Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 456



115 II 456

81. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. November 1989
i.S. A. gegen B. (Berufung) Regeste

    Art. 371 Abs. 2 OR; Haftung des Architekten für Mängel eines Bauwerkes,
Beginn der Verjährungsfrist.

    1. Wird der Architekt vom Bauherrn für Mängel eines Gesamtwerkes
verantwortlich gemacht, das von mehreren Nebenunternehmern aufgrund
gesonderter Verträge mit dem Bauherrn erstellt worden ist, so beginnt die
Verjährungsfrist mit der Abnahme jedes Teilwerkes zu laufen. Begriff der
Abnahme (E. 2 und 4).

    2. Bedeutung von zeitlich begrenzten Einredeverzichten des Architekten
(E. 6b).

Sachverhalt

    A.- Aufgrund eines mündlichen Vertrages mit A. führte B. die
Architektenarbeiten für den Bau eines Einfamilienhauses aus. Im Mai 1976
bezog A. mit seiner Familie das mit Ausnahme von Küche und Fussboden im
Wohnzimmer fertiggestellte Haus.

    Am 21. Juni 1976 nahm der Architekt eine Liste der am Haus
festgestellten Mängel auf. Am 7. Juli 1977 rügte A. gegenüber
B. verschiedene Mängel, insbesondere Risse im Aussenputz sowie an der
Innenseite der Kellerwand, und weigerte sich, das Architektenhonorar zu
zahlen. Am 22. April 1981 erfolgten wiederum Mängelrügen. Dabei wurde auf
Mauerrisse und neu auch auf übermässigen Heizölverbrauch wegen ungenügender
Wärmeisolation hingewiesen.

    Mit schriftlicher Erklärung vom 30. April 1981 verzichtete B. für
zwei Jahre auf die Erhebung der Verjährungseinrede. Der Verzicht wurde
am 21. April 1983 für weitere zwei Jahre bis 30. April 1985 verlängert.

    B.- Mit Klageschrift vom 8. Juni 1984 beantragte A., den Architekten
B. zur Zahlung von minimal Fr. 16'000.-- und maximal Fr. 24'000.-- nebst
Zins zu verpflichten. Der Kläger verlangte damit den Ersatz der Kosten für
die Behebung der Mauerrisse sowie der Verbesserung der Wärmeisolation,
soweit diese Mängel nach seiner Auffassung vom Beklagten verursacht
worden waren.

    Das Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden hiess die Klage mit
Urteil vom 30. Juni 1988 im Betrag von Fr. 24'000.-- nebst Zins gut. Auf
Appellation des Beklagten wies dagegen das Obergericht von Appenzell
Ausserrhoden die Klage am 13. Dezember 1988 wegen Verjährung der geltend
gemachten Forderungen ab.

    Der Kläger hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingereicht,
die vom Bundesgericht abgewiesen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Kläger wirft dem Obergericht eine Verletzung von Art.
371 Abs. 2 OR vor. Er schliesst sich GAUTSCHI an, der im Gegensatz zu
GAUCH (Der Werkvertrag, 3. Aufl., Rz. 1669) die Auffassung vertritt,
aus praktischen Gründen müsse angenommen werden, die Verjährung beginne
erst mit der Ablieferung der gesamten Werkarbeit zu laufen, zu deren
Planung oder Ausführung der Architekt beigezogen worden sei, ungeachtet
des Umstandes, dass der Verjährungsbeginn für Teilarbeiten bestimmter
Bauunternehmer und Bauhandwerker auf einen früheren Zeitpunkt fallen könne
(N. 27 zu Art. 371 OR).

    Diese Betrachtungsweise widerspricht indessen dem Sinn und Zweck
von Art. 371 Abs. 2 OR, der mit der Gleichstellung von Architekt und
Unternehmer oder Nebenunternehmer verhindern will, dass für den Architekten
eine längere Verjährungsfrist gilt als für den Unternehmer, der mit seiner
Arbeit den Mangel mitverursacht hat. Dem Architekten soll im Fall, dass er
vom Bauherrn in Anspruch genommen wird, nicht wegen einer gegenüber dem
Unternehmer oder Nebenunternehmer bereits abgelaufenen Verjährungsfrist
verunmöglicht werden, seinerseits auf diesen Rückgriff zu nehmen (BGE 102
II 418 E. 3; GAUCH, aaO, Rz. 1663; TERCIER, La partie spéciale du Code
des obligations, Rz. 3041; vgl. auch GAUTSCHI, N. 23 zu Art. 371 OR mit
grundlegender Kritik an dieser Bestimmung).

    Die weiteren Einwände des Klägers überzeugen ebenfalls nicht. Er
vermag - ebensowenig wie GAUTSCHI - anzugeben, welche praktischen Gründe
im Fall von Nebenunternehmern gegen einen gesonderten Verjährungsbeginn
sprechen. So ist es entgegen seiner Behauptung keineswegs praktisch
ausgeschlossen, dass der Bauherr ein Teilwerk eines Nebenunternehmers
separat abnimmt. Ähnlich verhält es sich mit dem Einwand, es gehe nicht
an, zur Bestimmung des Verjährungsbeginns auf Vorgänge abzustellen,
welche dem Bauherrn im Baualltag in aller Regel verborgen blieben. Wann
ein Unternehmer die ihm mit gesondertem Vertrag übertragenen Arbeiten
abgeschlossen hat, ist im allgemeinen auch für den Bauherrn ohne weiteres
festzustellen. Soweit der Kläger damit aber den Rechtsbegriff der Abnahme
im Sinne von Art. 371 Abs. 1 OR anders auslegt als das angefochtene
Urteil, ist darauf weiter hinten (E. 4) einzugehen. Unerheblich ist
sodann das Argument, im vorliegenden Fall sei ein Regress des Beklagten
auf die Unternehmer ausgeschlossen, weil in beiden Gutachten allein
vom Architekten zu vertretende Fehler festgehalten würden, d.h. die auf
die Beteiligten entfallenden Quoten aufgeteilt und deshalb im Betrag,
welcher dem Kläger erstinstanzlich zugesprochen worden sei, bereits
berücksichtigt seien. Ob im Einzelfall tatsächlich ein Regressrecht
besteht, spielt nach zutreffender Lehrmeinung keine Rolle (GAUCH, aaO,
Rz. 1666; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 7 zu Art. 371 OR). Was schliesslich
den sowohl vom Kläger wie von der Vorinstanz angeführten Wortlaut dieser
Bestimmung betrifft, spricht er weder für den einen noch für den anderen
Standpunkt, denn es ist lediglich allgemein von der Abnahme des Werkes
die Rede. Das ist indessen nicht entscheidend, da bei nicht eindeutigem
Wortlaut der Sinn und Zweck der Vorschrift ausschlaggebend sein muss. Die
Auslegung der Vorinstanz verstösst somit nicht gegen Bundesrecht.

Erwägung 4

    4.- Die Abnahme eines Werkes setzt voraus, dass es vollendet ist, der
Unternehmer alle vereinbarten Arbeiten ausgeführt hat. Ob es mängelfrei
ist, spielt dagegen keine Rolle. Der Abnahme entspricht, vom Unternehmer
aus gesehen, die Ablieferung des Werkes. Abgeliefert wird es durch die
Übergabe oder durch die Mitteilung des Unternehmers, es sei vollendet. Eine
Abnahme kann auch stillschweigend dadurch erfolgen, dass das Werk gemäss
seinem Zweck gebraucht wird (BGE 113 II 267 E. 2b mit Hinweisen). Ein
besonderer Abnahmewille des Bestellers oder seines Vertreters ist
deshalb nicht erforderlich. Klar zu unterscheiden ist die Abnahme von der
Genehmigung, mit welcher der Besteller gegenüber dem Unternehmer seinen
Willen äussert, das abgelieferte Werk als vertragsgemäss erstellt gelten
zu lassen (GAUCH, aaO, Rz. 91-93 und 1486).

    Im Fall von Nebenunternehmern, mit denen der Bauherr gesonderte
Verträge über die Erbringung bestimmter Teile eines Gesamtwerkes
abgeschlossen hat, gelten diese Grundsätze auch für die Abnahme jedes
Teilwerkes. Vorbehalten bleiben abweichende vertragliche Vereinbarungen;
solche sind hier aber nicht nachgewiesen. Massgebend ist deshalb die
gesetzliche Regelung, was der Kläger verkennt, wenn er geltend macht,
die Abnahme habe frühestens im Zeitpunkt der Vollendung des gesamten
Bauwerkes erfolgen können. In Übereinstimmung mit der gesetzlichen
Regelung geht das Obergericht vielmehr zutreffend davon aus, die Abnahme
der Teilwerke von Nebenunternehmern trete im Normalfall ohne weiteres
dann ein, wenn andere Unternehmer die vorangehende Arbeit als Grundlage
benutzen und an der Erstellung des Gesamtwerkes weiterarbeiten. Eine
ausdrückliche Abnahmeerklärung des Bauherrn oder des ihn vertretenden
Architekten ist unter diesen Umständen ebensowenig unerlässlich wie
eine Mitteilung des Nebenunternehmers ihnen gegenüber, dass er die
vereinbarten Arbeiten ausgeführt habe. Der Einwand des Klägers, er
oder der Beklagte als sein Vertreter hätten seines Wissens nie eine
Teilleistung eines Nebenunternehmers ausdrücklich abgenommen, ist deshalb
unerheblich. Unbegründet ist sodann der in diesem Zusammenhang erhobene
Vorwurf, das Obergericht verkenne, dass es um das Verhältnis zwischen
dem Kläger als Bauherrn und dem Beklagten als Architekten und nicht um
jenes zwischen dem Kläger und den einzelnen Unternehmern gehe. Der Kläger
übersieht damit, dass Art. 371 Abs. 2 OR sowohl bezüglich der Dauer wie
auch des Beginns der Verjährungsfrist gerade nicht zwischen den beiden
Vertragsverhältnissen unterscheidet, sondern sie - zur Erreichung des
bereits erörterten Zwecks - insoweit gleichstellen will.

Erwägung 6

    6.- b) Der Kläger verweist zur Begründung seiner Auffassung auch
auf die Einredeverzichte des Beklagten vom 30. April 1981 und 21. April
1983. Der Beklagte habe damit zum Ausdruck gebracht, dass er selbst
die Verjährung im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärungen als noch nicht
eingetreten betrachtet habe.

    Dieser Einwand scheitert am eindeutigen Wortlaut beider
Verzichtserklärungen. In der ersten vom 30. April 1981 wird festgehalten,
der Verzicht gelte lediglich, soweit die Verjährung bis zu diesem Datum
noch nicht eingetreten sei; in materieller Hinsicht seien sämtliche
Ansprüche bestritten. In der zweiten vom 21. April 1983 wird präzisiert,
welche Ansprüche vom Verzicht betroffen sind, und ausgeführt, er gelte
lediglich, soweit die Verjährung der Ansprüche am 30. April 1981 nicht
bereits eingetreten sei.