wertet, nämlich dann, wenn es von einer solchen Intensität ist,
dass der adäquate Kausalzusammenhang als unterbrochen erscheint. Der
Bedeutungszusammenhang der Haftung des vollmachtlosen Stellvertreters zu
den allgemeinen Grundsätzen des Haftpflichtrechts legt nahe, nicht jede
als Sorgfaltspflichtverletzung zu wertende Unaufmerksamkeit des Partners
sogleich als Haftungsausschluss zu verstehen, zumal dort nicht, wo auch der
vollmachtlose Stellvertreter schuldhaft, namentlich vorsätzlich handelt. In
solchen Fällen drängt sich vielmehr auf, Art. 44 OR analog heranzuziehen,
und das Mass der Haftung des vollmachtlosen Stellvertreters in Abwägung der
gegenseitig zu vertretenden Umstände festzulegen. Diese Auffassung lässt
sich namentlich auch mit dem Regelungsgedanken von Art. 39 Abs. 2 OR in
Einklang bringen, wonach der vollmachtlose Stellvertreter bei Verschulden
auch für den weiteren Schaden, das positive Interesse, einzustehen hat,
sofern dies der Billigkeit entspricht, und ein solcher Billigkeitsentscheid
in Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände zu ergehen hat (BGE 106
II 133 E. c). Im Rahmen dieses Ermessens aber besteht durchaus Raum, auch
beidseitigem Verschulden angemessen Rechnung zu tragen. Insoweit ist daher
die Rechtsauffassung der Vorinstanz nicht zu beanstanden. Der Kläger hat
vorsätzlich vollmachtlos gehandelt; der Beklagten ist eine nicht leichte
Sorgfaltspflichtverletzung (Fahrlässigkeit) vorzuwerfen. Eine Gewichtung
des beidseitigen Verschuldens lässt die Kürzung des Schadenersatzanspruchs
der Beklagten um einen Drittel in jeder Hinsicht als sachgerecht
erscheinen.