Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 II 351



116 II 351

64. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Juni 1990
i.S. S. und Verein G. gegen F. (Berufung) Regeste

    Urheberrecht; Endentscheid (Art. 48 Abs. 1 OG).

    1. Schöpferprinzip gemäss URG (E. 2b). Anknüpfung des Urheberrechts
an den Schöpfungsakt (E. 2c). Urheberrechte an jenseitigen
Inspirationen? (E. 2c).

    2. Die Gegenstandsloserklärung eines hinreichend
substantiierten Anspruchs des Bundesrechts mangels fortbestehenden
Rechtsschutzinteresses stellt einen Endentscheid im Sinne von Art. 48
OG dar (E. 3a). Rechtsschutzinteresse an einem Hilfsanspruch bei einer
Stufenklage? (E. 3c).

Sachverhalt

    A.- Der Kläger S. ist der Sohn der verstorbenen B., die über einen
Zeitraum von mehreren Jahrzehnten mediale Vorträge hielt. Die Vorträge
erfolgten in Tieftrance und sollen dem Medium durch die jenseitigen
Geisteswesen Joseph und Lena eingegeben worden sein. Die Vorträge, welche
sie im Rahmen des Vereins G. hielt, wurden durch den Beklagten F. auf
Tonbändern und Kassetten aufgezeichnet.

    B.- Der Verein G. und S., der sich auf ein von B. erworbenes
Urheberrecht berief, belangten F. auf Herausgabe der Tonbänder und
Kassetten, auf ein Verbot der Herstellung und Verwertung von Kopien, auf
Auskunftserteilung über Herstellung und Inverkehrbringen der Tonträger, auf
Erstattung erzielter Gewinne, auf mindestens Fr. 50'000.-- Schadenersatz
sowie auf Urteilspublikation. F. begehrte widerklageweise die Feststellung,
dass B. an den medialen Kundgebungen kein Urheberrecht erworben habe
und demzufolge die Verträge auf Übertragung solcher Urheberrechte an
S. nichtig seien.

    Mit Teilurteil vom 14. Mai 1985 wies das Obergericht des Kantons
Zürich das Widerklagebegehren auf Feststellung fehlenden Urheberrechts
der B. ab und trat auf dasjenige um Nichtigerklärung entsprechender
Rechtsübertragungen nicht ein. Das Obergericht erklärte am 4. April 1989
das Begehren um Auskunftserteilung als gegenstandslos, verbot dem Beklagten
unter Strafandrohung, von den Aufzeichnungen ohne Einwilligung des Klägers
Kopien herzustellen, feilzuhalten, zu verkaufen oder sonstwie in Verkehr
zu bringen, verpflichtete ihn zu einer Gewinnherausgabe von Fr. 1'200.--
und wies das Begehren auf Urteilspublikation ab.

    C.- Beide Parteien führen gegen den Sachentscheid eidgenössische
Berufung. Das Bundesgericht weist beide Berufungen ab, soweit es darauf
eintritt, und bestätigt die Urteile der Vorinstanz.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beklagte stellt ein Urheberrecht von B. an ihren Äusserungen
in Trance und damit die Möglichkeit eines derivativen Rechtserwerbs des
Klägers in Abrede. Erweist sich die Rüge als begründet, ist den geltend
gemachten Klageansprüchen die Grundlage entzogen.

    a) Dass die vom Beklagten aufgezeichneten Vorträge nach Form und
Inhalt urheberrechtlich schützbare Werke darstellen, wird zu Recht nicht
in Zweifel gezogen. Streitig ist einzig, ob B. daran ein Urheberrecht
erworben hatte.

    b) Nach dem URG, das als Urheber nur physische Personen kennt,
entsteht das Urheberrecht in der Person des geistig Schöpfenden. Dies
hat das Bundesgericht als Fundamentalsatz der ganzen schweizerischen
Urheberrechtsgesetzgebung bezeichnet (BGE 74 II 112; TROLLER,
Immaterialgüterrecht, Band II, 3. Aufl. 1985, S. 715/6). An diesem
Schöpferprinzip soll auch im Rahmen der Gesetzesrevision festgehalten
werden (Botschaft vom 19. Juni 1989 zu einem Bundesgesetz über das
Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG),
BBl 1989 III 477 ff., 525 Ziff. 212.2 und 616 Art. 6).

    Schöpfer ist der Hersteller des Werks, derjenige, aus dessen
individueller geistiger Tätigkeit das Werk hervorgegangen ist (SCHULZE, N 2
zu § 7 DUrhG; BALZ HÖSLY, Das urheberrechtlich schützbare Rechtssubjekt,
Diss. Zürich 1986, S. 103). Erforderlich ist dabei nach herrschender
Auffassung ein gestalterisches Tätigwerden, welches den menschlichen
Geist im Werk zum Ausdruck bringt (SCHRICKER/LOEWENHEIM, N 4 und 7 zu
§ 2 DUrhG; a. A. KUMMER, Das urheberrechtlich schützbare Werk, S. 75
ff. und 100 ff., welcher auch der Präsentation des natürlich Vorgegebenen
urheberrechtserzeugende Wirkung zuerkennt, sofern das präsentierte Werk
Individualität im Sinne einer statistischen Einmaligkeit aufweist; vgl. die
Kritik an dieser Auffassung etwa bei TROLLER, Immaterialgüterrecht, Band
I, 3. Aufl. 1983, S. 354 oder SCHRICKER/LOEWENHEIM, N 6 zu § 2 DUrhG mit
weiteren Hinweisen).

    Die Schöpfung eines Werks ist neutrale Rechtshandlung, nicht
Rechtsgeschäft, sondern Realakt (LARESE, Urheberrecht in einem
sich wandelnden Kulturbetrieb, S. 106; JOSEF KOHLER, Urheberrecht
an Schriftwerken, S. 228; ULMER, Urheber- und Verlagsrecht,
3. Aufl. 1980, S. 185; FROMM/NORDEMANN, 7. Aufl. 1988, N 3 zu § 7 DUrhG;
SCHRICKER/LOEWENHEIM, N 5 zu § 7 DUrhG). Sie setzt weder Geschäftsfähigkeit
des Schöpfers noch einen auf Erwerb des Urheberrechts gerichteten Willen
voraus. Minderjährige und Entmündigte können ebenso Urheberrechte erwerben
wie der momentan geistig Umnachtete (ULMER, aaO). Auch ein durch Hypnose
zutage gefördertes Werk, das ins Unterbewusstsein verdrängt war und
erst durch die hypnotische Behandlung ans Licht gehoben wird, ist als
alleiniges Werk des hypnotisierten Schöpfers anzusehen (FROMM/NORDEMANN,
aaO, N 3 zu § 7 DUrhG).

    c) Der Beklagte wendet ein, ein Urheberrecht von B. stehe bereits
deshalb ausser Frage, weil sie nach ihrer und vom Kläger übernommenen
Darstellung keine eigenen Geistesprodukte, sondern ausschliesslich solche
jenseitiger Wesen zur Wahrnehmung gebracht habe, was schöpferisches
Handeln ausschliesse. Dabei übersieht er, dass das Urheberrecht nicht
an das Schöpfungsbewusstsein, sondern an den Schöpfungsakt anknüpft,
an den positiven Ausdruck des Geisteswerks (BGE 113 II 196 E. a). Der
urheberrechtliche Schutz folgt nicht der Idee, sondern der Formgebung;
die Idee ist bloss geschützt, wenn sie in wahrnehmbare Form gekleidet wird
(TROLLER, aaO, Band I, S. 351 ff.; KUMMER, aaO, S. 7 ff.; einlässlich
DESBOIS, Le droit d'auteur en France, 3e éd. 1978, S. 22 ff.). Zwar
heisst dies nicht, dass nur die Form und nicht auch der Inhalt des Werks
geschützt ist (BGE 88 IV 351 E. 1 am Ende, mit Hinweisen), doch erfüllt
ein ungeformter Gedanke den Werkbegriff von vornherein nicht. Für diesen
Begriff bleibt anderseits ohne Bedeutung, ob die zur Wahrnehmung gebrachte
gedankliche Vorstellung auf Überlegung oder Eingebung beruht. Das dem
schweizerischen Recht zugrunde liegende Rationalitätsprinzip rechnet das
Geisteswerk demjenigen Rechtssubjekt als Schöpfer zu, welches die Form
gewordene Vorstellung erstmals zum Ausdruck bringt, und fragt nicht danach,
ob die Vorstellung bewusst oder unbewusst gebildet wurde. Jenseitige
Wesen aber sind keine Subjekte schweizerischen Rechts (Art. 11 ZGB) und
können daher nicht gedankliche Vorstellungen rechtswirksam zum Ausdruck
bringen. Die Frage ihrer Existenz stellt und beantwortet sich im Bereich
des Irrationalen und ist der Rechtswirklichkeit entrückt. Jenseitige
Inspirationen sind daher rechtlich uneingeschränkt ihrem menschlichen
Empfänger zuzuordnen und können allein von diesem zu einer urheberrechtlich
schützbaren Darstellung gebracht werden (vgl. in diesem Sinne den
Entscheid der Londoner Chancery Division in RabelsZ 1928, S. 251). Damit
erweist sich die Berufung des Beklagten als unbegründet.

Erwägung 3

    3.- Die Berufung des Klägers und seines Nebenintervenienten
richtet sich einzig gegen die obergerichtliche Abschreibung ihres
Auskunftsbegehrens als gegenstandslos. Sie machen im wesentlichen geltend,
dieser Anspruch bestehe im Immaterialgüterrecht selbständig und nicht
bloss akzessorisch zu andern Ansprüchen, weshalb das ihm zugrunde liegende
Rechtsschutzinteresse weiterreiche als dasjenige an der Herausgabe des
widerrechtlich erzielten Gewinns.

    a) Wird ein hinreichend substantiierter Anspruch des Bundesrechts
mangels fortbestehenden Rechtsschutzinteresses als gegenstandslos erklärt,
liegt darin ein Entscheid über den Anspruch selbst. Dabei handelt es
sich um einen prozessrechtlichen Endentscheid im Sinne von Art. 48 OG,
da der kantonale Richter die Beurteilung des Anspruchs aus einem Grunde
ablehnt, der endgültig verbietet, dass dieser unter gleichen tatsächlichen
Voraussetzungen nochmals geltend gemacht wird (BGE 111 II 465). Er
ergeht in Anwendung von Bundesrecht, welches die Prozessvoraussetzung des
Rechtsschutzinteresses in seinem Anspruchsbereich abschliessend regelt
(BGE 116 II 198 E. 1; 114 II 255 E. 2a mit Hinweisen). Auf die Berufung
ist daher einzutreten.

    b) Das Rechtsschutzinteresse ist vom Kläger nachzuweisen. Dabei ist
eine vom kantonalen Richter grundsätzlich (Art. 63 Abs. 2 OG) abschliessend
zu beurteilende Tatfrage, welche Umstände in der konkreten Streitsache
nach den Prozessvorbringen der Parteien und gegebenenfalls dem Ergebnis
des Beweisverfahrens erstellt sind und der rechtlichen Subsumtion unter den
Begriff des Interesses zugrunde zu legen sind. Frei zu prüfende Rechtsfrage
ist dagegen, welche Umstände rechtserheblich sind und ob sie im Einzelfall
ausreichen, die Klagebefugnis zu begründen (BGE 115 II 201 E. b; GULDENER,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 479 f.).

    Nach den Feststellungen des Obergerichts wurde das Auskunftsbegehren im
Hinblick auf das Begehren um Gewinnherausgabe gestellt. Diese Feststellung
ist für das Bundesgericht verbindlich, da Erklärungen oder Handlungen
der Parteien im Prozess dem kantonalen Recht unterstehen, welches im
Berufungsverfahren nicht überprüft werden kann (BGE 104 II 114 E. a mit
Hinweisen). Die Vorbringen in der Berufung, wonach ein über den Anspruch
auf Gewinnherausgabe hinausreichendes Rechtsschutzinteresse geltend
gemacht worden sei, sind daher neu und unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c
OG). Insoweit ist auf die Berufung nicht einzutreten.

    c) Die prozessuale Verbindung eines der Gewinnermittlung dienenden
Auskunftsbegehrens mit dem Leistungsbegehren auf Herausgabe des ermittelten
Gewinns stellt eine Stufenklage dar, in welcher der Hilfsantrag auf
Auskunft akzessorisch der Bezifferung des Hauptantrages auf Leistung dient
(GULDENER, aaO, S. 167 Ziff. 3; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts,
2. Aufl. 1988, S. 136 Rz. 6). Lässt sich im Rahmen des Beweisverfahrens der
beanspruchte Gewinn ermitteln, ohne dass gegen den Beklagten ein Teilurteil
auf Auskunft zu ergehen hat, entfällt insoweit das Rechtsschutzinteresse
des Klägers an einer Weiterverfolgung des Hilfsanspruchs und damit die
entsprechende Prozessvoraussetzung (RIXECKER, Die Erledigung im Verfahren
der Stufenklage, MDR 1985 S. 633 ff., 634). Das Rechtsschutzinteresse
aber muss auch im Zeitpunkt des Urteils noch vorhanden sein. Fällt es
im Verlauf des Verfahrens dahin, so ist dem Klagerecht die gesetzliche
Grundlage entzogen und der Prozess wird gegenstandslos (BGE 109 II 167).

    Von dieser Rechtslage geht zutreffend auch das Obergericht im
angefochtenen Entscheid aus. Sein Entscheid über den Hauptanspruch ist
nicht angefochten. Folgerichtig besteht auch im Berufungsverfahren
kein rechtserhebliches Interesse an der Weiterverfolgung des
akzessorischen Hilfsanspruchs mehr. Die Berufung des Klägers und seines
Nebenintervenienten erweist sich daher als unbegründet, soweit darauf
einzutreten ist.