Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 III 28



116 III 28

7. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 8.
Januar 1990 i.S. Radio TV Obrist AG (Rekurs) Regeste

    Ausstellung des definitiven Verlustscheins in der Lohnpfändung
(Art. 93, 115 Abs. 1 und 149 Abs. 1 SchKG).

    Der Gläubiger hat erst nach Ablauf eines Jahres seit Vollzug der
Lohnpfändung Anspruch auf Ausstellung eines Verlustscheins in der Höhe
jenes Betrages, für den die Betreibungssumme aus den eingegangenen
Lohnquoten nicht gedeckt werden kann.

Sachverhalt

    A.- In der Betreibung Nr. 2364 gegen den Schuldner A. M.  stellte
das Betreibungsamt Obersimmental am 27. Juni 1989 die Pfändungsurkunde
aus. Da nicht genügend pfändbarer Lohn vorhanden war, bezeichnete das
Betreibungsamt die Pfändungsurkunde als provisorischen Verlustschein im
Sinne von Art. 115 SchKG.

    Mit Schreiben vom 11. August, 17. August und 17. Oktober 1989 verlangte
die Gläubigerin Radio TV Obrist AG die Ausstellung eines definitiven
Verlustscheins. Das wurde vom Betreibungsamt Obersimmental, nachdem die
Gläubigerin sich auch noch telefonisch an dieses gewandt hatte, verweigert.

    Eine gegen die Weigerung des Betreibungsamtes gerichtete Beschwerde
der Gläubigerin wurde von der Aufsichtsbehörde in Betreibungs-
und Konkurssachen für den Kanton Bern abgewiesen. Ebenso wies die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts, an welche die
Gläubigerin diesen Entscheid weiterzog, den Rekurs ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- In ihrer Eingabe an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Bundesgerichts führt die Rekurrentin aus, die Kollokation in der
Lohnpfändung gegen A. M. habe nach Ablauf des Lohnpfändungsjahres ein
der Gläubigerin zustehendes Guthaben von Fr. 5.-- ergeben. Schon jetzt
sei erwiesen, dass die Zwangsvollstreckung im vorliegenden Fall mit einem
Verlust enden werde; die der Gläubigerin zustehende Lohnquote vermöge nicht
einmal die bisher entstandenen (und allfällige weitere) Kosten zu decken.

    Zur Begründung ihrer Auffassung, dass das Betreibungsamt zur
Ausstellung eines definitiven Verlustscheins verpflichtet sei, beruft
sich die Rekurrentin auf FRITZSCHE/WALDER (Schuldbetreibung und Konkurs
nach schweizerischem Recht, Band I, Zürich 1984, S. 464 ff.) und auf
die Praxis der Betreibungsämter in den Kantonen Zürich und Basel, wo die
Ausstellung des definitiven Verlustscheins auf Wunsch des Gläubigers vor
Ablauf des Lohnpfändungsjahres üblich sei.

Erwägung 2

    2.- Weder Rechtsprechung noch Lehre stützen den Standpunkt der
Rekurrentin:

    a) In BGE 95 I 416 f. E. 5 (auch veröffentlicht in JdT 118/1970 II,
S. 92 ff.) hat das Bundesgericht ausgeführt, gemäss Art. 149 SchKG werde
ein definitiver Verlustschein ausgestellt, wenn der an der Pfändung
teilnehmende Gläubiger für seine Forderung oder einen Teil derselben aus
dem Erlös der gepfändeten Sache nicht gedeckt werde, der provisorische,
wenn nach der Schätzung des Betreibungsbeamten bei der Pfändung nicht
genügend Vermögen vorhanden sei. Provisorisch sei der Verlustschein in
diesem Fall, weil sich bei einer Nach- oder Ergänzungspfändung oder bei
der Verwertung der gepfändeten Sache ergeben könne, dass der Gläubiger für
seine Forderung doch noch befriedigt werde. Unter Hinweis auf BLUMENSTEIN
(Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, Bern 1911, S. 498)
hat das Bundesgericht sodann erklärt, der provisorische Verlustschein
bleibe solange in Kraft, bis die Betreibung vollständig durchgeführt sei
und ein definitiver Verlustschein ausgestellt werde.

    Einen Anspruch auf Ausstellung eines Verlustscheins im Sinne
von Art. 149 SchKG hat die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts in BGE 97 III 29 f. E. 2 erkannt, weil der Schuldner die
gepfändeten Gegenstände verkauft hatte und infolge Wegzugs ins Ausland
nicht darüber befragt werden konnte, wer die Käufer waren. Da deshalb
die Frage des gutgläubigen Besitzerwerbs in einem Widerspruchsverfahren
nicht abgeklärt werden konnte, sei dem Betreibungsamt nichts anderes
übriggeblieben, als die hängigen Betreibungsverfahren abzuschliessen. Es
hätte also den zu Verlust gekommenen Pfändungsgläubigern wie im Falle
einer fruchtlosen Pfändung oder Verwertung mit ungenügendem Erlös von
Amtes wegen (definitive) Verlustscheine ausstellen sollen.

    Nach BGE 74 III 80 ff. war ein (definitiver) Verlustschein
auszustellen, weil keine pfändbaren Gegenstände vorhanden waren.

    Dem hier zu beurteilenden Fall am nächsten kommt, da es dort ebenfalls
um eine Lohnpfändung ging, BGE 54 III 115 ff. E. 2. Es lag dort aber ein
- aus heutiger Sicht - besonderer Fall vor, weil der Schuldner während
der Dauer der Lohnpfändung arbeitslos wurde. In diesem besonderen Fall
und unter der Voraussetzung, dass der Gläubiger auf den Fortbestand
der Pfändung verzichte, hat die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
dem Gläubiger grundsätzlich das Recht zuerkannt, gestützt auf Art. 149
SchKG die Ausstellung eines Verlustscheins zu verlangen; doch hat sie im
konkreten Fall den Rekurs der Gläubigerin gutgeheissen, weil diese keinen
Verlustschein ausgestellt haben wollte.

    In einem Entscheid vom 27. Mai 1930 (ZR 31/1932 Nr. 36) hat das
Obergericht des Kantons Zürich zwar die Ausstellung eines (definitiven)
Verlustscheins als zulässig bezeichnet, weil nach vollzogener Lohnpfändung
der Schuldner seine Arbeitsstelle aufgegeben hatte, sein Aufenthalt
unbekannt war und der Gläubiger auf den Fortbestand der Pfändung verzichtet
hatte. JAEGER/DAENIKER (N. 1 zu Art. 149 SchKG) weisen aber zutreffend
darauf hin, dass es sich hier um einen Ausnahmefall handelte. Der Entscheid
hat, soweit ersichtlich, in der zürcherischen Praxis keine Bestätigung
gefunden; und die Rekurrentin liefert denn auch für ihre Behauptung, in
den Kantonen Zürich und Basel werde bei Lohnpfändungen auf Verlangen des
Gläubigers schon vor Ablauf der Jahresfrist ein definitiver Verlustschein
ausgestellt, keine Belege.

    b) Mit ihrem Zitat von FRITZSCHE/WALDER (aaO) übersieht die
Rekurrentin, was auch aus den erwähnten Entscheiden hervorgeht,
nämlich dass der definitive Verlustschein auszustellen ist, sobald die
Voraussetzungen hiefür erfüllt sind. Das ist entweder eine fruchtlose
Pfändung (Art. 115 Abs. 1 SchKG) oder eine Verwertung mit ungenügendem
Erlös (Art. 149 Abs. 1 SchKG).

    Nichts anderes ergibt sich auch aus der weiteren Literatur
(BLUMENSTEIN, S. 498 ff. (siehe vor allem Ziff. 4: "Den Zeitpunkt
der Ausstellung bildet die Beendigung der Verwertung, d.h. der Moment,
in welchem feststeht, dass die Forderung ganz oder teilweise ungedeckt
bleibt."); AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts,
4. Auflage, Bern 1988, § 31 Rz. 7 ff., insbesondere Rz. 14; GILLIÉRON,
Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 2. Auflage, Lausanne 1988,
S. 238 f.; Kommentar JAEGER/DAENIKER, N. 1a zu Art. 115 SchKG, N. 1 und
3 zu Art. 149 SchKG). Ausdrücklich hält AFFOLTER (Der Verlustschein in
der Betreibung auf Pfändung, Zürcher Diss. 1978, S. 18) fest, dass es zur
Ausstellung von (definitiven) Verlustscheinen komme, wenn nach Jahresfrist
seit dem Vollzug der Lohnpfändung aus den eingegangenen Lohnquoten die
Betreibungssumme nicht gedeckt werden könne.

Erwägung 3

    3.- Im vorliegenden Fall können vom Einkommen des Schuldners monatlich
Fr. 800.-- gepfändet werden. Das ist nicht genügend, um alle Forderungen zu
decken, und hat deshalb das Betreibungsamt Obersimmental zur Ausstellung
eines provisorischen Verlustscheins im Sinne von Art. 115 Abs. 2 SchKG
veranlasst.

    Zu Recht hat es das Betreibungsamt indessen abgelehnt, bereits
einen definitiven Verlustschein auszustellen. Hiefür ist weder die
Voraussetzung von Art. 115 Abs. 1 SchKG - kein pfändbares Vermögen -
noch jene von Art. 149 Abs. 1 SchKG gegeben, nämlich die Durchführung
der Betreibung bis zur Verwertung und (nach Ablauf der Jahresfrist für
die Lohnpfändung: BGE 112 III 20 E. 2a mit Hinweisen) die Feststellung
eines ungedeckt bleibenden Betrages der betriebenen Forderung. Auch wenn
schon heute - wie die Rekurrentin geltend macht - damit zu rechnen ist,
dass die Zwangsvollstreckung mit einem Verlust enden werde, so steht
damit doch noch nicht endgültig der ungedeckt bleibende Betrag fest.

    Der angefochtene Entscheid der Aufsichtsbehörde in Betreibungs-
und Konkurssachen für den Kanton Bern hält somit vor Bundesrecht stand.