Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 II 196



116 II 196

36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. Januar 1990 i.S.
Firma B. gegen Firma A. (Berufung) Regeste

    Patentrechtliche Nichtigkeitsklage, erforderliches
Feststellungsinteresse (Art. 28 PatG).

    1. Fehlt das Feststellungsinteresse, so ist die Klage nicht abzuweisen,
sondern darauf nicht einzutreten (E. 1).

    2. Voraussetzungen, unter denen ein ausreichendes
Feststellungsinteresse nach Lehre und Rechtsprechung als nachgewiesen gilt
(E. 2). Verneinung dieses Interesses im beurteilten Fall (E. 3a und b).

Sachverhalt

    A.- Die Firma A. ist Inhaberin eines Schweizer Patentes, das
ein Verfahren zur Herstellung des Antibiotikums Doxycyclin mittels
katalytischer Hydrierung einer Ausgangsverbindung zum Gegenstand hat. Die
Firma B. stellt Doxycyclin nach einem eigenen Verfahren her und vertreibt
es auch.

    B.- Am 15. September 1987 reichte die Firma B. beim Handelsgericht
des Kantons Zürich gegen die Firma A. eine Teilnichtigkeitsklage gemäss
Art. 28 PatG mit den Anträgen ein, es sei festzustellen, dass das Schweizer
Patent der Beklagten insoweit nichtig sei, als es die Verwendung von
anderen Edelmetallen als Rhodium, von anderen tertiären Phosphinen als
Triphenylphosphin und von tertiären Arsinen und Stabinen beanspruche; zudem
sei das Patent gemäss diesem Rechtsbegehren und unter Zusammenlegung von
Hauptanspruch und Unteranspruch 1 entsprechend einzuschränken. Die Beklagte
beantragte, auf die Klage nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.

    Am 26. Juni 1989 wies das Handelsgericht die Klage mit der Begründung
ab, es fehle ein Interesse der Klägerin an der Klage.

    C.- Die Klägerin beantragt mit ihrer Berufung, das Urteil des
Handelsgerichts aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Der Richter stellt auf Klage hin die Nichtigkeit eines Patentes
fest (Art. 26 Abs. 1 PatG). Betrifft diese nur einen Teil der patentierten
Erfindung, hat er das Patent entsprechend einzuschränken (Art. 27 Abs. 1
PatG). Die Nichtigkeitsklage steht, von einer hier nicht gegebenen Ausnahme
abgesehen, jedermann zu, der daran ein Interesse nachweist (Art. 28 PatG).

    Die patentrechtliche Nichtigkeitsklage ist eine negative
Feststellungsklage (BGE 109 II 167). Ob ein Interesse an ihrer Erhebung
besteht, beurteilt sich wie bei jedem vom Bundesrecht geregelten Anspruch
nach diesem Recht (BGE 114 II 255 E. 2a). Der angefochtene Entscheid
ist damit berufungsfähig (Art. 43 Abs. 1 OG), und zwar unabhängig vom
Streitwert (Art. 76 Abs. 2 PatG, Art. 45 lit. a OG).

    b) Vermag der Kläger kein schutzwürdiges Interesse an der negativen
Feststellungsklage nachzuweisen, so ist darauf nicht einzutreten (BGE
110 II 359 E. 2c). Das Interesse an einer solchen Klage stellt als
Erscheinungsform des allgemeinen Rechtsschutzinteresses nach heute
gefestigter Auffassung eine Prozessvoraussetzung dar (KUMMER, Das
Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, S. 61
und 68 Fn 2; GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 211;
LEUCH, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3. Aufl., N. 3 zu
Art. 174 ZPO). Das gilt ohne weiteres auch für die Patentnichtigkeitsklage
im Sinne von Art. 28 PatG. Ein das Feststellungsinteresse verneinender
Entscheid ergeht deshalb als Prozess- und nicht als Sachurteil.

    Aus diesem Grund hätte das Handelsgericht mit der gegebenen Begründung
auf die Klage nicht eintreten müssen, statt sie abzuweisen. Dieser
Fehler ist jedoch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Bundesrecht
unerheblich. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass das Handelsgericht nicht
materiell über die Rechtsbehauptung der Klägerin entschieden hat, wie sich
seinen Urteilserwägungen entnehmen lässt. Ob ein Sach- oder Prozessurteil
vorliegt, bestimmt sich aber nicht nach der äusseren Bezeichnung eines
Entscheides, sondern nach seinem Gehalt. Ein Prozessurteil ändert daher
seinen Charakter nicht, wenn im Dispositiv eine Klage fälschlicherweise
abgewiesen anstatt - wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung - auf
sie nicht eingetreten wird (BGE 115 II 191). So verhält es sich im
vorliegenden Fall.

Erwägung 2

    2.- a) Im Gegensatz zu ausländischen Regelungen, namentlich
Deutschlands und Österreichs (dazu SCHIPPEL, Die Berechtigung zur
Erhebung der Nichtigkeitsklage im Patentrecht und ihre Beschränkung durch
Lizenzverträge, GRUR 1955, S. 322 ff.), ist die Nichtigkeitsklage im
schweizerischen Patentrecht nicht als Popularklage ausgestaltet (Botschaft
des Bundesrates vom 25. April 1950 über die Revision des Bundesgesetzes
betreffend die Erfindungspatente, BBl 1950 I 1023 f.; BLUM/PEDRAZZINI,
Das schweiz. Patentrecht, 2. Aufl., Bd. II, Anm. 1 zu Art. 28 PatG;
Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. II, 3. Aufl., S. 1019). Sie ist
nach dem Gesetzeswortlaut nur zulässig, wenn der Kläger ein Interesse
an der Feststellung der Nichtigkeit eines Patentes nachweist. Daher
ist nicht zur Klage befugt, wem die angestrebte Nichtigerklärung
keinen Nutzen einträgt oder wer lediglich daran interessiert ist, dem
Patentinhaber einen wirtschaftlichen Nachteil zuzufügen (vgl. ENGLERT,
Legitimation, Zuständigkeit, Kognition, in: Kernprobleme des Patentrechts,
S. 286). Andererseits ist zu beachten, dass es auch im Interesse der
Allgemeinheit liegt, zu Unrecht patentierten Erfindungen den Schutz zu
entziehen, und dass die Schweiz im Gegensatz insbesondere zu Frankreich
keine patentbezogene Klagebefugnis von Staatsorganen kennt (SCHIPPEL,
aaO, S. 323).

    In Lehre und Rechtsprechung wird deshalb die Meinung vertreten, die
Klagebefugnis sei wegen der auf dem Spiele stehenden Allgemeininteressen
weit zu fassen. Es genügt ein nach vernünftigem Ermessen beachtliches
Interesse, das rechtlicher oder tatsächlicher Natur sein kann und in
der Regel wirtschaftlichen Bedürfnissen entspringt. Beachtlich ist
das Interesse, falls die Gutheissung der Klage den Kläger vor einer
konkreten Gefährdung seiner Rechtslage oder Stellung im Wettbewerb oder
gegen eine Rechtsverletzung schützen soll und damit drohende Nachteile
wirtschaftlicher oder anderer Art abzuwenden vermag (BLUM/PEDRAZZINI,
aaO, Anm. 2 zu Art. 28 PatG mit Judikaturnachweisen). Aktualität
und Unmittelbarkeit des Interesses sind nicht erforderlich, auch ein
bloss mittelbares oder künftiges Interesse kann ausreichen (BGE 38 II
661). Dementsprechend sind an den Nachweis des Interesses keine hohen
Anforderungen zu stellen (PEDRAZZINI, Patent- und Lizenzvertragsrecht,
2. Aufl., S. 195).

    Das Bundesgericht stellt nach ständiger Praxis wesentlich auf
das Bestehen eines wettbewerbsrechtlichen Konkurrenzverhältnisses der
Prozessparteien ab. Es hat in diesem Sinn das Feststellungsinteresse
bejaht, wenn das streitige Patent in den Industriebereich des Klägers fiel
(BGE 21, 295/6), es auch für seinen Geschäftsbetrieb von Bedeutung war
(BGE 24 II 474), er mit den gleichen Artikeln wie die patentierten handelte
(BGE 50 II 70) oder der Patentschutz seinen Absatz stark beeinträchtigte
(BGE 38 II 674). Im Grundsatz forderte das Bundesgericht aber stets eine
rechtliche oder tatsächliche, gegenwärtige oder drohende Behinderung
des Klägers in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit und lehnte es
namentlich ab, den Klageausschluss auf das Schikaneverbot zu beschränken
(BGE 61 II 380). Andererseits machte es aber nicht zur Voraussetzung, dass
der Kläger die angefochtene Ausführungsform auch tatsächlich zu verwenden
beabsichtigte, sondern liess genügen, dass der Bestand eines Patentes auf
seiten des Konkurrenten ihm im Wettbewerb zum Nachteil gereichen konnte
(BGE 67 II 240 E. 2). Ohne weiteres bejaht wurde das Interesse in einem
Fall, in dem der Kläger mit der Nichtigkeitsklage den vom Beklagten
erhobenen Verletzungsvorwurf entkräften wollte (BGE 71 II 40).

    b) Das Rechtsschutzinteresse ist vom Kläger nachzuweisen (Art. 28
PatG). Dabei ist eine vom kantonalen Richter verbindlich entschiedene
Tatfrage, welche Umstände nach den Vorbringen der Parteien oder dem
Ergebnis des Beweisverfahrens erstellt sind und damit der rechtlichen
Subsumtion unter den Begriff des Interesses zugrunde gelegt werden
können. Frei zu prüfende Rechtsfrage ist dagegen, welche Umstände
rechtserheblich sind und ob sie zur Begründung der Klagebefugnis
ausreichen. Die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung werden daher
durch Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 OG festgelegt. Insoweit gilt das
Novenverbot von Art. 55 Abs. 1 lit. c OG.

Erwägung 3

    3.- a) Die Klägerin macht mit einer Ausnahme, auf die noch einzugehen
ist, nicht geltend, die tatsächlichen Feststellungen des Handelsgerichts
seien unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande
gekommen, beruhten auf offensichtlichem Versehen oder seien zu ergänzen,
weil im kantonalen Verfahren prozesskonform aufgestellte Sachbehauptungen
übersehen oder für unerheblich gehalten worden sind. Soweit ihre
Sachvorbringen über die Feststellungen der Vorinstanz hinausgehen, sind
sie deshalb als neue Behauptungen unzulässig (BGE 111 II 473 E. 1c mit
Hinweisen). Das gilt auch insofern, als entsprechende Behauptungen im
kantonalen Verfahren zwar vorgebracht, vom Handelsgericht aber wegen
Verstosses gegen das Novenverbot des kantonalen Prozessrechts nicht
berücksichtigt worden sind. Denn Art. 8 ZGB schränkt die Kantone in
der Ausgestaltung der Eventual- und Verhandlungsmaxime nicht ein (BGE
108 II 340 E. 2c und 3 sowie 343). Die Klägerin macht zwar in diesem
Zusammenhang unter Berufung auf Art. 63 Abs. 2 OG geltend, die Vorinstanz
stelle irrtümlich fest, der Vergleich zwischen Klageantwort und Duplik
zeige, dass die Beklagte keine neuen Behauptungen vorgebracht habe.
Diese Rüge ist indessen unzulässig, da sie die Auslegung von im kantonalen
Verfahren abgegebenen Prozesserklärungen der Parteien betrifft, die sich
ausschliesslich oder vorwiegend auf dem Gebiete des Prozessrechts auswirken
und vom kantonalen Recht beherrscht sind (BGE 104 II 114 mit Hinweisen).

    Unbeachtlich sind somit die Behauptungen, die Klägerin werde
durch die angefochtenen Bestandteile des Patentes der Beklagten in der
Forschung eingeengt, sei im schweizerischen Wettbewerb im Gegensatz
zu den ausländischen Märkten behindert, weil dort die entsprechenden
Einschränkungen des Patentes bereits vorgenommen seien, und wolle
vermeiden, in ein patentrechtliches Abhängigkeitsverhältnis zu geraten,
insbesondere im Hinblick auf eigene europäische Patente.

    b) Gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz ist davon
auszugehen, dass die Klägerin ihr Interesse an der Teilnichtigerklärung
einzig damit begründet, dem Verletzungsvorwurf der Beklagten entgehen zu
wollen. Das gilt auch insoweit, als sie sich auf die Undurchführbarkeit
und die mangelnde Offenbarung der Erfindung beruft, da diesbezüglich
kein anderes Interesse nachgewiesen ist als jenes, dem Vorwurf einer
rechtswidrigen Patentbenützung entgegenzutreten.

    Dem Handelsgericht ist sodann beizustimmen, dass die beantragte
Teilnichtigerklärung des Patentes den Verletzungsvorwurf nicht zu
entkräften vermag, solange die Beklagte ihn auch aus dem eingeschränkten
Patent aufrechterhält. Ob er dabei nach der heutigen Rechtslage oder nach
erfolgter Einschränkung auch begründet ist, bleibt für die Beurteilung des
Rechtsschutzinteresses ohne Belang, da das vorliegende Verfahren so oder
anders nicht zu einer richterlichen Feststellung über die Patentverletzung
als solche hätte führen können. Dazu taugte allein ein - allenfalls mit
der Teilnichtigkeitsklage verbundenes - negatives Feststellungsbegehren
der Klägerin über das Fehlen widerrechtlicher Patentbenützung oder eine
Verletzungswiderklage der Beklagten. Beides wurde jedoch nicht erhoben.

    Vermag somit der verlangte Feststellungsentscheid der
Klägerin den angestrebten Nutzen nicht zu bringen, so ist die
Verneinung des erforderlichen Interesses bundesrechtlich nicht zu
beanstanden. Einem Feststellungsbegehren, das nicht zur Beseitigung
der behaupteten Beeinträchtigung führen kann, steht kein hinreichendes
Rechtsschutzinteresse zur Seite (KUMMER, aaO, S. 35; LEUCH, aaO, N. 3 zu
Art. 174 ZPO). Das Handelsgericht vertritt deshalb zu Recht die Meinung,
dass nur die vollständige Beseitigung der bisherigen Unsicherheit in
der Rechtsstellung der Klägerin das unerlässliche Interesse abzugeben
vermöchte, denn die blosse Klärung einer Rechtsfrage, die nicht zur
endgültigen Streitbereinigung zwischen den Parteien führt, genügt dafür
nicht.