Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 II 441



116 II 441

82. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. Juni 1990
i.S. A. AG gegen B. AG (Berufung) Regeste

    Kaufvertrag; Verzugsschaden (Art. 102 f. und Art. 107 ff.  OR).

    1. Schuldnerverzug bei Verfalltagsgeschäft; Verhältnis der allgemeinen
Verzugsordnung zur Sonderregelung von Art. 107 ff. OR für vollkommen
zweiseitige Verträge (E. 2a).

    2. Berechnung des Verspätungsschadens (E. 2c). Schadensbegriff. Wann
stellt eine Konventionalstrafe einen Verspätungsschaden dar?

Sachverhalt

    A.- Auf telefonisches Gespräch hin offerierte die B. AG (Beklagte)
der A. AG (Klägerin) mit Telex vom 7. Juli 1986 eine Computeranlage zum
Preis von DM 440'000.--. Als Liefertermin wurde vermerkt "disponible:
15-31/8/86". Die Klägerin bestätigte mit Telex vom 8. Juli 1986 ihre
Kaufbereitschaft zu einem Preis von DM 430'000.--. Hinsichtlich des
Erfüllungszeitpunktes vermerkte sie "au plus tard le 31 août 1986". Am
15./18. Juli 1986 unterzeichneten die Parteien einen schriftlichen
Kaufvertrag, worin unter anderem der Preis mit DM 434'000.-- und als
Liefertermin der 31. August 1986 festgehalten wurden.

    Am 20. August 1986 verkaufte die Klägerin die Computeranlage einer
Firma C. weiter. Die Lieferung hatte spätestens bis zum 1. September
1986 zu erfolgen. Im Falle der Nichteinhaltung dieses Termins sollte die
Klägerin eine Konventionalstrafe in der Höhe von FF 300'000.-- bezahlen.

    Da die Beklagte bis zum 31. August 1986 nicht lieferte, verzichtete die
Klägerin auf eine Nachlieferung und behielt sich Schadenersatzansprüche
vor. Die Beklagte stellte eine Nachlieferung für den 16. September 1986
in Aussicht, was die Klägerin ablehnte. Im Oktober 1986 verkaufte die
Beklagte die Anlage zum Preis von £ 101'000.-- an eine englische Firma.

    B.- Die Klägerin belangte die Beklagte auf Fr. 78'600.-- nebst
Zins, welcher Betrag ihrer der Firma C. geschuldeten Konventionalstrafe
entsprach. Mit Urteil vom 11. Januar 1989 hiess das Bezirksgericht Baden
die Klage gut.

    In teilweiser Gutheissung einer Appellation der Beklagten wies das
Obergericht des Kantons Aargau am 27. September 1989 die Klage zur Zeit ab.

    Die Klägerin hat beim Bundesgericht Berufung eingelegt. Das
Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Parteien haben die Lieferung der Computeranlage bis
spätestens zum 31. August 1986 vereinbart und damit vertrauenstheoretisch
eindeutig ein Verfalltagsgeschäft im Sinne von Art. 102 Abs. 2
OR geschlossen. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz ist weder ein davon abweichender
übereinstimmender tatsächlicher Parteiwille noch eine spätere Umwandlung
des Verfalltagsgeschäfts in ein Mahngeschäft erstellt. Mithin ist
die Beklagte mit unbenütztem Ablauf des Liefertermins ohne weiteres
in Schuldnerverzug geraten. Dabei ist für den Berufungsentscheid ohne
Bedeutung, ob zusätzlich ein Fixgeschäft im Sinne von Art. 190 Abs. 1 OR
vorliegt, beeinflusst diese Frage doch nicht den Eintritt des Verzuges,
sondern einzig das Schicksal der ausgebliebenen Leistung.

    Daran ändert auch die in Art. 107 ff. OR enthaltene Sonderregelung
für vollkommen zweiseitige Verträge nichts. Diese ergänzt lediglich die
allgemeine Ordnung (GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht,
Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 1987, Band II, S. 142 Rz. 1774). Zum Vorgehen
nach Massgabe dieser Bestimmungen ist der Gläubiger bloss im Hinblick auf
Rechtsfolgen gehalten, die über die allgemeinen Verzugsfolgen hinausgehen,
namentlich wenn er der Realerfüllung Schadenersatz wegen Nichterfüllung
nach Art. 97 OR vorzieht oder vom Vertrag zurücktreten und das negative
Interesse ersetzt haben will (WIEGAND, recht 1983, S. 124 ff.). Für
den Verspätungsschaden dagegen hat der Schuldner mit Erfüllung des
Verzugstatbestandes einzustehen, und zwar unabhängig von einer Nachfrist
oder vom Vorliegen eines Fixgeschäfts.

    b) Befindet der Schuldner sich in Verzug, haftet er unter anderem für
den Verspätungsschaden (Art. 103 Abs. 1 OR), allerdings nicht kausal,
sondern aus Verschulden, wobei ihm der Exkulpationsbeweis obliegt
(Art. 103 Abs. 2 OR). Das Obergericht hält diesen Beweis nicht für
erbracht, ebensowenig einen vertraglichen Haftungsausschluss. Insoweit
ist sein Urteil nicht angefochten und daher auch nicht zu überprüfen.

    c) Der Verspätungsschaden berechnet sich nach dem positiven
Interesse des Gläubigers an der rechtzeitigen Erfüllung und umfasst
sowohl entgangenen Gewinn (lucrum cessans) wie abgeschlossene
Vermögensverminderungen (damnum emergens). Der letztgenannte positive
Schaden umfasst nach Lehre und Rechtsprechung auch Vermögensverminderungen
des Gläubigers, die daraus erwachsen, dass er wegen des Ausbleibens
der Erfüllung seinerseits Verpflichtungen gegenüber Dritten nicht
oder nicht rechtzeitig nachkommen kann und deswegen Schadenersatz oder
Konventionalstrafe entrichten muss (BGE 32 II 271 E. 5; BECKER, Berner
Kommentar, 2. Aufl. 1941, N 13 zu Art. 103 und N 35 zu Art. 97 OR; VON
TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts,
Band II, S. 144; BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner
Teil, S. 360 Fn. 125; GAUCH/SCHLUEP, aaO, S. 139 Rz. 1761). Davon gehen
zu Recht auch die Vorinstanz und die Parteien aus.

Erwägung 3

    3.- Die Klägerin macht als Verspätungsschaden einmal eine
Konventionalstrafe in der Höhe von FF 300'000.-- oder Fr. 78'600.--
geltend, welche sie aus ihrem Weiterveräusserungsvertrag mit der Firma
C. zufolge Nichteinhaltung des vereinbarten Fixtermins schulde. Das
Obergericht weist die Forderung mit der Begründung (zur Zeit) ab, die
Klägerin habe bis anhin der Firma C. nichts leisten müssen, weshalb ein
Schaden weder nachgewiesen noch eingetreten sei. Die Klägerin rügt diese
Auffassung als bundesrechtswidrig.

    a) Die Bestimmung des Schadens ist nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung grundsätzlich eine vom kantonalen Richter abschliessend
zu beurteilende Tatfrage. Rechtsfrage und vom Bundesgericht im
Berufungsverfahren zu prüfen ist einzig, ob der kantonale Richter
den Rechtsbegriff des Schadens verkannt oder Rechtsgrundsätze der
Schadensberechnung verletzt hat (BGE 113 II 346 E. 1 mit Hinweisen). Die
Klägerin rügt eine Verkennung des Schadensbegriffs.

    aa) Schaden ist die ungewollte Verminderung des Reinvermögens. Er
kann in einer Verminderung der Aktiven, einer Vermehrung der Passiven
oder in entgangenem Gewinn bestehen und entspricht nach allgemeiner
Auffassung der Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensstand und
dem Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte (BGE 104
II 199 mit Hinweisen). Der Differenzbestimmung unterworfen ist das vom
schädigenden Ereignis betroffene Rechtsgut, als welches ausnahmsweise
auch das Gesamtvermögen des Geschädigten erscheint, so wenn es mit einer
Verbindlichkeit belastet wird (MERZ, SPR VI/1, S. 187).

    Der Schaden tritt ein mit der rechnerischen Vermögensverminderung und
beläuft sich auf deren gegenwärtiges oder mit hinreichender Sicherheit
voraussehbar künftiges Ausmass. Ob der Geschädigte gewillt und in der Lage
ist, die Beeinträchtigung durch Wiederherstellung des Vermögensstandes
vor dem schädigenden Ereignis auszugleichen, ist für den Schadensbegriff
bedeutungslos. Ein Schaden ist daher nicht erst entstanden, wenn der
Geschädigte einen Verlust seines Barvermögens erleidet, vielmehr reicht
bereits die Beeinträchtigung seines Bilanzvermögens aus (BGE 64 II 138).
Ebenso tritt bei einer Vermehrung der Passiven der Schaden bereits mit
dem Entstehen der Verbindlichkeit und nicht erst mit deren Erfüllung
ein (KOZIOL, Österreichisches Haftpflichtrecht, Band I, 2. Aufl. 1980,
S. 14). Unerheblich ist, ob der Gläubiger der Verbindlichkeit bereits
konkrete Inkassomassnahmen angedroht oder eingeleitet hat (a. A. BECKER,
aaO, N 35 zu Art. 97 OR). Selbst wenn er vorübergehend oder dauernd
darauf verzichten würde, würde dies am eingetretenen Schaden so lange
nichts ändern, als nicht die tatsächliche Vermutung widerlegt wäre, dass
die Liberalität dem Geschädigten und nicht dem Schädiger zugute kommen
soll (BGE 97 II 266 E. 2 mit Hinweis). Der vorliegend geltend gemachte
Schaden ist jedenfalls mit der Rechtsverbindlichkeit des Drittanspruchs
eingetreten. Dabei kann offenbleiben, ob und inwieweit auch eine bloss
sittliche Verpflichtung, eine sogenannte Naturalobligation, dem rechtlichen
Schadensbegriff zu genügen vermöchte.

    bb) Das Obergericht verkennt mithin den Rechtsbegriff des Schadens,
wenn es dessen Eintritt mit der Begründung verneint, die Klägerin habe
bis anhin der Firma C. noch nichts leisten müssen. Entscheidend ist
vielmehr, ob die Klägerin zur Leistung verpflichtet ist, die Forderung auf
Bezahlung der vereinbarten Konventionalstrafe zu Recht besteht und damit
als Verbindlichkeit das Vermögen der Klägerin gemindert hat. In diesem
Fall ist der Schaden eingetreten und droht er nicht bloss, weshalb sich
auch die Frage eines hinreichend sicheren künftigen Schadens gar nicht
stellt. Insoweit ist die Berufung gutzuheissen und das angefochtene
Urteil aufzuheben.

    b) Die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil
reichen nicht aus, die anstehenden Rechtsfragen im Berufungsverfahren zu
beurteilen, was einen Sachentscheid des Bundesgerichts ausschliesst. Die
Streitsache ist daher zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    In seinem neuen Entscheid wird das Obergericht auch die im
angefochtenen Urteil offengelassenen Fragen zu prüfen haben, ob die
Konventionalstrafe mit der Firma C. simuliert oder rechtsmissbräuchlich
vereinbart worden ist, ob die Vertragskette mit der erheblichen
Konventionalstrafe des Folgevertrages für die Klägerin eine Anzeige-
oder Mahnpflicht an die Adresse der Beklagten begründete und ob die
Klägerin ihre Schadenminderungspflicht verletzt hat. Es wird bei gegebenem
Schaden der Klägerin und grundsätzlicher Ersatzpflicht der Beklagten
weiter die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zum Verschulden
zu treffen und gegebenenfalls bei der Bemessung des Schadenersatzes zu
berücksichtigen haben (Art. 99 Abs. 3 i.V. mit Art. 43 Abs. 1 OR). Sodann
wird es im Rahmen der Adäquanz zu prüfen haben, ob nach dem gewöhnlichen
Lauf der Dinge aus dem Folgevertrag mit einer Konventionalstrafe in der
vereinbarten Höhe gerechnet werden musste. Dabei hat es zu beachten,
dass übermässig hohe Konventionalstrafen richterlich herabzusetzen sind
(Art. 163 Abs. 3 OR; dazu BGE 114 II 264), welcher Grundsatz ebenfalls
im Rahmen der Ersatzbemessung Berücksichtigung verdient. Schliesslich
wird das Obergericht die Art des Schadenersatzes zu bestimmen haben
(Art. 99 Abs. 3 i.V. mit Art. 43 Abs. 1 OR), wobei namentlich auch
eine Naturalrestitution in dem Sinne in Betracht fallen kann, dass die
Beklagte statt zur Leistung an die Klägerin zu deren vollständiger oder
teilweiser Befreiung von der Forderung der Firma C. verpflichtet wird
(VON TUHR/PETER, aaO, Band I, S. 115 Fn. 4).