Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IV 1



115 IV 1

1. Urteil des Kassationshofes vom 3. März 1989 i.S. A. gegen Z.
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 28, 303 und 173 ff. StGB; Umfang eines Strafantrags.

    Ein Strafantrag wegen "falscher Anschuldigung StGB Art. 303" kann
grundsätzlich auch einen solchen wegen Ehrverletzung mitumfassen (E. 2b);
aus konkludentem Verhalten des Antragstellers kann sich aber ebenfalls
ein Verzicht auf letzteren ergeben (E. 2b).

Sachverhalt

    A.- Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte A. am 23.  Juni 1988
unter anderem wegen übler Nachrede zu einer Busse von Fr. 270.-- und zur
Bezahlung einer Genugtuungssumme von Fr. 100.-- an den Privatkläger Z.
Dieser Verurteilung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Am 18. April
1987 befuhr A. eine mit einem Fahrverbot belegte Strasse. Polizist
Z. hielt ihn an und wollte ihm eine Ordnungsbusse wegen Nichtbeachtens
des Vorschriftssignals "Allgemeines Fahrverbot" sowie Nichttragens der
Sicherheitsgurte auferlegen. A. weigerte sich, aufgrund des ersten
Sachverhalts eine Busse zu bezahlen, da er als Zubringer berechtigt
gewesen sei, die Strecke zu befahren. Darüber entspann sich eine
Diskussion zwischen den Beteiligten. Schliesslich begab sich Z. mit dem
Ausweis von A. zu seinem Wagen, um dessen Personalien festzuhalten. Ohne
die Rückkehr des Polizisten abzuwarten, fuhr A. nach Hause. Von dort aus
rief er zirka 10 Minuten später auf die Polizeiwache an und verlangte,
dass Z. eine Blutprobe entnommen werde, da er der Ansicht sei, dieser
rieche nach Alkohol und sei trotzdem Auto gefahren. Auf die Konsequenzen
einer falschen Anschuldigung aufmerksam gemacht, beharrte er auf der
Durchführung von Abklärungen.

    A. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Z. beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, es liege kein gültiger
Strafantrag zu seiner Verfolgung wegen übler Nachrede vor.

    Dazu führte die Vorinstanz aus: Der Beschwerdegegner habe Strafantrag
wegen falscher Anschuldigung gemäss Art. 303 StGB gestellt. Diese
Bestimmung schütze ebensosehr das Individuum vor falscher Denunzierung wie
den geordneten Gang der Rechtspflege. Wer zu Unrecht bei den Behörden einer
strafbaren Handlung bezichtigt werde, sei auch in seiner Ehre verletzt,
weshalb der Strafantrag auch die Delikte gemäss Art. 173 ff. StGB
erfasse. Hinzu komme, dass Art. 303 StGB gar kein Antragsdelikt sei;
wenn ein juristischer Laie dennoch Strafantrag stelle, müsse man dies so
interpretieren, dass er die Verfolgung des ihn persönlich betreffenden
Unrechts wünsche. Im übrigen zeige der allgemeine Sprachgebrauch, dass
jemanden "falsch anschuldigen" durchaus gleichbedeutend mit "verleumden"
sein könne.

    Der Beschwerdeführer macht im wesentlichen geltend, der Strafantrag sei
ausdrücklich auf den Vorwurf der falschen Anschuldigung beschränkt gewesen.

Erwägung 2

    2.- a) Nach der Praxis des Bundesgerichts liegt ein gültiger
Strafantrag vor, wenn der Antragsberechtigte innert Frist bei der
nach kantonalem Recht zuständigen Behörde und in der ebenfalls vom
kantonalen Recht vorgeschriebenen Form seinen bedingungslosen Willen
zur Strafverfolgung des Täters so erklärt, dass das Strafverfahren ohne
weitere Willenserklärung weiterläuft (BGE 108 Ia 99 f. E. 2 mit Hinweisen).

    In der Regel bringt der Antragsteller einen bestimmten Sachverhalt
zur Anzeige. Es ist nicht seine Sache, den Sachverhalt rechtlich zu
qualifizieren; die rechtliche Würdigung obliegt der Strafbehörde (BGE
85 IV 75). Bringt ein Rechtsunkundiger einen Sachverhalt zur Anzeige,
so wünscht er damit, dass Bestrafung eintrete (Obergericht Zürich, ZR
45/1946 Nr. 153; Überweisungsbehörde Basel-Stadt, BJM 1984, S. 194 f.).

    Treffen allerdings verschiedene Tatbestände zusammen, so kann
der Antragsberechtigte die Bestrafung des Täters nur unter bestimmten
tatsächlichen oder rechtlichen Aspekten seines Verhaltens verlangen,
insbesondere kann er, wenn er eine Anzeige in bezug auf Offizialdelikte
einreicht auf eine Strafverfolgung von daneben einhergehenden
Antragsdelikten verzichten (BGE 85 IV 75; JÖRG REHBERG, Der Strafantrag,
ZStR 85/1969, S. 264).

    b) Vorliegend hat der Beschwerdegegner auf einem Formular (dem wohl
üblichen, bei der Polizei vorhandenen Formular) Strafantrag gestellt und
Bestrafung wegen "falscher Anschuldigung StGB Art. 303" verlangt. In
bezug auf Ehrverletzungsdelikte findet sich in diesem Antrag weder in
positiver noch in negativer Hinsicht eine ausdrückliche Erklärung. Zu
prüfen ist somit, ob damit nach den allgemeinen Grundsätzen, die für die
Auslegung von rechtserheblichen Erklärungen gelten, eine Verfolgung des
inkriminierten Sachverhaltes in jeder Hinsicht, insbesondere aber auch
in bezug auf Antragsdelikte der Ehrverletzung verlangt wurde oder ob
der Beschwerdegegner damit zum Ausdruck brachte, er beschränke seinen
Strafverfolgungswillen auf die falsche Anschuldigung.

    Für letzteres spricht, dass der Beschwerdeführer in seinem
Strafantrag ausdrücklich nur von falscher Anschuldigung (Art. 303 StGB)
spricht. Art. 303 StGB schützt in erster Linie die Zuverlässigkeit der
Rechtspflege, wie schon die Einordnung des Tatbestandes im Gesetze
zeigt. Die falsche Anschuldigung besteht indes im Versuch, eine
Strafverfolgung gegen einen Unschuldigen herbeizuführen, weshalb es
sich auch um ein Delikt gegen die Person handelt, durch welches unter
anderem auch die Ehre gefährdet wird (STRATENWERTH, Schweizerisches
Strafrecht, BT II, S. 301 N. 2; BGE 89 IV 206 unter Hinweis auf die
französische Bezeichnung "dénonciation calomnieuse"). Entsprechend wird
denn auch angenommen, dass der schwerste Fall der Ehrverletzung, die
Verleumdung (Art. 174 StGB), hinter Art. 303 StGB zurücktritt (BGE 69
IV 116; STRATENWERTH, aaO, S. 305 N. 24). Besteht aber ein derartiger
Zusammenhang zwischen dem Delikt der falschen Anschuldigung und den
Ehrverletzungsdelikten, so kann im Zweifel angenommen werden, dass ein
Strafantrag der durch die falsche Anschuldigung betroffenen Person nicht
nur ein Begehren um Strafverfolgung wegen Art. 303, sondern auch einen
Strafantrag wegen Ehrverletzung darstellt.

    Im vorliegenden Fall liegen jedoch insofern besondere Umstände vor,
als das Polizeikommando am 8. Mai 1987 den Fall an den zuständigen
Gerichtspräsidenten weiterleitete und festhielt, die Angelegenheit sei
unter dem Gesichtspunkt der falschen Anschuldigung zu prüfen. Gleichzeitig
wies es darauf hin, es sei dem Privatkläger unbenommen, noch wegen
übler Nachrede Strafantrag zu stellen. Von diesem Schreiben erhielt der
Beschwerdegegner Kenntnis. Da er um die Notwendigkeit eines Strafantrags
wusste und die Strafantragsfrist in jenem Zeitpunkt noch nicht verstrichen
war, hätte er seinen auslegungsbedürftigen Strafantrag, der nur als solcher
für eine Bestrafung nach Art. 303 StGB aufgefasst worden war, klarstellen
und ausdrücklich auch Strafantrag wegen Ehrverletzung stellen müssen. Sein
untätiges Verhalten in dieser Situation kann nur dahin verstanden werden,
dass er auf einen solchen verzichtete. Demzufolge ist der angefochtene
Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit
sie das Verfahren wegen Fehlens eines gültigen Strafantrags einstelle.