Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IV 233



115 IV 233

51. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. August 1989 i.S. X.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 320 StGB; Verletzung des Amtsgeheimnisses.

    Ob Kenntnisse in dienstlicher Stellung wahrgenommen worden sind,
ist aufgrund der gesamten Umstände des konkreten Falles zu entscheiden
(E. 2c/cc).

    Wer seine im Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit zufällig
erworbenen Kenntnisse ausserhalb des Dienstes als Privatperson bereits
vorher schon oder später noch einmal erlangte oder dies ohne weiteres
tun könnte und sogar einen rechtlichen Anspruch darauf hat, macht sich
bei deren Weitergabe nicht der Amtsgeheimnisverletzung schuldig (E. 2c/bb).

Sachverhalt

    A.- Anfangs 1987 führte der Vorstand der Sektion Chur des Verbandes
Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB) in der Kaserne der Kantonspolizei
Basel mit dem leitenden Ausschuss des VSPB eine Aussprache über hängige
Probleme der Sektion Chur. Für diese Reise nach Basel erhielt die unter
dem Präsidium von Rechtsanwalt A. stehende Sektion Chur des VSPB von der
Stadt Chur eine "Spesenentschädigung" von Fr. 500.--. Der nach Entlassung
des Polizeikommandanten eingesetzte Kommandant ad interim der Stadtpolizei
Chur veranlasste nach Rücksprache mit dem zuständigen Stadtratsmitglied
die Auszahlung dieses Betrages. Polizeifeldweibel B. füllte ein
Rechnungsformular für die Stadt Chur am 10. Juni 1987 teilweise auf
Anweisung des Kommandanten mit den folgenden Angaben aus: "Dienstreise nach
Basel zur Kantonspolizei Basel 5 x Fr. 100.-- = Fr. 500.--". Er visierte
das Formular, liess es durch den Polizeikommandanten ad interim abstempeln
und unterschreiben, worauf er den Polizeibeamten C. beauftragte, mit
diesem Beleg bei der städtischen Finanzkontrolle den Betrag von Fr. 500.--
abzuholen. Die Angestellte der Finanzkontrolle ergänzte die Angaben im
Rechnungsformular, indem sie die Rubrik "von ..." mit "Polizeiposten"
ausfüllte, und versah das Formular mit dem Stempel "Finanzkontrolle
15. Juni 1987" und ihrem Visum. Mit diesem Beleg holte der Polizeibeamte
C. bei der Stadtkasse Chur gleichentags den Betrag von Fr. 500.-- ab und
quittierte hiefür auf dem Formular, auf welchem ein Kassenaufdruck für
eine entsprechende Barauszahlung angebracht wurde. C. überbrachte die
Fr. 500.-- Feldweibel B. Dieser verlangte hierauf von der Stadtkasse
eine Kopie des Rechnungsformulars und brachte auf dieser den folgenden
Vermerk an:

    "iA des Kommando an Verbandskasse ausbezahlt als Spesenentschädigung an
   den Vorstand VSPB/Chur für Reise zum Zentralvorstand nach Basel vom

    Februar 1987

    Betrag Fr. 500.-- erhalten, der Kassier ..."

    Polizeimann D. unterzeichnete als Kassier und brachte den Stempel
der Sektion Chur des VSPB an. Sodann erstellte er für sich und für den
Vizepräsidenten der VSPB-Sektion Chur je eine Fotokopie des quittierten
Rechnungsformulars. Den mit seiner Originalunterschrift versehenen Beleg
erstattete er Feldweibel B.

    Eine Kopie des Schriftstückes entdeckte Polizeikorporal
X. zufälligerweise im Fotokopierapparat der Stadtpolizei Chur. Er sandte
diese am 18. Juni 1987 dem Zentralpräsidenten des Verbandes Schweizerischer
Polizeibeamter.

    Der Präsident der VSPB-Sektion Chur erstattete hierauf bei der
Staatsanwaltschaft Graubünden gegen X. Strafanzeige wegen Verletzung
des Amtsgeheimnisses.

    Mit einem Strafmandat des Kreispräsidenten Chur vom 24. September
1987 wurde X. wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses mit einer Busse
von Fr. 600.-- bestraft. Dagegen erhob er Einsprache, worauf der
Kreisgerichtsausschuss Chur ihn am 8. September 1988 von Schuld und
Strafe freisprach. Auf Berufung der Staatsanwaltschaft hin hob der
Kantonsgerichtsausschuss Graubünden dieses Urteil jedoch am 7. März 1989
auf; er sprach X. der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach Art. 320 Ziff. 1
StGB schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingt vorzeitig löschbaren
Busse von Fr. 300.--.

    Gegen das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses Graubünden führt X.
Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei
aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Das
Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Einer Verletzung des Amtsgeheimnisses macht sich nach Art. 320
Ziff. 1 StGB schuldig, wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner
Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut
worden ist, oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung
wahrgenommen hat.
   a) (Frage, ob ein Geheimnis vorliegt, offengelassen.)

    c) aa) Die dem Amtsgeheimnis unterstehende Kenntnis muss sich auf
Tatsachen beziehen, die mit den dienstlichen Aufgaben des betreffenden
Beamten zusammenhängen, wobei jede so erlangte Kenntnis eingeschlossen
ist (SCHULTZ, Die Verletzung des Amtsgeheimnisses gemäss Art. 320 StGB,
in Kriminalistik 33/1979, S. 370).

    bb) Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass im Rahmen des
Verwaltungsaktes, den die Auszahlung von Fr. 500.-- durch die Stadt
Chur darstellt, dem Empfänger die nach dem angefochtenen Urteil als
geheimhaltungsbedürftig in Frage kommenden Fakten mitgeteilt wurden. Dies
erfolgte dadurch, dass D. als Kassier der VSPB-Sektion Chur nicht auf
einer separaten Urkunde für den Zahlungsvorgang zwischen Polizeikommando
und VSPB quittierte, sondern auf einer Kopie des Beleges für die Auszahlung
der Stadtkasse an das Polizeikommando zu unterzeichnen hatte; ferner auch
dadurch, dass der für die Stadt handelnde Feldweibel B. ihm erlaubte,
für Vereinszwecke Fotokopien des Schriftstücks zu erstellen. Es handelte
sich also nicht nur bei der Tatsache der Zahlung an die VSPB-Sektion Chur,
sondern auch in bezug auf den für den Vorgang zwischen Polizeikommando
und Stadtkasse angegebenen Zahlungsgrund um Kenntnisse, deren Träger nach
erfolgter Mitteilung nicht nur die Stadt Chur, sondern gleichzeitig auch
die VSPB-Sektion Chur war.

    Entscheidend ist, dass sich der Beschwerdeführer als Mitglied
des Vereins VSPB Chur vom ganzen Sachverhalt und vom Inhalt des
Zahlungsbelegs hätte Kenntnis verschaffen können und darauf auch einen
rechtlichen Anspruch gehabt hätte (vgl. Art. 65 Abs. 2 ZGB, wonach
die Vereinsversammlung die Aufsicht über die Tätigkeit der Organe
ausübt). Die auf diesem Wege oder allenfalls auf informelle Weise
vom Vereinsvizepräsidenten oder dem Kassier D. direkt oder indirekt
erlangten Kenntnisse hätte der Beschwerdeführer ohne Verletzung eines
Amtsgeheimnisses weitergeben dürfen, weil er sie in diesem Fall zweifellos
nicht als Beamter oder in dienstlicher Stellung wahrgenommen hätte.

    Nach der in der Literatur vertretenen und zweifellos zutreffenden
Ansicht darf der Betroffene seine im Zusammenhang mit der amtlichen
Tätigkeit erfahrenen Kenntnisse weitergeben, wenn er davon bereits
vorher als Privatperson Kunde erhalten hat oder wenn er sie ausserhalb
des Dienstes noch einmal erfährt (FRANZ-MARTIN SPILLMANN, Begriff und
Unrechtstatbestand der Verletzung der Amtsgeheimnisse nach Artikel 320
des Strafgesetzbuches, Diss. Zürich 1984, S. 31 mit Hinweisen). Es
sprechen nun aber keine sachlichen Gründe dafür, den Fall, in welchem
der Betroffene mutmasslich geheimzuhaltende Tatsachen ohne weiteres
auch noch ausserhalb des Dienstes in Erfahrung bringen könnte und - wie
im vorliegenden Fall - darauf sogar einen rechtlichen Anspruch hätte,
anders zu beurteilen. Es würde einen überspitzten Formalismus bedeuten,
zu verlangen, dass sich der Betroffene in einem solchen Fall die im Dienst
erlangten Kenntnisse zunächst noch auf die ihm ohne weiteres offenstehende
andere Weise aneignen müsste, bevor er sie weitergibt.

    cc) Selbst wenn man dieser Auffassung in dieser allgemeinen Form nicht
folgen wollte, ist wegen der gesamten Umstände des vorliegenden Falles das
Tatbestandselement der Wahrnehmung in dienstlicher Stellung nicht erfüllt.
Auszugehen ist davon, dass der Beschwerdeführer bei der Auszahlung der Fr.
500.-- seitens der Stadt Chur bzw. des Polizeikommandos Chur in keiner Art
und Weise mitzuwirken hatte. Wenn er zufälligerweise im Fotokopierapparat
der Stadtpolizei eine Kopie des streitigen Schriftstückes fand, erlangte
er seine Kenntnisse nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen
dienstlichen Aufgaben. Erstens besteht nur ein entfernter und zufälliger
Zusammenhang zwischen der dienstlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers
und der Kenntniserlangung des Schriftstücks. Zweitens stellt das in
Frage stehende Dokument zugleich einen wichtigen Vereinsbeleg dar,
von welchem der Beschwerdeführer als Vereinsmitglied jederzeit auch
ausserdienstlich hätte Kenntnis erlangen können. Drittens handelte es
sich nicht nur bei der Tatsache der Zahlung an die VSPB-Sektion Chur,
sondern auch beim für den Vorgang zwischen Polizeikommando und Stadtkasse
angegebenen Zahlungsgrund um Kenntnisse, deren Träger nach erfolgter
entsprechender Mitteilung nicht nur die Stadt Chur, sondern gleichzeitig
auch die VSPB-Sektion Chur war. Es würde eine allzu formalistische und
daher nicht zu rechtfertigende Betrachtungsweise darstellen, wollte
man die allgemeine Verschwiegenheitspflicht eines Beamten (hier gemäss
Art. 21 Abs. 2 des Dienstreglementes für das Polizeikorps der Stadt Chur)
auch unter diesen Voraussetzungen bejahen. Unter Berücksichtigung aller
Umstände kann nicht davon gesprochen werden, der Beschwerdeführer habe
Kenntnisse weitergegeben, die er im Sinne von Art. 320 StGB in dienstlicher
Stellung wahrgenommen habe.

    d) Fehlt es nach dem Gesagten an der Voraussetzung der Wahrnehmung
in dienstlicher Stellung, so hat der Beschwerdeführer den Tatbestand des
Art. 320 Ziff. 1 StGB nicht erfüllt. Der Beschwerdeführer begründete
die Nichtigkeitsbeschwerde lediglich damit, es habe kein Geheimnis
vorgelegen bzw. die Stadt Chur hätte den Geheimhaltungswillen aufgegeben;
ausserdem machte er Sachverhaltsirrtum geltend, führte dazu aber Gründe an,
die allenfalls auf einen Rechtsirrtum schliessen lassen. Der Kassationshof
ist jedoch nicht an die Begründung der Rechtsbegehren der Parteien gebunden
(Art. 277bis Abs. 2 BStP), sondern hat das Recht von Amtes wegen anzuwenden
(iura novit curia). Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher gutzuheissen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.