Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 III 75



116 III 75

17. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
vom 9. Mai 1990 i.S. B. (Rekurs) Regeste

    Art. 93 SchKG: Berechnung des Existenzminimums, wenn beide Ehegatten
Einkommen erzielen. Berücksichtigung einer Alimentenschuld des nicht
betriebenen Ehegatten und von Versicherungsprämien.

    1. Nicht nur der Schuldner, sondern auch sein Ehegatte kann geltend
machen, mit der Einkommenspfändung werde in den Notbedarf der Familie
eingegriffen (Bestätigung der Rechtsprechung, E. 1a).

    2. Der Notbedarf ist zwischen dem Schuldner und seinem Ehegatten auch
dann im Verhältnis zu ihren Einkommen aufzuteilen, wenn ein Ehegatte
neben einer vollen Erwerbstätigkeit einen Teil der Haushaltarbeiten
verrichtet, während der andere nur teilweise einer Erwerbstätigkeit
nachgeht. Unterhaltsvereinbarungen zwischen den Ehegatten sind in dem
Umfang, wie sie abgeändert und den Verhältnissen des Schuldners angepasst
werden können, für das Betreibungsamt bei der Festsetzung des pfändbaren
Einkommens nicht verbindlich (E. 2).

    3. Sind die Unterhaltsbeiträge, die der Ehegatte des Schuldners
gegenüber einem Kind aus einer früheren Ehe zu erbringen hat, für die
Berechnung des pfändbaren Einkommensteils zum Notbedarf zu zählen oder
vom Nettoeinkommen in Abzug zu bringen (E. 4)?

    4. Prämien für eine freiwillige Alters-, Invaliden- und
Hinterlassenenversicherung gehören nicht zum Notbedarf (E. 7a).

Sachverhalt

    A.- In der Betreibung Nr. 6/1989 wurde dem Gläubiger Hugo X.
ein Verlustschein über Fr. 25'403.50 ausgestellt, da bei der Schuldnerin
Kathrin B. kein pfändbares Vermögen gefunden wurde. Mit Entscheid vom 10.
Januar 1990 hob der Gerichtspräsident von W. auf Beschwerde des Gläubigers
hin diesen Verlustschein auf und stellte fest, dass die Schuldnerin über
ein pfändbares Einkommen von monatlich Fr. 156.-- verfüge. Zudem wies
er das Betreibungsamt an, das in Art. 4 ff. der bundesgerichtlichen
Verordnung betreffend die Pfändung, Arrestierung und Verwertung von
Versicherungsansprüchen vom 10. Mai 1910 (SR 281.51) vorgeschriebene
Verfahren einzuschlagen.

    B.- Gegen diesen Entscheid erhoben sowohl Hugo X. als auch Kathrin
B. und ihr Ehemann Paul B. Beschwerde an das Obergericht des Kantons
Luzern. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts
erhöhte mit Entscheid vom 22. März 1990 den monatlich pfändbaren Teil
des Einkommens auf Fr. 416.20 und bestätigte im übrigen den angefochtenen
Entscheid.

    C.- Mit Rekurs vom 20. April 1990 gelangen Kathrin und Paul B. an die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie beantragen,
den vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass bei
der Schuldnerin kein pfändbares Lohnbetreffnis vorhanden sei.

    Das Bundesgericht weist den Rekurs ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Neben der Schuldnerin hat auch der Ehemann Rekurs
eingereicht. Soweit es im vorliegenden Rechtsstreit um die Ermittlung
des pfändbaren Lohnanteils der Schuldnerin und damit um den Notbedarf
ihrer Familie geht, ist die Legitimation des Ehemannes zweifellos gegeben
(BGE 82 III 55; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts,
Bern 1988, S. 56). Soweit sich allerdings der Rekurs gegen die Pfändung
der Versicherungsansprüche der Schuldnerin richtet, fehlt die Legitimation
ihres Ehemannes. Insoweit ist auf seinen Rekurs nicht einzutreten.

Erwägung 2

    2.- a) Die Vorinstanz ist bei der Berechnung des pfändbaren
Einkommensteils der Schuldnerin so vorgegangen, wie dies die Richtlinien
der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz vom
1. Dezember 1987 empfehlen (BlSchK 51/1987, S. 224 ff.). Das Bundesgericht
hat diesem Vorgehen in BGE 114 III 15 f. grundsätzlich zugestimmt. Demnach
ist die pfändbare Einkommensquote so zu berechnen, dass zunächst die
Nettoeinkommen beider Ehegatten und ihr gemeinsames Existenzminimum
zu bestimmen und dieses sodann im Verhältnis jener auf die Ehegatten
aufzuteilen ist. Die beim betriebenen Ehegatten pfändbare Einkommensquote
ergibt sich alsdann durch Abzug seines Anteils am Existenzminimum von
seinem massgeblichen Nettoeinkommen (BGE 114 III 16).

    Die Rekurrenten wenden sich nicht gegen diese Betrachtungsweise an
sich, sondern machen geltend, diese sei auf den vorliegenden Fall nicht
anwendbar. Das besagte Vorgehen sei richtig, wenn sich beide Ehegatten
in die Erwerbstätigkeit und die Haushaltführung teilen. Das pfändbare
Einkommen könne jedoch nicht gleich berechnet werden, wenn ein Ehegatte
voll erwerbstätig sei und zusätzlich einen Teil der Haushaltarbeiten
verrichte, während der andere nur teilweise einer Erwerbstätigkeit
nachgehe. Diesfalls habe der nur teilweise Erwerbstätige einen erhöhten
Anteil seines Einkommens für den ehelichen Unterhalt und damit für den
Notbedarf einzusetzen. Andernfalls erbringe der voll erwerbstätige Ehegatte
einen zu grossen Beitrag an den ehelichen Unterhalt.

    b) Im Gegensatz zum alten Eherecht beruht die Unterhaltsregelung im
neuen auf den Grundsätzen der Gleichberechtigung beider Ehegatten und
der Gleichwertigkeit ihrer Leistungen, insbesondere durch Geldzahlungen
und Haushaltführung (BGE 114 III 15 E. 3). Das neue Recht schreibt den
Ehegatten keine bestimmte Aufgabenteilung mehr vor. Es ist vielmehr ihre
eigene Sache, sich darüber zu verständigen, wie die Leistungen erbracht
werden. Allerdings müssen die Beiträge beider Ehegatten zusammen
den gesamten Unterhalt decken (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar
zum Eherecht, Bern 1988, N. 36 zu Art. 163; HEGNAUER, Die allgemeinen
vermögensrechtlichen Wirkungen der Ehe, in: Hausheer (Hrsg.), Vom alten
zum neuen Eherecht, S. 12). Das neue Recht lässt somit eine Vereinbarung
ohne weiteres zu, die - wie im vorliegenden Fall von den Rekurrenten
behauptet - dahin geht, dass ein Ehegatte sein ganzes Erwerbseinkommen
für den ehelichen Unterhalt verwendet, während der andere nur einen Teil
seines Einkommens diesem Zwecke widmet, weil er zusätzlich noch einen
Teil der Haushaltführung und Kinderbetreuung übernimmt.

    Die Rekurrenten verkennen aber, dass die Gültigkeit einer
solchen Vereinbarung noch nicht bedeutet, dass sie auch für die
Berechnung des pfändbaren Einkommensteils ausschlaggebend sein muss. Im
Betreibungsverfahren kann nicht auf beliebige Vereinbarungen der Ehegatten
abgestellt werden, da sonst die Ehegatten die Möglichkeit hätten, zum
Nachteil ihrer Gläubiger das Existenzminimum des betriebenen Ehegatten
zu verändern (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 67 zu Art. 163 ZGB; in diese
Richtung bereits zum alten Recht: BGE 107 III 18, E. 3). Die Vereinbarung
der Ehegatten über den Unterhalt verpflichtet die Parteien. Sie kann aber
nicht auch die Rechte Dritter beschränken.

    Nach Art. 93 SchKG kann das Einkommen des Schuldners in dem Umfang
gepfändet werden, in dem es nach dem Ermessen des Betreibungsamtes für
den Schuldner und seine Familie nicht unumgänglich notwendig ist. Soweit
es nicht nur um den Unterhalt des Schuldners, sondern darüber hinaus um
denjenigen seiner Familie geht, hat das Betreibungsamt zu berücksichtigen,
in welchem Umfang die Familienmitglieder für ihren eigenen Unterhalt
aufkommen können. Bei der Frage, welchen Teil seines zu pfändenden
Einkommens der Schuldner für seinen Notbedarf braucht, sind zudem die
Unterhaltsleistungen mitzuberücksichtigen, die er von Personen erhalten
kann, die ihm gegenüber unterhaltspflichtig sind. Unterhaltsvereinbarungen
sind deshalb in dem Umfang, wie sie abgeändert und den Verhältnissen
des Schuldners angepasst werden können, für das Betreibungsamt bei der
Festsetzung des pfändbaren Einkommens nicht verbindlich.

    c) Dem von den Rekurrenten erwähnten Bundesgerichtsentscheid vom
18.8.1989 (BGE 115 III 103 ff.) ist nichts anderes zu entnehmen. In
BlSchKG 1989, S. 226 ff. ist nicht dieser Entscheid, sondern derjenige der
Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons St. Gallen
abgedruckt, der vor Bundesgericht angefochten und von diesem bestätigt
worden ist. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts
hatte entgegen dem, was aus der Veröffentlichung in den Blättern
für Schuldbetreibung und Konkurs geschlossen werden könnte, zur hier
interessierenden Frage aber gar nicht Stellung zu nehmen.

    d) Der Umstand, dass es sich bei der in Betreibung gesetzten
Forderung um eine voreheliche Schuld der Ehefrau handelt, ist ohne
Bedeutung. Entgegen der Ansicht der Rekurrenten, führt die Berechnungsweise
der Vorinstanz nicht dazu, dass der Ehemann für voreheliche Schulden
seiner Frau aufzukommen habe. Die voreheliche Schuld bewirkt nur, dass
die wirtschaftliche Leistungskraft der Ehefrau reduziert ist und sie
deshalb selber weniger an den ehelichen Unterhalt beitragen kann. Dies
muss aber ein Ehegatte hinnehmen; die gleiche Sachlage ergibt sich auch,
wenn ein Ehegatte Unterhaltsverpflichtungen aus einer früheren Ehe hat.

    Der Einwand der Rekurrenten, das von den kantonalen Instanzen aufgrund
von BGE 114 II 15 f. gewählte Vorgehen sei im vorliegenden Fall nicht
anwendbar, erweist sich somit als nicht begründet.

Erwägung 4

    4.- Im Zusammenhang mit den Kinderalimenten verlangen die Rekurrenten
sodann, dass die Unterhaltsbeiträge, die der Ehemann der Schuldnerin
an sein nicht in der Familie lebendes Kind zu bezahlen hat, von seinem
Nettoeinkommen abgezogen werden, bevor der Notbedarf unter die Ehegatten
aufgeteilt wird.

    a) In der Lehre wurde darauf hingewiesen, dass es
grundsätzlich zwei Möglichkeiten gibt, Unterstützungspflichten,
die nur einen Ehegatten treffen, bei der Festlegung des pfändbaren
Einkommensteils zu berücksichtigen (vgl. ISAAK MEIER, Neues Eherecht
und Schuldbetreibungsrecht, Zürich 1987, S. 118; vgl. auch BGE 115 III
108, E. 7): Entweder sind diese Alimente, soweit der Gläubiger für seinen
Unterhalt darauf angewiesen ist, zum ehelichen Notbedarf des Schuldners zu
rechnen, wie dies die Vorinstanz getan hat, oder sie bleiben beim Notbedarf
unberücksichtigt und sind dafür bei der Errechnung des Nettoeinkommens
von den Einkünften des Alimentenschuldners abzuziehen (so grundsätzlich
BGE 115 III 108, E. 7).

    Demgegenüber erscheint es von vornherein nicht gerechtfertigt,
die Unterhaltsbeiträge, die nur ein Ehegatte schuldet, sowohl zum
Notbedarf zu rechnen, als sie auch vom massgeblichen Einkommen in Abzug zu
bringen. Damit würden sie nämlich - zum Nachteil der anderen Gläubiger -
zweimal berücksichtigt.

    Entgegen der Auffassung der Rekurrenten und der Vorinstanz wirkt
sich die von letzterer angewandte Vorgehensweise für die Schuldnerin
günstiger aus. Mit Einschluss der Alimentenschuld des Ehemannes von
Fr. 500.-- gelangte das Obergericht zu einem Notbedarf von Fr. 4'854.40
und zu einem massgebenden Nettoeinkommen der Ehefrau von Fr. 1'563.--
sowie einem solchen des Ehemannes von Fr. 5'035.-- (ohne Abzug der
Alimentenschuld). Daraus ergab sich für die Schuldnerin ein Anteil
am Notbedarf von Fr. 1'146.85. Ginge man von der von den Rekurrenten
verlangten Betrachtungsweise aus, betrüge der Notbedarf Fr. 500.--
weniger, d.h. Fr. 4'354.40. Das massgebliche Nettoeinkommen des Ehemannes
reduzierte sich um den gleichen Betrag, so dass diesbezüglich Fr. 4'535.--
einzusetzen wären. Die Schuldnerin hätte somit vom Notbedarf Fr. 1'116.10
zu übernehmen und von ihrem Einkommen könnten monatlich Fr. 446.90 statt
nur Fr. 416.20 gepfändet werden.

    b) Wie das Bundesgericht bereits in BGE 115 III 108, E. 7 festgehalten
hat, erscheint es entgegen der Ansicht der Vorinstanz und der Auffassung
von ISAAK MEIER (aaO, S. 118) richtig, Unterhaltsschulden, die nur
den Ehegatten des Schuldners treffen, nicht zum ehelichen Notbedarf zu
rechnen. Solange die Kinder nicht im gemeinsamen Haushalt leben und der
alimentenpflichtige Ehegatte für ihren Unterhalt ohne weiteres selber
aufkommen kann, besteht kein Grund, seinen betriebenen Partner für einen
Teil dieser Schuld aufkommen zu lassen. Demgegenüber ist es richtig, bei
der Aufteilung des Notbedarfs auf die Ehegatten dieser Schuld Rechnung
zu tragen. Es erweist sich somit als angemessen, sie vom Einkommen des
alimentenpflichtigen Ehegatten abzuziehen, wenn es um die Berechnung des
für die Aufteilung massgeblichen Nettoeinkommens geht. Dieses Vorgehen
rechtfertigt sich auf jeden Fall solange, als die Ehegatten in der Lage
sind, für ihren Notbedarf einschliesslich der geschuldeten Alimente
aufzukommen.

    Wie es sich allerdings damit verhält, braucht im vorliegenden Fall
nicht abschliessend beurteilt zu werden, da diese Berechnungsweise
zu einer höheren pfändbaren Quote führen würde. Eine Änderung des
vorinstanzlichen Entscheides in diese Richtung ist aber nicht möglich,
da nur die Schuldnerin und ihr Ehegatte Rekurs erhoben haben, nicht aber
der Gläubiger.

Erwägung 7

    7.- a) Die Rekurrenten verlangen schliesslich, dass auch die Kosten
für Lebensversicherungen der Schuldnerin beim Notbedarf berücksichtigt
werden. Es wird geltend gemacht, es müsse der Rekurrentin möglich sein,
über die AHV hinaus für die Risiken Alter, Tod und Invalidität vorzusorgen.

    Die Schuldnerin hat als Teilzeitangestellte einen Arbeitsverdienst
von Fr. 563.-- monatlich. Als Arbeitnehmerin untersteht sie grundsätzlich
der beruflichen Vorsorgepflicht. Nach BVG besteht aber eine obligatorische
Versicherung erst, wenn der Arbeitnehmer ein bestimmtes Einkommen erzielt.
Dahinter steht der Gedanke, dass bei niedrigeren Einkommen die erste Säule
der Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenvorsorge ausreichend ist. Diese
gesetzgeberische Wertung muss auch für die Berechnung des Notbedarfs
ausschlaggebend sein. Eine Erhöhung des Notbedarfs um freiwillig bezahlte
Versicherungsprämien rechtfertigt sich deshalb nicht.