Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 II 164



116 II 164

30. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Juni 1990 i.S. G.
(Berufung) Regeste

    Art. 6 und 11 EGG; Vorkaufsrecht der Verwandten.

    Vorkaufsberechtigte Verwandte können sich beim Verkauf eines
landwirtschaftlichen Gewerbes oder eines wesentlichen Teiles davon nicht
auf ihr Vorkaufsrecht berufen, wenn der Erwerber im gleichen Rang wie
sie selber vorkaufsberechtigt ist (E. 2; Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- S. ist Eigentümer einer landwirtschaftlichen Liegenschaft. Am
31. Dezember 1986 verkaufte er an drei seiner Kinder zu je 1/3 Miteigentum
zwei Parzellen im Halte von 470 und 282 Aren zum Preis von Fr.
1'500'000.--. Dieser Kaufvertrag wurde am 5. März 1987 ins Tagebuch
eingeschrieben und am 29. Juni 1987 ins Grundbuch eingetragen. Den Rest
der Liegenschaft mit Haus und Scheune behielt S. in seinem Eigentum.

    B.- Am 27. März 1987 machte G., eines der drei weiteren Kinder
von S., beim Grundbuchamt das bäuerliche Vorkaufsrecht zum Ertragswert
geltend. (...) Der Amtsgerichtspräsident setzte ihm in der Folge Frist
zur Klageerhebung an. Mit Klage vom 2. September 1987 beantragte G. im
wesentlichen, die beiden Kaufsparzellen seien ihm zum landwirtschaftlichen
Ertragswert zu Eigentum zuzusprechen.

    a) Am 5. September 1988 hiess das Amtsgericht die Klage gut und
sprach G. das Eigentum an den beiden Kaufsgrundstücken zum Ertragswert von
Fr. 35'000.-- zu. Zur Begründung hielt das Amtsgericht insbesondere fest,
dass die Liegenschaft mit ca. 11 ha ein landwirtschaftliches Gewerbe bilde,
das durch den Wegfall der beiden Kaufsgrundstücke die wirtschaftliche
Existenzfähigkeit und Selbständigkeit weitgehend verliere. Da der Verkauf
der beiden Grundstücke keine vorweggenommene Erbfolge, sondern einen
gewöhnlichen Kaufvertrag darstelle, stehe G. trotz Gleichrangigkeit
mit den Käufern ein Vorkaufsrecht nach Art. 6 EGG zu. Der Wille zur
Selbstbewirtschaftung sei als ernstlich zu betrachten und die Eignung
dazu gegeben.

    b) Gegen dieses Urteil appellierten zwei der drei Käufer an
das Obergericht des Kantons Luzern. In der schriftlichen Begründung
der Appellation führten sie insbesondere an, gegenüber gleichrangigen
Vorkaufsberechtigten könne das Vorkaufsrecht nach Art. 6 Abs. 1 EGG nicht
ausgeübt werden.

    Mit Urteil vom 11. September 1989 hiess das Obergericht des Kantons
Luzern die Appellation gut und wies die Klage ab. C. - Gegen dieses Urteil
hat G. Berufung an das Bundesgericht erhoben. Er beantragt u.a. die
Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zusprechung des Eigentums an
den beiden Kaufsgrundstücken.

    Die Beklagten beantragen die Abweisung der Berufung; das angefochtene
Urteil sei zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Wird ein landwirtschaftliches Gewerbe oder werden wesentliche
Teile davon verkauft, so steht den Nachkommen, dem Ehegatten und den
Eltern des Verkäufers ein Vorkaufsrecht zu (Art. 6 Abs. 1 EGG). Dass die
verkauften Parzellen Nr. 222 und Nr. 849 einen wesentlichen Teil eines
landwirtschaftlichen Gewerbes darstellen, ist unbestritten. Strittig
ist hingegen, ob der Kläger sein Vorkaufsrecht auch bei einem Verkauf an
seine Geschwister ausüben könne.

    a) Art. 11 Abs. 1 EGG regelt die Reihenfolge der Verwandten in
der Ausübung des Vorkaufsrechts wie folgt: Kinder, Enkel, Ehegatte,
Eltern und - sofern kantonalrechtlich vorgesehen - Geschwister und
Nachkommen der Geschwister. Damit die in dieser Bestimmung verankerte
Besserstellung bestimmter Verwandter nicht vereitelt wird, dringt das
Vorkaufsrecht nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichts je
nach dem Rangverhältnis des Ansprechers gegenüber dem Käufer durch;
der Verkauf eines landwirtschaftlichen Gewerbes oder eines wesentlichen
Teiles an einen im letzten Glied Vorkaufsberechtigten darf den besser
Berechtigten nicht um sein Recht bringen (BGE 115 II 178, mit zahlreichen
Hinweisen). Im vorliegenden Fall stehen die Käufer und der Kläger, der
sein gesetzliches Vorkaufsrecht ausüben will, indessen im gleichen Rang.
Was diesfalls gelten soll, lässt sich Art. 11 Abs. 1 EGG nicht entnehmen.

    b) Auch Art. 11 Abs. 2 EGG hilft diesbezüglich nicht weiter. Diese
Gesetzesbestimmung räumt zwar dem Selbstbewirtschafter, der dazu
geeignet ist, den Vorrang ein, wenn mehrere Personen im gleichen
Rang ein Vorkaufsrecht geltend machen und sich diese nicht zu einer
Gemeinschaft zusammenschliessen. Die Bestimmung regelt jedoch nur das
Verhältnis unter mehreren gleichrangigen Vorkaufsberechtigten, die je ihr
Recht gegen einen Drittkäufer ausüben wollen. Sie sagt nichts darüber
aus, was gelten soll, wenn das Vorkaufsrecht gegenüber einem Käufer
geltend gemacht wird, der selber im gleichen Rang vorkaufsberechtigt
ist. Gestützt auf diesen Umstand hat das Bundesgericht in BGE 82 II 468
f. entschieden, ein Vorkaufsberechtigter könne sein Recht nicht geltend
machen, wenn der Erwerber im gleichen Rang vorkaufsberechtigt sei. Mit
dem Verwandtenvorkaufsrecht wolle das Gesetz einzig das zwischen der
Familie und dem betreffenden Heimwesen bestehende Band festigen (Art. 1
EGG). Dieses Ziel sei aber bereits erreicht, wenn der Eigentümer sein
landwirtschaftliches Heimwesen einem Verwandten verkaufe, dem das
Gesetz den gleichen Rang zugestehe wie dem Ansprecher. Mangels einer
entsprechenden Gesetzesvorschrift stehe dem Ansprecher in solchen Fällen
auch dann kein Vorrecht zu, wenn er das Heimwesen selber bewirtschaften
wolle und dazu geeignet erscheine. Da das schweizerische Recht auf dem
Prinzip der Vertragsfreiheit beruhe, dürften restriktive Bestimmungen
auch im Bereiche des bäuerlichen Bodenrechts nicht extensiv ausgelegt
werden. An dieser Rechtsprechung ist seither festgehalten worden (BGE 87
II 268 unten; vgl. auch BGE 115 II 177 f. E. 3).

    In der Lehre ist diese Rechtsprechung für das geltende Recht im
wesentlichen auf Zustimmung gestossen. Dem Gesetzgeber sei es darum
gegangen, Bindungen der Familie zu schützen; der agrarpolitisch wichtige
Grundsatz des Vorranges des Selbstbewirtschafters sei von ihm bewusst
hintangestellt worden (HOTZ, Bäuerliches Grundeigentum, ZSR 98/1979,
II. Halbbd., S. 126 f.; LIVER, Landwirtschaftliches Bodenrecht,
ZBJV 94/1958, S. 60 f.; vgl. ferner BGE 109 II 54; BINZ-GEHRING, Das
gesetzliche Vorkaufsrecht in der Schweiz, Diss. Bern 1975, S. 114 f.;
DINO DEGIORGI, Verfügungsbeschränkungen im bäuerlichen Bodenrecht,
Diss. Basel 1988, S. 157 und 209; MEIER-HAYOZ, Vom Vorkaufsrecht, ZBJV
92/1956, S. 322 f.). Die unerwünschten Auswirkungen des Familienschutzes
auf die agrarpolitischen Zielsetzungen sind zwar längst erkannt worden
(LIVER, Fragen des neuen landwirtschaftlichen Bodenrechts, ZSR 68/1949,
S. 68-70; MEIER-HAYOZ, aaO). Sie sind jedoch gesetzlich begründet und
sollen nun in einem neuen Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht
ausgemerzt werden, indem inskünftig der Selbstbewirtschafter den Vorrang
erhalten soll (Botschaft des Bundesrates vom 19. Oktober 1988, BBl 1988,
Bd. III, S. 961 f., 971 f. und 1023). Unter diesen Umständen kann es nicht
Sache der Rechtsprechung sein, eine entsprechende Änderung herbeizuführen.

    Der Kläger vermag folglich daraus, dass er vorbringt, die
Kaufsparzellen im Gegensatz zu den Käufern selber bewirtschaften zu
wollen, nichts für sich abzuleiten. Ob sein Wille und die Eignung zur
Selbstbewirtschaftung aufgrund der vorinstanzlichen Feststellungen als
erstellt gelten könnten, kann unter diesen Umständen offenbleiben.