Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 116 IA 1



116 Ia 1

1. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
7. März 1990 i.S. W. gegen Kantonsrat des Kantons Zug (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 85 lit. a OG; kantonales Finanzreferendum; Ausgabenbewilligung
für Computertomographen für das Kantonsspital.

    1. Begriff der gebundenen und der neuen Ausgabe (E. 3).

    2. § 8 Abs. 2 lit. b Finanzhaushaltsgesetz ZG. Die Anschaffung eines
Computertomographen ist durch das gesetzliche Leistungsprogramm für das
Kantonsspital Zug vorgegeben; der entsprechende Kantonsbeitrag stellt
eine gebundene Ausgabe dar (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Der Kantonsrat des Kantons Zug bewilligte dem Kantonsspital Zug
am 23. Februar 1989 die Anschaffung eines Computertomographen. Er gewährte
dafür den entsprechenden Kantonsbeitrag von 60% der Investitionskosten von
insgesamt Fr. 2,8 Mio., also Fr. 1,68 Mio. Die jährlichen Betriebskosten
für den Computertomographen veranschlagte er auf Fr. 870'000.--. Diesen
Beschluss unterstellte er nicht dem Referendum.

    Gegen den Kantonsratsbeschluss erhob W. am 3. April 1989
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Stimmrechts. Er
beantragte, der Kantonsratsbeschluss sei aufzuheben und das Geschäft sei
dem Referendum zu unterstellen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab,
soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) (Begriff der gebundenen Ausgabe nach bundesgerichtlicher
Rechtsprechung; vgl. BGE 115 Ia 142 f. E. 2c und 3a.)

    b) Indessen besteht kein für die Kantone verbindlicher
bundesrechtlicher Begriff der neuen oder gebundenen Ausgabe. Von
der vorstehend umschriebenen bundesgerichtlichen Begriffsbestimmung
darf deshalb dort abgewichen werden, wo sich nach Auslegung des
kantonalen Rechts oder aufgrund einer feststehenden und unangefochtenen
Rechtsauffassung und Praxis der zuständigen kantonalen Organe eine andere
Betrachtungsweise aufdrängt. Denn das Finanzreferendum ist ein Institut des
kantonalen Verfassungsrechts und das Bundesgericht als Verfassungsgericht
hat lediglich über die Einhaltung der dem Bürger durch die Verfassung
zugesicherten Mitwirkungsrechte zu wachen (BGE 113 Ia 397 E. b). Für den
Kanton Zug sind die Begriffe der neuen und der gebundenen Ausgabe in §
8 des Gesetzes über den Finanzhaushalt des Kantons und der Gemeinden
(Finanzhaushaltsgesetz) vom 28. Februar 1985 umschrieben:

    "Eine Ausgabe ist die dauernde Bindung öffentlicher Mittel an einen
   bestimmten öffentlichen Zweck. Sie bewirkt eine Verminderung des

    Finanzvermögens und hat einen Verzehr der Mittel (laufende Rechnung)
oder
   eine Vermehrung des Verwaltungsvermögens (Investitionsrechnung)
   zur Folge.

    Als gebundene Ausgabe gelten:

    a) Ausgaben, die durch einen Rechtssatz grundsätzlich und dem
Umfang nach
   vorgeschrieben sind;

    b) Ausgaben, die nicht dem Umfang nach vorgeschrieben, aber zur

    Erfüllung der gesetzlich geordneten Verwaltungsaufgaben unbedingt
   erforderlich sind, wenn anzunehmen ist, der Gesetzgeber habe mit dem

    Grunderlass auch die sich daraus ergebenden Aufwendungen gebilligt.

    Im Gegensatz zu den gebundenen Ausgaben muss für neue Ausgaben zuerst
   eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden."

    c) Der Beschwerdeführer räumt ein, dass sich § 8 Abs. 2
Finanzhaushaltsgesetz an die bundesgerichtliche Definition der gebundenen
Ausgabe anlehnt. ...

    Das kantonale Recht weicht jedoch insofern von der bundesgerichtlichen
Definition ab, als es die Mitsprache des Volkes nicht vorbehält für den
Fall, wo eine Ausgabe zwar weitgehend durch den Grunderlass präjudiziert
ist, bezüglich ihrer Modalitäten jedoch eine verhältnismässig grosse
Handlungsfreiheit besteht. Da keine weiteren Unterschiede und auch keine
andere kantonale Praxis geltend gemacht werden, kann abgesehen von dieser
Abweichung im folgenden vom bundesgerichtlichen Begriff ausgegangen werden.

Erwägung 4

    4.- Unbestrittenermassen ist die Anschaffung eines Computertomographen
durch keinen Rechtssatz prinzipiell und dem Umfang nach vorgeschrieben. Zu
prüfen ist daher allein, ob die Ausgabe für die Anschaffung eines
Computertomographen für das Kantonsspital Zug "unbedingt erforderlich"
sei (§ 8 Abs. 2 lit. b Finanzhaushaltsgesetz).

    a) Mit dieser Frage haben sich der Regierungsrat und die zuständige
Fachkommission eingehend auseinandergesetzt. Entscheidgrundlage für
beide war im wesentlichen eine Bedarfsstudie vom August 1988, die
der Regierungsrat vom Schweizerischen Institut für Gesundheits- und
Krankenhauswesen (Aarau) erstellen liess (Bedarfsstudie). Sie kommt zum
Schluss, dass unter Berücksichtigung aller nichtfinanziellen Aspekte
der Bedarf nach einem Computertomographen für das Röntgeninstitut des
Kantonsspitals Zug adäquat sei.

    b) Der Beschwerdeführer bestreitet, dass die Ausgabe für den
Computertomographen unbedingt erforderlich sei. Zwar wendet er sich nicht
generell gegen die Feststellungen in der erwähnten Bedarfsstudie. Er
anerkennt auch, dass die Computertomographie vielen Patienten erhebliche
Erleichterungen verschafft. Hingegen gewichtet er das Bedürfnis anders als
die Studie. Er bringt vor, ... die Anschaffung eines solchen Geräts werde
durch das gesetzliche Leistungsprogramm nicht abgedeckt; sie sei weder
medizinisch noch wirtschaftlich zu verantworten. Die Patienten hätten
auch bisher behandelt werden können; die wenigen Fälle, bei denen eine
computertomographische Untersuchung unabdingbar gewesen sei, seien an
das Universitätsspital Zürich überwiesen worden. Aus medizinischer Sicht
sei die Anschaffung des Computertomographen daher bestenfalls "überaus
wünschenswert". Der Regierungsrat führe selber aus, dass sich der Kauf
nicht wirtschaftlich begründen lasse. Die Tatsache, dass die Anschaffung
neben einer einmaligen auch jährlich wiederkehrende Ausgaben verursache,
zeige, dass es sich um eine neue Dimension der medizinischen Versorgung
handle, die nicht unter den Begriff der gebundenen Ausgabe falle. Ferner
bestehe in bezug auf den Umfang der Ausgabe und den Standort der Anlage
ein erheblicher Handlungsspielraum; es bestünden mehrere Leistungsklassen
von Computertomographen mit unterschiedlichen Preisen. Auch hätten die
Stimmbürger beim Erlass des Kantonsspitalgesetzes das Bedürfnis nach der
Anschaffung eines Computertomographen nicht vorausgesehen und eine solche
somit nicht stillschweigend gebilligt.

    c) Das Kantonsspital ist das Hauptspital des Kantons Zug (§ 2 Abs. 2
Kantonsspitalgesetz). Es unterliegt einem medizinischen Leistungsprogramm.
Danach muss es neben der Grundversorgung auch eine stationäre
spezialisierte Versorgung gewährleisten (§ 3 Kantonsspitalgesetz). Unter
anderem hat es eine röntgen- und nuklearmedizinische Abteilung zu führen
(§ 5 Abs. 1 lit. e Kantonsspitalgesetz). Jedoch hat das Kantonsspital nur
jene Versorgung anzubieten, die wirtschaftlich und medizinisch verantwortet
werden kann (§ 3 Abs. 3 Kantonsspitalgesetz).

    d) Der Beschwerdeführer behauptet, das Kantonsspital Zug könne seinen
gesetzlichen Leistungsauftrag auch ohne Computertomographen erfüllen,
weshalb die beantragte Ausgabe nicht unbedingt erforderlich sei.

    aa) Der Beschwerdeführer verkennt die medizinische Bedeutung
der Computertomographie. Nach der Bedarfsstudie ist sie lediglich
die Fortführung einer bisherigen Technik, die Weiterentwicklung und
Verfeinerung der bestehenden diagnostischen Mittel. Sie ersetzt beinahe
keine herkömmlichen Untersuchungsmethoden, bietet aber gegenüber
diesen häufig Vorteile. Die Anschaffung eines Geräts verbessert auch
die Behandlung von Unfallpatienten. Ferner ist ihr Anwendungsbereich
sehr breit; die Computertomographie ist heute fester und notwendiger
Bestandteil der täglichen Röntgendiagnostik. Zumindest ist der Kantonsrat
nicht in Willkür verfallen, als er von diesen Feststellungen der
Bedarfsstudie ausging. Im Gegenteil durfte er schliessen, die Abteilung für
Röntgendiagnostik und Nuklearmedizin des Kantonsspitals Zug entspreche ohne
Computertomographen den modernen diagnostischen Anforderungen der Klinik
und der zuweisenden Ärzte nicht. Es ist verfassungsrechtlich haltbar zu
folgern, der Kauf dränge sich geradezu auf, um das röntgendiagnostische
Angebot des Kantonsspitals wieder den modernen Erfordernissen anzupassen
und das Untersuchungs- und Therapierisiko zugunsten der Patienten zu
senken.

    Ebenso einleuchtend ist, dass Grösse, Lage und Bedeutung des
Kantonsspitals Zug die Anschaffung eines Computertomographen erfordern. Das
Einzugsgebiet für sein computertomographisches Angebot erstreckt sich über
den Kanton Zug hinaus und ist erfahrungsgemäss von der Bevölkerungszahl
her genügend gross, um die Anschaffung des Geräts zu rechtfertigen. Auch
seitens der Ärzte, die Patienten zuweisen, ist eine starke und steigende
Nachfrage vorhanden. Zudem ist das Kantonsspital Zug das einzige Akutspital
des Kantons, das einen durchgehenden Notfalldienst betreibt. Die rasche
Zunahme von Computertomographen in der Schweiz und die weite Verbreitung
zeigen das Bedürfnis nach dieser Einrichtung.

    bb) Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Anschaffung
eines Computertomographen sei wirtschaftlich nicht verantwortbar. Der
Regierungsrat führe selber aus, der Kauf lasse sich nicht wirtschaftlich
begründen. Die Ausführungen des Regierungsrats sind aber dahingehend zu
verstehen, dass mit dem Computertomographen kein Gewinn erwirtschaftet
werden könne; wirtschaftlich verantwortbar erscheint ihm die Anschaffung
trotzdem. Auch die Staatswirtschaftskommission kommt aufgrund der
umfassenden Abklärungen über die Auslastung des Geräts zum Schluss,
die Anschaffung könne wirtschaftlich gerechtfertigt werden. Im Rahmen
der gesamten Aufwendungen für das Kantonsspital sind die einmaligen
Anschaffungskosten und die Verschlechterung der Jahresrechnung vertretbar;
der Beschwerdeführer zieht das grundsätzlich nicht in Zweifel. Dass
jährlich wiederkehrende Ausgaben entstehen, ist kein Kriterium für die
Frage, ob eine gebundene oder neue Ausgabe für die Investition vorliegt.

    cc) Somit verlangt das Leistungsprogramm für das Kantonsspital die
Anschaffung eines Computertomographen. Die Ausgabe dafür ist zur Erfüllung
der gesetzlich geordneten Verwaltungsaufgaben unbedingt erforderlich. Das
heisst nicht, dass die Ausgaben für alle Anlagen und Einrichtungen
der modernen medizinischen Technik damit vom Ausgabenreferendum
ausgenommen sind. Allein aufgrund der rasanten Entwicklung eines Geräts
und seiner grossen Verbreitung darf nicht auf die Notwendigkeit seiner
Anschaffung geschlossen werden. Entscheidend sind im vorliegenden Fall
der spezifische gesetzliche Auftrag, das breite Anwendungsgebiet des
Computertomographen, die intensive Nutzung und die für die Betroffenen
erzielten Erleichterungen. Für ein Hauptspital von der Bedeutung des
Kantonsspitals Zug gehört ein Computertomograph der heutigen Generation
zur Grundausstattung.

    d) Das Finanzhaushaltsgesetz verlangt nicht, dass die Stimmbürger
die Anschaffung eines Computertomographen hätten voraussehen müssen,
als das Kantonsspitalgesetz erlassen wurde. Hingegen ist aufgrund des
gesetzlichen Leistungsprogramms des Kantonsspitals "anzunehmen", "der
Gesetzgeber habe mit dem Grunderlass auch die sich daraus ergebenden
Aufwendungen gebilligt" (§ 8 Abs. 2 lit. b Finanzhaushaltsgesetz). Die
Stimmbürger haben das Leistungsprogramm des Kantonsspitals festgelegt
und die zu dessen Erfüllung notwendigen Befugnisse an die Behörden
delegiert. Jedermann musste sich damals bewusst sein, dass auch die
Medizinaltechnik Fortschritte machen wird und dass das Leistungsprogramm
unter Umständen auch Methoden abdeckt, welche damals noch nicht bekannt
oder noch nicht stark verbreitet waren. Damit wurde aber die Anschaffung
von Geräten wie den Computertomographen gebilligt, weil er - wie dargelegt
- heute für die Erfüllung des Leistungsprogramms unbedingt erforderlich
ist.

    e) Es kann offenbleiben, ob nach der zugerischen Ordnung ein den
Behörden zustehender Handlungsspielraum für die Natur einer Ausgabe von
Bedeutung sei. Denn entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers
stellt sich die Frage des "Wie" nur sehr eingeschränkt. Die
Auswahl an Computertomographen, welche tatsächlich für die konkreten
Bedürfnisse in Frage kommen, ist nicht gross. Namentlich aufgrund des
Entwicklungsstandes der Geräte ist es für das Kantonsspital Zug angezeigt,
einen Computertomographen der jetzigen Generation anzuschaffen; das zu
erwartende Patientenvolumen, die bestehende Infrastruktur des Spitals und
der gesetzliche Versorgungsauftrag schränken die Typenwahl stark ein. Ein
Computertomograph der mittleren Leistungsklasse kostet Fr. 1,2 bis 1,4
Mio.; der mittlere Gerätepreis der beantragten höheren Leistungsklasse wird
auf Fr. 1,6 Mio. beziffert. Zu berücksichtigen ist, dass die Typenwahl
auf die Kosten für Installation, Zusatzeinrichtungen und Betrieb keinen
Einfluss hat. Zudem ist Gegenstand des angefochtenen Kantonsratsbeschlusses
lediglich ein Beitrag von 60% der Investitionskosten. Die Typenwahl hat
daher im Rahmen des ganzen Geschäfts keinen grossen Einfluss auf die
Höhe des Kantonsbeitrags. Die Einsetzung des mittleren Preises eines
Computertomographen der höheren Klasse erlaubt es, im Zeitpunkt der
Kreditfreigabe den technischen Stand der Geräte und die Bedürfnisse des
Kantonsspitals zeitgerecht zu berücksichtigen. Nach dem Gesagten ist der
sachliche Spielraum derart stark eingeschränkt, dass in bezug auf die
Ausgabe keine verhältnismässig grosse Handlungsfreiheit besteht. Auch
bezüglich der Standortfrage sind die Möglichkeiten begrenzt: Obwohl
verschiedene Varianten studiert wurden, eignet sich aufgrund der
vielfältigen Anforderungen an den Standort des Computertomographen nur
ein einziger Raum.