Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IA 197



116 Ia 197

33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 27. Juli 1990 i.S. Baukonsortium X. und Mitbeteiligte gegen
Einwohnergemeinde Kappel und Regierungsrat des Kantons Solothurn
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV; Zonenplanung (Art. 15 RPG).

    1. Verfahren (Art. 87 OG): Gegen einen letztinstanzlichen
Zwischenentscheid im Rahmen eines Zonenplanungsverfahrens kann
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV geführt werden,
wenn das Bundesgericht in einem durch die Gemeinde gleichzeitig angehobenen
Verfahren ohnehin weitgehend über dieselben Fragen zu entscheiden hat
(E. 1b).

    2. Begriff des Landes, das weitgehend überbaut ist, im Sinne
von Art. 15 lit. a RPG. Bedeutung der Erschliessung im Rahmen der
Gesamtbeurteilung (E. 2b).

Sachverhalt

    A.- Der Regierungsrat des Kantons Solothurn hat am 12. Juli 1988
den vom Gemeinderat der Einwohnergemeinde Kappel am 30. Juni 1987/3.
November 1987 revidierten Zonenplan im Sinne der Erwägungen teilweise
genehmigt. Den Erwägungen des regierungsrätlichen Entscheids ist
zu entnehmen, dass das Fassungsvermögen der vom Gemeinderat Kappel
festgesetzten Bauzone um ca. 300 Einwohner zu gross sei. Diese Feststellung
führte den Regierungsrat unter anderem dazu, die von der Einwohnergemeinde
Kappel vorgesehene planungsrechtliche Behandlung des Grundstücks GB Kappel
Nr. 293 sowie der Nachbarparzelle GB Kappel Nr. 291 in seinem Entscheid
vom 12. Juli 1988 nicht zu genehmigen. Diese Parzellen befanden sich nach
dem Zonenplan der Einwohnergemeinde Kappel von 1968 in der Wohnzone WG 4
(Wohn- und Gewerbezone, 4 Geschosse), wobei die nordwestlichen Teile
in der zweiten Etappe lagen. In dem vom Gemeinderat festgesetzten,
dem Regierungsrat zur Genehmigung unterbreiteten Zonenplan wurden diese
Grundstücke der Wohn-Ortsbildschutzzone 2-geschossig (OSCH 2) zugeteilt.

    Gegen den erwähnten Regierungsratsentscheid vom 12. Juli 1988, in
welchem der vom Gemeinderat beschlossenen Zuordnung der Parzellen Nrn. 291
und 293 zur Wohnzone OSCH 2 die Genehmigung verweigert worden ist, führen
die Grundeigentümer staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Willkürverbots (Art. 4 BV) (siehe auch 116 Ia 193 ff., 221 ff., 236 f.).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- b) Der angefochtene Entscheid ist teilweise ein
Rückweisungsentscheid und insofern ein Zwischenentscheid, der das
umstrittene Ortsplanungsverfahren nicht abschliesst. Staatsrechtliche
Beschwerden gegen Zwischenentscheide, die lediglich einen Schritt
auf dem Weg zu einem letztinstanzlichen Endentscheid darstellen, sind
gemäss Art. 87 OG wegen Verletzung von Art. 4 BV nicht zulässig, es
sei denn, der Zwischenentscheid habe für den Betroffenen einen nicht
wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge. Soweit andere Rügen erhoben
werden, können letztinstanzliche Zwischenentscheide auch dann angefochten
werden, wenn sie keinen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken
(Art. 86 OG). Werden neben der Verletzung von Art. 4 BV noch weitere
Beschwerdegründe vorgebracht, so tritt das Bundesgericht auf die Beschwerde
in vollem Umfang ein, allerdings nur dann, wenn die neben der Verletzung
von Art. 4 BV geltend gemachten Verfassungsrügen nicht mit der Willkürrüge
zusammenfallen, somit selbständige Bedeutung haben und nicht offensichtlich
unzulässig oder unbegründet sind (BGE 115 Ia 314 E. 2b mit Hinweisen).

    Die Beschwerdeführer rügen lediglich die Verletzung des Willkürverbots
(Art. 4 BV) und machen keine Beeinträchtigung anderer verfassungsmässiger
Rechte geltend. Auf ihre Beschwerden kann somit grundsätzlich
nur eingetreten werden, wenn der angefochtene Entscheid für die
Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hat.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es eines
nicht wiedergutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur, damit
ein Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 OG mit staatsrechtlicher
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV angefochten werden kann; eine
bloss tatsächliche Beeinträchtigung wie beispielsweise eine Verlängerung
oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 108 Ia 204 E. 1 mit
Hinweisen). Der Nachteil ist nur dann rechtlicher Art, wenn er auch durch
einen für den Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr behoben
werden könnte (BGE 115 Ia 319 E. 1a/bb mit Hinweisen). Indessen muss die
blosse Möglichkeit eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils rechtlicher
Natur genügen. Zudem ist der gesetzgeberische Grund, der zum Erlass dieser
Bestimmung geführt hat, zu beachten. Es geht um Gründe der Prozessökonomie:
das Bundesgericht soll sich als Staatsgerichtshof in der Regel nur einmal
mit einem Prozess befassen müssen, und zwar erst dann, wenn feststeht,
dass die beschwerdeführende Partei einen endgültigen Nachteil erlitten
hat (BGE 106 Ia 235 mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat schon vor 10
Jahren festgehalten, dass diese Forderung seit dem Inkrafttreten des
heute geltenden OG von 1943 nichts an Aktualität eingebüsst hat. Die
notorische Überlastung des Bundesgerichts gebietet vielmehr, am dargelegten
Grundsatz festzuhalten. Eine Lockerung der Praxis liesse sich auch mit
dem Text des Gesetzes kaum vereinbaren (BGE 106 Ia 235). Im vorliegenden
Fall ist jedoch weiter zu berücksichtigen, dass das Bundesgericht auch
eine staatsrechtliche Beschwerde der Gemeinde Kappel gegen den hier
angefochtenen Entscheid des Regierungsrats zu behandeln hat (BGE 116 Ia
221 ff.) und in diesem Verfahren weitgehend über dieselben materiellen
Fragen entscheidet, die auch die Beschwerdeführer in der vorliegenden
staatsrechtlichen Beschwerde aufwerfen. Würde im heutigen Zeitpunkt nur
auf die Autonomiebeschwerde eingetreten, nicht jedoch auch auf die von den
privaten Beschwerdeführern eingereichten staatsrechtlichen Beschwerden, so
hätte sich das Bundesgericht mit der Planungssache Kappel in unerwünschter
Weise zweimal zu befassen. Es entspricht daher der prozessökonomischen
Zielsetzung von Art. 87 OG, alle Beschwerden gleichzeitig zu
behandeln. Somit kann im vorliegenden Fall offengelassen werden, ob der
angefochtene Entscheid für die Beschwerdeführer möglicherweise einen
nicht wiedergutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur zur Folge hat.

Erwägung 2

    2.- a) Im angefochtenen Entscheid führt der Regierungsrat zum
Gebiet Unterdorf unter anderem aus, der Ostrand der Gemeinde Kappel
werde durch weitgehend intakte Bauten des alten Dorfkerns geprägt. In
diesem Bereich befänden sich mehrere aktive Landwirtschaftsbetriebe. Die
alten markanten Hofgebäude und die zugehörigen Hofstätten und Gärten
würden zusammen einen harmonischen Übergang zum Landwirtschaftsgebiet
bilden und damit einen wesentlichen Bestandteil des schützenswerten
Ortsbildes der Gemeinde Kappel darstellen. Im alten Zonenplan sei dieses
Gebiet vollständig der Wohn- und Gewerbezone WG 2 bzw. WG 3 zugewiesen
gewesen. Anlässlich der Vorprüfung zum Zonenplan sei die Gemeinde darauf
hingewiesen worden, dass die Ausscheidung einer Bauzone im Bereich dieses
Dorfrandgebiets aus verschiedenen Gründen problematisch sei. Zum einen
seien existenzfähige Landwirtschaftsbetriebe am Rand der Bauzone gemäss
der Praxis des Regierungsrats dem Landwirtschaftsgebiet zuzuweisen, um sie
vor den nachteiligen Auswirkungen einer nahen Bauzone möglichst gut zu
schützen. Zum andern sei es aus ortsbild- und landschaftsschützerischen
Gründen wichtig, die bestehenden Obstgärten und Hofstätten ungeschmälert
zu erhalten. Der zur Genehmigung eingereichte Zonenplan scheide nun
grössere Teile dieses Gebiets als Reservegebiet, einige Grundstücke sogar
als Bauzone aus. Gemäss § 26 des Baugesetzes des Kantons Solothurn vom
3. Dezember 1978 (BauG) werde innerhalb des Siedlungsgebiets die Bauzone
ausgeschieden. Diese umfasse Land, das bereits weitgehend überbaut oder
erschlossen sei oder auf absehbare Zeit für eine geordnete Besiedlung
benötigt werde und erschlossen werden könne. Eine Bautätigkeit im Gebiet
"Unterdorf" würde nicht nur das Orts- und Landschaftsbild erheblich
stören, sondern auch die Landwirtschaft behindern. Deshalb seien die
ausgeschiedenen Bauzonen im Bereich der Hofstätten der Parzellen GB
Nrn. 281, 282, 284, 291, 293 problematisch. Die Erhaltung der intakten
östlichen Dorfansicht mit den vorgelagerten Obstgärten verlange eine
Auszonung dieser Parzellen. Im übrigen könnten weder ein Gestaltungsplan,
noch spezielle Vorschriften zur Ortsbildschutzzone die Zerstörung
dieses wertvollen, harmonischen Übergangs zum Landwirtschaftsgebiet
verhindern. Die periphere, zum Teil sogar inselartige Lage dieser
Grundstücke und das Interesse an der Verhinderung einer übergrossen
Bauzone würden diese Massnahme rechtfertigen. Die umstrittenen Parzellen
seien vollumfänglich dem Landwirtschaftsgebiet zuzuweisen.

    b) Die Beschwerdeführer wenden gegen dieses Vorgehen im wesentlichen
ein, ihr Land müsse aufgrund von § 26 Abs. 1 BauG eingezont werden,
da es sowohl weitgehend überbaut als auch erschlossen sei.

    Gemäss Art. 15 RPG umfassen Bauzonen Land, das sich für die Überbauung
eignet und weitgehend überbaut ist oder voraussichtlich innert fünfzehn
Jahren benötigt und erschlossen wird. Die in dieser Vorschrift enthaltenen
Grundsätze sind entscheidend für die Frage, ob ein Grundstück in die
Bauzone aufzunehmen ist oder nicht. Art. 15 RPG geht nach dem Grundsatz des
Vorrangs des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest BV) allfällig davon abweichendem
kantonalem Planungsrecht vor. Das Raumplanungsgesetz des Bundes knüpft
am bestehenden baulichen Zustand an, d.h. an den vorhandenen Bauten und
deren Nutzungsmöglichkeiten sowie - im Zusammenhang damit - unter anderem
an der bereits erstellten Infrastruktur. Eine "weitgehende Überbauung" ist
eine effektiv bewohnte und benutzte Häusergruppe, die zudem von derartiger
Qualität ist, dass sie sinnvollerweise nur der Bauzone zugeteilt werden
kann. Nur die in die Bauzonen gehörenden Bauten, d.h. diejenigen des
allgemeinen Siedlungsbaus, sind bei der Beurteilung, ob bereits eine
weitgehende Überbauung besteht, zu berücksichtigen. Landwirtschaftliche
und andere, primär für die Freilandnutzung bestimmte Bauten, geben in der
Regel kein oder nur ein wenig gewichtiges Argument für die Zuteilung zur
Bauzone ab (BGE 113 Ia 450 ff. E. d).

    Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass diejenigen Teile der
Grundstücke Nrn. 291 und 293, auf denen grosse Gebäude stehen, in der
Bauzone verbleiben. Eine Zuordnung zur Landwirtschaftszone ist lediglich
für die grösseren nordwestlich davon liegenden Teile dieser Parzellen
vorgesehen. Dort steht auf Parzelle Nr. 293 der von den Beschwerdeführern
erwähnte Speicher. Die Parzellen liegen, wie der Regierungsrat zutreffend
ausführt, am Siedlungsrand und können, soweit sie nicht zur Bauzone
geschlagen werden sollen, nach den Kriterien der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung nicht als weitgehend überbaut betrachtet werden. Daran
ändert nichts, dass die Grundstücke allenfalls bereits voll erschlossen
sind, denn nach der Praxis des Bundesgerichts macht Erschliessung allein
keine "weitgehende Überbauung" aus. Sie ist bloss ein Element im Rahmen
der Gesamtbeurteilung (BGE 113 Ia 451). Sie begründet daher für sich allein
betrachtet auch keinen Anspruch auf Einzonung (BGE 107 Ia 243 E. 3b;
105 Ia 233 f. E. 3c/aa; vgl. nicht publiziertes Urteil vom 20. April
1989 i.S. Einwohnergemeinde Etziken). Im Rahmen dieser Gesamtbeurteilung
durfte der Regierungsrat dem Einbezug der Parzellen Nrn. 291 und 293 in die
Bauzone ohne Verfassungsverletzung die Genehmigung verweigern. Neben den
Gesichtspunkten des Ortsbildschutzes und der Landwirtschaft führten den
Regierungsrat namentlich Überlegungen zur zulässigen Grösse der gesamten
Bauzone zu diesem Ergebnis. Er nahm sogar in Kauf, dass trotz einiger
Rückzonungsaufträge an die Gemeinde immer noch eine nach den Kriterien
von Art. 15 RPG zu grosse Bauzone bestehen bleibt. Auf das Problem der
Bauzonendimensionierung muss jedoch im vorliegenden Fall nicht weiter
eingegangen werden, da die Beschwerdeführer die vom Regierungsrat in dieser
Hinsicht gemachten Ausführungen nicht in Frage stellen. Durch sein Vorgehen
hat der Regierungsrat aus diesen Gründen auch nicht in unzulässiger Weise
in das Ermessen der Gemeinde eingegriffen. Schliesslich kann nicht von
einer willkürlichen Anwendung des kantonalen Rechts gesprochen werden,
da sich dieses wie erwähnt an den Rahmen der in Art. 15 RPG enthaltenen
Grundsätze über die Ausscheidung von Bauzonen zu halten hat. In diesem
Sinne ist der angefochtene Entscheid weder unter dem Aspekt von Art. 4 BV
noch in bezug auf Art. 22ter BV zu beanstanden (vgl. BGE 116 Ia 230 E. 3b).