Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IA 181



116 Ia 181

30. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 30. Mai 1990 i.S. Genossenschaft A gegen Gemeinde Silvaplana und
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Art. 86 Abs. 2 und 87 OG; Zwischenentscheid in einem
Baulandumlegungsverfahren.

    1. Einer neben Art. 4 BV geltend gemachten Rüge kommt keine
selbständige Bedeutung zu, wenn dem Bundesgericht in diesem Bereich bloss
eine Prüfung auf Willkür hin zusteht (E. 3).

    2. Endentscheid und Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 OG (E. 3a).

    3. Nicht wiedergutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 87 OG (E. 3b).

Sachverhalt

    A.- Die Genossenschaft A ist Eigentümerin der Parzellen Nrn.  748,
749, 751, 753, 758, 759, 760, 761 und 766 mit einer Gesamtfläche von 10
170 m2. Diese Parzellen sind nach dem Zonenplan der Gemeinde Silvaplana
vom 30. März 1976 der Wohnzone IV, 1. Etappe, zugewiesen. Ebenfalls
am 30. März 1976 beschloss die Gemeindeversammlung von Silvaplana
ein Quartierplangesetz und einen generellen Gestaltungsplan. Dieser
Gestaltungsplan bezeichnet Gebiete mit Quartierplanpflicht und innerhalb
derselben Bebauungsgrenzen bzw. Baustandorte sowie durch Konzentration
erhaltene Freiflächen.

    Am 10. Mai 1983 beschloss der Gemeindevorstand Silvaplana die
Einleitung des Quartierplanverfahrens im Gebiet "Quarta morta", in
dem die Grundstücke der Genossenschaft A liegen. Einen dagegen von der
Genossenschaft A eingereichten Rekurs wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden am 12. Juli 1983 ab. Mit Entscheid vom 6. Dezember 1983
trat es auf ein Wiedererwägungsgesuch nicht ein. Das Bundesgericht wies am
2. August 1984 eine gegen diese Entscheide eingereichte staatsrechtliche
Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

    Am 12. April 1988 verfügte der Gemeindevorstand Silvaplana eine
Baulandumlegung. Weiter lud er die Grundeigentümer ein, zu einem
Quartierplanentwurf Stellung zu nehmen. Danach soll die bauliche
Nutzungsmöglichkeit im Quartierplangebiet "Quarta morta" östlich
der Waldkuppe Pkt. 1828 zusammengefasst werden. Der Altbestand der
Genossenschaft A von 10 170 m2, wovon 451 m2 Wald und 9719 m2 eingezont
sind, soll, abgesehen von einem Strassenabzug, mit einer Fläche von 9600
m2 oder einer total noch nutzbaren Bruttogeschossfläche von 548 m2 neu
zugeteilt werden.

    Der Gemeindevorstand Silvaplana wies am 31. Oktober 1988 eine von der
Genossenschaft A gegen diesen Umlegungsbeschluss eingereichte Eingabe ab.
Dagegen erhob die Genossenschaft A Einsprache. Sie machte, wie auch später
im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesgericht geltend, die einbezogenen
Grundstücke seien nicht gleichwertig und sie seien durch neutrale
Schätzer zu bewerten. Am 20. Februar 1989 wies der Gemeindevorstand
Silvaplana die Einsprache ab. Einen dagegen eingereichten Rekurs wies
das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden nach Durchführung eines
Augenscheins am 5. Juli 1989 ab. Die Genossenschaft A führt gegen diesen
Entscheid staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und 22ter
BV. Das Bundesgericht tritt auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art.
4 BV ist erst gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig, gegen
letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen
einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben (Art. 87
OG). Beschwerden, die sich auf andere verfassungsmässige Rechte stützen,
sind dagegen aufgrund von Art. 86 Abs. 2 OG ohne Einschränkungen schon
gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide zulässig. Werden neben der
Verletzung von Art. 4 BV noch weitere Beschwerdegründe vorgebracht, ist
auf die Beschwerde einzutreten, sofern die neben Art. 4 BV angerufenen
Beschwerdegründe nicht mit der Rüge wegen Verletzung von Art. 4 BV
zusammenfallen und nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet sind
(BGE 114 Ia 78 E. 3a, 107 Ia 227 E. 1, 231 E. 2a). Ob einem neben
der geltend gemachten Verletzung von Art. 4 BV angerufenen weiteren
Beschwerdegrund selbständige Bedeutung zukommt, ist auf Grund der
dem Bundesgericht bei dieser weiteren Rüge zustehenden Kognition zu
beurteilen. Der weiteren Rüge kommt dabei keine selbständige Bedeutung zu,
wenn dem Bundesgericht in diesem Bereich bloss eine Prüfung auf Willkür
hin zusteht.

    a) Endentscheid im Sinne von Art. 87 OG ist jeder Entscheid,
der ein Verfahren vorbehältlich der Weiterziehung an eine höhere
Instanz abschliesst, sei es durch einen Entscheid in der Sache selbst
(Sachentscheid), sei es aus prozessualen Gründen (Prozessentscheid). Als
Zwischenentscheide gelten dagegen jene Entscheide, die das Verfahren nicht
abschliessen, sondern bloss einen Schritt auf dem Weg zum Endentscheid
darstellen, gleichgültig, ob sie eine Verfahrensfrage oder - vorausnehmend
- eine Frage des materiellen Rechts zum Gegenstand haben (BGE 106
Ia 233 E. 3a mit zahlreichen Hinweisen; 110 Ia 134; 108 Ia 204). Die
Beschränkung der Anfechtbarkeit letztinstanzlicher Zwischenentscheide
beim Bundesgericht wegen Verletzung von Art. 4 BV gilt indessen nicht
absolut. Vielmehr lässt die Rechtsprechung Ausnahmen zu bei Entscheiden
über gerichtsorganisatorische Fragen, die ihrer Natur nach endgültig zu
erledigen sind, bevor das Verfahren weitergeführt werden kann (BGE 115
Ia 317 E. 1aa; 106 Ia 233 E. 3a, 94 I 201 E. 1a).

    Die Beschwerdeführerin hat die vom Gemeindevorstand Silvaplana verfügte
Einleitung der Baulandumlegung als solche nicht angefochten. Diese
Baulandumlegung war übrigens durch die im generellen Gestaltungsplan
vom 30. März 1976 rechtskräftig angeordnete Nutzungskonzentration bereits
vorgegeben. Vorliegend ist einzig strittig, ob das Verwaltungsgericht
zu Recht den Entscheid des Gemeindevorstandes Silvaplana vom
20. Februar 1989 geschützt hat. Dieser hat wegen Gleichwertigkeit
der im Umlegungsgebiet liegenden Parzellen gestützt auf Art. 17 des
Quartierplangesetzes der Gemeinde Silvaplana vom 30. März 1976 (QPG)
den Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewertung des Bodens durch Fachleute
abgelehnt. Art. 17 Ziffer 1 und 2 QPG lautet wie folgt:

    "1. Der Wert des in die Baulandumlegung einbezogenen Bodens wird unter

    Berücksichtigung bestehender, beschränkter, dinglicher und vorgemerkter
   persönlicher Rechte von einem oder mehreren Fachleuten geschätzt;
   diese werden vom Gemeindevorstand eingesetzt.

    2. Kommt allen in die Baulandumlegung einbezogenen Grundstücken der
   gleiche Wert zu, so kann der Gemeindevorstand auf eine Bewertung
   verzichten."

    Mit seinem Entscheid hat der Gemeindevorstand auf die Schätzung durch
Fachleute verzichtet. Er hat damit einen Verfahrensbeschluss gefällt, der
lediglich einen weiteren Verfahrensschritt im Baulandumlegungsverfahren
darstellt. Dabei bleibt die materielle Frage, ob mit dem beschlossenen
Vorgehen der Anspruch auf Realersatz erfüllt wird, offen. Der
Beschwerdeführerin bleiben in der Sache alle Rechte gewahrt. Sie
wird gegen den noch fehlenden Neuzuteilungsbeschluss, bzw. gegen
die Festsetzung des Quartierplanes, der gegenwärtig erst im Entwurf
vorliegt, namentlich geltend machen können, die Neuzuteilung verletze
das aus der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie abgeleitete
Realersatzprinzip. Danach hat der in ein Landumlegungsverfahren
einbezogene Grundeigentümer Anspruch auf wertgleichen Realersatz; für eine
Minderzuteilung, die nicht vermieden werden kann, ist ein Geldausgleich
in Höhe des Verkehrswertes geschuldet (BGE 114 Ia 260). Ob dieser Anspruch
erfüllt wird, lässt sich endgültig erst nach der definitiven Neuzuteilung
beurteilen. Beim angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts
handelt es sich somit nicht um einen Endentscheid im Sinne von Art. 87
OG. Es ist daher zu prüfen, ob der angefochtene Verfahrensbeschluss des
Gemeindevorstandes Silvaplana für die Beschwerdeführerin einen nicht
wiedergutzumachenden Nachteil bewirkt.

    b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es eines
nicht wiedergutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur, um einen
Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 OG mit staatsrechtlicher
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV anfechten zu können; eine
bloss tatsächliche Beeinträchtigung wie beispielsweise eine Verlängerung
oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 108 Ia 204 E. 1 mit
Hinweisen). Der Nachteil ist nur dann rechtlicher Art, wenn er auch
durch einen für den Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr
behoben werden könnte (BGE 106 Ia 234). An diesen Voraussetzungen fehlt
es im vorliegenden Fall. Wie unter Ziffer 3a bereits ausgeführt, kann
die Beschwerdeführerin eine allfällige Verletzung der Eigentumsgarantie
im Verfahren der Neuzuteilung vorbringen.

    Zusammenfassend ist festzustellen, dass es sich beim angefochtenen
Entscheid des Verwaltungsgerichts um einen Zwischenentscheid gemäss Art. 87
OG in einem Quartierplan- und Baulandumlegungsverfahren handelt, der für
die Beschwerdeführerin keinen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge
hat. Zu prüfen bleibt deshalb, ob der Berufung auf die Eigentumsgarantie
gemäss Art. 22ter BV neben der geltend gemachten Verletzung von Art. 4
BV selbständige Bedeutung zukommt.

    c) Eine Baulandumlegung mit Nutzungsverlegung und -konzentration
führt für die Eigentümer der betroffenen Parzellen zu einer
öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung. Diese ist mit der
Eigentumsgarantie gemäss Art. 22ter BV nur vereinbar, wenn sie auf einer
gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und den
Anspruch auf wertgleichen Realersatz wahrt (BGE 114 Ia 260 f. E. 1,
113 Ia 440 E. 2, 104 Ia 337 E. 2). Wie bereits ausgeführt, ist die
Frage des wertgleichen Realersatzes nicht in diesem Verfahrensstadium zu
beurteilen. Weiter stellt die Beschwerdeführerin weder das überwiegende
öffentliche Interesse in Frage, noch macht sie eine Verletzung des
Verhältnismässigkeitsprinzips geltend. Vorliegend ist somit einzig
umstritten, ob sich die Eigentumsbeschränkung auf eine genügende
gesetzliche Grundlage abstützt. Diese Frage prüft das Bundesgericht nach
ständiger Rechtsprechung frei, wenn es um einen besonders schweren Eingriff
geht; die gesetzliche Grundlage muss klar und eindeutig sein. Handelt es
sich dagegen nicht um einen schweren Eingriff, so gilt das Erfordernis
der gesetzlichen Grundlage schon als erfüllt, wenn sich der angefochtene
Entscheid ohne Willkür auf eine solche stützen lässt (113 Ia 440 E. 2,
109 Ia 190). Der angefochtene Zwischenentscheid, der, wie gesagt, das
aufgrund des rechtskräftigen generellen Gestaltungsplanes eingeleitete
Quartierplan- und das Baulandumlegungsverfahren nicht abschliesst, sondern
bloss die von der Beschwerdeführerin beantragte fachmännische Schätzung
abweist, stellt für die Beschwerdeführerin keinen besonders schweren
Eingriff dar. Die Beschwerdeführerin ist vielmehr an einer Neuzuteilung
überbaubaren Landes an dem im generellen Gestaltungsplan angeordneten
Baustandort interessiert. Erst aufgrund der definitiven Neuzuteilung
lässt sich endgültig beurteilen, ob der Anspruch der Beschwerdeführerin
auf wertgleichen Realersatz erfüllt wird. Im vorliegenden Verfahren
wäre lediglich unter dem Gesichtspunkt der Willkür zu prüfen, ob die
Gemeinde und das Verwaltungsgericht in Berücksichtigung des generellen
Gestaltungsplanes mit haltbaren Erwägungen Gleichwertigkeit der sich im
Umlegungsgebiet befindlichen Parzellen annehmen und gemäss Art. 17 Ziffer
2 QPG auf eine Bewertung verzichten durften. Damit kommt der Anrufung
der Eigentumsgarantie gemäss Art. 22ter BV neben der geltend gemachten
Verletzung von Art. 4 BV keine selbständige Bedeutung zu, da sie sich
im Vorwurf der Verletzung von Art. 4 BV erschöpft. Die staatsrechtliche
Beschwerde ist gegen den angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts
nicht zulässig.