Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 II 411



116 II 411

76. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. November 1990
i.S. R. gegen S. (Berufung) Regeste

    Art. 509 und Art. 510 ZGB. Abgrenzung zwischen Vernichtung und Widerruf
einer letztwilligen Verfügung. Vernichtung durch Streichen.

    Streicht der Erblasser nachträglich eine Anordnung in einem Testament
durch, so ist der entsprechende Teil der Verfügung aufgehoben, auch wenn
die Streichung nicht in der Form der letztwilligen Verfügung erfolgt ist.

Sachverhalt

    A.- Emma Louise M. errichtete am 10. Januar 1977 eine handschriftliche
letztwillige Verfügung, in der sie Sylvia R. mit einem Legat von
Fr. 80'000.-- bedachte. Zu einem unbestimmten spätern Zeitpunkt strich
sie diese Verfügung. Die Streichung erfolgte ohne handschriftliche Orts-
und Datumsangabe; sie wurde auch nicht mit der Unterschrift bestätigt.

    Am 19. Februar 1987 starb Emma Louise M. Als ihren Erben hatte sie
Martin S. eingesetzt.

    B.- Am 30. August 1988 klagte Sylvia R. beim Bezirksgericht Zürich
gegen Martin S. auf Feststellung der Ungültigkeit der Streichung und auf
Ausrichtung des Vermächtnisses. Am 6. April 1989 trat das Bezirksgericht
auf das Feststellungsbegehren nicht ein und entschied, dass das Vermächtnis
auszurichten sei.

    Auf Appellation von Martin S. hin hob das Obergericht mit Urteil
vom 12. Dezember 1989 diesen Entscheid auf und wies die Klage ab.

    C.- Gegen dieses Urteil gelangt Sylvia R. mit Berufung an das
Bundesgericht und verlangt die Gutheissung ihrer Klage.

    Martin S. beantragt die Abweisung der Berufung und der Klage. Das
Obergericht des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht hat entschieden, dass eine handschriftliche
teilweise Streichung des Textes eines eigenhändigen Testaments eine
Vernichtung im Sinne von Art. 510 ZGB darstelle und deshalb auch ohne
Unterschrift sowie Orts- und Zeitangabe gültig sei. Demgegenüber will
die Klägerin in ihrer Berufung die Streichung als Widerruf nach Art. 509
ZGB verstanden wissen, für den die Formerfordernisse des eigenhändigen
Testaments (Unterschrift, Ort- und Zeitangabe) gelten.

Erwägung 3

    3.- a) Das Bundesgericht hatte bis jetzt noch nie die Frage der
Gültigkeit einer durchgestrichenen Testamentsbestimmung als solche zu
beurteilen. Es hatte aber mehrmals Gelegenheit, sich zu Unterscheidung
zwischen Widerruf und Vernichtung einer letztwilligen Verfügung
auszusprechen.

    In BGE 73 II 149 entschied das Bundesgericht, dass eine
Vernichtung nicht vorliege, wenn das Testament zu abgelegten Akten
gelegt werde. Es umschrieb dabei das Vernichten als eine Handlung,
"die die Testamentsurkunde körperlich zunichte macht (z.B. Verbrennen,
Zerreissen) oder wenigstens ihre körperliche Erscheinung so verändert,
dass ohne weiteres erkennbar ist, dass sie als entkräftet gelten soll
(Durchstreichen, Überschreiben, Durchlöchern usw.)". In BGE 78 II 351
tauchte sodann die Unterscheidung zwischen einer eigentlichen und einer
symbolischen Vernichtung (Durchstreichen, Durchlöchern, Überschreiben) auf,
wobei ausdrücklich offengelassen wurde, ob eine symbolische Vernichtung
genüge (so auch in BGE 80 II 307 E. 2, bezüglich des Streichens).

    In BGE 83 II 504 ff. ging es darum zu beurteilen, ob eine Bestimmung
des kantonalen Rechts das Bundesrecht verletze, welche vorsieht, dass
das Original des Testamentes beim Notar bleiben muss und von diesem
grundsätzlich nicht herausgegeben werden darf. Das Bundesgericht verneinte
diese Frage, weil die Vernichtung nach Art. 510 ZGB nicht nur im Zerreissen
oder Verbrennen bestehen könne, sondern auch im Streichen, Durchschneiden
oder Radieren und ähnlichem. Der Erblasser könne sich an den Notar wenden
und ihn beauftragen, die öffentliche Urkunde in der genannten Art zu
vernichten. In der Lehre wird zugelassen, dass sich der Erblasser für die
Vernichtung einer Mittelsperson bedient und sie nicht eigenhändig vornimmt
(TUOR, N. 10 zu Art. 509-511 ZGB; ESCHER, N. 4 zu Art. 510 ZGB; PIOTET,
Erbrecht, SPR Bd. IV/1, S. 248; ders., Précis de droit successoral, Bern
1988, S. 53). Schliesslich ging das Bundesgericht auch in BGE 101 II 217
davon aus, dass eine Vernichtung im Durchstreichen bestehen könne.

    b) Wie im vorinstanzlichen Urteil ausgeführt wird, ist auch die
überwältigende Mehrheit der Autoren der Meinung, dass das Streichen als
Vernichtung anzusehen und damit Art. 510 ZGB zu unterstellen sei (statt
vieler: TUOR, N. 11 zu Art. 509-510 ZGB; ESCHER, N. 1 zu Art. 510 ZGB;
PIOTET, SPR Bd. IV/1, S. 247; DRUEY, Grundriss des Erbrechts, Bern
1988, S. 109). Eine abweichende, differenzierende Meinung vertritt
JEAN-PIERRE HENRI COTTIER (Le testament olographe en droit suisse,
Diss. Lausanne 1960, S. 136 ff.). Im Interesse der Rechtssicherheit
sei von der für das Testament geltenden Formstrenge nicht leichthin
abzuweichen. Die Vernichtung müsse zwar nicht notwendigerweise die
Zerstörung des Schriftträgers bedeuten, sondern könne auch nur die
Schrift erfassen. Dies setze aber voraus, dass der Text vollständig
unleserlich gemacht werde. In die gleiche Richtung zielt SCHWALLER, der
für symbolische Vernichtungshandlungen die strenge Form des eigenhändigen
Testament verlangt (URS SCHWALLER, Die Unwirksamkeit des eigenhändigen
Testamentes, Diss. Freiburg 1981, S. 169). Entgegen den Ausführungen in der
Berufungsschrift findet die Klägerin für ihre Auffassung keine Stütze bei
PETER BREITSCHMID (Formvorschriften im Testamentsrecht, Diss. Zürich 1982,
S. 457 ff.). Mit Bedenken anerkennt auch dieser Autor das Streichen als
Vernichtungshandlung. Er verlangt jedoch, dass die entsprechende Handlung
vom Erblasser selber vorgenommen wird (aaO, S. 460).

Erwägung 4

    4.- a) Art. 510 ZGB handelt vom Aufheben eines Testamentes durch
Vernichtung der Urkunde. Es fragt sich somit in erster Linie, was unter
"Urkunde" im Sinne dieser Bestimmung zu verstehen ist. Es handelt sich
dabei um ein Schriftstück, somit um eine Schrift zusammen mit ihrem
Träger. Der Träger allein, das heisst das Papier, stellt noch keine Urkunde
dar. Die Schrift ihrerseits kann ohne Träger nicht bestehen. Bedeutet aber
"Urkunde" die Schrift und deren Träger, so kann auch die Vernichtung das
eine oder das andere erfassen. Vom Begriff der Urkunde aus gesehen lässt
sich somit nicht sagen, die blosse Einwirkung auf die Schrift sei keine
Vernichtungshandlung. Eine vor allem früher übliche Art der Vernichtung
war denn auch das Radieren oder Auslöschen des Textes. Dadurch wird
aber nur die Schrift, nicht auch das Papier zerstört. Es ist denn auch
unbestritten, dass das Durchstreichen eines Textes im Sinne eines völligen
Unkenntlichmachens als Vernichtung gemäss Art. 510 ZGB betrachtet werden
muss. Der Gesetzeswortlaut lässt somit ohne weiteres zu, das Streichen
als Vernichtungshandlung zu erfassen.

Erwägung 5

    5.- a) Das Obergericht hat aus der Entstehungsgeschichte des ZGB
den Schluss gezogen, ausdrückliche Formvorschriften für die Streichung
in Testamenten seien bewusst nicht ins Gesetz aufgenommen worden. Der
Gesetzgeber sei der Meinung gewesen, Streichungen stellten eine
(Teil-)Vernichtung dar. Die Klägerin widersetzt sich dieser Würdigung
der Materialien und sieht darin eine Verletzung von Art. 1 ZGB durch
das Obergericht. Es ist ihr zuzugeben, dass die Materialien, wie sie im
vorinstanzlichen Urteil wiedergegeben werden, kein völlig klares Bild
ergeben. Der Umstand, dass die Streichung regelmässig im Zusammenhang mit
der Vernichtung erwähnt wurde, lässt noch keinen eindeutigen Schluss zu,
denn das Streichen kommt jedenfalls dann einer Vernichtung gleich, wenn
dadurch der Text unleserlich wird.

    b) Wie die Entstehungsgeschichte zu deuten ist, braucht indessen
nicht abschliessend beurteilt zu werden. Das Bundesgericht hat wiederholt
erkannt, dass das Gesetz in erster Linie aus sich selbst, d.h. nach
seinem Wortlaut, Sinn und Zweck sowie nach den ihm zugrunde liegenden
Wertungen, auszulegen ist. Die Vorarbeiten sind weder verbindlich
noch für die Auslegung unmittelbar entscheidend. Massgeblich für den
Richter ist ausschliesslich die Norm selber. Das heisst nun nicht,
die Gesetzesmaterialien seien unbeachtlich. Sie können als wertvolles
Hilfsmittel dienen, um den Sinn einer Norm zu erkennen (statt vieler:
BGE 112 II 4). Ihre Bedeutung ist unterschiedlich je nach dem, ob es
sich um neuere oder um ältere Gesetze handelt (BGE 112 Ia 104; vgl. auch
die Wertung der Materialien in BGE 114 II 406 ff.; 115 II 199 ff. E. 6;
115 II 408 E. 2a; BGE 116 II 176 ff. E. 3). Dies hat das Obergericht nicht
verkannt. Es hält ausdrücklich fest, dass das historische Element nur einen
Ansatzpunkt für die Auslegung bildet, welchen es unter geltungszeitlichen
Gesichtspunkten zu prüfen gilt.

Erwägung 6

    6.- In systematischer Hinsicht geht das Obergericht davon aus, dass
die Art. 509 und 510 ZGB nicht in einem eindeutigen Verhältnis von Regel
und Ausnahme stehen. Überdies sei der Grundsatz umstritten, dass Ausnahmen
nicht extensiv auszulegen seien. Die Klägerin sieht demgegenüber Art.
510 ZGB als Ausnahme zu Art. 509 ZGB an und will deshalb jene Bestimmung
zurückhaltend ausgelegt wissen.

    a) Die Art. 509-511 ZGB stehen unter dem Titel "II. Widerruf
und Vernichtung". Ein eindeutiges Regel-Ausnahme-Verhältnis besteht
nicht. Es kann nicht gesagt werden, der Widerruf sei die Regel, während
die Vernichtung und die Errichtung einer späteren Verfügung Ausnahmen dazu
darstellten. Das Gesetz zeichnet drei gleichwertige Wege auf, ein Testament
aufzuheben. Einerseits kann der Testator seinen letzten Willen dadurch
widerrufen, dass er eine entsprechende ausdrückliche Erklärung abgibt
(Widerruf im engeren Sinn). Diese ist an die testamentarische Form gebunden
(Art. 509 ZGB). Aufhebende Wirkung kommt aber auch jeder neuen Verfügung
zu, welche der früheren widerspricht. Handelt es sich wiederum um eine
Verfügung von Todes wegen, bedarf sie der testamentarischen Form. Das
Gesetz stellt aber die Vermutung auf, dass ein neues Testament das
ältere aufhebt (Art. 511 Abs. 1 ZGB). Handelt es sich um eine Verfügung
unter Lebenden, besteht keine besondere Formvorschrift (Art. 511 Abs. 2
ZGB). Schliesslich besteht die Möglichkeit, das Testament dadurch
aufzuheben, dass auf die Urkunde des ursprünglichen Testamentes selber
eingewirkt wird. Diesen Fall regelt Art. 510 ZGB.

    b) Welche dieser drei möglichen Vorgehensweisen die Regel ist,
lässt sich kaum bestimmen. Die Urkunde, welche sich ausschliesslich
darauf beschränkt, eine letztwillige Verfügung zu widerrufen (Art. 509
ZGB), dürfte wohl am seltensten vorkommen. Näher liegt es, ein Testament
mit einer neuen Verfügung - sei es von Todes wegen oder unter Lebenden
(Art. 511 ZGB) - oder durch Vernichten der Urkunde zu beseitigen (Art. 510
ZGB). Insofern erscheint Art. 510 ZGB sicher nicht als die Ausnahme.

    Andererseits ist nicht zu verkennen, dass das schweizerische Erbrecht
für Verfügungen von Todes wegen in der Regel bestimmte, strenge Formen
vorsieht (vgl. Art. 498 ff. und 512 ZGB). Nur in wenigen Bestimmungen
wird von diesen Formen abgewichen. Dazu gehören die Art. 510 und 511
Abs. 2 ZGB. Insofern bildet Art. 510 ZGB eine Ausnahme. Es wäre von daher
zweifellos nicht angebracht, den in Art. 510 ZGB verankerten Verzicht auf
die erbrechtlichen Formen bei der Vernichtung auf weitere Tatbestände
auszudehnen, so beispielsweise auf die einseitige Aufhebung eines
Erbvertrages (vgl. Art. 513 Abs. 3 ZGB). Dies kann aber nicht bedeuten,
dass der Begriff der Vernichtung selber eng auszulegen sei. Hier ist
vielmehr danach zu forschen, was sinnvollerweise unter dem im Gesetz
geregelten Tatbestand zu verstehen ist. Insofern ist das Obergericht
richtigerweise davon ausgegangen, dass aus der Systematik für die
vorliegende Rechtsfrage nichts Eindeutiges gewonnen werden kann.

Erwägung 7

    7.- a) Die Vorinstanz wendet sich schliesslich der teleologischen
Auslegung zu. Sie hält fest, dass der Gesetzgeber dem Testator vereinfachte
Möglichkeiten zur Aufhebung einer letztwilligen Verfügung habe einräumen
wollen. Es gehe darum, dem letzten Willen des Testators zum Durchbruch zu
verhelfen. Mit Rücksicht auf die Beweisschwierigkeiten zufolge des Todes
des Erblassers basiere das Erbrecht auf einer gewissen Formstrenge. Diese
gelte aber bei der Aufhebung nicht in gleichem Masse. Abgesehen davon, dass
die Formstrenge nicht nur Beweis-, sondern auch Solennitätsfunktion hat,
kann dem Obergericht darin zugestimmt werden. Zutreffend ist auch, dass
dieser Gesetzeszweck der Anerkennung einer formlos gültigen Teilstreichung
in einem Testament nicht entgegensteht.

    b) Die Klägerin hält in Anlehnung an die Ausführungen des
Bezirksgerichts der Betrachtungsweise der Vorinstanz die Rechtssicherheit
entgegen. Nur das Erfordernis der strengen Form erlaube es abzuklären,
ob der Erblasser überhaupt verfügungsfähig war. In Art. 510 ZGB werde nur
deshalb von den beim eigenhändigen Testament geltenden Regeln abgewichen,
weil die Datierung und Unterzeichnung dann nicht möglich sei, wenn die
Urkunde vernichtet werde. Damit verkennt die Klägerin, dass von Vernichtung
sicher auch dann gesprochen werden muss, wenn die Schrift vollständig
unleserlich gemacht wird. Hier besteht aber die Urkunde weiter, und eine
Datierung, Ortsangabe und Unterschrift wären ohne weiteres möglich.

    Es ist der Klägerin zuzugeben, dass der Verzicht auf die in Art. 505
ZGB vorgeschriebene Form es erschwert, den Zeitpunkt der Willensäusserung
und damit auch die Verfügungsfähigkeit festzustellen. Diese Schwierigkeit
kann sich aber bei jeder Art von Vernichtung nach Art. 510 ZGB ergeben. Sie
besteht auch bei der auf den Textträger und nicht nur auf den Text
gerichteten Vernichtung (z.B. Zerreissen der Urkunde).

    c) Wenn neben dem Streichen auch das Datieren, die Ortsangabe und die
Unterschrift verlangt wird, besteht zweifellos eine grössere Sicherheit
über die Urheberschaft der Handlung. Dieses Argument verkennt aber,
dass diese Unsicherheit vom Gesetzgeber bei jeder Art von Vernichtung in
Kauf genommen wird. Das Gesetz setzt die Vernichtung als gleichwertige
Art der Aufhebung einer letztwilligen Verfügung neben den förmlichen
Widerruf. Wollte man die Streichung einer Testamentsbestimmung wegen der
Unsicherheit ihrer Urheberschaft nicht als zulässige Art der Vernichtung
gelten lassen, so liefe dies darauf hinaus, die Aufhebung eines Testamentes
durch Vernichtung gegenüber den beiden andern Arten der Aufhebung einer
letztwilligen Verfügung durch restriktive Auslegung zu erschweren und damit
zu benachteiligen. Dies stünde im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung
der drei Aufhebungsarten, die durchaus gleichwertig ausgestaltet sind.

    Die befürchtete Unsicherheit liesse sich zudem auch dann nicht
vermeiden, wenn man das formlose nachträgliche Streichen durch den Testator
nicht zuliesse. Eine im Zuge der Testamentserrichtung vorgenommene
Streichung ist unbestrittenermassen zulässig, da sie durch die Orts-
und Zeitangabe sowie die Unterschrift auf dem Testament auf jedem Fall
gedeckt ist. Häufig lässt sich aber nach dem Tode des Erblassers nicht mehr
feststellen, in welchem Zeitpunkt eine Streichung vorgenommen worden ist.

Erwägung 8

    8.- Auszugehen ist davon, dass die Vernichtung im Sinne von Art. 510
ZGB nicht nur durch die Zerstörung des Schriftträgers erfolgen kann.
Von Vernichtung muss sicher auch dann gesprochen werden, wenn der Text vom
Schriftträger entfernt (radiert) oder vollständig unleserlich gemacht wird.
Allen diesen Vorgängen ist gemeinsam, dass auf die ursprüngliche Urkunde
eingewirkt wird (vgl. BGE 83 II 504 ff.). Während der Widerruf nach
Art. 509 ZGB und die spätere Verfügung nach Art. 511 Abs. 1 ZGB in Wörter
gekleidete Willensäusserungen darstellen, erweist sich die Vernichtung
als ein nicht an die Form der Sprache gebundener Realakt.

    Das Streichen einer Testamentsbestimmung hat mit den übrigen
Erscheinungsformen der Vernichtung gemeinsam, dass der Wille nicht durch
Wörter, sondern durch ein Zeichen ausgedrückt wird, das ebenfalls als eine
Art Realakt verstanden werden kann. Streichen einer Bestimmung hat mit den
übrigen Arten der gegen die Schrift als solcher gerichteten Vernichtung
mehr gemeinsam als mit dem Widerruf in Form von Wörtern. Insofern handelt
es sich - im Gegensatz zum in der Berufung vertretenen Eventualstandpunkt
- nicht um eine schriftliche Ausdrucksweise. Es kann somit als eine Art
von Vernichtung betrachtet werden, und zwar umso mehr, als es nicht
angeht, zwischen den verschiedenen Formen von Streichen (gänzliches
Unkenntlichmachen, mehrfaches oder einfaches Durchstreichen) einen
Unterschied zu machen. Allen gemeinsam ist der Wille der Vernichtung und
das averbale Ausdrucksmittel.

    Nicht entschieden werden muss vorliegend, ob neben den sich nicht der
Sprache bedienenden Aufhebungshandlungen allenfalls auch ein quer über
den Text angebrachter Vermerk "ungültig" oder dergleichen als eine keiner
besonderen Form bedürftige Vernichtung im Sinne von Art. 510 ZGB angesehen
werden kann, wie dies teilweise in der Lehre vertreten wird, oder ob es
sich hier - weil in Sprache gekleidet - um einen formbedürftigen Widerruf
nach Art. 509 ZGB handelt (vgl. dazu PIOTET, SPR Bd. IV/1, S. 249 f.).