Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 494



115 II 494

88. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. Dezember 1989 i.S.
Firma X. gegen Z. (Berufung) Regeste

    Seefrachtvertrag. Bundesgesetz vom 23. September 1953 über die
Seeschiffahrt unter der Schweizer Flagge (SSG).

    Anwendung von Lehre und Rechtsprechung der Rheinanliegerstaaten (E. 1).

    Begriff der Auslieferung (E. 2).

    Die Vermischung verschiedener Ölqualitäten ist kein Verlust, sondern
eine teilweise Beschädigung des Frachtgutes im Sinne von Art. 105
Abs. 1 aSSG. Begriff des gemeinen Wertes; der Schaden entspricht der
Differenz zwischen dem gemeinen Handelswert (Börsen- oder Marktpreis)
und dem Erlös aus dem Verkauf des beschädigten Frachtgutes (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Firma X. besitzt Tanks und Tankschifflöschanlagen im Auhafen in
Birsfelden. Z. ist Inhaberin einer Reederei. Ende Juni 1981 transportierte
ein der Reederei gehörendes Tankschiff eine für die Firma X. bestimmte
gemischte Ladung von Schmierölen aus Holland zum Auhafen in Birsfelden. Die
Transportware setzte sich aus den Qualitäten "light", "medium" und "heavy"
zusammen. Bei der Löschung am 29. Juni 1981 gelangte nur das Schmieröl
der Qualität "light" in die dafür vorgesehenen Tanks. Die Ladungen der
Qualität "medium" und "heavy" wurden je in einen bereits teilweise mit dem
Schmieröl der Qualität "heavy" bzw. "medium" gefüllten Landtank gepumpt,
was eine Gesamtmenge von rund 830 t eines nicht handelsüblichen und deshalb
minderwertigen Schmierölgemisches "medium/heavy" ergab. Das Gemisch konnte
im folgenden nur mit erheblichem Einschlag verkauft werden.

    B.- Das Bezirksgericht Arlesheim wies am 29./30. September 1986 die
Klage der Firma X. auf Bezahlung von Fr. 153'978.67 Schadenersatz mit der
Begründung ab, der Schiffsmannschaft der Beklagten könne kein Verschulden
nachgewiesen werden.

    In teilweiser Gutheissung einer Appellation der Klägerin bejahte
das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft am 15. November 1988 die
Verantwortlichkeit der Beklagten für das Verhalten ihrer Hilfspersonen
und sprach nach Abzug von Fr. 20'000.-- (Art. 44 OR) Schadenersatz von Fr.
120'927.15 nebst Zins zu.

    C.- Gegen diesen Entscheid hat die Beklagte zugleich Berufung und
staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Letztere hat das Bundesgericht
mit Urteil vom 16. November 1989 abgewiesen, soweit es darauf eingetreten
ist. Mit der Berufung wird beantragt, die Klage vollumfänglich,
eventuell teilweise abzuweisen, oder die Sache zur neuen Beurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Klägerin schliesst auf Abweisung
der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Seeschiffahrt unter der Schweizer Flagge wird vom
Seeschiffahrtsgesetz vom 23. September 1953 (Fassung von 1965, SR
747.30) geregelt. Sie untersteht dem schweizerischen Recht, soweit
dies mit den Grundsätzen des Völkerrechts vereinbar ist (Art. 1
SSG). Auf die schweizerische Binnenschiffahrt sind das Bundesgesetz
über die Binnenschiffahrt vom 3. Oktober 1975 (SR 747.201) und die
Verordnung des Bundesrates über die Schiffahrt auf schweizerischen
Gewässern vom 8. November 1978 (SR 747.201.1) anzuwenden. Die mit
Binnenschiffen betriebene Schiffahrt auf dem Rhein unterliegt jedoch dem
Seeschiffahrtsgesetz, sofern wie im vorliegenden Fall die in Art. 125
SSG umschriebenen Voraussetzungen gegeben sind. Das Obergericht des
Kantons Basel-Landschaft hat damit zu Recht auf das Seeschiffahrtsgesetz
abgestellt. Die Bestimmungen über den Frachtvertrag nach Art. 440 ff. OR
haben lediglich subsidiäre Geltung (BGE 94 II 204 f.).

    Wo weder das Seeschiffahrtsgesetz noch ein anwendbares
internationales Übereinkommen eine Vorschrift enthält, hat der Richter
gemäss Art. 127 Abs. 5 SSG in Verbindung mit Art. 7 SSG nach allgemeinen
Schiffahrtsgrundsätzen oder, wo solche fehlen, nach derjenigen Regel zu
entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde, wobei er vor allem
Lehre und Rechtsprechung der übrigen Rheinanliegerstaaten, vorliegend
der Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen hat. Die Auslegung
schiffahrtsrechtlicher Begriffe hat sich in diesem Fall in erster Linie
nicht an landesrechtlichen Vorschriften zu orientieren, sondern der
anerkannten Schiffahrtspraxis des In- und Auslandes zu folgen. Besteht
eine solche Praxis, so sind landesrechtliche Bestimmungen ausserhalb der
Spezialgesetzgebung - insbesondere das Obligationenrecht - nicht anwendbar
(C. MARTIG, Reederhaftung im Rheinfrachtgeschäft, Diss. Zürich 1983,
S. 45 mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 102 Abs. 2 SSG hat der Seefrachtführer die Güter unter
anderem sachgemäss und sorgfältig zu löschen, soweit diese Verrichtungen
nicht vom Ablader oder Empfänger zu besorgen sind. Art. 108 Abs. 1 SSG
verlangt, dass der Seefrachtführer die Güter im Löschhafen dem Empfänger
auszuliefern hat. Die Beklagte konnte also den Seefrachtvertrag erst mit
ordnungsgemässer Auslieferung der Ware erfüllen.

    Unter Auslieferung ist der Vorgang zu verstehen, durch den der
Frachtführer den Gewahrsam am beförderten Gut im ausdrücklichen oder
stillschweigenden Einverständnis des Empfängers aufgibt und diesen
in den Stand setzt, die tatsächliche Gewalt über das Gut auszuüben
(BAUMBACH/DUDEN/HOPT, Kurzkommentar HGB, 2. A., München 1989, S. 1023, mit
Hinweisen auf die Rechtsprechung; VORTISCH-ZSCHUCKE, Binnenschiffahrts- und
Flössereirecht, 2. A., S. 259, N. 2b zu § 58 BSchG). Für die Auslieferung
bedarf es zwar nicht der Übernahme des Gutes durch den Empfänger,
sondern es genügt, wenn der Frachtführer die Ware mit Zustimmung
des Empfängers aus seiner Obhut entlässt oder einem Dritten übergibt
(SCHLEGELBERGER-GESSLER, HGB, Band VI, München 1977, S. 757, N. 8 und dort
zitierte Urteile). Werden aber wie im vorliegenden Fall unterschiedliche
Ölqualitäten in verschiedenen Schiffskammern transportiert, so kann von
einer durch die Zustimmung des Empfängers gedeckten Entlassung aus der
Obhut des Frachtführers erst dann die Rede sein, wenn die verschiedenen
Ölqualitäten in die dafür vorgesehenen Tanks gepumpt worden sind. Dazu
ist es nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 63
Abs. 2 OG) deshalb nicht gekommen, weil die Schiffsmannschaft der
Beklagten die Schmieröle "heavy" und "medium" fehlgeleitet hat. Demnach
haben die Hilfspersonen der Beklagten das Frachtgut weder sachgemäss noch
sorgfältig im Sinne von Art. 102 Abs. 2 SSG gelöscht. Von der Haftung für
den vor der ordnungsgemässen Auslieferung am Transportgut verursachten
Schaden könnte sich die Beklagte also nur durch den Nachweis befreien,
dass weder sie noch ihre Hilfspersonen ein Verschulden trifft (Art.
103 Abs. 1 SSG). Diesen Nachweis hat sie nicht erbracht.

Erwägung 3

    3.- Die Vermischung der verschiedenen Ölqualitäten hatte vorliegend
nicht einen Verlust, sondern eine teilweise Beschädigung des Frachtgutes im
Sinne von Art. 105 Abs. 1 Satz 2 aSSG zur Folge. Danach ist ausschliesslich
der Betrag der Wertverminderung des Gutes ohne weiteren Schadenersatz
zu ersetzen.

    Weil sich die spärliche schweizerische Literatur zum See- und
Binnenschiffahrtsrecht nicht mit dem Begriff der Wertverminderung
nach SSG auseinandersetzt, ist auf die deutsche Gesetzgebung,
Lehre und Rechtsprechung zurückzugreifen. Nach § 58 Abs. 1 des
Binnenschiffahrtsgesetzes (BSchG) haftet der Frachtführer für den durch
Verlust oder Beschädigung der Frachtgüter entstandenen Schaden. Es
handelt sich hierbei aber in Wirklichkeit um eine "Ersatzleistung
aufgrund des Frachtvertrages" im Sinne des nach § 26 anwendbaren § 430 des
Handelsgesetzbuches (HGB) (VORTISCH-ZSCHUCKE, aaO, S. 265, Ziff. 7a). Im
Falle der Beschädigung ist der Unterschied zwischen dem Verkaufswert des
Gutes im beschädigten Zustand und dem gemeinen Wert zu ersetzen, welchen
das Gut ohne die Beschädigung am Ort und zur Zeit der Ablieferung gehabt
hätte; hiervon kommt in Abzug, was infolge der Beschädigung an Zöllen
und sonstigen Kosten erspart worden ist (§ 430 Abs. 2 HGB). Hingegen
ist die Fracht bei Beschädigung grundsätzlich in voller Höhe zu zahlen
(SCHLEGELBERGER-GESSLER, aaO, N. 21 zu § 430 HGB).

    Der gemeine Wert ist der allgemeine Verkäuflichkeitswert, den ein Gut
gleicher Art und Güte ohne Berücksichtigung der besonderen Beziehungen
der Beteiligten hat. Er bemisst sich nach objektiven Massstäben und steht
damit im Gegensatz zu dem individuellen Wert, dem Wert, den das Gut für
die Beteiligten im Einzelfall unter Berücksichtigung ihrer Beziehungen
hat. Gehört der Ersatzberechtigte einer bestimmten Handelsgruppe an, ist er
Grosshändler, Kleinhändler oder Produzent, ist der gemeine Verkaufswert des
Gutes in dieser Handelsgruppe zu berücksichtigen (SCHLEGELBERGER-GESSLER,
aaO, N. 10 zu § 430 HGB). Ein gemeiner Handelswert besteht, wenn ein
regelrechter Handelsverkehr mit dem Gut stattfindet. Er entspricht in der
Regel dem Börsen- oder Marktpreis (SCHLEGELBERGER-GESSLER, N. 11 zu §
430 HGB). Diese Auffassung deckt sich mit der für das schweizerische Recht
massgebenden Definition, die den gemeinen Handelswert als objektiven
Durchschnittswert bezeichnet, den im gegebenen Zeitpunkt Waren der
gleichen Art, Qualität und Quantität bei freier Preisbildung besitzen,
unter Ausserachtlassung aller subjektiven Gesichtspunkte, namentlich des
entgangenen Gewinnes (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Band I,
4. A., S. 250). Der gemeine Handelswert bestimmt sich also nach objektiven
Kriterien, und zwar nach jenen, die am Ablieferungsort zu der Zeit, zu
der abzuliefern war, Geltung hatten (dazu auch SCHLEGELBERGER-GESSLER,
N. 12 zu § 430 HGB). Nach objektiven Gesichtspunkten richtet sich aber
auch der Verkaufswert des beschädigten Gutes, der vom gemeinen Handelswert
in Abzug zu bringen ist. Anhaltspunkt für diesen Verkaufswert bildet
der bei einem tatsächlichen Verkauf erzielte Preis, wenn er auch nicht
unbedingt massgebend ist, denn es kann der Nachweis geführt werden, dass
bei genügender Sorgfalt ein höherer Preis hätte erzielt werden können. Die
Verkaufskosten können vom Erlös abgezogen werden (SCHLEGELBERGER-GESSLER,
N. 20 zu § 430 HGB).

    Der nach Art. 105 Abs. 1 aSSG zu ersetzende Schaden entspricht somit
der Differenz zwischen dem gemeinen Handelswert (Börsen- oder Marktpreis)
und dem Erlös aus dem Verkauf der vermischten Schmieröle.

    Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt also im Seeschiffahrtsrecht
nicht die subjektive Berechnungsmethode, und damit nicht der Einstandswert,
zum Tragen. Die Vorinstanz hat folglich ihrer Schadensberechnung
bundesrechtskonform den Marktpreis der vermischten Öle mit Fr. 882'764.90
zugrunde gelegt und davon den Verkaufserlös von Fr. 741'837.75 abgezogen,
was nach Abzug von Fr. 20'000.-- in Anwendung von Art. 44 OR den
zugesprochenen Betrag von Fr. 120'927.15 ergibt.