Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 468



115 II 468

84. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. Dezember 1989
i.S. A. gegen Z. AG (Berufung) Regeste

    Fiduziarische Gründung einer Aktiengesellschaft. Übergang der vom
Beauftragten erworbenen Rechte auf den Auftraggeber; Art. 401 Abs. 1 OR.
Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen; Art. 706 OR.

    Während der Dauer des Treuhandverhältnisses ist der Strohmann-Aktionär
Träger der Gesellschaftsrechte. Selbst nach erfolgter Legalzession darf
der Dritte den Fiduziar noch solange für berechtigt halten, bis ihm der
Forderungsübergang angezeigt wird (E. 2b und c).

    Im Gegensatz zur blossen Anfechtbarkeit kann die Nichtigkeit auch
von einem Nichtaktionär geltend gemacht werden, der an ihrer Feststellung
ein rechtliches Interesse hat (E. 3b).

Sachverhalt

    A.- Am 11. November 1979 überwies A., Berlin, dem Treuhandbüro
B. Fr. 50'000.--. Dieser Betrag diente als Gründungskapital für die am
22. November 1979 in H. (AR) gegründete Y. AG. B. zeichnete 48 Aktien, sein
Sohn eine; C. übernahm als einzige Verwaltungsrätin eine Pflichtaktie. Es
wurden keine Aktientitel ausgestellt. Am 24. November 1979 bestätigte
B. die Ausführung des Gründungsauftrages; A. bezahlte die Gründungskosten
von Fr. 5'500.--.

    Anlässlich einer ausserordentlichen Generalversammlung vom
17. Juni 1982 wurde der Sitz der Gesellschaft nach M. verlegt. An
der Generalversammlung vom 31. Dezember 1986 ersetzte D. die einzige
Verwaltungsrätin C. Er wurde an der Generalversammlung im Januar 1988
durch Frau E. abgelöst; gleichzeitig wurde der Gesellschaftssitz nach
H. (SG) verlegt und der Name in Z. AG geändert.

    B.- Am 24. Februar 1988 klagte A. beim Handelsgericht des Kantons
St. Gallen gegen die Z. AG auf Feststellung der Nichtigkeit der am
6. Januar 1987 und 12. Januar 1988 in das Handelsregister eingetragenen
sowie der übrigen gefassten Generalversammlungsbeschlüsse. Er
berief sich auf seine Rechte als Aktionär und machte geltend, die
Generalversammlungen seien von unzuständigen Personen einberufen worden
und an der Beschlussfassung hätten nur Personen mitgewirkt, die zur
Vertretung nicht berechtigt gewesen seien.

    Das Handelsgericht des Kantons St. Gallen wies die Klage am
21. November 1988 ab.

    C.- Mit seiner Berufung beantragt der Kläger, das Urteil des
Handelsgerichts aufzuheben und festzustellen, dass die mit der Klage
angefochtenen Beschlüsse nichtig seien. Eventuell sei die Sache zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist
die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Das Handelsgericht fand, der Kläger sei nicht Aktionär der
Beklagten geworden und damit nicht aktivlegitimiert. Er habe sich nach
der Errichtung von 50 Inhaber-Aktienzertifikaten nie darum bemüht, in
den Besitz derselben zu gelangen. Aus dem Fragebogen betreffend Gesuch um
Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für Ausländer gehe sodann hervor,
dass der Kläger die Frage nach seiner Stellung in der Beklagten mit
"Direktor" und nicht etwa mit "Alleininhaber" oder "Mehrheits- oder
Minderheitsaktionär" beantwortet habe. Zudem habe der Kläger die
Beschlüsse der Generalversammlung vom 17. Juni 1982 trotz Teilnahme
nicht angefochten.

    b) Mit seiner Berufung rügt der Kläger eine Verletzung von Art. 401
OR. Für die Übertragung unverbriefter Aktienrechte werde von der
herrschenden Lehre nur die für die Zession vorgesehene Form, nämlich
Schriftlichkeit und Unterschrift des Veräusserers, verlangt. Einer
förmlichen selbständigen Zessionserklärung bedürfe es aber nicht, wenn
sich die Übertragung aus Auftragsrecht, also von Gesetzes wegen nach
Art. 401 OR ergebe. Mit der schriftlichen Erklärung des Gründeraktionärs
B. vom 24. November 1979 seien die Aktienrechte aber ex lege auf den
Kläger übergegangen.

Erwägung 2

    2.- a) Der Kläger hat B. den Auftrag erteilt, mit dem
ihm ausgehändigten Betrag von Fr. 50'000.-- eine schweizerische
Aktiengesellschaft zu gründen, wobei der Beauftragte selber 48 Aktien
fiduziarisch zeichnete und entsprechend den gesetzlichen Vorschriften die
einzige Verwaltungsrätin und eine weitere Drittperson zur Zeichnung der
beiden restlichen Aktien beizog. B. bestätigte dem Kläger am 24. November
1979 den Vollzug der Gründung.

    Als Strohmann, der die Aktien der zu gründenden Gesellschaft
fiduziarisch zeichnete, war B. nach ständiger Lehre und Rechtsprechung
wahres Gründungsmitglied und wurde deshalb Aktionär (BÜRGI, Vorbemerkungen
zu Art. 629-639 OR, N. 13; FORSTMOSER, Schweizerisches Aktienrecht,
Band I/1, Zürich 1981, S. 217 f. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung
und auf VON STEIGER, Fiduziarische Aktienzeichnung, in SAG 9, S. 95 f.).

    b) Gemäss Art. 401 OR gehen Forderungsrechte, die der Beauftragte für
Rechnung des Auftraggebers in eigenem Namen gegen Dritte erworben hat, auf
den Mandanten über, sobald dieser seinerseits allen Verbindlichkeiten aus
dem Auftragsverhältnis nachgekommen ist (Abs. 1). Wie in BGE 99 II 396 ff.
ausgeführt wird, ist Art. 401 OR auf alle Arten des Auftrages anwendbar,
wenn die darin genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Auch der Fiduziant
kann sich darauf berufen und gelangt in den Genuss der gesetzlichen
Subrogation, weshalb es sich erübrigt, zwischen dem fiduziarischen
Verpflichtungsgeschäft und dem Auftrag, Rechtsgeschäfte für den
Auftraggeber in indirekter Stellvertretung zu besorgen, zu unterscheiden
(vgl. dazu MERZ, Legalzession und Aussonderungsrecht gemäss Art. 401 OR,
in Ausgewählte Abhandlungen zum Privat- und Kartellrecht, Bern 1977, S. 423
und ZBJV 111/1975, S. 114; HOFSTETTER, Der einfache Auftrag, in SPR VII/2,
S. 30, N. 64; GAUCH/JÄGGI, Zürcher Kommentar, N. 179 f. zu Art. 18 OR).

    Es ist unbestritten, dass der Kläger seine Verpflichtungen gegenüber
dem Beauftragten im Sinne dieser Vorschrift erfüllt hat. Zu prüfen bleibt,
ob der vom Kläger behauptete Rechtsübergang eingetreten ist.

    c) Gemäss BGE 99 II 399 gelten die Bestimmungen über die
rechtsgeschäftliche Abtretung von Forderungen (Art. 164 ff. OR)
auch für die Legalzession gemäss Art. 401 OR. Hat der Fiduziant seine
Verpflichtungen gegenüber dem Fiduziar erfüllt, so gehen deshalb dessen
Forderungen gegen Dritte auf ihn über, und diese können mit befreiender
Wirkung nur noch an ihn leisten, wenn ihnen die Subrogation angezeigt
worden ist. Demgegenüber liegt die Rechtsmacht während der Dauer des
Treuhandverhältnisses ausschliesslich beim Fiduziar mit der Folge,
dass sich der Dritte nicht um die internen Rechtsbeziehungen zwischen
dem Fiduzianten und dem Fiduziar zu kümmern hat (BGE 100 II 211 f.). In
dieser Zeit ist daher der Strohmann-Aktionär ausschliesslicher Träger
der Gesellschaftsrechte, insbesondere der Mitwirkungsrechte.

    Bis der Fiduziant den Rechtsübergang verlangt, ist die Legalzession
jedenfalls solange ausgeschlossen, als das Treuhandverhältnis über einen
bestimmten Anspruch andauert, weil der Fiduziar nach dem Parteiwillen
Rechtsträger sein soll. Erst wenn das Treuhandverhältnis namentlich durch
Zeitablauf oder Kündigung des Auftrags endet (Art. 404 OR), erfolgt der
Rechtsübergang von Gesetzes wegen und damit ohne Zutun des Fiduziars. Dabei
darf selbst bei erfolgter Legalzession der Drittschuldner den Fiduziar noch
solange als Gläubiger betrachten, bis ihm der Forderungsübergang angezeigt
wird (Art. 167 OR; MERZ, Legalzession, aaO, S. 428 f.). Drittschuldner
ist aber auch die Aktiengesellschaft, der einer oder mehrere fiduziarische
Strohmann-Aktionäre angehören. Demnach entscheidet allein der Fiduziant,
ob und wann die Subrogation praktisch wirksam wird (BGE 112 III 96; MERZ,
Legalzession, aaO, S. 429).

    Den Fiduzianten im Verhältnis zu Dritten noch weiter zu privilegieren,
besteht kein Anlass. Der Fiduziant hat es nämlich in der Hand, den
Nachteilen der indirekten Stellvertretung vorzubeugen, insbesondere
dadurch, dass er anvertraute Gelder oder Sachen Dritten gegenüber als
Treugut ausgeben lässt. Zieht er es aus irgendwelchen Gründen vor, sich
über das Treuhandverhältnis auszuschweigen, hat er die Folgen selber
zu tragen.

    d) Vorliegend ist der Kläger deshalb nicht bereits mit der Erfüllung
seiner Verbindlichkeiten gegenüber dem Fiduziar Aktionär der Beklagten
geworden. Er wäre dies erst mit Beendigung des Treuhandverhältnisses
und entsprechender Anzeige an die Gesellschaft geworden. Es ist weder
festgestellt, noch wird behauptet, der Kläger habe den Treuhandvertrag vor
den angefochtenen Generalversammlungen gekündigt und der Gesellschaft
den Rechtsübergang angezeigt. Der Kläger war damit im Zeitpunkt
der angefochtenen Beschlüsse nicht Aktionär der Beklagten. Die
Mitwirkungsrechte standen dem Fiduziar zu.

    e) Fehlt es am gesetzlichen Forderungsübergang, braucht nicht geprüft
zu werden, ob die Legalzession nach Art. 401 OR alle Rechte aus der Aktie,
insbesondere auch die Mitgliedschaftsrechte oder bloss Vermögensrechte
umfasst hätte (dazu GAUTSCHI, N. 18 e zu Art. 401 OR). Letzteres würde
jedenfalls bei Namenaktien zutreffen, wo die Legitimation des Aktionärs
zur Ausübung der Mitwirkungsrechte erst nach dem Eintrag in das Aktienbuch
erfolgt (Art. 685 Abs. 4 OR; BGE 90 II 173), aber auch bei verbrieften
Inhaberaktien, wo der Besitz am Papier für den Nachweis der Legitimation
erforderlich ist (Art. 689 Abs. 4 OR; BGE 109 II 239, 112 II 360; BÜRGI,
Vorbemerkungen zu Art. 683-687 OR, N. 36; MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE,
Wertpapierrecht, S. 114, Rz. 204).

Erwägung 3

    3.- a) Das Handelsgericht liess offen, ob der Kläger ein über
seine behauptete Stellung als Aktionär hinausgehendes Interesse an der
Feststellung der Nichtigkeit der fraglichen Generalversammlungsbeschlüsse
habe, weil nicht auszuschliessen sei, dass die beiden Generalversammlungen
von zuständigen Personen einberufen worden seien und zur Vertretung
Berechtigte mitgewirkt hätten, nachdem der Kläger seine eigene
Aktionärseigenschaft nicht habe nachweisen können.

    Der Kläger macht geltend, es sei unerheblich, ob er Aktionär
sei, da jedermann, der an der Feststellung der Nichtigkeit von
Generalversammlungsbeschlüssen ein rechtliches Interesse habe,
aktivlegitimiert sei. Die Vorinstanz schliesse die Nichtigkeit
der gefassten Beschlüsse gestützt auf eine blosse Vermutung
aus. Zur Einberufung einer Universalversammlung wäre nur die einzige
Verwaltungsrätin C. befugt gewesen; da sie an der Universalversammlung
vom 31. Dezember 1986 nicht teilgenommen habe, hätten darin Nichtaktionäre
oder nicht zur Vertretung ermächtigte Personen mitgewirkt.

    b) Nichtig sind unter anderem alle von einer gar nicht in gültiger
Weise zustande gekommenen bzw. beschlussunfähigen Generalversammlung
gefassten Beschlüsse, sei es, dass nur ein Teil der Aktionäre eingeladen,
dass die Generalversammlung von einer unzuständigen Stelle einberufen
worden ist oder dass Nichtaktionäre an der Beschlussfassung entscheidend
mitgewirkt haben (BÜRGI, Kommentar zu Art. 706 OR, N. 11; SCHUCANY,
Kommentar zu Art. 706 OR, N. 1; PATRY, in Mélanges R. Secrétan,
S. 232). Im Gegensatz zur blossen Anfechtbarkeit kann die Nichtigkeit
durch jedermann geltend gemacht werden, der an der Feststellung der
Nichtigkeit ein rechtliches Interesse hat, also auch von Nichtaktionären
wie Genussscheininhabern und Gläubigern (BÜRGI, aaO, N. 14; ROHRER,
Aktienrechtliche Anfechtungsklage, Diss. Bern 1979, S. 43).

    Zur Feststellungsklage legitimiert sind Nichtaktionäre, wenn sie durch
Generalversammlungsbeschlüsse, die gegen allgemeine Normen der Rechts- oder
Sittenordnung verstossen, in ihren Rechten verletzt werden. Das würde etwa
für Beschlüsse gelten, die grundlegende Normen des Aktienrechts verletzen
(VON

GREYERZ, SPR VIII/2, S. 195). Wegen ihrer die Rechtssicherheit gefährdenden
Wirkung ist Nichtigkeit jedoch nicht leichthin, sondern nur bei schweren
Verstössen gegen die Grundsätze des geschriebenen und ungeschriebenen
Rechts anzunehmen (BÜRGI, aaO, N. 13 mit Hinweisen).

    c) Der Kläger kann nicht dartun, dass er durch die am 6. Januar
1987 und am 12. Januar 1988 in das Handelsregister eingetragenen
Generalversammlungsbeschlüsse krass in seinen Rechten beeinträchtigt
worden ist. So wie er als Fiduziant nur bei fraudulösem Zusammenwirken
von Treuhänder und Dritterwerber einen Anspruch gegen den letzteren
hätte (MERZ, Legalzession, aaO, S. 421), so könnte er als Fiduziant
und Nichtaktionär nur bei Vorliegen eines gegen allgemeine Normen der
Rechts- oder Sittenordnung verstossenden Tatbestandes ein rechtliches
Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit haben. Das lässt sich im
vorliegenden Fall auf Grund des im angefochtenen Urteil festgestellten
Sachverhalts nicht sagen. Als Treugeber hat der Kläger freiwillig und auf
eigenes Risiko Rechte abgegeben und deren Rückübertragung bis heute nicht
verlangt. Er hat es somit selbst zu vertreten, wenn er seinen Willen an
den Generalversammlungen nicht durchsetzen kann.