Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 V 257



115 V 257

35. Urteil vom 13. April 1989 i.S. X gegen Krankenkassen und Schiedsgericht
in Kranken- und Unfallversicherungsstreitigkeiten des Kantons Zürich
Regeste

    Art. 25 Abs. 1 und 4 KUVG, Art. 58 Abs. 1 BV: Besetzung des
Schiedsgerichts.

    - Das Gebot der Unparteilichkeit gilt für den Vorsitzenden und die
übrigen Schiedsrichter in gleicher Weise; diese haben deshalb in Ausstand
zu treten, wenn sie mit einer Partei in einer Weise verbunden sind,
welche die Besorgnis der Befangenheit begründet (Erw. 2b).

    - Kassenfunktionäre dürfen grundsätzlich als Schiedsrichter tätig sein.
Soweit sich diese nicht als Parteianwälte im Richterkleid verstehen und
einseitig nur die Interessen der im Streite stehenden Kassen wahrnehmen,
kann ihre Mitwirkung nicht als parteiische Ausübung des Richteramtes
gewertet werden (Erw. 5b).

    - Ein Kassenfunktionär hat jedoch als Schiedsrichter in den Ausstand
zu treten, wenn er mit einer Partei über die blosse Zugehörigkeit zu
den Kassenkreisen hinaus in einer Weise verbunden ist, welche objektiv
Misstrauen an seiner Unparteilichkeit weckt. Besorgnis der Befangenheit
ist begründet, wenn der Schiedsrichter bei einer Kasse, die im betreffenden
Prozess als Klägerin oder Beklagte auftritt, die Funktion eines Organs oder
eines Mitarbeiters innehat. Dabei kommt es bei Forderungsstreitigkeiten
nicht darauf an, ob die fragliche Kasse mit einem grossen oder kleinen
Betrag am Rechte steht (Erw. 5c).

Sachverhalt

    A.- X, selbständige Physiotherapeutin, beschäftigt in ihrem Institut
drei Mitarbeiter als Physiotherapeuten. Am 23. Januar 1985 teilte der
Schweizerische Physiotherapeuten-Verband dem Verband der Krankenkassen
im Kanton Zürich mit, diese drei Personen gälten nicht als diplomiert
im Sinne der Ausführungsgesetzgebung zum KUVG, weil sie lediglich
Diplome als Gymnastiklehrer oder Masseur und medizinische Bademeister
vorweisen würden. Gegenüber der Paritätischen Vertrauenskommission
"Schweizerischer Physiotherapeuten-Verband - Konkordat der Schweizerischen
Krankenkassen/SUVA" beanstandete der Kantonale Krankenkassenverband,
X habe seit Jahren in Missachtung von Art. 6 Abs. 4 des seit 1. Januar
1978 gültigen Physiotherapie-Tarifes 100%, der vereinbarten Taxen in
Rechnung gestellt und vergütet erhalten, und nicht nur 50%, wie dies
bei Leistungen von nicht diplomiertem Personal mit Ausnahme einiger
weniger Positionen tarifvertraglich vereinbart sei. Die Paritätische
Vertrauenskommission antwortete dem kantonalen Verband am 27. August
1985, die drei Personen könnten tatsächlich nicht als diplomiert im
Sinne der Ausführungsgesetzgebung zum KUVG betrachtet werden, weshalb für
ihre Verrichtungen nur 50% der vereinbarten Taxen in Rechnung gestellt
werden dürften. Sofern bisher dafür ein höherer Ansatz verrechnet worden
sein sollte, sei es Sache der betroffenen Krankenkassen, zu versuchen,
die Angelegenheit mit X gütlich zu erledigen. Sei dies nicht möglich,
stehe den Parteien die Anrufung des Schiedsgerichts nach Art. 25 KUVG
offen, habe die Paritätische Vertrauenskommission doch keine Kompetenz,
Rückzahlungen zu verfügen.

    Am 13. November 1985 erhob der Kantonale Krankenkassenverband namens
von 17 ihm angeschlossenen Krankenkassen Klage beim Schiedsgericht in
Krankenversicherungsstreitigkeiten des Kantons Zürich mit dem Begehren,
X sei zu verurteilen, unrechtmässig verrechnete Beträge in Höhe von
insgesamt Fr. 252'344.10 zurückzuerstatten.

    X liess antwortweise auf Abweisung der Klage schliessen;
widerklageweise stellte sie das Rechtsbegehren, es sei festzustellen, dass
der Mitarbeiter D. im Sinne von Art. 6 Abs. 4 des Physiotherapie-Tarifes
diplomiert sei, und es seien die klagenden Krankenkassen zu verpflichten,
sämtliche von D. im Institut von X ausgeführten Verrichtungen zu 100%
zu vergüten.

    B.- Das Schiedsgericht beschränkte das Prozessthema auf die
grundsätzliche Frage der Rückerstattungspflicht als solcher, weil ein
erheblicher Teil der eingeklagten Forderung verjährt sei. In diesem Sinne
stellte das Schiedsgericht in der Besetzung Obergerichtsvizepräsident
Dr. iur. M. als Obmann und Dr. iur. Y, Z, K. und S. als weitere Richter
in Gutheissung der Klage fest, dass X für die von den drei Mitarbeitern
erbrachten Leistungen nur 50% der vereinbarten Taxen beanspruchen könne
und dass sie zur Rückzahlung des verrechneten Mehrbetrages an die klagenden
Krankenkassen verpflichtet sei; die Widerklage wies das Schiedsgericht ab
(Entscheid vom 5. Oktober 1987).

    C.- X führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Hauptantrag, es
sei der angefochtene Entscheid "als nichtig" aufzuheben und die Sache
an die Vorinstanz zur erneuten Beurteilung durch unbefangene Richter
zurückzuweisen.

    Während der Krankenkassenverband auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, beantragt das Bundesamt für
Sozialversicherung deren Gutheissung, weil die ohne vorgängige Rücksprache
bzw. Verwarnung erfolgte Einleitung eines Rückerstattungsverfahrens bei
den gegebenen Umständen als unverhältnismässig bezeichnet werden müsse.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Streitigkeiten zwischen Kassen einerseits und Ärzten,
Apothekern, Chiropraktoren, Hebammen, medizinischen Hilfspersonen,
Laboratorien oder Heilanstalten anderseits sind durch ein für das
ganze Kantonsgebiet zuständiges Schiedsgericht zu entscheiden (Art. 25
Abs. 1 KUVG). Die Kantone bezeichnen das Schiedsgericht und regeln das
Verfahren; der schiedsgerichtlichen Behandlung eines Streitfalles hat ein
Vermittlungsverfahren vorauszugehen, sofern nicht schon eine vertraglich
eingesetzte Schlichtungsinstanz geamtet hat. Das Schiedsgericht setzt
sich zusammen aus einem neutralen Vorsitzenden und entsprechend den zu
behandelnden Fällen aus je einer Vertretung der Kassen und der Ärzte,
Apotheker, Chiropraktoren, Hebammen, medizinischen Hilfspersonen,
Laboratorien oder Heilanstalten in gleicher Zahl (Art. 25 Abs. 4 KUVG).

    b) Nach § 2 der zürcherischen Verordnung über das Schiedsgericht in
Krankenversicherungsstreitigkeiten vom 10. Dezember 1964 (GS 832.11)
ernennt das Obergericht des Kantons Zürich den Obmann und dessen
Stellvertreter (Abs. 1). Die Direktion des Gesundheitswesens wählt
auf Vorschlag der Krankenkassen und der betreffenden Berufsverbände
der anderen Parteien die erforderliche Zahl von Schiedsrichtern, und
zwar je in besonderen Gruppen für Krankenkassen, Ärzte, Apotheker,
Chiropraktoren, Hebammen, medizinische Hilfspersonen, Laboratorien und
Heilanstalten (Abs. 2). Von dieser Befugnis hat die kantonale Direktion
des Gesundheitswesens mit der Verfügung vom 29. Dezember 1983 über
die Wahl von Schiedsrichtern für das Schiedsgericht in Kranken- und
Unfallversicherungsstreitigkeiten Gebrauch gemacht. Soweit die Verordnung
über das Schiedsgericht vom 10. Dezember 1964 nichts Abweichendes
anordnet, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Vorschriften der
Zivilprozessordnung über das ordentliche Prozessverfahren ergänzend
anwendbar (§ 4 Abs. 1).

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 58 Abs. 1 (erster Teilsatz) BV darf niemand seinem
verfassungsmässigen Richter entzogen werden. Diese Verfassungsnorm verleiht
dem einzelnen einen Anspruch auf richtige Besetzung des Gerichts. Dazu
gehört wesentlich, dass im konkreten Verfahren unvoreingenommene Richter
mitwirken, welche die nötige Gewähr für eine unabhängige und unparteiische
Beurteilung der Streitsache bieten (BGE 114 Ia 54, 144 Erw. 3b, 155,
113 Ia 63 Erw. 3a, 408 Erw. 2a und 416 Erw. 2a, 112 Ia 292 Erw. 3).

    b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat mit Bezug auf Art. 25 Abs. 1
KUVG entschieden, dass in dieser Bestimmung ein bundesrechtlicher Anspruch
auf eine richtige Besetzung des Gerichts bzw. einen unbefangenen Richter
enthalten ist. Das Schiedsgericht gemäss Art. 25 Abs. 1 KUVG hat dieselbe
Gewähr für Unparteilichkeit zu bieten wie andere staatliche Gerichte (siehe
auch die Praxis zur zivilprozessualen Schiedsgerichtsbarkeit BGE 113 Ia
409, 105 Ia 247). Das Gebot der Unparteilichkeit gilt für den Vorsitzenden
und die übrigen Richter in gleichem Masse. Diese haben deshalb in Ausstand
zu treten, wenn sie mit einer Partei in einer Weise verbunden sind,
welche die Besorgnis der Befangenheit begründet (BGE 114 V 294 Erw. 3).

    c) Die nähere Ausgestaltung des Verfahrens obliegt allerdings den
Kantonen (Art. 25 Abs. 4 a. A. KUVG). Mit den entsprechenden kantonalen
Bestimmungen hat sich das Eidg. Versicherungsgericht grundsätzlich nicht
zu befassen (Art. 128 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG und Art. 5
Abs. 1 VwVG). Es hat gegebenenfalls nur zu prüfen, ob ihre Anwendung
zu einer Verletzung von Bundesrecht (Art. 104 lit. a OG), insbesondere
des Willkürverbots gemäss Art. 4 Abs. 1 BV geführt hat (vgl. BGE 114 V
86 Erw. 4a, 111 V 49 Erw. 3 und 54 Erw. 4c, 110 V 58 Erw. 3a und 362
Erw. 1b).

Erwägung 3

    3.- a) Die Beschwerdeführerin macht im Hauptstandpunkt geltend,
laut Rubrum des angefochtenen Entscheides seien als Schiedsrichter neben
anderen Dr. iur. Y und Z aufgeführt. Sie habe in Erfahrung bringen können,
dass es sich bei Z um den geschäftsführenden Direktor der Krankenkasse
handle, welche im vorliegenden Verfahren mit Fr. 52'072.05 die höchste
Rückerstattungsforderung gestellt habe. Des weitern habe sie eruieren
können, dass Dr. Y Mitglied der Geschäftsleitung der Kasse sei, welche
ihr gegenüber eine Rückforderung von Fr. 25'678.85 geltend mache. Das
verstosse gegen Ausschluss- bzw. Ablehnungsgründe des kantonalen
Gerichtsverfassungsgesetzes, auf welches die erwähnte Verordnung vom
10. Dezember 1964 verweise, weshalb der angefochtene Entscheid aufzuheben
sei.

    b) Die Beschwerdegegnerinnen betrachten die Rüge der Beschwerdeführerin
zunächst unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen bundesrechtlichen
Verfügungs- bzw. Entscheidgrundlage als unzulässig, weil der geltend
gemachte Verstoss gegen kantonale Verfahrensvorschriften über die
Besetzung des Gerichts nicht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten
werden könne. Das trifft hier zu (Erw. 2c), weshalb auf die Rüge der
Verletzung von kantonalem Verfahrensrecht nicht einzutreten ist. - Die
Beschwerdegegnerinnen übersehen jedoch, dass im Rahmen der Rechtsanwendung
von Amtes wegen zu prüfen ist, ob das Schiedsgericht nach den einschlägigen
bundesrechtlichen Vorschriften und Grundsätzen über Ausschliessung und
Ablehnung von Justizpersonen richtig besetzt war. Insofern ist auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten.

Erwägung 4

    4.- a) Die Beschwerdegegnerinnen betrachten die Vorbringen über
die ungehörige Besetzung des Gerichts im weiteren als prozessual
unzulässig. Denn die Beschwerdeführerin habe im vorinstanzlichen Verfahren
gewusst, dass die Schiedsrichter Dr. Y und Z mitwirken würden, weshalb
der heutige Einwand schon vor Schiedsgericht hätte erhoben werden
müssen. Die nachträgliche Berufung auf einen prozessualen Mangel sei
rechtsmissbräuchlich, wenn sich ein Beschwerdeführer im Verlaufe des
vorinstanzlichen Verfahrens damit stillschweigend abgefunden habe, wie das
Eidg. Versicherungsgericht in RSKV 1982 Nr. 505 S. 201 entschieden habe.

    b) Es ist richtig, dass die Ablehnung eines Richters so früh
wie möglich geltend zu machen ist. Wer eine ungehörige Besetzung des
Gerichts feststellt und dagegen keinen Einspruch erhebt, sondern sich
stillschweigend auf den Prozess einlässt, verwirkt grundsätzlich den
Anspruch auf Anrufung der verletzten Verfahrensbestimmung (BGE 114 V
62 Erw. 2b; vgl. auch BGE 112 Ia 340 Erw. 1c; 111 Ia 74 Erw. 2b und 261
Erw. 2a). Voraussetzung einer Verwirkung ist jedoch, dass die Einlassung
im vorinstanzlichen Verfahren in Kenntnis des gerügten Mangels erfolgt
ist. Die blosse Tatsache, dass im vorinstanzlichen Verfahren keine
Rüge erhoben wurde, kann daher für sich allein noch nicht bedeuten,
dass der erst letztinstanzlich erhobene Einspruch verspätet oder gar
rechtsmissbräuchlich ist (nicht veröffentlichte Erw. 2b von BGE 114 V 292,
publiziert in RKUV 1988 Nr. K 781 S. 342 Erw. 2b).

    c) Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe erst im
nachhinein erfahren, dass Dr. Y und Z Mitglieder der Geschäftsleitung
verfahrensbeteiligter Krankenkassen sind. Die Akten enthalten tatsächlich
keine Hinweise auf die Zugehörigkeit der beiden Schiedsrichter zu einer
bestimmten Krankenkasse. Insbesondere fehlen solche Angaben in der
vorinstanzlichen Eingabe vom 26. März 1986, mit welcher die heutigen
Beschwerdegegnerinnen auf Anordnung des Schiedsgerichtsvorsitzenden und
nach Massgabe der einschlägigen kantonalen Erlasse "Dr. iur. Y" und "Z"
als Schiedsrichter vorgeschlagen haben, dies ohne jeden Hinweis auf deren
berufliche Tätigkeit. Auch anderweitig spricht nichts dafür, dass die
Aussage der Beschwerdeführerin tatsachenwidrig ist. Es ist daher nicht
erstellt, dass die Einlassung im vorinstanzlichen Verfahren in Unkenntnis
des heute gerügten Mangels erfolgte. Daher kann die Geltendmachung der
Befangenheit nicht als verspätet oder rechtsmissbräuchlich bezeichnet
werden.

    Zwar hätte die Beschwerdeführerin durch Nachforschungen die Stellung
der beiden Schiedsrichter im schweizerischen Krankenkassenwesen ohne
weiteres in Erfahrung bringen können. Sie war indes zu Beginn oder im
Laufe des vorinstanzlichen Verfahrens nicht gehalten, nach möglichen
Einwendungen gegen die beiden Schiedsrichter zu fahnden. Vielmehr durfte
sie die Eigenschaft ihrer Unparteilichkeit voraussetzen und hatte deshalb
nicht zum vornherein das Gegenteil zu argwöhnen (in diesem Sinne nicht
veröffentlichte Erw. 2b von BGE 114 V 292, publiziert in RKUV 1988 Nr. K
781 S. 343 Erw. 2b). Die Einwendungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
zur Besetzung des Schiedsgerichts sind demzufolge zulässig.

Erwägung 5

    5.- a) Nach der Rechtsprechung ist Befangenheit anzunehmen, wenn
Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit
eines Richters zu erwecken. Bei der Befangenheit handelt es sich allerdings
um einen innern Zustand, der nur schwer bewiesen werden kann. Es braucht
daher für die Ablehnung eines Richters nicht nachgewiesen zu werden,
dass dieser tatsächlich befangen ist. Es genügt vielmehr, wenn Umstände
gegeben sind, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der
Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Bei der Beurteilung des Anscheins
der Befangenheit und der Gewichtung solcher Umstände kann jedoch nicht auf
das subjektive Empfinden einer Partei abgestellt werden. Das Misstrauen
in den Richter muss vielmehr in objektiver Weise als begründet erscheinen
(BGE 114 Ia 54/55 Erw. 3b, 144 Erw. 3b, 155 Erw. 3, 113 Ia 409, 112 Ia
293 Erw. 3a mit Hinweisen).

    b) Mit Art. 25 Abs. 4 KUVG wollte der Gesetzgeber den Krankenkassen und
den in dieser Bestimmung genannten Medizinalpersonen und -institutionen
die Möglichkeit einräumen, für die Beurteilung von Streitigkeiten gemäss
Art. 25 Abs. 1 KUVG Richter ihres Vertrauens zu entsenden (BGE 114 V 295
Erw. 3d; siehe auch Votum Pettavel in Sten.Bull. 1909, S. 422). Da in
diesen Prozessen für ein sachgerechtes Urteil häufig Branchenkenntnisse
erforderlich sind, kann das besondere Vertrauen gerade auch dadurch
begründet werden, dass als Schiedsrichter Personen amten, die dem Gericht
die spezifische Sachkunde der von ihnen vertretenen Interessengruppe
vermitteln können. Die schiedsgerichtliche Mitwirkung solcher Personen
ist daher grundsätzlich zulässig, und es ist nicht zu beanstanden, wenn
die Krankenkassen als Schiedsrichter ausgewiesene Praktiker ihres Fachs
bezeichnen. Zwar mag dieser Schiedsrichter, aufgrund seiner engen Beziehung
zum Kassenwesen, sich vornehmlich dafür einsetzen, dass in einem Prozess
Forderungen und Bedürfnissen der Versicherer Rechnung getragen wird. Ebenso
wird er sich wohl bemühen, die Umstände zur Geltung zu bringen, die für
die im Streite stehenden Kassen sprechen. Das trifft indessen für die
Gegenseite ebenfalls zu, wenn etwa die Praxisführung eines Arztes oder
eines Physiotherapeuten Streitgegenstand und ein frei praktizierender
Arzt oder Physiotherapeut als Schiedsrichter eingesetzt ist. Solche
Schiedsrichter werden daher kaum in gleicher Weise unabhängig sein wie der
Richter eines anderen staatlichen, nicht paritätisch zusammengesetzten
Gerichts. Das ist jedoch als Ausfluss des vom Gesetzgeber gewollten
Konzepts von Art. 25 Abs. 4 KUVG hinzunehmen, welches im Schiedsgericht
ein Gegenüber von zwei Interessenkreisen vorsieht. Allerdings darf sich
der Schiedsrichter nicht als Parteianwalt im Richterkleid verstehen
und einseitig nur die Interessen der ihm beruflich nahestehenden Partei
wahrnehmen. Unter dieser Voraussetzung kann die besagte Mitwirkung nicht
als parteiische Ausübung des Richteramtes gewertet werden (BGE 114 V 295
Erw. 3d).

    c) Ein Kassenfunktionär hat jedoch als Schiedsrichter in den Ausstand
zu treten, wenn er mit einer Partei - über die blosse Zugehörigkeit zu
den Krankenkassenkreisen oder die persönliche Kassenmitgliedschaft hinaus
- in einer Weise verbunden ist, welche objektiv Misstrauen an seiner
Unparteilichkeit weckt.

    Besorgnis der Befangenheit ist insbesondere dann gerechtfertigt,
wenn der Schiedsrichter bei einer Kasse, die im betreffenden Prozess
als Klägerin oder Beklagte auftritt, Funktionen innehat. Ein solcher
Schiedsrichter steht für die Gegenpartei aus begreiflichen Gründen im
Verdacht, am Obsiegen dieser Kasse ein unmittelbares Interesse zu haben
(siehe in diesem Zusammenhang auch den Ablehnungsgrund des besonderen
Pflicht- oder Abhängigkeitsverhältnisses gemäss Art. 23 lit. b in fine
OG). Dabei kommt es bei Forderungsstreitigkeiten nicht darauf an, ob die
betreffende Kasse mit einem grossen oder kleinen Betrag am Rechte steht
oder ob der Forderungsbetrag gemessen am Geschäftsaufkommen der Kasse
erheblich oder unerheblich ist. Auch bei kleinen Forderungsbeträgen kann
der grundsätzliche Aspekt gegenüber dem rein finanziellen weit überwiegen
und damit genügend Anlass bilden, als Schiedsrichter einseitig die
Interessen der eigenen Kasse zu verteidigen. Sodann ist mit der Möglichkeit
der Befangenheit nicht nur dann zu rechnen, wenn als Schiedsrichter ein
Organmitglied einer aktiv- oder passivlegitimierten Kasse mitwirkt; das
gleiche gilt auch bei jedem Funktionär dieser Kasse; denn Kassenmitarbeiter
sind nicht weniger als Organe dem Verdacht ausgesetzt, dass sie sich
mit den Interessen "ihrer" Kasse identifizieren. Überdies können bei
diesen Funktionären, auch wenn sie in keiner Weise beeinflusst sind
und die Kasse auf jegliche Einwirkung über das arbeitsvertragliche
Abhängigkeitsverhältnis verzichtet, persönliche Motive wie etwa das
Streben nach einem gewissen Leistungs- und Erfolgsausweis gegenüber ihrer
Arbeitgeberin beteiligt sein.

    Das Eidg. Versicherungsgericht übersieht nicht, dass diese Grundsätze
in Rückforderungsprozessen wegen unwirtschaftlicher Behandlung bei der
Bestellung von Schiedsrichtern aus Kassenverwaltungen Schwierigkeiten
bereiten können, wenn eine grosse Zahl von Kassen am Rechte steht. Das ist
indessen hinzunehmen. Denn die dargelegte Konzeption des Schiedsgerichts
nach Art. 25 KUVG (Erw. 5b) bedeutet keineswegs, dass das Gesetz
den Versicherern ein uneingeschränktes Recht auf Bestellung von
Schiedsrichtern aus Kassenverwaltungen zugesteht. Die blosse Sachkunde
eines solchen Schiedsrichters kann und darf nicht wichtiger sein als
der verfassungsmässige und gesetzliche Anspruch auf eine Rechtsprechung,
welche dem Anschein der Parteilichkeit entgeht.

    d) Der im vorliegenden Fall als Schiedsrichter tätig gewordene Z ist
der geschäftsführende Direktor der klagenden Krankenkassen. Dr. iur. Y ist
Mitglied der Geschäftsleitung einer andern, im vorinstanzlichen Verfahren
ebenfalls als Klägerin auftretenden Kasse. Beide sind demzufolge nach
dem Gesagten als befangen zu betrachten. Dies führt zur Aufhebung des
angefochtenen Entscheides und zur Rückweisung der Sache an die Vorinstanz,
damit sie in richtiger Besetzung über die Rückforderungsklage erneut
entscheide.