Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 II 220



116 II 220

41. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. April 1990
i.S. St. gegen St.-S. (Berufung) Regeste

    Wirkung der Rückweisung an die kantonale Instanz (Art. 66 OG).

    Der Rahmen des von der kantonalen Instanz nach der Rückweisung zu
fällenden Urteils wird vom Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts
in rechtlicher Hinsicht abgesteckt. Der von der Rückweisung erfasste
Streitpunkt darf nicht ausgeweitet oder auf eine neue Rechtsgrundlage
gestellt werden, und der zuvor obsiegende Berufungskläger darf somit im
neuen kantonalen Verfahren keine Verschlechterung seiner Rechtsstellung
erleiden.

Sachverhalt

    A.- Mit Urteil vom 28. April 1988 hat die II. Zivilabteilung des
Bundesgerichts in teilweiser Gutheissung einer Berufung des Ehemannes St.
das Scheidungsurteil des Obergerichts von Appenzell A.Rh. bezüglich des
der Ehefrau zugesprochenen Unterhaltsbeitrags von Fr. 800.-- monatlich
aufgehoben und die Sache zur Aktenergänzung und zu neuer Entscheidung im
Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. Die Rückweisung
erfolgte aus der Überlegung heraus, dass das Obergericht keine genügenden
Feststellungen zur Frage der Bedürftigkeit der Beklagten im Sinne
von Art. 152 ZGB getroffen hatte. Daher sah sich das Bundesgericht
ausserstande, über den Antrag des Klägers, das Begehren der Ehefrau um
Zusprechung einer Bedürftigkeitsrente abzuweisen, eventuell diese auf
Fr. 300.-- und auf eine Dauer von höchstens zwei Jahren zu reduzieren,
abschliessend zu befinden.

    B.- Das Obergericht von Appenzell A.Rh. hat hierauf erneut
entschieden. Es stützte den Unterhaltsbeitrag für die geschiedene Ehefrau
neu auf Art. 151 ZGB und setzte die Rente auf Fr. 600.-- monatlich
fest. Diese Rente wurde auf den Eintritt des Klägers in das AHV-Alter
befristet; von einer Indexierung wurde, wie schon im ersten kantonalen
Urteil, abgesehen.

    Die vom Ehegatten auch gegen dieses Urteil erhobene Berufung wurde vom
Bundesgericht teilweise gutgeheissen, indem der Berufungskläger gestützt
auf Art. 152 ZGB verpflichtet wurde, an den persönlichen Unterhalt
der Ehefrau bis zu ihrem Eintritt in das AHV-Alter einen monatlich
vorauszahlbaren Unterhaltsbeitrag von Fr. 200.-- zu entrichten.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Nach Art. 66 Abs. 1 OG darf die kantonale Instanz, an die
eine Sache vom Bundesgericht zurückgewiesen wird, neues Vorbringen
berücksichtigen, soweit es nach dem kantonalen Prozessrecht noch zulässig
ist. Sie hat jedoch die rechtliche Beurteilung, mit der die Zurückweisung
begründet worden ist, auch ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Wegen
dieser Bindung der Gerichte - auch des Bundesgerichts - ist es, abgesehen
von allenfalls zugelassenen Noven, ihnen wie den Parteien verwehrt,
im Fall einer erneuten Anrufung des Bundesgerichts der Beurteilung des
Rechtsstreits einen anderen als den bisherigen Sachverhalt zu unterstellen
oder die Sache unter rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, die im
Rückweisungsentscheid ausdrücklich abgelehnt oder gar nicht in Erwägung
gezogen worden sind (BGE 111 II 95 mit Hinweisen). Mit der Rückweisung
wird der Prozess hinsichtlich des davon betroffenen Streitpunktes in die
Lage zurückversetzt, in der er sich vor Fällung des kantonalen Urteils
befunden hat (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 241). Der Rahmen wird
demnach vom Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts in rechtlicher
Hinsicht abgesteckt. Demgegenüber bestimmt das kantonale Recht, welche
kantonale Instanz die Neubeurteilung vorzunehmen hat, ob neue Tatsachen,
die seit dem Erlass des angefochtenen Urteils eingetreten sind, nun noch
berücksichtigt werden dürfen, ob nochmals ein Beweisverfahren durchzuführen
ist, ob die Klage erweitert oder reduziert werden darf, ob auch noch eine
Anschlussappellation zulässig wäre. Alle diese prozessualen Schritte
haben sich aber innerhalb des rechtlichen Rahmens zu bewegen, den das
Bundesgericht mit seinem Rückweisungsentscheid vorgegeben hat. Der von
der Rückweisung erfasste Streitpunkt darf also nicht ausgeweitet oder
auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt werden (BGE 61 II 359; BIRCHMEIER,
aaO, S. 242). Daraus folgt schliesslich auch, dass der zuvor obsiegende
Berufungskläger im neuen Verfahren keine Verschlechterung seiner
Rechtsstellung erleiden darf; im für ihn ungünstigsten Fall müsste er
sich mit dem bisherigen, von der Gegenpartei nicht angefochtenen Ergebnis
abfinden.

    b) In seinem Urteil vom 28. April 1988 hatte sich das Bundesgericht
lediglich zur Frage auszusprechen, ob die Voraussetzungen für eine der
Ehefrau zuzusprechende Bedürftigkeitsrente im Sinne von Art. 152 ZGB
gegeben seien. Nur eine solche Bedürftigkeitsrente war der Beklagten
vom Obergericht von Appenzell A-Rh. zugesprochen worden, und der
Berufungskläger beantragte vor Bundesgericht - entsprechend seinem im
kantonalen Verfahren eingenommenen Standpunkt - deren Aufhebung. Eventuell
erklärte er sich bereit, der von ihm geschiedenen Frau während zwei Jahren
monatlich Fr. 300.-- zu bezahlen.

    Das Bundesgericht pflichtete der Auffassung des Obergerichts, dass
der Beklagten kein die Rente ausschliessendes Verschulden an Zerrüttung
und Scheidung angelastet werden könne, bei. Es hielt aber fest, dass
die vom Obergericht vorgetragene Auffassung allenfalls geeignet wäre,
einen Unterhaltsbeitrag im Sinne von Art. 151 Abs. 1 ZGB zu begründen,
nicht jedoch eine auf Art. 152 ZGB gestützte Bedürftigkeitsrente. Das
Obergericht hatte offensichtlich übersehen, dass Leistungen gemäss
Art. 152 ZGB nicht so sehr helfen sollen, eine genügende Altersvorsorge
für die geschiedene Frau aufzubauen, als vielmehr, eine durch die
Scheidung bewirkte Notlage zu beheben. Entscheidend sei die Frage -
führte das Bundesgericht in seinem Rückweisungsentscheid aus -, ob die
Beklagte, die "auf Abruf" arbeite, aller Wahrscheinlichkeit nach auf
Dauer ihren Lebensunterhalt zu decken vermöge. Im folgenden umriss das
Bundesgericht die vom Obergericht von Appenzell A.Rh. noch zu treffenden
Abklärungen, die das Bundesgericht allenfalls in die Lage versetzen
würden, die Rechtsfrage der Bedürftigkeit zu beantworten, nämlich: ob
die Beklagte angesichts ihres Alters gesundheitlich in der Lage sei,
voll erwerbstätig zu sein, ob ihr Arbeitgeber das damals bestehende
Arbeitsverhältnis als verhältnismässig stabil betrachte, wie hoch das
jährliche Durchschnittseinkommen der Beklagten sei und mit welchem Bedarf
sie für sich und die Tochter rechnen müsse.

    Mit diesen Hinweisen und der - mangels Anschlussberufung nicht
umstrittenen - rechtlichen Grundlage war der Rahmen dessen, was
das Obergericht noch nachzuholen hatte, klar gegeben. Mit welchen
Beweismitteln das Obergericht die Feststellungen treffen wollte,
die unabdingbar waren für die Beurteilung der Voraussetzungen einer
Bedürftigkeitsrente gemäss Art. 152 ZGB, bestimmte sich ausschliesslich
nach kantonalem Recht. Insofern durfte das Obergericht selbstverständlich
davon ausgehen, dass im Scheidungsverfahren insgesamt die Offizial-
bzw. Untersuchungsmaxime gelte; und es durfte demgemäss ohne Verletzung
von Bundesrecht der materiellen Wahrheit nachgehen, zum Beispiel unter
Würdigung von Noven und ohne Rücksicht auf bestimmte Parteianträge.

    Nachdem sich aber dem Bundesgericht die Frage, ob die Beklagte Anspruch
auf eine Entschädigungsrente im Sinne von Art. 151 Abs. 1 ZGB erheben
könne, mit dem Urteil vom 28. April 1988 gar nicht gestellt hatte, war
es dem Obergericht von Appenzell A.Rh. nach dem Rückweisungsentscheid
gemäss Art. 64 Abs. 1 OG verwehrt, darauf zurückzukommen. Mit diesem
Verfahrensschritt wurde dem Obergericht nicht Gelegenheit gegeben,
sein erstes Urteil in einem nicht mehr streitigen und deshalb von
der Rückweisung nicht betroffenen Punkt zu verbessern. Die Kritik des
Berufungsklägers am jetzt angefochtenen Urteil des Obergerichts von
Appenzell A.Rh. erweist sich daher unter dem Gesichtswinkel von Art. 66
Abs. 1 OG als grundsätzlich gerechtfertigt.