Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IV 75



115 IV 75

16. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 20. April 1989 i.S.
Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen X. Regeste

    Art. 65 BStP; Art. 55 BV; Entsiegelung.

    Ausserhalb der eigentlichen Pressedelikte ergibt sich - auch aus
Art. 55 BV - kein umfassendes Recht des Journalisten auf Geheimhaltung der
Quelle einer durch eine strafbare Handlung erlangten Information, welches
einer strafprozessualen Zwangsmassnahme im Rahmen eines Strafverfahrens
wegen Amtsgeheimnisverletzung entgegengehalten werden könnte.

Sachverhalt

    A.- Am 19. Januar 1989 erschienen u.a. in der Westschweizer
Wochenzeitschrift X. unter dem Titel "Qui soutient la mafia?" Ausschnitte
aus einem als vertraulich klassierten Interpol-Fahndungsersuchen aus
dem Jahre 1983 betreffend den türkischen Staatsangehörigen M., gegen
welchen die türkischen Behörden wegen Waffenhandels einen Haftbefehl
erlassen hatten.

    Das Dokument stammt nach Auffassung der Bundesanwaltschaft aus
den Akten des Bundesamtes für Polizeiwesen; dies veranlasste sie,
ein bereits in vergleichbarem Zusammenhang gegen Unbekannt eröffnetes
Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses durch eine im
Bundesdienst stehende Person auf diesen Fall auszudehnen.

    Am 23. Januar 1989 verfügte die Bundesanwaltschaft gestützt auf
Art. 65 BStP gegenüber der Zeitschrift die Herausgabe des in deren Besitz
befindlichen Fahndungsersuchens.

    Am 14. Februar 1989 übermittelte der Vertreter der Zeitschrift
der Bundesanwaltschaft einen versiegelten Briefumschlag, der gemäss
Begleitschreiben eine Kopie des Dokumentes enthalte - das Original befinde
sich nicht im Besitz der Zeitschrift; gleichzeitig wurde Einsprache gegen
die Durchsuchung erhoben.

    B.- Mit Gesuch vom 8. März 1989 beantragt die Bundesanwaltschaft,
die Durchsicht des versiegelten Aktenstücks als zulässig zu erklären und
sie zur Vornahme dieser Massnahme zu ermächtigen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die durch die Bundesanwaltschaft verfügte Herausgabe des in
Frage stehenden Dokuments ist vom angestrebten Ziel her der Durchsuchung
gemäss Art. 65 BStP gleichzusetzen, weshalb die Gesuchsgegnerin dagegen
Einsprache erheben und das Dokument in versiegeltem Umschlag einreichen
durfte (vgl. BGE 107 IV 209 f. E. 1).

Erwägung 2

    2.- a) Die Bundesanwaltschaft verlangt die Entsiegelung, weil sie
von diesem Dokument Hinweise auf die Täterschaft im Verfahren wegen
Amtsgeheimnisverletzung erwartet.

    b) Die Gesuchsgegnerin führt gegen die beantragte Entsiegelung an, die
durch Art. 55 BV gewährleistete Pressefreiheit werde in Frage gestellt,
wenn dem Journalisten nicht ein Berufsgeheimnis zugestanden werde, von
welchem auch Dokumente erfasst würden, die diesem als Informationsquelle
dienten.

    Ein solcher Quellenschutz sei erstmals durch die Erklärung der
Pflichten und Rechte des Journalisten, angenommen am 17. Juni 1972 durch
die Delegiertenversammlung des Vereins der Schweizer Presse, statuiert
worden, welche verlange, dass der Journalist das Berufsgeheimnis zu
beachten und die Quelle von vertraulich erhaltenen Informationen nicht
bekanntzugeben habe (wiedergegeben bei D. BARRELET, Droit suisse des mass
media, 2. Auflage, Bern 1987, S. 410 f.).

    Auch der Bundesgesetzgeber habe in Art. 16 Abs. 3 VwVG ein
Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten eingeführt.

    Die Gesuchsgegnerin führt schliesslich zur Begründung ihrer Auffassung
eine Stelle aus dem Zusatzbericht des Bundesrates zur Revision von
Art. 55 BV an, wo - unter Bezugnahme auf einen Entscheid des deutschen
Bundesverfassungsgerichts - ausgeführt wird, das Vertrauensverhältnis
zwischen der Presse und ihren Mitarbeitern und Informanten bilde eine
wesentliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit eines Presseorgans;
prozessuale Zwangsmassnahmen würden daher dieses Vertrauensverhältnis nicht
nur im Einzelfall gefährden, sondern könnten geeignet sein, nachteilige
Auswirkungen auf die Pressefreiheit überhaupt nach sich zu ziehen (BBl
1983 III 832). Die Gesuchsgegnerin schliesst daraus, dass solche Massnahmen
auch gegenüber Journalisten grundsätzlich nicht zulässig seien.

Erwägung 3

    3.- a) Aus dem in Art. 55 BV verankerten Grundsatz der
Pressefreiheit ergibt sich kein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht von
Pressemitarbeitern (BGE 107 Ia 51) und damit auch nicht ohne weiteres
ein Recht des Journalisten, die Bekanntgabe von schriftlich erhaltenen
Informationen und anderen Quellen in einem Strafverfahren zu verweigern.

    Auch wenn man den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse
und privatem Informanten als notwendiges Element zur Erfüllung der der
Presse obliegenden besonderen Aufgabe (vgl. dazu BGE 104 IV 14 mit Hinweis
auf BGE 95 II 494) und damit in Art. 55. BV eingeschlossen betrachtet,
gilt die Pressefreiheit dennoch nicht uneingeschränkt: Wie jedem anderen
Grundrecht erwachsen auch der Pressefreiheit Schranken aus dem Gebiet
des Straf-, Zivil- und Verwaltungsrechts; so kann die Pressefreiheit
gestützt auf eine genügende gesetzliche Grundlage eingeschränkt werden,
wenn der Eingriff zum Schutz der öffentlichen Ordnung erforderlich ist
und dem Gebot der Verhältnismässigkeit entspricht (BGE 107 Ia 49 E. 3).

    Im Bereich des Strafverfahrensrechts ist dabei in erster Linie
abzuwägen, ob der Schutz von Informationsquellen gegenüber dem
prozessualen Anliegen der Abklärung des Sachverhaltes bzw. an der
materiellen Rechtsfindung (BBl 1983 III 832) den Vorrang verdiene. Die
Beantwortung der Frage, wann zugunsten des einen und wann zugunsten
des anderen Interesses zu entscheiden ist, muss indessen sowohl nach
bundesgerichtlicher Rechtsprechung (BGE 107 Ia 51; 107 IV 210 E. 2a) als
auch nach der Auffassung des Bundesrates (BBl 1983 III 832) grundsätzlich
Sache des zuständigen Gesetzgebers bleiben.

    Im Zusammenhang mit Zwangsmassnahmen im Strafverfahren ergeben sich
Inhalt und Umfang der Pressefreiheit somit aus der jeweiligen Gesetzgebung,
welche - sofern es sich um Bundesgesetze handelt - für das Bundesgericht
gemäss Art. 113 Abs. 3 BV verbindlich ist; dieser durch die Gesetzgebung
bestimmte Rahmen kann auch durch den Ehrenkodex einer Berufsorganisation
nicht aufgehoben werden (BGE 107 IV 210 E. 2a mit Hinweisen).

    b) Die Frage der Zulässigkeit der Beschlagnahme oder Herausgabe von
Dokumenten bzw. der Einsichtnahme in solche steht im Zusammenhang mit
der grundsätzlichen Pflicht, als Zeuge auszusagen: Diese besteht, sofern
die entsprechende Prozessordnung kein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt
(vgl. BGE 107 Ia 50 f.).

    c) In der Schweiz räumt Art. 27 Ziff. 3 StGB einzig dem Redaktor ein
Zeugnisverweigerungsrecht ein, indem er den Namen des Verfassers nicht
bekanntzugeben braucht. Diese Bestimmung findet indessen nur Anwendung
bei eigentlichen Pressedelikten, d. h. wenn eine strafbare Handlung durch
das Mittel der Druckerpresse begangen wird und sich im Presseerzeugnis
erschöpft. Dies ist hier nicht der Fall: Der Veröffentlichung ging eine
Amtsgeheimnisverletzung voraus, wegen welcher auch das Ermittlungsverfahren
eröffnet wurde.

    Unter den Schutz des Verfassers dürfte grundsätzlich auch der
Informant fallen (W. GUT, Pressefreiheit und Zeugnisverweigerungsrecht
der Presseleute im Strafprozess, ZStrR 85 (1969), S. 183), denn es kann
nicht darauf ankommen, ob der Verfasser namentlich bekannt ist oder nicht
(vgl. dazu BGE 86 IV 147); dies gilt aber nur, wenn sich dieser nicht -
wie hier - bei der Beschaffung seiner Informationen einer strafbaren
Handlung schuldig gemacht hat (M. REHBINDER, Der Quellenschutz im
schweizerischen Medienrecht, SJZ 79 (1983), S. 222). Es geht also im
vorliegenden Fall nicht um ein Strafverfahren wegen Pressedelikten, sondern
um ein gewöhnliches Strafverfahren wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses
(Art. 320 StGB), auf welches Art. 27 StGB keine Anwendung finden kann.

    d) Der Quellenschutz als Recht des Journalisten, seine
Informationsquelle nicht preisgeben zu müssen, kann sich auch nicht
allgemein aus dem Berufsgeheimnis ergeben: Der Journalist zählt nicht
zu den in Art. 77 BStP aufgezählten Personenkategorien, welche sich
im Bundesstrafprozess auf ein Berufsgeheimnis berufen können (BGE 107
IV 210 E. 2b); die Bestimmung enthält weder einen Hinweis, noch einen
Anhaltspunkt für ein publizistisches Zeugnisverweigerungsrecht, weshalb
ein solches auch nicht durch verfassungskonforme Auslegung gewonnen werden
kann (W. GUT, aaO, S. 187 ff.).

    Ein Privatgeheimnis, das gemäss Art. 69 Abs. 1 BStP "mit grösster
Schonung" zu behandeln wäre, steht im vorliegenden Fall ebenfalls nicht
in Frage und wird auch nicht geltend gemacht.

    Auch der allgemeine Grundsatz, dass sich der Zeuge im Strafverfahren
nicht selber belasten muss (R. HAUSER, Kurzlehrbuch des Strafprozessrechts,
Basel 1984, S. 172), dürfte im vorliegenden Fall keine Rolle spielen,
denn die Gesuchsgegnerin macht nicht geltend, bei einer Herausgabe
des Dokumentes hätten sie bzw. ihre Mitarbeiter zu gewärtigen, in das
Strafverfahren gegen Unbekannt wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses
verwickelt zu werden.

    e) Dass ein Zeugnisverweigerungsrecht des Journalisten in Art. 16
Abs. 3 VwVG vorgesehen ist, hilft der Gesuchsgegnerin nicht. Die
Botschaft des Bundesrates zur Revision von Art. 55 BV führt dazu klar
aus, es bestehe in anderen gerichtlichen Verfahren - und damit auch
dem Strafverfahren - des Bundes kein vergleichbarer Schutz der Presse,
d. h. kein Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten (BBl 1983 III 832
ff.; vgl. auch L. SCHÜRMANN, Medienrecht, Bern 1985, S. 40). Wird daher
ein Strafverfahren eingeleitet, etwa - wie hier - wegen Verletzung des
Amtsgeheimnisses, so entfällt der Schutz, den Art. 16 Abs. 3 VwVG dem
Journalisten gewährt (R. WEBER, Der Journalist in der Verfassungsordnung,
ZBl 89 (1988), S. 104).

    f) Es ist nicht zu übersehen, dass heute die Ausdehnung des
Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten zunehmend gefordert wird. Ein
Teil der Lehre will direkt aus Art. 55 BV (D. BARRELET, aaO, N. 1263) ein
"verfassungsrechtlich" erforderliches "minimales Zeugnisverweigerungsrecht"
ableiten, dies allerdings mit der Einschränkung, dass dessen weitere
Ausgestaltung dem Gesetzgeber überlassen sein müsse (J.P. MÜLLER, in
Kommentar BV, Art. 55, Rz. 79 mit Hinweis auf die deutsche Lehre). Der
überwiegende Teil der Lehre fordert zwar ein Zeugnisverweigerungsrecht für
Journalisten und die damit verbundene Stärkung des Informantenschutzes,
räumt jedoch ein, dass ein solches nicht direkt aus Art. 55 BV abzuleiten,
sondern durch den Gesetzgeber zu schaffen sei (P. NOBEL, Leitfaden
zum Presserecht, S. 100; H. FEHR, Das Zeugnisverweigerungsrecht der
Medienschaffenden, Diss. Zürich 1982, S. 110); dies entspricht auch
der Auffassung der Expertenkommission für die Revision von Art. 55 der
Bundesverfassung (Presserecht/Presseförderung, Bericht vom 1. Mai 1975,
Bern 1975, S. 51).

    g) Nach geltendem Recht ergibt sich somit ausserhalb der eigentlichen
Pressedelikte kein umfassendes Recht des Journalisten auf Geheimhaltung der
Quelle einer durch eine strafbare Handlung erlangten Information, welches
einer strafprozessualen Zwangsmassnahme im Rahmen eines Strafverfahrens
wegen Amtsgeheimnisverletzung entgegenhalten werden könnte (vgl. BBl
1983 III 828). Im vorliegenden Fall kann sich die Gesuchsgegnerin daher
nicht mit der Berufung auf ein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht des
Journalisten einer Entsiegelung widersetzen.

Erwägung 4

    4.- a) Die Gesuchsgegnerin macht schliesslich den (aussergesetzlichen)
Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen geltend. In diesem
Zusammenhang behauptet sie, da das Dokument - mindestens auf den ersten
Blick - geeignet sei, schwerwiegende und unverständliche Mängel bei der
Bundesanwaltschaft und im Bundesamt für Polizeiwesen aufzudecken, könne sie
dessen Herkunft bzw. Quelle nicht aufdecken und daher die Kopie auch nicht
der Bundesanwaltschaft oder dem Bundesamt für Polizeiwesen aushändigen.

    b) Die Wahrung berechtigter Interessen ist an dieselben Voraussetzungen
gebunden wie sie in Art. 34 StGB verlangt werden (BGE 94 IV 70). Die
Gesuchsgegnerin macht mit ihrem Einwand sinngemäss Notstandshilfe
geltend, denn das Strafverfahren ist nicht gegen sie selber, sondern
gegen ihren Informanten gerichtet. Da es sich bei diesem vermutlich um
einen Beamten handelt, stand ihm zur Meldung von Unstimmigkeiten oder
Missständen im Amt der Dienstweg offen. Wenn er nicht an die direkt
vorgesetzte Stelle zu gelangen wagte, hätte er zumindest den zuständigen
Departementsvorsteher über die von ihm entdeckten Vorkommnisse aufmerksam
machen können. Wenn er diesen Weg nicht beschreiten wollte, dann hätte
für ihn immer noch die Möglichkeit bestanden, mit seinem Anliegen an die
parlamentarische Geschäftsprüfungskommission zu gelangen. Dies räumt die
Gesuchsgegnerin im Grunde genommen auch ein, da sie nach ihren Angaben
durchaus bereit wäre, das Dokument der nun vom Parlament eingesetzten
besonderen Untersuchungskommission auszuhändigen. Von einer nicht anders -
als durch Veröffentlichung - abwendbaren Gefahr kann unter diesen Umständen
keine Rede sein.

    Damit kann aber dem als Informanten in Frage kommenden Beamten nicht
zugestanden werden, mit dem hier in Frage stehenden Amtsgeheimnis die
"Flucht in die Öffentlichkeit" anzutreten, solange er nicht vorgängig mit
allen ihm zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln versucht hat, gegen
allfällige Missstände anzukämpfen, die er in seiner Stellung wahrgenommen
hat (vgl. BGE 94 IV 71). Kann sich aber der Informant nicht auf Notstand
berufen, so entfällt auch eine Notstandshilfe durch die Gesuchsgegnerin.