Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 V 1



115 V 1

1. Auszug aus dem Urteil vom 23. Februar 1989 i.S. X AG gegen
Ausgleichskasse des Kantons Bern und Versicherungsgericht des Kantons
Bern Regeste

    Art. 5 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 1 AHVG, Art. 6 ff. AHVV:
Beitragsrechtliche Qualifikation von "Schmiergeldern". Die Frage, ob es
sich bei "Schmiergeldzahlungen um Einkommen aus selbständiger oder aus
unselbständiger Erwerbstätigkeit handelt, lässt sich nicht in generell
gültiger Weise beantworten, sondern ist in jedem einzelnen Fall unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände zu prüfen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht Erwerbstätiger
richtet sich unter anderem danach, ob das in einem bestimmten Zeitraum
erzielte Erwerbseinkommen als solches aus selbständiger oder aus
unselbständiger Erwerbstätigkeit zu qualifizieren ist (Art. 5 und 9 AHVG
sowie Art. 6 ff. AHVV). Nach Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt als massgebender
Lohn jedes Entgelt für in unselbständiger Stellung auf bestimmte oder
unbestimmte Zeit geleistete Arbeit; als Einkommen aus selbständiger
Erwerbstätigkeit gilt nach Art. 9 Abs. 1 AHVG jedes Einkommen, das nicht
Entgelt für in unselbständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt.

    Nach der Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob im Einzelfall
selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt, nicht
aufgrund der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien.
Entscheidend sind vielmehr die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die
zivilrechtlichen Verhältnisse vermögen dabei allenfalls gewisse
Anhaltspunkte für die AHV-rechtliche Qualifikation zu bieten, ohne jedoch
ausschlaggebend zu sein. Als unselbständig erwerbstätig ist im allgemeinen
zu betrachten, wer von einem Arbeitgeber in betriebswirtschaftlicher
bzw. arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches
Unternehmerrisiko trägt.

    Aus diesen Grundsätzen allein lassen sich indessen noch keine
einheitlichen, schematisch anwendbaren Lösungen ableiten. Die Vielfalt
der im wirtschaftlichen Leben anzutreffenden Sachverhalte zwingt dazu,
die beitragsrechtliche Stellung eines Erwerbstätigen jeweils unter
Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Weil
dabei vielfach Merkmale beider Erwerbsarten zutage treten, muss sich der
Entscheid oft danach richten, welche dieser Merkmale im konkreten Fall
überwiegen (BGE 110 V 78 Erw. 4a mit Hinweisen).

Erwägung 4

    4.- b) Unbestrittenermassen richtete die Beschwerdeführerin X AG
verschiedenen Empfängern Zahlungen als Entschädigung dafür aus, dass
diese ihr zu Grossaufträgen der Firmen, bei denen sie selber angestellt
waren, verhalfen. Dabei durften die Arbeitgeber der Zahlungsbezüger
von dieser Vermittlungstätigkeit keine Kenntnis erhalten. In der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden diese Beträge ausdrücklich als
"Schmiergelder" bezeichnet. Da sie als Gegenleistung für die von den
Empfängern geleisteten Dienste ausgerichtet wurden, ist vom Vorliegen eines
beitragspflichtigen Erwerbseinkommens auszugehen. Ob die Ausgleichskasse
die dafür zu entrichtenden Beiträge zu Recht von der X AG forderte,
hängt von der beitragsrechtlichen Qualifikation der Zahlungsempfänger ab.

    c) Bereits im vorinstanzlichen Verfahren wies die Beschwerdeführerin
darauf hin, dass die fraglichen Entschädigungen nicht als Aufwand
verbucht werden konnten und von der Steuerverwaltung dementsprechend
als Gewinn behandelt wurden. Daraus kann sie indessen bezüglich
der beitragsrechtlichen Qualifikation dieser Gelder nichts zu ihren
Gunsten ableiten. Bezüglich solcher im täglichen Geschäftsleben unter
verschiedensten Bezeichnungen geläufigen Zahlungen entwickelten sich
zwar im Fiskalrecht zahlreiche Grundsätze über deren steuerrechtliche
Erfassung (vgl. STAMPFLI, Die Leistung geheimer Kommissionen und
ihre steuerrechtliche Behandlung, Diss. Bern 1986, S. 152 ff. und
161 ff.; HERITIER, Les Pots-de-vin, Diss. Genf 1981, S. 126 ff.). Bei
der beitragsrechtlichen Beurteilung sind die für die Steuerbehörden
ausschlaggebenden Gesichtspunkte jedoch nicht in gleichem Mass von
Bedeutung, weshalb sich die Ergebnisse in diesen beiden Bereichen nicht
zwangsläufig zu decken brauchen (vgl. BGE 110 V 371).

    Die Frage, ob es sich bei den sog. Schmiergeldern um Einkommen aus
selbständiger oder aus unselbständiger Erwerbstätigkeit handelt, lässt
sich denn aus beitragsrechtlicher Sicht auch nicht zum vornherein in
generell gültiger Weise beantworten. Sie ist vielmehr in jedem einzelnen
Fall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zu prüfen. Dabei
gilt es zu beachten, dass sich die Bezüger solcher Gelder kaum je als
Selbständigerwerbende bei der Ausgleichskasse melden werden, weshalb
solche Erwerbseinkommen wie im vorliegenden Fall praktisch nur aufgrund
von Arbeitgeberkontrollen entdeckt werden können. Um der damit verbundenen
Gefahr einer Verwirkung erheblicher Beitragsforderungen gebührend Rechnung
zu tragen, ist aus Praktikabilitätsgründen in der Annahme selbständiger
Erwerbstätigkeit Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sich ein Betrieb
deshalb seiner Abrechnungspflicht nicht lediglich mit dem Hinweis auf die
angeblich selbständige Erwerbstätigkeit der Zahlungsempfänger entziehen
können, ohne deren Identität preiszugeben.

    d) Nach den Angaben der Beschwerdeführerin handelte es sich bei
den Provisionsbezügern durchwegs um Angestellte ihrer Kundenfirmen,
welche die jeweiligen Arbeitgeberbetriebe zur Erteilung von
Grossaufträgen an sie veranlassten oder gar selbst die Kompetenz zu
solchen Auftragsvergebungen innehatten. Bei dieser Sachlage kann nicht
von einem von den Zahlungsempfängern zu tragenden Unternehmerrisiko
gesprochen werden, welches die Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit
rechtfertigen liesse. Die Gefahr von Sanktionen infolge Verletzungen der
zivilrechtlichen Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber oder gar der
Verwirklichung eines Straftatbestandes kann entgegen den Ausführungen
in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht als solches betrachtet
werden, da es sich dabei nicht um ein geschäftliches Risiko handelt.
Dass die Vorinstanz unter diesen Umständen und in Würdigung der der
Beschwerdeführerin vorzuhaltenden Auskunftspflichtverletzung auf
das Vorliegen einer unselbständigen Erwerbstätigkeit für die X AG
schloss, lässt sich nicht beanstanden. Daran vermögen auch die notariell
beglaubigten Bestätigungen von zwei Zahlungsempfängern, wonach zwischen
diesen und der Beschwerdeführerin keine gegenseitigen wirtschaftlichen
Verpflichtungen bestanden, nichts zu ändern. Wie das kantonale Gericht zu
Recht erkannte, können diese Urkunden lediglich die Behauptungen dieser
Personen, nicht jedoch deren inhaltliche Richtigkeit bestätigen.