Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IV 230



115 IV 230

50. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 18. Oktober 1989 i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau gegen B. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 24 Abs. 1 und Art. 305 Abs. 1 StGB; Anstiftung zur
Selbstbegünstigung.

    Sofern die Begünstigungshandlung nicht auch andere Straftatbestände
erfüllt, bleibt die Selbstbegünstigung straflos (E. 1; Bestätigung der
Rechtsprechung).

    Teilnahmehandlungen (Anstiftung und Gehilfenschaft) zur
Selbstbegünstigung sind straflos (E. 2; Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Der Strafgefangene B. telefonierte X. und überredete sie, ihn
am folgenden Tag in der Nähe der Strafanstalt mit einem Motorfahrzeug
abzuholen. Vereinbarungsgemäss erschien X. mit einem Taxi, womit sich
beide von der Strafanstalt wegführen liessen.

    Das Kriminalgericht des Kantons Thurgau sprach B. am 21. November
1988 von der Anklage der Anstiftung zur Selbstbegünstigung von Schuld
und Strafe frei.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau führt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der Freispruch sei aufzuheben und
die Sache zur Schuldigsprechung wegen Anstiftung zur Selbstbegünstigung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Begünstigung nach Art. 305 Abs. 1 StGB macht sich schuldig,
wer jemanden der Strafverfolgung, dem Straf- oder Massnahmevollzug
entzieht. Aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt sich, dass der Täter
einen anderen als sich selbst begünstigen muss. Lehre und Rechtsprechung
nehmen auch einhellig an, dass die Selbstbegünstigung, besondere
Fälle der Nebenstrafgesetzgebung ausgenommen, straflos sei, sofern die
Begünstigungshandlung nicht einen anderen Straftatbestand erfüllt (BGE 102
IV 31, 101 IV 315 je mit Hinweisen; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches
Strafrecht, BT II, 3. Aufl., S. 323 N. 12; ROBERT HAUSER/JÖRG REHBERG,
Strafrecht IV, S. 315).

    Die Anstiftung zur Selbstbegünstigung erklärte das Bundesgericht in BGE
73 IV 239 grundsätzlich als strafbar, obwohl es auch in diesem Entscheid
die Selbstbegünstigung selber nicht als einen Straftatbestand ansah. Es
führte aus, Art. 24 Abs. 1 StGB, der die Anstiftung mit der Strafe der
Tat bedrohe, beruhe nicht auf der Fiktion, der Anstifter habe die Tat
selber begangen, sondern auf dem Gedanken, dass er grundsätzlich die
gleiche Strafe verdiene wie der, den er zur Begehung eines Verbrechens
oder Vergehens verleitet und damit ins Verderben geschickt habe. Den
Freispruch des Anstifters bestätigte es in jenem Falle jedoch in Anwendung
von Art. 305 Abs. 2 StGB. Ob der Begünstigte auch wegen Gehilfenschaft
zu Begünstigung verurteilt werden könne, wurde im zitierten Entscheid
offengelassen, aber letztlich doch eher verneint. In BGE 111 IV 166 wurde
auf diese Rechtsprechung hingewiesen; wegen des Verbots der reformatio in
peius wurde jedoch nicht. geprüft, ob die Vorinstanz den Beschwerdeführer
zu Recht nicht auch wegen Teilnahme (Anstiftung oder Gehilfenschaft)
an der Begünstigung verurteilt habe.

    Die Lehre verneint, soweit sie sich direkt mit dieser Frage befasst,
die Strafbarkeit der Anstiftung und Gehilfenschaft zur Selbstbegünstigung.
STRATENWERTH (aaO, S. 323 N. 13) führt an, Grund für die Strafbarkeit
der Teilnahme an der Selbstbegünstigung könne allein die Mitwirkung
am Unrecht der Haupttat sein; die Begehung der "Haupttat" aber, hier
also der Begünstigung, sei für den Begünstigten selbst nicht strafbar,
so dass es auch seine Teilnahme nicht sein könne. HAUSER/REHBERG (aaO,
S. 316 oben) argumentieren, da die Selbstbegünstigung nicht strafbar sei,
müsse nach dem Grundsatz "in maiore minus" auch die Teilnahme durch
den Begünstigten daran straflos bleiben. PETER NOLL/STEFAN TRECHSEL
(Schweizerisches Strafrecht, AT I, S. 179 lit. g) gehen davon aus, wer
sich selber begünstige, sei straflos, und konsequenterweise müsse er auch
straflos sein, wenn er einen anderen zu seiner Begünstigung anstifte.

Erwägung 2

    2.- Wer jemanden zu dem von ihm verübten Verbrechen oder Vergehen
vorsätzlich bestimmt hat, ist nach Art. 24 Abs. 1 StGB Anstifter und wird
nach der Strafdrohung bestraft, die auf den Täter Anwendung findet.

    a) Dieses Verbot, einen anderen zu einer Straftat zu veranlassen,
wird auf verschiedene Arten gerechtfertigt. Nach der Schuldteilnahme-
oder Korruptionstheorie liegt der Grund der Strafbarkeit des Anstifters
darin, dass er den Angestifteten in Schuld und Strafe führt oder, wie sich
das Bundesgericht im Oben zitierten Entscheid ausdrückte, ins Verderben
schickt (HANS SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts
I, 4. Aufl., S. 292 f.; STEFAN TRECHSEL, Strafgrund der Teilnahme, Bern
1967, S. 31 ff.). Die Unrechtsteilnahme- oder Verursachertheorie steht
hingegen auf dem Standpunkt, die Teilnehmer (Anstifter und Gehilfe) würden
bestraft, weil sie bei dem vom Haupttäter begangenen Unrecht mitwirkten
(STRATENWERTH, AT I, S. 334 N. 79; HAUSER/REHBERG, Strafrecht I, S. 96;
NOLL/TRECHSEL, aaO, S. 166 oben, erwähnen beide Theorien, offenbar ohne
der einen oder der anderen den Vorzug zu geben).

    b) In BGE 100 IV 3 ff. und 101 IV 51 bekannte sich das Bundesgericht
zur Unrechtsteilnahmetheorie. Es verneinte übereinstimmend mit Lehre
und Rechtsprechung in Deutschland und Österreich die Konkurrenz zwischen
Teilnahme und Täterschaft und erblickte den Strafgrund der Teilnahme -
namentlich auch der Anstiftung - in der Mitwirkung an dem vom Täter
begangenen Unrecht (BGE 100 IV 3 f. E. b und c). Da Art. 24 StGB den
Anstifter mit der für den Haupttäter vorgesehenen Strafe belegt, lässt
das Gesetz für die Korruptionstheorie keinen Raum, soweit sie eine
besondere Verurteilung wegen der Gefahr sozialer Desintegration des
Angestifteten fordert. Eine solche Verurteilung hätte die Gefährdung der
moralischen Integrität des Angestifteten zum Gegenstand, als ein anderes
Rechtsgut, das nicht durch die Strafdrohung für die Haupttat geschützt
wird. Eine selbständige Verurteilung deswegen, dass der Anstifter
den Angestifteten korrumpiert und ihn dadurch der Schande, Bestrafung
und sozialen Desintegration aussetzt, bedürfte somit einer besonderen
Strafdrohung. Sie kann nicht aus der Strafe der Haupttat abgeleitet werden
(BGE 100 IV 4 f. E. d).

    c) An der Strafbarkeit der Anstiftung zur Selbstbegünstigung
aus den in BGE 73 IV 240 angeführten Gründen kann nach dem Gesagten
nicht festgehalten werden. Liegt der Strafgrund der Teilnahme in
der Mitwirkung an dem vom Täter begangenen Unrecht, so sind infolge
der Straflosigkeit der Selbstbegünstigung (vgl. E. 1 hievor) sowohl
Anstiftung als auch Gehilfenschaft dazu ausgeschlossen. Das Unrecht, zu
dessen Begehung der Täter bestimmt wird, besteht darin, dass der Anstifter
der Strafverfolgung oder dem Straf- oder Massnahmevollzug entzogen wird,
was als Selbstbegünstigung straflos bleibt. Da sich die Strafbarkeit
der Anstiftung nur mit der Begehung dieses "Unrechts" begründen liesse,
bleibt auch der Anstifter zu einer Selbstbegünstigung straffrei.

    Dass, wie in BGE 73 IV 239 f. angeführt wird, z.B. Anstiftung
zu falschem Zeugnis zugunsten des Anstifters strafbar sei, obwohl
der Anstifter selber zu seinen Gunsten kein falsches Zeugnis ablegen
könne, steht dem nicht entgegen. Der Angeklagte, der zu seinen Gunsten
aussagt, erfüllt den Tatbestand von Art. 307 StGB nicht, weil er die
hiezu notwendige Sondereigenschaft eines Zeugen nicht besitzt; er bleibt
folglich nicht straflos, weil er das Unrecht eines falschen Zeugnisses
ungestraft begehen darf, wenn dies zu seinen Gunsten erfolgt, sondern weil
er es gar nicht begehen kann. Besässe er jedoch diese Sondereigenschaft,
wäre er strafbar, und er wirkt demzufolge an dem mit einem falschen Zeugnis
verbundenen Unrecht mit, wenn er einen Dritten dazu bestimmt, bewusst zu
seinen Gunsten falsch auszusagen; anders verhält es sich nur bei unbewusst
falschem Zeugnis des Dritten, wo nicht Anstiftung, sondern mittelbare
Täterschaft vorliegt, die wegen Fehlens der Sondereigenschaft des Täters
straffrei bleiben muss (BGE 71 IV 136; HAUSER/REHBERG, Strafrecht IV,
S. 326 Ziff. 6.1 mit Verweisungen).

    Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich somit als unbegründet.