Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IB 141



116 Ib 141

18. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17.
August 1990 i.S. Schweiz. Bund für Naturschutz und Mitbeteiligte gegen
Rhätische Bahn und Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Rechtzeitigkeit der Einsprache im kombinierten Enteignungs- und
Plangenehmigungsverfahren für Eisenbahnbauten (Art. 25 V über die
Planvorlagen für Eisenbahnbauten).

    Ob eine Einsprache im kombinierten Verfahren rechtzeitig erhoben
worden sei, beurteilt sich nach Art. 35 und 39 f. des Bundesgesetzes
über die Enteignung; erfolgt die Einsprache verspätet, so verwirkt der
Einsprecher das Recht zur Teilnahme am Genehmigungsverfahren (E. 1).

    In der Einräumung der Gelegenheit, die Akten während einer bestimmten
Zeit auch an einem anderen als am gesetzlich vorgesehenen Auflage-Ort
einsehen zu können, liegt keine vertrauensbegründende Zusicherung, dass
innert dieser Frist auch die Möglichkeit der Rechtswahrung bestehe. Dies
gilt insbesondere dann, wenn sich aus dem Gesetz ohne weiteres ergibt,
dass es sich bei der zur Akteneinsicht angesetzten Frist nicht um die
Einsprachefrist handeln kann (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Mit Eingabe vom 4. September 1987 unterbreitete die Rhätische
Bahn dem Bundesamt für Verkehr die Pläne und weiteren Unterlagen für den
Bau und Betrieb der Vereina-Linie und ersuchte dieses um Durchführung
des Genehmigungsverfahrens. Nach Prüfung der Vorlagen forderte das
Bundesamt für Verkehr die Bahn bzw. den Präsidenten der Eidgenössischen
Schätzungskommission, Kreis 12, am 5. November 1987 auf, das kombinierte
Verfahren gemäss den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Enteignung,
des Eisenbahngesetzes und der Verordnung über die Planvorlagen für
Eisenbahnbauten zu eröffnen. Mit Schreiben vom 12. November 1987 teilte
das Bundesamt der Schweizerischen Stiftung für Landschaftsschutz und
Landschaftspflege, der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung,
der Stiftung WWF Schweiz, dem Schweizerischen Bund für Naturschutz,
dem Schweizer Heimatschutz sowie dem Schweizerischen Alpenclub
mit, dass für das Bauprojekt Vereina-Linie das eisenbahnrechtliche
Plangenehmigungsverfahren eröffnet worden sei und die Pläne des Projekts
nach vorheriger Anmeldung bis Ende Januar 1988 beim Bundesamt für Verkehr
in Bern sowie zu gegebener Zeit anlässlich der öffentlichen Auflage in
den Gemeinden Klosters, Susch und Lavin eingesehen werden könnten.

    Ebenfalls am 12. November 1987 wandte sich der Präsident der
Eidgenössischen Schätzungskommission an die betroffenen Gemeinden und
ersuchte sie, das Plangenehmigungsprojekt vom 23. November bis 22. Dezember
1987 im Sinne von Art. 29 und 30 des Bundesgesetzes über die Enteignung
öffentlich aufzulegen. Diese Planauflage wurde im Amtsblatt des Kantons
Graubünden Nr. 46 vom 20. November 1987 angekündigt. In der Bekanntmachung
wurde auf Art. 39 f. des Enteignungsgesetzes hingewiesen und Art. 25
Abs. 4 der Planvorlagenverordnung in seinem Wortlaut wiedergegeben.

    Während der Auflagefrist erhoben verschiedene Grundeigentümer und
weitere Betroffene, jedoch keine der erwähnten Organisationen bei den
drei Gemeinden Einsprache. Vielmehr reichten der Schweizerische Bund für
Naturschutz, die Schweizerische Gesellschaft für Umweltschutz und der WWF
Schweiz mit gemeinsamer Eingabe vom 25. Januar 1988 und die Schweizerische
Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege mit Eingabe vom
29. Januar 1988 direkt beim Bundesamt für Verkehr Einsprache ein.

    Die Einigungsverhandlungen vor dem Präsidenten der
Schätzungskommission, an denen die erwähnten Vereinigungen nicht
teilnahmen, fanden in der Zeit vom 18. Februar bis 15. März 1988
statt. Das Bundesamt für Verkehr führte am 20. April 1988 in Bern eine
Einigungsverhandlung im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Planvorlagenverordnung
mit den vier Organisationen durch.

    Mit Verfügung vom 8. Juli 1988 genehmigte das Bundesamt für Verkehr im
wesentlichen die ihm unterbreiteten Pläne und Berichte nach Behandlung
der erhobenen Einwendungen, ohne sich indessen mit irgendwelchen
Eintretensfragen auseinanderzusetzen und auch ohne die Einsprecher im
einzelnen zu nennen. Die Plangenehmigungsverfügung wurde den sechs durch
das Schreiben vom 12. November 1987 benachrichtigten Organisationen -
also auch jenen, die keine Einsprache eingereicht hatten - sowie der
Schweizerischen Gesellschaft für Umweltschutz zugestellt.

    Auf Beschwerde verschiedener Einsprecher änderte das Eidgenössische
Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement die Plangenehmigungsverfügung
in gewissen Punkten ab und wies die weitergehenden Begehren mit Entscheid
vom 21. März 1990 ab.

    Gegen diesen Beschwerdeentscheid haben der Schweizerische Bund
für Naturschutz, die Schweizerische Gesellschaft für Umweltschutz, die
Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege sowie
die Stiftung WWF Schweiz beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde
erhoben.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 20 lit. c der am 24. November 1984 revidierten Verordnung
über die Planvorlagen für Eisenbahnbauten vom 23. Dezember 1932 (PVV-EB;
SR 742.142.1) wird bei Vorhaben der Bahn, für die ein Enteignungsverfahren
nötig ist und gleichzeitig mit dem Plangenehmigungsverfahren durchgeführt
werden kann, das sog. kombinierte Verfahren angeordnet. In diesem Fall
richten sich öffentliche Auflage und Einsprachen grundsätzlich nach den
Bestimmungen des Enteignungsgesetzes (Art. 25 Abs. 1 PVV-EB). Insbesondere
schliesst, wie in Art. 25 Abs. 4 PVV-EB ausdrücklich festgehalten wird,
der Verzicht auf Einsprache jegliche spätere Mitwirkung am Verfahren aus.

    Einsprachen gegen die Enteignung und Begehren nach den Artikeln
7-10 des Bundesgesetzes über die Enteignung (EntG), wie sie die
gesamtschweizerischen Natur-, Heimat- und Umweltschutzorganisationen
aufgrund von Art. 12 Abs. 3 des Bundesgesetzes über den Natur- und
Heimatschutz und Art. 55 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz erheben
können, sind gemäss Art. 35 EntG innert der Eingabe- bzw. Auflagefrist
beim Gemeinderat einzureichen. Nach Ablauf der Eingabefrist können
Einsprachen gegen die Enteignung nur noch geltend gemacht werden, wenn
die Ausführung des Werkes noch nicht in Angriff genommen worden ist
und die Einhaltung der Frist wegen unverschuldeter Hindernisse nicht
möglich war (Art. 39 Abs. 1 EntG). Die nachträgliche Einsprache kann
innert dreissig Tagen nach Wegfall des Hindernisses beim Präsidenten der
Schätzungskommission eingereicht werden (Art. 39 Abs. 2 EntG). Können
Begehren zur Wahrung der öffentlichen Interessen im Sinne von Art. 7
Abs. 3 EntG wegen unverschuldeter Hindernisse innert der Eingabefrist
nicht geltend gemacht werden, so dürfen sie nach Art. 40 EntG noch bis zum
Schlusse der Einigungsverhandlung angebracht werden (Art. 40 EntG). Diese
Fristen zur Erhebung von Einsprachen im engeren und weiteren Sinne sind
nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes Verwirkungsfristen
(vgl. etwa BGE 111 Ib 284 und dort zitierte Entscheide).

    Gemäss dieser gesetzlichen Ordnung hätten die als Einsprecher
auftretenden Organisationen ihre Begehren während der Projektauflage,
die in den Gemeinden Klosters, Susch und Lavin vom 23. November bis
22. Dezember 1987 erfolgte, bei einer der Gemeinden anbringen oder
sie als nachträgliche Begehren im Sinne von Art. 39 und 40 EntG direkt
dem Schätzungskommissions-Präsidenten zukommen lassen sollen. Dass die
Einsprachen beim Bundesamt für Verkehr und damit bei der falschen Stelle
eingegangen sind, spielt allerdings für deren Zulässigkeit keine Rolle,
gelten doch die innert Frist einer unzuständigen Behörde unterbreiteten
Begehren als rechtzeitig (Art. 21 Abs. 2 VwVG) und hätte das Bundesamt
die bei ihm eingereichten Rechtsschriften aufgrund von Art. 8 Abs. 1
VwVG der zuständigen Instanz überweisen sollen. Erheblich ist dagegen,
dass die Einsprachen erst rund einen Monat nach Ablauf der Eingabefrist
erhoben worden sind und daher nur unter den in Art. 39 und 40 EntG
umschriebenen Voraussetzungen als zulässig gelten können. Über diese Frage
der Rechtzeitigkeit der Einsprachen, die zu prüfen der erstinstanzlich
zuständige Schätzungskommissions-Präsident keine Gelegenheit erhielt,
ist nunmehr im Verwaltungsgerichtsverfahren zu befinden.

Erwägung 2

    2.- Nach den Artikeln 39 und 40 EntG können Einsprachen und
Planänderungsbegehren nur dann nach Ablauf der Eingabefrist noch erhoben
werden, wenn die Einhaltung der Frist "wegen unverschuldeter Hindernisse"
nicht möglich war. Es stellt sich daher hier die Frage, ob das Schreiben
des Bundesamtes für Verkehr vom 12. November 1987 als solches Hindernis
gelten könne, mit anderen Worten, ob die Beschwerdeführer nach Treu
und Glauben annehmen durften, in diesem sei ihnen zugesichert worden,
dass sie von ihrer Einsprachemöglichkeit ungeachtet der gesetzlichen
Frist jedenfalls bis Ende Januar 1988 Gebrauch machen könnten. Eine
solche Zusicherung ist jedoch nicht abgegeben worden. Im fraglichen
Schreiben ist von Einsprachen nicht die Rede und wird - unter Hinweis
auf die öffentliche Planauflage in den Gemeinden - den Adressaten
lediglich Gelegenheit geboten, die Projektunterlagen während einer
gewissen Zeit direkt beim Bundesamt für Verkehr einzusehen. Das
Bundesgericht hat unlängst in einem ähnlichen Fall festgestellt, dass
die Ansetzung einer Frist zur Akteneinsicht, selbst wenn diese im
Amtsblatt publiziert werde, die ordentliche Rechtsmittelfrist nicht
zu verlängern vermöge (unveröffentlichtes Urteil vom 18. Mai 1990
i.S. Gemeinde Bösingen). Demnach kann auch im Schreiben des Bundesamtes
für Verkehr vom 12. November 1987 keine Zusicherung auf die Möglichkeit
der Rechtswahrung bis Ende Januar 1988 gesehen werden. Im übrigen hätten
die Beschwerdeführerinnen allen Anlass gehabt, sich aufgrund des im
Schreiben enthaltenen Hinweises auf die öffentliche Planauflage beim
Bundesamt danach zu erkundigen, wann diese stattfinde und wie es sich
mit der Eingabefrist verhalte.

    Selbst wenn aber hier die in der Praxis entwickelten Regeln über
die unrichtige Rechtsmittelbelehrung anzuwenden wären, wäre damit den
Beschwerdeführerinnen nicht geholfen. Nach ständiger bundesgerichtlicher
Rechtsprechung haben falsche Auskünfte von Behörden nur dann eine
vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden zur
Folge, wenn dieser die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres
erkennen konnte (BGE 115 Ib 18 ff. E. 4, 114 Ia 106 ff. und dort
zitierte Entscheide). So geniesst der Private keinen Vertrauensschutz,
wenn er die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung kennt oder sie bei
genügender Aufmerksamkeit hätte kennen müssen, insbesondere wenn er oder
sein Anwalt die Mängel der Belehrung schon allein durch Konsultierung
des massgebenden Gesetzestextes hätte ersehen können (BGE 112 Ia 310,
106 Ia 16 ff. E. 3). Nun wird, wie bereits erwähnt, in Art. 25 Abs. 1
und 4 PVV-EB klar festgehalten, dass sich die öffentliche Auflage und
die Einsprachen im kombinierten Plangenehmigungsverfahren nach den
Bestimmungen des Enteignungsgesetzes richten und dass der Verzicht auf
Einsprache jegliche spätere Mitwirkung im Verfahren ausschliesst. Ein
Blick auf diese Vorschrift und das Enteignungsgesetz hätte genügt, um
zu erkennen, dass es sich bei der vom Bundesamt für Verkehr genannten
Frist nicht um die gesetzliche Einsprachefrist handeln konnte. Zwar wird
im Brief vom 12. November 1987 nicht erwähnt, welche Art von Verfahren
eröffnet worden sei, doch wäre den Organisationen auch in dieser Hinsicht
eine Rückfrage zuzumuten gewesen. Selbst wenn diese aber von der falschen
Annahme ausgegangen wären, es sei ein ordentliches Verfahren im Sinne
von Art. 20 lit. b und 22 ff. PVV-EB eingeleitet worden, so hätten sie
der Verordnung ebenfalls ohne weiteres entnehmen können und müssen, dass
auch im ordentlichen Plangenehmigungsverfahren die Stellungnahmen zum
Projekt und Planänderungsbegehren während der dreissigtägigen Auflagefrist
einzureichen sind (Art. 22b Abs. 1). Die Beschwerdeführer hätten sich
deshalb nicht auf das fragliche Schreiben als Vertrauensgrundlage berufen
können. Dieses kann deshalb auch nicht als "Hindernis" im Sinne der
Artikel 39 und 40 EntG gelten.