Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IB 379



116 Ib 379

48. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 25. Oktober 1990 i.S. X. AG gegen Einwohnergemeinde Weggis,
Kantonale Schätzungskommission und Verwaltungsgericht Luzern
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Materielle Enteignung.

    1. Die Unterscheidung zwischen Auszonung aus einer Bauzone nach
Art. 15 RPG und Nichteinzonung in eine solche ergibt sich aus Art. 22ter
und Art. 22quater BV. Baulandqualität besitzt grundsätzlich nur das in
Übereinstimmung mit den Vorschriften des Raumplanungsgesetzes rechtskräftig
in Bauzonen eingezonte Land (E. 5b).

    2. Wird Land bei der erstmaligen Schaffung einer den gesetzlichen
Anforderungen entsprechenden raumplanerischen Grundordnung keiner Bauzone
zugewiesen, so löst dies im Regelfall keine Entschädigungspflicht
aus. Konnte der Betroffene jedoch im massgebenden Zeitpunkt aufgrund
der objektiv gegebenen Verhältnisse annehmen, eine den Anforderungen
des Raumplanungsrechts entsprechende Überbauung seines Landes lasse
sich sehr wahrscheinlich in naher Zukunft verwirklichen, so kann
dessen Nichteinweisung in eine Bauzone ausnahmsweise einer Enteignung
gleichkommen. Es ist dies etwa dann der Fall, wenn Land, das von einem
gewässerschutzrechtskonformen generellen Kanalisationsprojekt erfasst
wird, baureif oder grob erschlossen ist und der Eigentümer für die
Feinerschliessung und Überbauung bereits erhebliche Kosten aufgewendet hat,
oder wenn das Grundstück im weitgehend überbauten Gebiet liegt (E. 6a).

    3. Auch ein Sonderopfer, das eine Enteignungsentschädigung auslösen
könnte, würde voraussetzen, dass der Betroffene im massgebenden Zeitpunkt
die Erschliessung und Überbauung des Landes aus eigener Kraft in naher
Zukunft hätte realisieren können (E. 6c).

Sachverhalt

    A.- Die Rechtvorgängerin der X. AG erwarb am 5. November 1980 die
Parzelle Nr. 1376 mit einer Fläche von 9664 m2 im Gebiet Rain/Acher/Bühl
unter folgenden Vorbehalten:

    "3. Sollte das Kaufsobjekt nicht eingezont werden und mangels
einer Ein-
   und Zufahrtsbewilligung in die Gemeindestrasse nicht erschlossen werden
   können, so verpflichtet sich der Verkäufer, das Kaufsobjekt zu den
   gleichen Bedingungen, jedoch ohne Zins zurückzukaufen.

    4. Das Kaufsgrundstück liegt nach den noch nicht rechtskräftigen
Vorlagen
   in der Bauzone der Gemeinde Weggis und kann unter Berücksichtigung der
   gesetzlichen Bestimmungen überbaut werden. Das Kaufsgrundstück wird
   übergeben unter Aufhebung jeder Gewähr, soweit gesetzlich zulässig."

    X. AG übernahm die Liegenschaft mit Übergang von Nutzen und
Schaden am 15. März 1982 aufgrund einer Sacheinlage in die zu
gründende Aktiengesellschaft. Der Preis für die Sacheinlage wurde
auf Fr. 1'600'000.-- festgelegt und bezahlt durch Übernahme der
Grundpfandschulden im Betrage von Fr. 1'250'000.-- und durch Ausgabe von
35 Inhaberaktien im Betrage von Fr. 10'000.--.

    Im Zeitpunkt des Erwerbs der Liegenschaft im Jahre 1980 sowie
auch im Zeitpunkt der Sacheinlage in die Aktiengesellschaft im Februar
1982 verfügte die Gemeinde Weggis über keinen Bauzonenplan. Das Gebiet
Rain/Acher/Bühl befand sich vor Inkrafttreten des Raumplanungsgesetzes
in einem provisorischen Schutzgebiet II gemäss Bundesbeschluss über
dringliche Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung vom 17. März 1972
(BMR). Gestützt auf die kantonale Vollzugsverordnung vom 14. Januar
1980 zum RPG wies das Baudepartement des Kantons Luzern das Gebiet
Rain/Acher/Bühl in Anlehnung an den Nutzungsplanentwurf der Gemeinde, dem
die Gemeindeversammlung am 2. Juli 1982 zustimmte und der die Einweisung
des Gebiets in die zweigeschossige Wohnzone A vorsah, dessen Rechtskraft
jedoch die kantonale Genehmigung nach Art. 26 RPG erforderte, einer
provisorischen Bauzone zu.

    Nachdem der Regierungsrat mit Entscheid vom 18. Juni 1984 die
Einweisung des Gebietes Rain/Acher/Bühl in die Bauzone als Problemgebiet
nicht genehmigt hatte, erfolgte mit Beschluss vom 26. August 1986 dessen
definitive Zuweisung zur Landwirtschaftszone. X. AG gelangte dagegen
mit staatsrechtlicher Beschwerde ans Bundesgericht. Mit Entscheid
vom 26. Februar 1987 wurde ihre Beschwerde abgewiesen, soweit darauf
einzutreten war. Das Bundesgericht stellte fest, dass sich weder aus
der Eigentumsgarantie noch aus dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit
ein Anspruch auf Einzonung bisher nicht eingezonten Gebietes ableiten
lasse. In tatsächlicher Hinsicht hielt es fest, dass die Gemeinde Weggis
über Bauzonen verfüge, welche bereits erheblich grösser seien, als es der
Bedarf der nächsten fünfzehn Jahre erfordere (Art. 15 RPG). Es bestehe
daher ein Interesse daran, das rund 8 ha grosse, bisher vorwiegend
landwirtschaftlich genutzte Gebiet, das durch seine Lage oberhalb der
Umfahrungsstrasse sachgerecht von der Bauzone unterhalb der Strasse
abgegrenzt sei, der Landwirtschaftszone zuzuweisen.

    X. AG war der Meinung, die Einweisung ihrer Liegenschaft Nr. 1376 als
Teil des Gebietes Rain/Acher/Bühl in die Landwirtschaftszone käme einer
Enteignung gleich. Sie verlangte daher mit Begehren vom 28. März 1988 die
Einleitung des enteignungsrechtlichen Schätzungsverfahrens zur Abgeltung
einer materiellen Enteignung, machte primär eine Entschädigungsforderung
von insgesamt Fr. 3'064'604.30 zu 5% Zins seit 10. August 1984 geltend
und verlangte subsidiär die Feststellung der Entschädigungspflicht. Beide
Begehren wurden von der Schätzungskommission mit Entscheid vom 22./29. Mai
1989 abgewiesen.

    Am 19. Juni 1989 reichte X. AG beim Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern Beschwerde ein. Am 1. September 1989 wies das Gericht die Beschwerde
in Bestätigung des Urteils der Schätzungskommission ab.

    Das Bundesgericht weist die dagegen erhobene
Verwaltungsgerichtsbeschwerde

Auszug aus den Erwägungen:

               aus den folgenden Erwägungen ab:

Erwägung 5

    5.- b) Zu Unrecht kritisiert die Beschwerdeführerin die Unterscheidung
zwischen Auszonung und Nichteinzonung. Diese ergibt sich aus der
verfassungsrechtlichen Revision des Bodenrechts gemäss Volksabstimmung
vom 14. September 1969 über die Neuaufnahme der Artikel 22ter und 22quater
BV. Auf Grund der bereits vom eidgenössischen Gewässerschutzgesetz vom
8. Oktober 1971 (GSchG) getroffenen Anordnung konnte in Gemeinden ohne
Zonenplan nur innerhalb des Bereichs des auf den Bedarf von 15 Jahren zu
bemessenden generellen Kanalisationsprojektes (GKP) gebaut werden (Art. 19
GSchG, Art. 15 der allgemeinen Gewässerschutzverordnung, AGSchV). In
Gemeinden ohne GKP und ohne einen den gesetzlichen Anforderungen
entsprechenden Zonenplan durften Baubewilligungen nur innerhalb des engeren
Baugebietes, welches das erschlossene und vor der Erschliessung stehende
Land erfasst, erteilt werden (Art. 28 AGSchV in der bis zum Inkrafttreten
der RPG am 1. Januar 1980 geltenden Fassung). "Vor der Erschliessung"
stehend setzt den Bestand einer rechtskräftigen Erschliessungsplanung
voraus. Das am 1. Januar 1980 in Kraft getretene Raumplanungsgesetz
knüpfte an diese gesetzliche Regelung an. Diese hatte bereits zur Folge,
dass entsprechend dem verfassungsrechtlichen Gebot von Art. 22quater
BV Land, das ausserhalb der überbaubaren Fläche lag, kein Bauland im
Rechtssinne war (vgl. BGE 105 Ia 336 E. 3c mit Verweisungen). Bauland
ist nach Inkrafttreten des Raumplanungsgesetzes am 1. Januar 1980 in
Fortführung der durch das Gewässerschutzgesetz getroffenen Regelung
nur das nach den Grundsätzen des Gesetzes rechtskräftig in Bauzonen
eingezonte Land. Da die Gemeinde Weggis keinen Zonenplan im Sinne
der Raumplanungsgesetzgebung besass, ergibt sich aus dieser Regelung
schlüssig, dass die Beschwerdeführerin entgegen ihrer Auffassung nicht
von einer Auszonung, sondern von einer Nichteinzonung betroffen wurde. Die
aufgrund des Zonenplanentwurfes vom kantonalen Baudepartement angeordnete
Bezeichnung des Gebietes als provisorisches Baugebiet ändert hieran
nichts, da eine solche vorläufige Anordnung nicht den bundesrechtlichen
Anforderungen der definitiven Zonenfestsetzung genügte (BGE 114 Ib 309
ff. E. 5c) und da sie - wie dargelegt - nicht von der Einhaltung aller
gesetzlichen Voraussetzungen für eine Überbauung zu befreien vermochte.

Erwägung 6

    6.- a) Wird bei der erstmaligen Schaffung einer raumplanerischen
Grundordnung, welche den gesetzlichen Anforderungen entspricht, eine
Liegenschaft keiner Bauzone zugewiesen, so löst dies grundsätzlich keine
Entschädigungspflicht aus (BGE 114 Ib 303 E. 3c mit Verweisungen). Nur
ausnahmsweise kann die Nichteinzonung einen Eigentümer enteignungsähnlich
treffen. Dies setzt voraus, dass besondere Umstände vorliegen, die
zur Folge haben, dass der Grundeigentümer entgegen der allgemeinen
Regel von der Planungsmassnahme enteignunsähnlich getroffen wird.
Dies ist etwa dann der Fall, wenn sich die Nichteinweisung in eine
Bauzone auf baureifes oder grob erschlossenes Land bezieht, das von
einem gewässerschutzrechtskonformen GKP erfasst wird, und wenn der
Eigentümer für die Erschliessung und Überbauung dieses Landes schon
erhebliche Kosten aufgewendet hat. Ein Einzonungsgebot kann zweitens
dann zu bejahen sein, wenn sich das fragliche Grundstück im weitgehend
überbauten Gebiet (Art. 15 RPG) befindet. Es handelt sich um Fälle,
in denen der Betroffene im massgebenden Zeitpunkt aufgrund der objektiv
gegebenen besonderen Umstände annehmen durfte, die von ihm beabsichtigte
bauliche Nutzung lasse sich wahrscheinlich in naher Zukunft verwirklichen
(BGE 112 Ib 403 E. d; 491 E. 5 mit Verweisen; 105 Ia 338 E. 3d).

    b) (Im vorliegenden Fall liegt kein Ausnahmefall von der
Entschädigungslosigkeit der Nichteinzonung vor.)

    c) Die Beschwerdeführerin macht schliesslich mit Recht nicht geltend,
die Nichteinzonung führe zu einem entschädigungspflichtigen Sonderopfer im
Sinne des Tatbestandes der materiellen Enteignung. Hievon könnte in der
Tat nicht die Rede sein, da ein Sonderopfer ebenfalls voraussetzte, dass
die Beschwerdeführerin die Erschliessung und Überbauung ihrer Parzelle
aus eigener Kraft in naher Zukunft hätte realisieren können (BGE 108 Ib
351 E. 5a). In dieser Hinsicht unterscheidet sich der vorliegende Fall
von der in BGE 114 Ib 305 ff. nur teilweise publizierten Sache, in der
das Bundesgericht in begrenztem Ausmass eine enteignungsgleiche Wirkung
einer raumplanerisch gerechtfertigten Schutzzonenzuweisung bejahte,
weil diese zur Folge hatte, dass ein baureifer Abschnitt einer Parzelle,
dessen abwassermässige Entsorgung der Eigentümer zu einem wesentlichen
Teil finanziert hatte und der in einer vorläufigen Bauzone im Sinne von
Art. 36 Abs. 3 RPG lag, nicht mehr überbaut werden konnte. Die Überbauung
des entsprechenden Abschnittes hätte der Eigentümer aus eigener Kraft
realisieren können.

    So verhält es sich im vorliegenden Falle des unerschlossenen
landwirtschaftlich genutzten Hanggeländes Rain/Acher/Bühl nicht. Die
Beschwerdeführerin konnte zu keiner Zeit auf ihrer unerschlossenen Parzelle
eine Überbauung realisieren. Dementsprechend besass sie entgegen ihrer
Auffassung zu keiner Zeit Bauland im enteignungsrechtlichen Sinne. Hieran
vermochten auch allfällige Meinungsäusserungen von Mitgliedern des
Gemeinderates über die Möglichkeiten einer Erschliessung nichts zu ändern,
da die Baureife des Landes die rechtskräftige Festsetzung der Bauzone, des
Strassenplanes und schliesslich die Erstellung der Erschliessungsanlagen in
Verbindung mit den nötigen Parzellarordnungsmassnahmen voraussetzt. Es lag
nicht in der Macht der Beschwerdeführerin, die entsprechenden Beschlüsse,
auf deren Erlass sie keinen Rechtsanspruch besass und die überdies die
Beteiligung der übrigen Eigentümer des zu erschliessenden und für eine
Überbauung zu ordnenden Gebiets erforderten, herbeizuführen. Auch die
Auflage eines Strassenprojektes hätte hieran nichts zu ändern vermocht. Die
Beschwerdeführerin übernahm die Parzelle Nr. 1376 als Sacheinlage bei ihrer
Gründung am 15. Februar 1982 auf ihr Risiko. Es liegen daher keine objektiv
gegebenen besonderen Umstände vor, die trotz fehlender Baulandqualität
im enteignungsrechtlichen Sinne zu einem enteignungsgleichen Eingriff
der Landwirtschaftszonenfestsetzung führen würden. Den entsprechenden
Folgerungen der kantonalen Vorinstanzen ist vielmehr zuzustimmen, was
zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen muss.