Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 II 63



116 II 63

9. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Januar 1990
i.S. Georg Moritz-Plattner gegen Karl Gogel und Klara und Werner
Waldmeier-Müller (Berufung) Regeste

    Vorkaufsrecht bei Stockwerkeigentum, das nach kantonalem Recht vor
1912 begründet wurde (Art. 3 und Art. 20bis SchlT ZGB).

    Kantonalrechtliches, vor 1912 begründetes Stockwerkeigentum untersteht
mit Inkrafttreten der Änderung des ZGB vom 19. Dezember 1963 von Gesetzes
wegen den neuen bundesrechtlichen Bestimmungen über das Stockwerkeigentum
(Art. 20bis SchlT ZGB). Da diese kein gesetzliches Vorkaufsrecht vorsehen
(Art. 712c Abs. 1 ZGB), besteht ein solches auch dann nicht mehr, wenn
das kantonale Recht für das vor 1912 begründete Stockwerkeigentum ein
solches kannte (E. 3).

    Als vereinbartes und damit wohlerworbenes Recht, in das nach Art. 1
SchlT ZGB mit einer Gesetzesänderung nicht eingegriffen werden darf, kann
nur gelten, was tatsächlich auf diese Weise entstanden ist, nicht auch,
was bloss hätte vertraglich geordnet werden können (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Gemäss Grundbucheintrag sind Karl Gogel, Georg Moritz-Plattner und

    August Blank Eigentümer der Parzelle 116 des Grundbuchs Augst. Auf
dem entsprechenden Grundbuchblatt findet sich die Anmerkung,
dass Stockwerkeigentum gemäss besonderer Liegenschaftsbeschreibung
bestehe. Auf dem Blatt 111 des Grundbuchs Augst ist nur Karl Gogel als
Eigentümer eingetragen. Stockwerkeigentum ist hier nicht angemerkt. Aus
den dazugehörigen Plänen ergibt sich aber, dass das Gebäude, an dem
Stockwerkeigentum besteht, teilweise auf der Parzelle 111 steht. Die
Aufteilung des Gebäudes in die verschiedenen Stockwerkeinheiten ist im
vorliegenden Prozess unbestritten.

    Karl Gogel schloss am 19. Februar 1986 mit Klara und Werner
Waldmeier-Müller einen Kaufvertrag über Parzelle 111 und den in seinem
Eigentum stehenden Teil der Parzelle 116 (Stockwerkeigentum) des Grundbuchs
Augst ab. Die Bezirksschreiberei Liestal teilte unter Hinweis auf das
Miteigentümervorkaufsrecht August Blank und Georg Moritz mit, dass Karl
Gogel seinen Anteil an der Parzelle 116 verkauft habe. Am 8. März 1986
übte Georg Moritz dieses Vorkaufsrecht aus. Am 10. März 1986 erklärte er
in einem zweiten Schreiben an die Bezirksschreiberei, dass er gestützt auf
sein kantonalrechtliches Stockwerkeigentum an Parzelle 116 und an einer
in seinem Stockwerkeigentum stehenden Wohnung, welche sich im Gebäude auf
Parzelle 111 befinde, vom Vorkaufsrecht Gebrauch mache und Übertragung
des ganzen Kaufsobjektes an sich fordere.

    B.- Auf Eingabe von Georg Moritz traf der Bezirksgerichtspräsident in
Liestal die superprovisorische Verfügung, dass der Grundbuchverwalter die
Eigentumsübertragung an Klara und Werner Waldmeier-Müller nicht vornehmen
dürfe. Diese Anordnung wurde anschliessend bestätigt und Georg Moritz
Frist zur Einreichung einer Klage gesetzt.

    Fristgerecht klagte Georg Moritz gegen Karl Gogel und verlangte,
dass er anstelle der Eheleute Waldmeier als Käufer in den Kaufvertrag
zu substituieren sei. Auf Antrag von Karl Gogel traten Klara und Werner
Waldmeier-Müller als Streitberufene ins Verfahren ein.

    Mit Urteil vom 17. März 1988 wies das Bezirksgericht Liestal die Klage
ab. Mit Entscheid vom 30. Mai 1989 bestätigte das Obergericht des Kantons
Basel-Landschaft auf Appellation von Georg Moritz hin dieses Urteil.

    C.- Gegen dieses Urteil hat Georg Moritz Berufung an das Bundesgericht
erhoben. Er beantragt im wesentlichen, das vorinstanzliche Urteil
aufzuheben und "die berufungsbeklagten Parteien (...) zu verurteilen, dem
Berufungskläger die Parzelle 111 des Grundbuchs Augst zu übereignen". Karl
Gogel sowie Klara und Werner Waldmeier-Müller beantragen die Abweisung
der Berufung.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Es ist unbestritten, dass im vorliegenden Fall die Aufteilung
in Stockwerkeigentum vor Inkrafttreten des ZGB erfolgte und im Kanton
Basel-Landschaft Stockwerkeigentümer bis Ende 1911 gegenseitig ein
Vorkaufsrecht hatten. Davon ging auch das Obergericht aus. Es entschied
jedoch, dass dieses Vorkaufsrecht mit der Gesetzesänderung vom 19. Dezember
1963 (Einführung des Stockwerkeigentums im ZGB) untergegangen sei. Der
Kläger sieht darin eine Verletzung von Bundesrecht.

Erwägung 3

    3.- a) Das Übergangsrecht zum ZGB enthält in Art. 1 bis 4 SchlT ZGB
allgemeine Grundsätze, die in den folgenden Bestimmungen konkretisiert
werden. Diese sind folglich im Lichte jener auszulegen (vgl. MUTZNER,
Berner Kommentar, 1926, Vorbemerkungen zu Art. 1-50 SchlT ZGB, N. 15 ff.).

    Nach Art. 20bis SchlT ZGB untersteht das frühere kantonale
Stockwerkeigentum, soweit es überlebt hat, den 1965 in Kraft getretenen
neuen Vorschriften des ZGB. Die Unterstellung erfolgte von Gesetzes
wegen, ohne dass es dafür eines besonderen Aktes der Beteiligten oder
eines Grundbucheintrages bedurfte (MEIER-HAYOZ/REY, Berner Kommentar,
1988, Vorbemerkungen zu Art. 712a-712t ZGB, N. 83; EDUARD BROGLI,
Das intertemporale Stockwerkeigentumsrecht der Schweiz am Beispiel des
Kantons Wallis, Diss. Freiburg 1985, S. 67; FRITZ SCHMID, Die Begründung
von Stockwerkeigentum, Diss. Zürich 1972, S. 146 f.). Art. 20bis
SchlT ZGB konkretisiert in erster Linie Art. 3 SchlT ZGB, welcher
Rechtsverhältnisse dem neuen Recht unterstellt, deren Inhalt unabhängig
vom Willen der Beteiligten durch das Gesetz umschrieben wird. Art. 20bis
SchlT ZGB schränkt - wie Art. 3 - Art. 1 SchlT ZGB ein, welcher die
Regel aufstellt, dass eine Gesetzesänderung keine Rückwirkung habe und
das Gesetz grundsätzlich nicht in wohlerworbene Rechte eingreife. Steht
ein Rechtsverhältnis in Frage, dessen Inhalt sich aus dem Gesetz ergibt,
so bestimmt sich nicht nur sein Inhalt, sondern auch sein Bestand nach dem
neuen Recht. Wenn es sich demgegenüber um ein erworbenes, selbständiges
Recht handelt, beurteilt sich der Bestand nach denjenigen Normen, welche
im Zeitpunkt der Begründung gegolten haben (MUTZNER, N. 3 zu Art. 3
SchlT ZGB).

    Im vorliegenden Fall fragt sich somit, ob das Vorkaufsrecht bloss
gesetzlichen Inhalt des Stockwerkeigentums bildet oder - wie der Kläger
behauptet - ein eigenständiges, vor dem Inkrafttreten des ZGB entstandenes
wohlerworbenes Recht.

    b) Das Gesetz selber umschreibt nicht, was als gesetzlicher Inhalt
eines Rechts gilt und was als selbständiges, wohlerworbenes Recht
angesehen werden muss. Für die Unterscheidung ist vom Zweck auszugehen,
der mit dem Übergangsrecht verfolgt wird. Einerseits hat der Gesetzgeber
Sorge zu tragen, dass die unter dem Schutz der früheren Rechtsordnung
erworbenen Rechte soweit als möglich respektiert werden, andererseits
aber hat er dafür zu sorgen, dass sich das Recht entwickeln und neuen
Bedürfnissen anpassen kann (MUTZNER, Vorbemerkungen zu Art. 1-50 SchlT
ZGB, N. 9). Als Inhalt sind deshalb alle Berechtigungen anzusehen,
"die gestützt auf einen bestimmten Zustandstatbestand für alle Personen
unmittelbar durch das Gesetz begründet werden" (MUTZNER , N. 3 zu Art. 3
SchlT ZGB). Selbständige, erworbene Rechte sind jene Rechte, die "auf
einem besondern Rechtsgrund beruhen" (MUTZNER, aaO).

    Das kantonalrechtliche Vorkaufsrecht, welches der Kläger geltend macht,
hat seine Berechtigung nur im Zusammenhang mit dem Stockwerkeigentum. Es
ist mit diesem ebenso verknüpft wie das in Art. 682 ZGB vorgesehene
Miteigentümervorkaufsrecht mit dem Miteigentum. So ist beispielsweise
die Übertragung des einen Rechts ohne Übergang des andern nicht möglich
(vgl. BGE 115 II 335, E. 2c).

    Das Vorkaufsrecht ist eine Beschränkung des Rechts, über sein Eigentum
frei zu verfügen. Das Miteigentümervorkaufsrecht, wie es Art. 682 ZGB
vorsieht, ist somit eine gesetzliche Eigentumsbeschränkung im Sinne von
Art. 680 ZGB, aufgestellt im Interesse der anderen Miteigentümer (vgl. BGE
92 I 238 E. 4 mit Verweisen; Botschaft, BBl 1962 II 1512). Aufgrund
der Vernehmlassungen hatte bereits der Bundesrat in seinen Entwurf
zur Einführung des Stockwerkeigentums die Gesetz gewordene Bestimmung
aufgenommen, die ein gesetzliches Vorkaufsrecht beim Stockwerkeigentum
ausdrücklich ausschliesst (BBl 1962 II 1528). Es bestand - und besteht
nach wie vor - das Bedürfnis, die Verkehrsfähigkeit der Stockwerkeinheiten
möglichst zu fördern. Eine Einschränkung sollte nur dort Platz greifen,
wo dies den besonderen Bedürfnissen im Einzelfall entspricht und die
Beteiligten dies einverständlich vereinbaren (BBl 1962 I 1514).

    Das Bundesgericht hielt wiederholt fest, dass das
gesetzlich vorgesehene Miteigentümervorkaufsrecht eine gesetzliche
Eigentumsbeschränkung darstellt, welche gemäss Art. 3 und Art. 17 Abs. 2
SchlT ZGB auf alle Verkäufe von Miteigentumsanteilen an Grundstücken
anwendbar ist, auch wenn das Miteigentum vor dem Inkrafttreten dieser
Bestimmung begründet wurde (BGE 90 II 141 f.; 92 I 238 f.). Entsprechend
findet auch das sich aus Art. 6 EGG ergebende Vorkaufsrecht auf
alle landwirtschaftlichen Gewerbe Anwendung, selbst wenn sie vor dem
Erlass dieser Norm erworben wurden (BGE 92 I 239). Nicht anders kann
es sich mit der Bestimmung verhalten, dass beim Stockwerkeigentum kein
Vorkaufsrecht besteht, obgleich es sich um eine Form von Miteigentum
handelt (Art. 712c Abs. 1 ZGB). Der Gesetzgeber wollte das alte kantonale
Stockwerkeigentum nicht für alle Zeiten vom Rechtsverkehr in den Formen
des Bundeszivilrechts ausschliessen (BBl 1962 II 1502) und unterstellte es
deshalb ausdrücklich und von Gesetzes wegen dem neuen Recht (Art. 20bis
SchlT ZGB). Er nahm es - wie die Botschaft sich ausdrückt - "unter
die Fittiche des neuen Rechts" (BBl 1962 II 1502). Hätte das ZGB von
Anfang an das Stockwerkeigentum vorgesehen, so stünde ausser Zweifel,
dass das frühere kantonale Vorkaufsrecht 1912 wie die anderen Zugsrechte
untergegangen wäre (vgl. BBl 1962 II 1502).

    Im Schrifttum vertritt demgegenüber STÖCKLI die Meinung, das
alte Vorkaufsrecht gelte auch nach Einführung des bundesrechtlichen
Stockwerkeigentums im Kanton Basel-Landschaft weiter (CLEMENS STÖCKLI, Die
Behandlung von altrechtlichem Stockwerkeigentum nach dem neuen Bundesgesetz
vom 19. Dezember 1963 über das Miteigentum und Stockwerkeigentum, ZBGR
46. Jahrg., 1965, S. 28 f.). Er erachtet die Verhältnisse, wie sie durch
das alte Recht geschaffen wurden, häufig für unpraktikabel. Die Aufhebung
des altrechtlichen Stockwerkeigentums sei deshalb zu begünstigen. Dazu
diene aber das Vorkaufsrecht, weil es ermögliche, bei einer Veräusserung
möglichst viele Stockwerkeinheiten in einer Hand zu vereinigen (STÖCKLI,
S. 28). Diese rechtspolitischen Überlegungen überzeugen nicht. Gibt das
Stockwerkeigentum des alten kantonalen Rechts im Einzelfall derart zu
Reibereien Anlass, dass sich die Aufhebung aufdrängt, so steht es den
Parteien frei, diese einverständlich vorzunehmen. Es besteht aber kein
Grund, nur deshalb einzelne Bestimmungen des alten kantonalen Rechts
in allen Fällen weitergelten zu lassen. Wenn die Parteien aufgrund der
konkreten Verhältnisse ein Vorkaufsrecht wünschen, können sie ein solches
ohne weiteres vereinbaren (Art. 712c Abs. 1 ZGB).

    Es ist somit der Vorinstanz zuzustimmen, wenn sie für den Entscheid,
ob ein Vorkaufsrecht besteht oder nicht, auf Art. 712c ZGB abstellt.

Erwägung 4

    4.- Die Ausführungen des Klägers in der Berufungsschrift könnten
allenfalls auch dahin verstanden werden, das gesetzliche Vorkaufsrecht
nach den alten kantonalen Normen sei nicht bloss gesetzlicher Inhalt
des kantonalen Stockwerkeigentums, sondern müsse auch als vertraglich
vereinbartes Recht angesehen werden, weil es dem Willen der Parteien
entsprochen habe. Darauf kann es aber nicht ankommen. Als vereinbartes
und damit wegen eines besonderen Grundes erworbenes Recht kann nur gelten,
was tatsächlich auf diese Weise entstanden ist, nicht auch, was bloss
hätte vertraglich geordnet werden können (BGE 64 II 413).