Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 88



115 II 88

16. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Januar 1989 i.S. A.
M. gegen Helvetia-Unfall, Schweizerische Versicherungsgesellschaft
(Berufung) Regeste

    Versicherungsvertrag; Anzeigepflicht (Art. 38 Abs. 1 und 45 Abs. 1
VVG).

    1. Schreiben die Allgemeinen Versicherungsbedingungen vor, dass
Unfälle, für die eine Entschädigung beansprucht wird, innert 30 Tagen der
Versicherungsgesellschaft zu melden sind, ansonst die Leistungspflicht
der Gesellschaft entfällt, so beginnt die Frist für die Erstattung der
Anzeige nicht erst dann zu laufen, wenn sich der Anspruchsberechtigte
dazu entschliesst, eine Entschädigung zu beanspruchen (E. 3).

    2. Die Verspätung der Anzeige ist dann nach den Umständen unverschuldet
und die Anspruchsverwirkung tritt nicht ein, wenn der Anspruchsberechtigte
aus objektiven, von ihm nicht zu vertretenden Gründen daran gehindert war,
seine Anzeige rechtzeitig zu erstatten (E. 4).

Sachverhalt

    A.- A. M. hat mit der Helvetia-Unfall,
Schweizerische Versicherungsgesellschaft, sowohl einen
Privat-Krankenversicherungsvertrag als auch einen landwirtschaftlichen
Unfall- und Haftpflichtversicherungsvertrag abgeschlossen. Am 21. Mai 1981
erlitt er nach seinen eigenen Angaben einen Unfall mit einem Stier, der
ihn mit dem Kopf an eine Ladewand einer Camionnette gedrückt habe. Dabei
sei er mit der rechten Schulter aufgeprallt und verspüre seither in
dieser Schulter Schmerzen, die sich trotz Einsalben und Umschlägen im
Verlauf des Sommers verstärkt hätten. Am 30. November 1981 suchte A. M.
erstmals einen Arzt auf. Unmittelbar nach diesem Arztbesuch informierte
er den Versicherungsinspektor der Helvetia-Unfall. In der Folge unterzog
sich A. M. mehreren Behandlungen, die alle erfolglos blieben.

    Am 22. November 1985 reichte A. M. beim Zivilgericht des Sensebezirks
gegen die Helvetia-Unfall eine Forderungsklage über insgesamt
Fr. 123'277.95 ein. Mit Urteil vom 30. September 1986 wies das Gericht
die Klage ab. Eine dagegen erhobene Berufung wurde vom Kantonsgericht
des Staates Freiburg mit Urteil vom 28. Oktober 1987 abgewiesen.

    Gegen das kantonsgerichtliche Urteil hat der Kläger Berufung an das
Bundesgericht erhoben, mit der er die Rückweisung der Sache zur Fortsetzung
des Prozesses an die erste Instanz beantragt. Das Bundesgericht weist
die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 13 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der
Beklagten für die landwirtschaftliche Unfall- und Haftpflichtversicherung
hat der Versicherungsnehmer bzw. der Anspruchsberechtigte der Gesellschaft
unverzüglich, spätestens jedoch innert 30 Tagen, schriftlich (womöglich
mit dem zur Verfügung gestellten Formular) Anzeige zu erstatten, wenn
der Versicherte einen Unfall erleidet, für welchen eine Entschädigung
beansprucht wird (lit. a). Nach dem Unfall ist sodann sobald als
möglich ein patentierter Arzt beizuziehen und für sachgemässe Pflege
sowie Einhaltung der ärztlichen Weisungen zu sorgen; auf Verlangen
der Gesellschaft ist jederzeit eine Untersuchung durch einen von
ihr bestimmten Vertrauensarzt vornehmen zu lassen (lit. b). Gemäss
Art. 25 AVB entfällt die Leistungspflicht der Gesellschaft, wenn der
Versicherungsnehmer, Versicherte bzw. Anspruchsberechtigte die ihm
durch den Versicherungsvertrag überbundenen Obliegenheiten verletzt;
dieser Nachteil tritt nicht ein, wenn die Verletzung den Umständen nach
als unverschuldet anzusehen ist oder der Schaden auch bei Erfüllung der
Obliegenheit eingetreten wäre.

    Diese Bestimmungen sind mit Art. 38 VVG vereinbar (vgl. Art. 97/98
sowie Art. 45 VVG; BGE 74 II 93 E. 2; MAURER, Schweizerisches
Privatversicherungsrecht, 2. Aufl., S. 320).

Erwägung 3

    3.- Nach den für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz ist der Kläger seiner Meldepflicht nach
Art. 13 lit. a AVB nicht innert der vorgeschriebenen Frist nachgekommen;
auch die Pflicht, sofort einen Arzt beizuziehen, hat er verletzt.

    Der Kläger will jedoch aus dem Wortlaut von Art. 13 lit. a AVB,
wonach diejenigen Unfälle innert 30 Tagen zu melden sind, für die eine
Entschädigung beansprucht wird, ableiten, dass die Anzeigefrist erst
dann zu laufen beginne, wenn der Anspruchsberechtigte sich entschliesse,
eine Entschädigung zu beanspruchen. Diese Auslegung der AVB trifft
jedoch deren Sinn nicht. Der Versicherer ist an einer unverzüglichen
Meldung interessiert. Einerseits möchte er, sofern ihm dies notwendig
erscheint, die Umstände des Falles und dessen Folgen sofort abklären,
um sich vor ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen; anderseits will
er die Möglichkeiten der Schadensminderung voll ausschöpfen können
(MAURER, aaO S. 319). Deshalb wird in den AVB der Beklagten nicht
nur eine sofortige Anzeige, sondern auch ein sofortiger Arztbeizug
gefordert. Die unverzügliche Anzeige liegt ausserdem auch im Interesse des
Anspruchsberechtigten selbst, denn dieser ist für den Kausalzusammenhang
zwischen dem versicherten Ereignis und dem eingetretenen Schaden
beweispflichtig und dieser Beweis kann naturgemäss nur geführt werden,
wenn die Anzeige und die ärztliche Betreuung dem versicherten Ereignis
unmittelbar folgen.

    Es kann daher nicht einfach in das Ermessen des Versicherungsnehmers
gestellt werden, wann er sich entschliesst, Versicherungsleistungen zu
fordern, und die Frist für die Erstattung der Anzeige kann nicht erst
von diesem Zeitpunkt an zu laufen beginnen. Sonst wäre die Möglichkeit
des Einschreitens der Versicherung zur Feststellung des Sachverhalts und
zur Ergreifung von schadensmindernden Massnahmen nicht mehr gegeben. Der -
vom Kläger nicht behauptete - Fall, dass die Unfallfolgen vorerst gar nicht
sichtbar waren und erst später auftraten (vgl. dazu BGE 40 II 67, 52 II
157), wäre unter dem Titel der unverschuldeten Verspätung der Anzeige
zu prüfen. Entgegen der Auffassung des Klägers kann demzufolge nicht
davon ausgegangen werden, die Anzeigepflicht sei erst dann entstanden,
als er sich mit grosser Verspätung dazu entschloss, einen Arzt beizuziehen.

    Erweist sich die Anzeige somit als verspätet, so kommt es nicht
darauf an, ob sie in formeller Hinsicht in Ordnung war. Es kann
daher dahingestellt bleiben, ob die Feststellung der Vorinstanz,
das versicherungstechnische Vorgehen sei dem Kläger bekannt gewesen,
auf einem offensichtlichen Versehen beruhe, wie in diesem Zusammenhang
geltend gemacht wird.

Erwägung 4

    4.- Gestützt auf Art. 25 AVB macht der Kläger geltend, eine allfällige
Verspätung der Anzeige sei unverschuldet erfolgt und der Schaden wäre
auch bei Erfüllung der Obliegenheiten eingetreten.

    a) Der Kläger führt aus, er sei Landwirt und Landwirte seien nicht
"wehleidige Typen, die wegen jedem Bobochen zum Arzt springen". Er will
damit geltend machen, der verspätete Arztbeizug und die verspätete Anzeige
bei der Versicherung gereichten ihm nicht zum Verschulden. Indessen
bedeutet der Begriff "nach den Umständen unverschuldet" in Art. 25 AVB
etwas ganz anderes. Er will sagen, dass die Anspruchsverwirkung dann nicht
eintritt, wenn der Anspruchsberechtigte aus objektiven, von ihm nicht
zu vertretenden Gründen daran gehindert war, seine Anzeige rechtzeitig
zu erstatten (BGE 84 II 569). Der Kläger legt jedoch nicht dar, welche
objektiven Gründen ihn daran gehindert haben sollten, rechtzeitig einen
Arzt beizuziehen und den Unfall zu melden. Er macht insbesondere nicht
geltend, die Unfallfolgen seien vorerst überhaupt nicht erkennbar
gewesen. Vielmehr will er - schon wegen des von ihm zu beweisenden
Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall und den aufgetretenen Beschwerden -
von Anfang an Schmerzen verspürt haben, die er indessen selbst zu heilen
versucht habe, Es war sein freier Wille, zuerst eine Selbstbehandlung zu
versuchen und den Arzt erst beizuziehen, als die Schmerzen "nicht mehr
auszuhalten waren". Von einer aus objektiven Gründen unverschuldeten
Verspätung der Anzeige und des Arztbesuchs kann daher nicht die Rede sein.

    b) Für die Behauptung, der Schaden wäre auch bei rechtzeitiger
Erfüllung seiner Obliegenheiten eingetreten, ist der Kläger
beweispflichtig. Die Vorinstanz hat angenommen, er habe diesen Beweis nicht
zu erbringen versucht. Dass diese Annahme gegen Bundesrecht, namentlich
gegen Art. 8 ZGB, verstosse, macht der Kläger nicht geltend. Dass er
trotz Konsultation vieler Ärzte und Durchführung von Kuren nicht geheilt
werden konnte, beweist im übrigen nicht, dass der rechtzeitige Beizug eines
Arztes den Schaden nicht abgewendet oder mindestens vermindert hätte. Der
Kläger hat in seiner Einvernahme vor erster Instanz selbst ausgeführt,
alle Ärzte hätten ihm gesagt, er käme zu spät.

    Die Berufung erweist sich somit als unbegründet und ist daher
abzuweisen.