Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IA 237



116 Ia 237

39. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12.
Oktober 1990 i.S. F. gegen Obergericht des Kantons Bern (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Handels- und Gewerbefreiheit; Zulassung zum Anwaltsberuf.

    1. Schweizer und Ausländer können sich in gleicher Weise auf die
Handels- und Gewerbefreiheit berufen; ausgenommen vom Schutzbereich
dieses Grundrechts sind allein fremdenpolizeiliche Anordnungen (E. 2;
Änderung der Rechtsprechung).

    2. Es ist mit der Handels- und Gewerbefreiheit in der Regel vereinbar,
den Ausländer vom Anwaltsberuf auszuschliessen (E. 3).

Sachverhalt

    A.- F., Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland, ist in der
Schweiz aufgewachsen und studiert Rechtswissenschaften an der Universität
Bern. Am 25. Oktober 1989 ersuchte er das Obergericht des Kantons Bern um
rechtsverbindliche Feststellung, ob er als deutscher Staatsangehöriger bei
Erfüllung der weiteren Voraussetzungen zum Anwaltsberuf zugelassen werde.

    Mit Verfügung vom 24. Januar 1990 stellte das Obergericht des
Kantons Bern fest, F. könne nicht zum Anwaltsberuf zugelassen werden. Das
Obergericht verwies auf die Art. 3 und 7 Abs. 1 des bernischen Gesetzes
über die Fürsprecher vom 6. Februar 1984 (Fürsprechergesetz), wonach
die Ausübung des Anwaltsberufs Schweizer Bürgern vorbehalten wird. Diese
Regelung halte vor dem Bundesverfassungsrecht stand.

    Eine gegen diese Feststellungsverfügung erhobene staatsrechtliche
Beschwerde weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach der früheren Rechtsprechung konnte sich auf die Handels-
und Gewerbefreiheit nur berufen, wer Schweizer Bürger ist (BGE 55 I 223
E. 1; 48 I 285 E. 1; 47 I 50 E. 1). In BGE 108 Ia 148 hat das Bundesgericht
seine Praxis präzisiert. Danach kann sich auch der Ausländer auf die
Handels- und Gewerbefreiheit berufen, soweit er nicht gerade wegen seiner
Ausländerqualität besonderen wirtschaftspolizeilichen Einschränkungen
unterworfen ist (bestätigt im Urteil vom 24. Februar 1984, E. 1, in:
ZBl 85/1984 S. 458).

    b) Der Ausländer kann damit persönlich Grundrechtsträger sein, er
ist es nur in bestimmten sachlich abgegrenzten Bereichen nicht. Das
Bundesgericht hat mit dieser Präzisierung der Rechtsprechung den
persönlichen Schutzbereich der Handels- und Gewerbefreiheit in enge
Beziehung zum sachlichen gebracht. In BGE 114 Ia 311 E. 3b ging es noch
einen Schritt weiter. Hinsichtlich der fremdenpolizeilichen Zulassung
ausländischer Arbeitskräfte fasste es den Schutzbereich der Handels-
und Gewerbefreiheit rein sachlich, nicht mehr in Abhängigkeit von der
Person des Beschwerdeführers. Es erklärte, weder der Ausländer selbst
noch sein schweizerischer Arbeitgeber könnten sich bei Anwendung des
Fremdenpolizeirechts auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen.

    Die früher (BGE 106 Ib 133) in Erwägung gezogene Konzeption, wonach
es darauf ankäme, ob Beschwerdeführer ein Ausländer oder ein Schweizer
sei, hat das Bundesgericht damit verworfen. Das deckt sich mit der in der
Literatur neuerdings von MARKUS HUG (Der Ausländer als Grundrechtsträger,
Diss. Zürich 1989, insbesondere S. 118-127) vertretenen Auffassung, nach
der nicht der Ausländer als Person von der Anrufung eines bestimmten
Grundrechts allgemein ausgeschlossen sein soll, sondern bestimmte
ausländerspezifische Sachfragen den Schutzbereich des Grundrechts nicht
betreffen.

    c) In BGE 108 Ia 148 hat das Bundesgericht ausländerspezifische
Einschränkungen der privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit generell
vom Schutz durch die Handels- und Gewerbefreiheit ausgenommen. Das
ist insofern nicht unproblematisch, als damit der Geltungsbereich eines
verfassungsmässigen Rechts nicht durch die Bundesverfassung selbst, sondern
- von Kanton zu Kanton verschieden - durch Gesetz und Verordnung bestimmt
würde (HUG, aaO, S. 240; ALFRED KÖLZ, Die staatsrechtliche Rechtsprechung
des Bundesgerichts im Jahre 1982, ZBJV 120/1984 S. 336 f.). In BGE 114
Ia 312 konkretisierte das Bundesgericht den Schutzbereich der Handels-
und Gewerbefreiheit indessen im Lichte der Bundesverfassung. So steht nach
Art. 69ter Abs. 1 BV die Gesetzgebung über Ein- und Ausreise, Aufenthalt
und Niederlassung der Ausländer dem Bunde zu. Neben der Fernhaltung
unerwünschter Personen hat diese Verfassungsnorm auch eine demographische
und arbeitsmarktpolitische Zielsetzung (MALINVERNI, Kommentar BV, N. 20
zu Art. 69ter). Das lässt bei Anwendung des Fremdenpolizeirechts für
einen grundrechtlichen Schutz der privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit
keinen Raum.

    Sowohl Art. 69ter BV wie das Bundesgesetz über Aufenthalt
und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (ANAG; SR
142.20) unterscheiden zwischen Niederlassung und Aufenthalt. Die
Aufenthaltsbewilligung ist befristet und kann mit Bedingungen
verbunden werden (Art. 5 Abs. 1 ANAG); die Niederlassungsbewilligung
ist demgegenüber unbefristet und bedingungsfeindlich (Art. 6 Abs. 1
ANAG). Können dem Niedergelassenen keine Bedingungen auferlegt werden,
so unterliegt er insbesondere hinsichtlich seiner Erwerbstätigkeit
keinerlei fremdenpolizeilichen Schranken. Das heisst zwar nicht, dass
es zum vornherein unzulässig wäre, bestimmte Berufe Schweizer Bürgern
vorzubehalten. Wenn aber der Ausländer unter arbeitsmarktlichen
und demographischen Gesichtspunkten ohne jede Einschränkung zur
Erwerbstätigkeit zugelassen ist, so ist kein verfassungsrechtlicher Grund
ersichtlich, der es gebieten würde, den Ausländer vom Schutz der Handels-
und Gewerbefreiheit auszunehmen. Vielmehr müssen sich Einschränkungen
seiner Erwerbstätigkeit, die nicht auf dem Fremdenpolizeirecht des Bundes
beruhen und sich auf Art. 69ter BV stützen lassen, an der Handels-
und Gewerbefreiheit messen. Das heisst, sie müssen auf gesetzlicher
Grundlage beruhen, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und
verhältnismässig sein.

    d) Die Berufung des Ausländers auf die Handels- und
Gewerbefreiheit zuzulassen, soweit er auf dem schweizerischen
Arbeitsmarkt fremdenpolizeilich zugelassen ist, rechtfertigt sich auch
aufgrund des menschenrechtlichen Teilgehalts von Art. 31 BV. Neben der
wirtschaftspolitischen Grundentscheidung für ein System des freien
Wettbewerbs und der Schaffung eines einheitlichen schweizerischen
Wirtschaftsraums garantiert die Handels- und Gewerbefreiheit die freie
Wahl und Ausübung eines Berufs. Ist es zwar verfassungsrechtlich nicht
vorgezeichnet, in welcher Beziehung der schweizerische Wirtschaftsraum
zum ausländischen steht, und kann sich der Ausländer hinsichtlich der
fremdenpolizeilichen Zulassung insoweit nicht auf die Handels- und
Gewerbefreiheit berufen, so ist doch beim niedergelassenen Ausländer
hinsichtlich seiner beruflichen Entfaltung ein Unterschied zum Schweizer
Bürger nicht auszumachen.

    Ob der Ausländer (anders als der Schweizer) auf Grundlage des
kantonalen Rechts von der Ausübung eines bestimmten Berufes ausgeschlossen
werden kann, ist nicht Frage seiner Legitimation zur Ergreifung der
staatsrechtlichen Beschwerde, sondern der materiellen Schranken des
Grundrechts der Handels- und Gewerbefreiheit.

Erwägung 3

    3.- a) Die Erteilung des Fürsprecherpatents und der
Berufsausübungsbewilligung bei ausserkantonalem Ausweis ist im Kanton Bern
an die Voraussetzung des Schweizerbürgerrechts geknüpft (Art. 3 und Art. 7
Abs. 1 Fürsprechergesetz). Die gesetzliche Grundlage für die Verweigerung
der Zulassung zur Fürsprecherprüfung zieht der Beschwerdeführer denn auch
nicht in Zweifel.

    b) Im zitierten Urteil vom 24. Februar 1984, in dem das Bundesgericht -
von Härtefällen abgesehen - den Ausschluss der Ausländer vom Anwaltsberuf
als zulässig erklärt hat, ist das Bürgerrechtserfordernis (unter dem
Gesichtswinkel von Art. 4 BV) mit dem Schutz der einheimischen Anwälte
vor ausländischer Konkurrenz sowie der nötigen Vertrautheit mit den
gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen des Landes gerechtfertigt
worden.

    Soweit das Bürgerrechtserfordernis dem Konkurrenzschutz dient,
lässt es sich zum vornherein nicht mehr aufrechterhalten, wenn sich
(wie in E. 2 dargetan) der Ausländer auf die Handels- und Gewerbefreiheit
berufen kann. Im Unterschied zu Art. 4 BV verbietet dieses Grundrecht den
Kantonen wirtschafts- und standespolitische Massnahmen, die lediglich
der Abschirmung gegen Konkurrenz dienen (BGE 114 Ia 36; 113 Ia 282;
je mit Hinweisen).

    Das Argument der engen Vertrautheit mit den Verhältnissen des Landes
ist bei einem in der Schweiz aufgewachsenen Ausländer, der hier die
Schulen besucht und überdies an einer hiesigen Universität studiert hat,
nicht von grossem Gewicht. Unterschiede zu einem Schweizer Bürger sind
diesbezüglich nicht erheblich, auch wenn sie bei anderen Ausländern von
grösserer Bedeutung sein mögen.

    c) Zu beachten gilt es allerdings, dass nach Art. 64 Abs. 3
und Art. 64bis Abs. 2 BV die Kantone die Gerichtsorganisation,
das gerichtliche Verfahren und die Rechtsprechung ordnen. Mit der
kantonalen Verfahrenshoheit steht die Regelung des Anwaltsberufs in
enger Verbindung. Der Anwalt ist "Mitarbeiter der Rechtspflege" (BGE
106 Ia 104/5). Er steht in dieser Funktion in enger Beziehung zum Staat
und nimmt eine für den Rechtsstaat tragende Aufgabe wahr. Es entspricht
daher jedenfalls zurzeit herrschender Rechtsanschauung, dass der Anwalt mit
diesem Staat durch das Bürgerrecht verbunden sein soll. Das gilt sowohl für
einen Grossteil der Kantone wie auch für zahlreiche Staaten des Auslands.

    Der Staat erwartet vom Anwalt, der vor seinen Gerichten das Recht für
die Klienten erstreiten soll, dass er sich als Bürger in die Rechtsordnung
einfügt und sich an deren Fortbildung beteiligt. Der Klient erwartet,
dass der Anwalt, den er mit der Wahrung seiner Interessen beauftragt,
dem Richter oder (im Verwaltungsverfahren) dem Beamten als Bürger mit
gleichen Rechten und Pflichten gegenübertreten kann. Vor allem diese
Erwartungshaltung nicht zu enttäuschen, kann für den kantonalen Gesetzgeber
Anlass sein, den Ausländer vom Anwaltsberuf auszuschliessen. Insoweit
liegt die bernische Regelung im öffentlichen Interesse.

    d) Sie trifft auch den schon längere Zeit in der Schweiz weilenden
Ausländer nicht in unverhältnismässiger Weise, soweit ihm die Möglichkeit
offen steht, das Schweizer Bürgerrecht zu erlangen. Im Falle des
Beschwerdeführers, der erklärtermassen das Bürgerrecht erwerben könnte,
nicht aber erwerben will, ist sie keinesfalls unverhältnismässig.

    e) Der Ausschluss vom Anwaltsberuf lässt sich aus diesen Gründen mit
der Handels- und Gewerbefreiheit vereinbaren.