Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 II 136



116 II 136

24. Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Juni 1990 i.S. M. gegen
Grundbuchverwalter von Bern und Justizdirektion des Kantons Bern
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Legitimation des Notars zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde in
Grundbuchsachen (Art. 103 Abs. 1 GBV, Art. 103 lit. a OG).

    Die Legitimation des Notars zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen
Abweisung einer Grundbuchanmeldung beurteilt sich gemäss Art. 103 Abs. 1
GBV in Verbindung mit Art. 103 lit. a OG. Sofern die berufliche Tätigkeit
des Notars zur Diskussion steht, ist die Frage nicht ausschlaggebend,
ob die Anmeldung aus formellen oder materiellen Gründen abgewiesen wurde
(Präzisierung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Dr. M., Notar, beurkundete am 12. April 1989 einen
"Kaufrechtsvertrag mit Kaufverpflichtung" zwischen A., B. und C. als
Kaufsrechtgeber und E. als Kaufsrechtnehmer. Das Kaufsrecht wurde auf die
Dauer von fünf Jahren - vom 1. Mai 1991 bis 1. Mai 1996 - eingeräumt
und war nach dem Willen der Parteien für diese Dauer im Grundbuch
vorzumerken. Der Kaufsrechtnehmer verpflichtete sich, das Kaufsrecht
frühestens am 1. Mai 1991 und spätestens vor dessen Ablauf auszuüben.

    Am 27. April 1989 meldete Notar M. den erwähnten Vertrag zur Vormerkung
im Grundbuch an. Jedoch wies der Grundbuchverwalter von Bern die Anmeldung
mit Verfügung vom 26. Juli 1989 ab, weil er sich auf den Standpunkt
stellte, das Kaufsrecht sei als Kaufsverpflichtung ausgestaltet und könne
in dieser Form nicht vorgemerkt werden.

    Notar M. beschwerte sich über diese Verfügung in eigenem Namen bei
der Justizdirektion des Kantons Bern. Diese verneinte die Legitimation
des Notars zur Beschwerde und trat dementsprechend am 1. September 1989
nicht darauf ein.

    B.- Das Bundesgericht hiess die gegen den Entscheid der Justizdirektion
des Kantons Bern gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde von Notar M. gut,
hob den angefochtenen Entscheid auf und wies die Justizdirektion des
Kantons Bern an, die vom Beschwerdeführer eingereichte Grundbuchbeschwerde
materiell zu behandeln.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht geltend, nach der bis 31.  Dezember 1987
geltenden Fassung von Art. 103 der Verordnung betreffend das Grundbuch
(vom 22. Februar 1910; SR 211.432.1; GBV) sei lediglich dem Anmeldenden
ein Beschwerderecht vor den kantonalen Grundbuchbehörden zugestanden
worden. Nach der seit 1. Januar 1988 in Kraft stehenden Fassung von
Art. 103 Abs. 1 GBV seien nun aber auch "alle übrigen, die von der
Abweisung berührt sind", zur Beschwerde befugt. Die dem angefochtenen
Entscheid zugrunde liegende Rechtsprechung beziehe sich samt und sonders
auf die alte Fassung von Art. 103 GBV, die vorerst immer die Frage habe
aufwerfen lassen, ob der unter eigenem Namen Beschwerde führende Notar
"Anmeldender" im Sinne von Art. 103 GBV sei. Diese Unterscheidung spiele im
Hinblick auf die neue Fassung keine Rolle mehr; vielmehr richte sich die
Beschwerdelegitimation ausschliesslich nach Art. 103 lit. a OG bzw. nach
dem revidierten Art. 103 Abs. 1 GBV.

Erwägung 4

    4.- a) In der Tat ist durch die seit 1. Januar 1988 in Kraft stehende
Fassung des Art. 103 Abs. 1 GBV die Beschwerdelegitimation erweitert
worden; es sind nun, neben dem Anmeldenden, "alle übrigen, die von der
Abweisung berührt sind", zur Grundbuchbeschwerde legitimiert. Auch beträgt
die Beschwerdefrist nach der revidierten Bestimmung dreissig Tage und
nicht mehr, wie vordem, zehn Tage.

    Mit dieser Revision hat der Bundesrat die Verordnung den Art. 103
lit. a OG betreffend die Legitimation und Art. 106 Abs. 1 OG betreffend die
Beschwerdefrist angepasst. Doch gilt die bundesrechtliche Regelung - zur
Wahrung der Einheit des Verfahrens und im Sinne einer Minimalanforderung -
auch schon für das vorausgehende kantonale Rechtsmittelverfahren (BGE 108
Ib 92 ff. mit Hinweisen; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage
Bern 1983, S. 151; GRISEL, Traité de droit administratif II, Neuchâtel
1984, S. 705).

    b) Schon in dem die Rechtsprechung ändernden BGE 104 Ib 378 ff. hat das
Bundesgericht entschieden, dass die Legitimation zur Grundbuchbeschwerde
im Sinne von Art. 103 GBV sich nicht auf den Anmeldenden beschränke,
sondern sich nach den für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltenden
Grundsätzen bestimme. Der letzte Absatz dieses Urteils ist durch BGE
115 II 221 ff. nur insofern überholt worden, als es um den Rückzug der
Anmeldung geht, solange deren Vollzug im Tagebuch noch aussteht. Auch
BGE 112 II 423 E. 2 und BGE 112 II 430 ff. nehmen ausdrücklich Bezug
auf Art. 103 lit. a OG. Der letztere - die Legitimation des Notars
verneinende - Entscheid enthält keinen Hinweis auf den erwähnten BGE
104 Ib 378 ff. Das Bundesamt für Justiz hat daraus herausgelesen, dass
besondere Anforderungen an die Legitimation von Notaren gestellt würden
und dass das Bundesgericht als massgebendes Kriterium für die Legitimation
einzig den Grund der Abweisung einer Anmeldung herbeiziehe. Es hält diese
Auffassung für unzutreffend und betont, dass spätestens seit Inkrafttreten
der revidierten Fassung von Art. 103 Abs. 1 GBV am 1. Januar 1988 die
Legitimation ausschliesslich aufgrund dieser Bestimmung bzw. aufgrund
von Art. 103 lit. a OG zu beurteilen sei.

    Der Kritik des Bundesamtes für Justiz muss ein Missverständnis zugrunde
liegen, das aber insofern begreiflich ist, als die Regeste von BGE 112
II 430 ff. festhält, ein Notar sei zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gegen die Abweisung einer Anmeldung legitimiert, wenn die Eintragung aus
formellen Gründen verweigert wurde, welche die amtlichen Befugnisse des
Notars in Frage stellen. Aus dem letzten Satz von BGE 112 II 430 ff. geht
indessen unmissverständlich hervor, dass die Legitimation des Notars
gestützt auf Art. 103 lit. a OG beurteilt wurde: Der Notar, welcher nur
ein theoretisches Interesse an der Klärung der aufgeworfenen Frage hatte,
war durch die angefochtene Verfügung nicht berührt.

    Im vorliegenden Fall ist denn auch die Legitimation von Notar M. nach
Massgabe von Art. 103 Abs. 1 GBV und damit entsprechend den für Art. 103
lit. a OG geltenden Kriterien zu beurteilen.

Erwägung 5

    5.- Die sich hier stellende Frage, ob der am 12. April 1989 von Notar
M. beurkundete "Kaufrechtsvertrag mit Kaufverpflichtung" im Grundbuch
vorgemerkt werden könne, umfasst unausweichlich auch die Frage nach der
inhaltlichen Richtigkeit der Urkunde. Damit steht aber auch die Frage
im Raum, ob der Beschwerdeführer seine berufliche Tätigkeit richtig
ausgeübt habe. An der Beantwortung dieser Frage hat der Beschwerdeführer,
besonders im Hinblick auf eine allfällige Verantwortlichkeitsklage,
ein offensichtliches Interesse. In der dem Bundesgericht eingereichten
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird denn auch zutreffend geltend gemacht,
dass der Beschwerdeführer eine Abweisung der Anmeldung gegenüber seinen
Klienten zu vertreten und zu verantworten habe. Er ist damit stärker als
jedermann betroffen und steht zur Streitsache in einer besonderen und
nahen Beziehung (BGE 113 Ib 366 E. 3a).

    Der Einwand der Justizdirektion des Kantons Bern, wenn man der
Auffassung des Beschwerdeführers folgte, müsste beispielsweise auch dem
Anwalt, der ein Gesuch oder eine Beschwerde bei einer unzuständigen
Behörde, zu spät oder mit unzulänglicher Begründung eingereicht hat,
ein selbständiges Beschwerderecht eingeräumt werden, übersieht, dass
der hier zu beurteilende Rechtsstreit das besondere Verfahren der
Grundbuchbeschwerde beschlägt und damit zur Frage der daran Beteiligten
führt.

    Der Beschwerdeführer ist im Sinne der Art. 103 Abs. 1 GBV bzw. Art. 103
lit. a OG zur Beschwerde legitimiert. Das verschafft ihm nach dem oben
(E. 4a) Gesagten auch die Legitimation zur Beschwerde im kantonalen
Verfahren.