Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IA 70



116 Ia 70

11. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
8. März 1990 i.S. X. gegen Präsidium des Kriminal- und Polizeigerichtes
des Kantons Glarus (staatsrechtliche Klage) Regeste

    Art. 83 lit. a OG; Kompetenzkonflikt nach Art. 223 MStG.

    Der militärische Untersuchungsrichter tritt seinen Dienst mit dem Anruf
bzw. dem Aufgebot durch den zuständigen Kommandanten (oder die Direktion
der Eidgenössischen Militärverwaltung) an. Begibt er sich daraufhin -
in der Regel in Uniform - an den Ort der Einvernahme, so steht dies im
Zusammenhang mit der von ihm zu erbringenden Militärdienstleistung,
weshalb er für Verkehrsübertretungen während der Fahrt dorthin dem
Militärstrafgesetz untersteht. Nur wenn jeder solcher Zusammenhang fehlt,
sind Verkehrsübertretungen der dem Militärstrafrecht unterstehenden
Personen durch die zivilen Behörden zu verfolgen und zu beurteilen.

Sachverhalt

    A.- Am 22. September 1989 hielt die Kantonspolizei Glarus X. auf
der Nationalstrasse N 3 in Mollis auf. Sie hielt ihm vor, er habe mit
dem ihm gehörenden Personenwagen die gesetzliche Höchstgeschwindigkeit
von 120 km/h überschritten; die Messung habe einen Wert von 155 km/h
ergeben. Es ist unbestritten, dass X. bei dieser Fahrt als militärischer
Untersuchungsrichter dienstlich unterwegs war. Offen ist, ob ein
dienstlicher Grund für die Geschwindigkeitsüberschreitung vorhanden war.

    Mit Strafverfügung vom 9. November 1989 verurteilte der Einzelrichter
für Strafsachen des Kantons Glarus X. zu einer Busse von Fr. 250.--
sowie zu einer Gerichtsgebühr von Fr. 40.--. Mit Eingabe vom 13. November
1989 bestritt X. die Zuständigkeit des glarnerischen Richters und machte
geltend, er unterstehe der Militärjustiz. Der Einzelrichter überwies
darauf die Akten als Einsprache ans Polizeigericht. Dieses sistierte das
Verfahren am 16. Januar 1990 bis zur Erledigung des Kompetenzkonfliktes
durch das Bundesgericht.

    Mit Eingabe vom 29. Dezember 1989 beantragt X., es sei das
Präsidium des Kriminal- und Polizeigerichts des Kantons Glarus als
unzuständig zu erklären, die von ihm am 22. September 1989 begangene
Geschwindigkeitsübertretung zu verfolgen und zu beurteilen, und es seien
die militärischen Gerichte als zuständig zu erklären.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Anstände über die Zuständigkeit der militärischen und der
zivilen Gerichtsbarkeit werden vom Bundesgericht endgültig entschieden
(Art. 223 Abs. 1 MStG). Es beurteilt Kompetenzkonflikte zwischen
Bundesbehörden einerseits und kantonalen Behörden andererseits im
Verfahren der staatsrechtlichen Klage (Art. 83 lit. a OG). Diese
Zuständigkeit erstreckt sich nicht nur auf positive oder negative,
aktuelle Kompetenzkonflikte. Darunter fallen auch Situationen, in denen
der Angeschuldigte geltend macht, richtigerweise sei nicht die gegen ihn
vorgehende, sondern die andere Behörde zuständig (BGE 103 Ia 351 f. E. 1;
s. auch KURT HAURI, Kommentar zum Militärstrafgesetz, S. 556 f. mit
weiteren Hinweisen). Somit hat das Bundesgericht auf die vorliegende
Beschwerde bzw. Klage im Sinne von Art. 83 lit. a OG einzutreten.

Erwägung 2

    2.- a) Dem Militärstrafrecht unterstehen u.a.  Dienstpflichtige und
Hilfsdienstpflichtige während ihres Militärdienstes, ausgenommen Urlauber
für strafbare Handlungen nach den Art. 115-137 und 145-179 MStG, die
keinen Zusammenhang mit dem Dienst der Truppe haben (Art. 2 Ziff. 1 MStG).
Somit ist das Militärstrafrecht auf den Kläger grundsätzlich anwendbar.

    b) Die dem Militärstrafrecht unterstehenden Personen sind der
Militärgerichtsbarkeit unterworfen, wenn sie bei einer militärischen
Übung, bei einer dienstlichen Verrichtung der Truppe oder im Zusammenhang
mit einer im Militärstrafgesetz vorgesehenen strafbaren Handlung eine
Widerhandlung gegen die Gesetzgebung des Bundes über den Strassenverkehr
begehen. Dabei sind die Strafbestimmungen des zivilen Rechts anwendbar. In
leichten Fällen erfolgt disziplinarische Bestrafung (Art. 218 Abs. 3 MStG).

    Zu entscheiden ist, ob der Kläger sich in "einer dienstlichen
Verrichtung der Truppe" befand. Er war als militärischer
Untersuchungsrichter unterwegs. Als solcher leistet er in
aussergewöhnlicher Art Dienst. Dienstantritt hat er mit dem Anruf bzw. dem
Aufgebot durch den zuständigen Kommandanten am Arbeitsplatz oder zu
Hause. Dort muss er die ersten Massnahmen treffen, dabei namentlich
auch seine Zuständigkeit prüfen, den Gerichtsschreiber aufbieten und
die Einvernahmen organisieren. Nachher begibt er sich an den Ort der
Einvernahme, allenfalls mit dem Privatfahrzeug. Das traf hier unbestritten
zu. Zudem hat der Kläger bei der fraglichen Fahrt auch die Uniform getragen
(s. in diesem Zusammenhang BGE 103 Ia 355 und Kommentar HAURI, aaO, N. 14
zu Art. 2 MStG, S. 56). Somit unterstand er wegen dieses Zusammenhangs
mit der von ihm zu erbringenden Dienstleistung dem Militärstrafgesetz
(vgl. Kommentar HAURI, aaO, N. 6 zu Art. 2 MStG, S. 55). Nur wenn
jeder solcher Zusammenhang fehlt, sind Verkehrsübertretungen der dem
Militärstrafrecht unterstehenden Personen durch die zivilen Behörden zu
verfolgen und zu beurteilen (BGE 101 Ia 432). Belanglos ist, ob die
Geschwindigkeitsübertretung dienstlich zu rechtfertigen ist. Das ist
nicht eine Frage der gerichtlichen Kompetenz, sondern der materiellen
Beurteilung. In dieser Hinsicht ist durchaus das zivile Recht über den
Strassenverkehr anwendbar (Art. 218 Abs. 3 Satz 2 MStG). Allerdings bildet
die materielle Beurteilung nicht bereits Gegenstand des vorliegenden
Kompetenzkonfliktsverfahrens (s. BGE 101 Ia 431, 76 I 194 E. 3, 67 I 341;
Kommentar HAURI, aaO, S. 558 f.).

Erwägung 3

    3.- Besteht ein Kompetenzkonflikt, so hebt das Bundesgericht das
Verfahren oder die Urteile auf, die einen Übergriff der zivilen in
die militärische Gerichtsbarkeit oder der militärischen in die zivile
Gerichtsbarkeit enthalten (Art. 223 Abs. 2 Satz 1 MStG). Belanglos ist,
ob das aufzuhebende Strafurteil bereits rechtskräftig (BGE 106 Ia 51 E. 3),
sistiert usw. sei.

Erwägung 4

    4.- Nach dem Ausgeführten ist die Klage gutzuheissen, und die Behörden
der Militärstrafgerichtsbarkeit sind für zuständig zu erklären. ...