Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 366



115 II 366

66. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Oktober 1989 i.S.
Gebrüder G. gegen J. und Kantonales Schiedsgericht Wallis (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Rechtsmittel gegen Urteile des Kantonalen Schiedsgerichts
Wallis. Zuständigkeit der Arbeitsgerichte.

    1. Urteile des Kantonalen Schiedsgerichts können nur mit
staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht weitergezogen
werden. Unzulässigkeit insbesondere der Berufung, weil das Schiedsgericht
zwar als einzige kantonale Instanz für im Verfahren gemäss Art. 343 Abs. 2
OR zu beurteilende Streitigkeiten zuständig, jedoch seiner Organisation und
Funktion nach unteres Gericht im Sinne von Art. 48 Abs. 2 OG ist (E. 2).

    2. Art. 343 Abs. 2 OR schreibt den Kantonen nicht vor, dass Widerklagen
mit einem die Streitwertgrenze dieser Bestimmung übersteigenden Streitwert
im arbeitsrechtlichen Verfahren zu beurteilen sind (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Das Kantonale Schiedsgericht Wallis stellte mit Entscheid vom
20. Mai 1988 fest, dass die von J. gegen seine früheren Arbeitgeber,
die Gebrüder G., erhobene Klage auf Lohnnachzahlung anerkannt worden
sei, weshalb die Beklagten dem Kläger Fr. 2'311.60 schuldeten. Auf die
Widerklage auf Zahlung von Fr. 12'883.-- Schadenersatz aus Nichterfüllung
des Arbeitsvertrags trat das Schiedsgericht wegen Unzuständigkeit
nicht ein.

    Gegen den am 11. April 1989 eröffneten Entscheid des Schiedsgerichts
führen die Beklagten staatsrechtliche Beschwerde und beantragen die
Aufhebung des angefochtenen Urteils. Das Schiedsgericht schliesst auf
Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Der Kläger
beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesgericht weist die
Beschwerde ab, soweit es auf sie eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Beim Kantonalen Schiedsgericht Wallis, das für die im Verfahren
gemäss Art. 343 Abs. 2 OR zu beurteilenden Arbeitsvertragsstreitigkeiten
zuständig ist, handelt es sich nicht um ein eigentliches Schiedsgericht,
sondern um ein staatliches Gericht. Seine Urteile sind Entscheide
im Sinn von Art. 84 Abs. 1 OG, die keinem kantonalen Rechtsmittel
unterliegen und deshalb als letztinstanzliche Entscheide (Art. 86
f. OG) mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden können
(unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 13. März 1986 i.S. R.
E. 1; Urteil des Kantonsgerichts Wallis vom 11. März 1970 i.S. Vuissoz
gegen Mottet E. 2b, in RVJ 1971 S. 56; FUX, Die Walliser ZPO, S. 204).

    Die Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 84 Abs. 2
OG) steht deren Zulässigkeit nicht entgegen, da vorliegend sowohl die
Berufung (Art. 43 ff. OG) wie die Nichtigkeitsbeschwerde (Art. 68 ff. OG)
ausgeschlossen sind. Die von den Beschwerdeführern als bundesrechtswidrig
gerügte Verneinung der Zuständigkeit für die Beurteilung der Widerklage
über Fr. 12'883.-- stellt keinen berufungsfähigen Zuständigkeitsentscheid
gemäss Art. 49 OG dar, da das Schiedsgericht weder oberes kantonales
Gericht noch sonstige Spruchbehörde im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG
ist. Wohl entscheidet es als einzige und damit letzte kantonale Instanz
und ist für den ganzen Kanton Wallis zuständig. Seine Organisation und
Funktion lassen es jedoch eindeutig als unteres Gericht im Sinne von
Art. 48 Abs. 2 OG erscheinen. Die Mitglieder des Schiedsgerichts werden
durch die Regierung und nicht durch das Parlament gewählt (Art. 31 Abs.
2 der französischen Fassung des kantonalen Arbeitsgesetzes vom 16. November
1966); das Schiedsgericht ist sodann geschaffen worden, um Streitigkeiten
nach Art. 343 Abs. 2 OR in einem einfachen und raschen Verfahren zu
beurteilen. Die Einstufung des Schiedsgerichts unter die in Art. 48 Abs. 2
OG genannten Gerichte entspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung,
die schon wiederholt kantonale Behörden, die als einzige Instanzen für das
ganze Kantonsgebiet zuständig sind, als untere Gerichtsbehörde im Sinne der
erwähnten Bestimmung betrachtet hat (BGE 96 I 632 E. 1a, 77 II 281 E. 2;
vgl. zum Ganzen auch WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en
réforme au Tribunal fédéral, S. 170), deren Entscheide nach Art. 48 Abs. 2
lit. a OG nur dann berufungsfähig sind, wenn die Behörde als letzte, aber
nicht einzige kantonale Instanz entschieden hat. Dem Kanton Wallis bleibt
es unbenommen, ein Rechtsmittel gegen Entscheide des Schiedsgerichts an
das Kantonsgericht einzuführen, was sachgerecht und wünschbar wäre.

    Obwohl die Beschwerdeführer geltend machen, das Schiedsgericht habe
Art. 343 Abs. 2 OR und damit eine eidgenössische Zuständigkeitsvorschrift
verletzt, kann ihre Beschwerde auch nicht in eine Nichtigkeitsbeschwerde
gemäss Art. 68 Abs. 1 lit. b OG umgedeutet werden, die nicht der
Einschränkung von Art. 48 Abs. 1 und 2 OG unterliegt. Denn Art. 343 Abs. 2
OR enthält keine eidgenössische Vorschrift über die sachliche oder örtliche
Zuständigkeit, sondern lediglich Bestimmungen über das Verfahren, ohne
den Kantonen vorzuschreiben, welche Behörden sie für die Behandlung von
Arbeitsvertragsstreitigkeiten zuständig erklären müssen. Ausser Betracht
fällt auch der Nichtigkeitsgrund der Anwendung kantonalen statt des
massgebenden eidgenössischen Rechts (Art. 68 Abs. 1 lit. a OG), da Art. 343
Abs. 2 OR nichts über die Behandlung von Widerklageforderungen sagt,
welche die Streitwertgrenze dieser Bestimmung übersteigen (E. 3 hienach).

Erwägung 3

    3.- Das Schiedsgericht verneint seine Zuständigkeit zur Beurteilung
der Widerklage über Fr. 12'883.-- gestützt auf Art. 29 des kantonalen
Arbeitsgesetzes vom 16. November 1966 i.V.m. Art. 343 OR. Gemäss der
erstgenannten Bestimmung ist die Zuständigkeit des Schiedsgerichts
beschränkt auf Zivilstreitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis, die nach
Bundesrecht dem "summarischen" Verfahren unterstehen. Nach der bis zum
31. Dezember 1988 gültig gewesenen und für den am 20. Mai 1988 gefällten
Entscheid massgeblichen Fassung von Art. 343 Abs. 2 OR (AS 1988 II S. 1476)
haben die Kantone für Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis bis zu
einem Streitwert von 5'000 Franken ein einfaches und rasches Verfahren
vorzusehen, wobei sich der Streitwert nach der eingeklagten Forderung
und ohne Rücksicht auf Widerklagebegehren bemisst.

    Die Beschwerdeführer machen sinngemäss geltend, das Schiedsgericht
habe in willkürlicher Missachtung von Art. 343 Abs. 2 OR verkannt,
dass Widerklagen unbekümmert um den Streitwert in die Zuständigkeit der
Arbeitsgerichte fielen, wenn dort eine Hauptklage bis zum Streitwert von
5'000 Franken anhängig gemacht worden sei. Diese Auffassung verkennt die
Tragweite des bundesrechtlichen Eingriffs in die kantonale Prozesshoheit
(Art. 64 Abs. 3 BV). Zwar können die Kantone eine höhere als die
bundesrechtliche Streitwertgrenze von 5'000 Franken - seit 1989 von
20'000 Franken - einführen oder von einer Grenze überhaupt absehen mit
der Folge, dass sämtliche Klagen und Widerklagen aus Arbeitsvertrag von
Arbeitsgerichten in einem einfachen und raschen Verfahren zu beurteilen
wären (Botschaft zur OR-Revision vom 9. Mai 1984, BBl 1984 II S. 615). Von
dieser Möglichkeit hat jedoch der Kanton Wallis nicht Gebrauch gemacht;
von Bundesrechts wegen ist er dazu auch nicht gehalten. Nach Art. 343
Abs. 2 OR sind die Kantone lediglich verpflichtet, Forderungen
aus Arbeitsvertrag bis zum Streitwert von 5'000 Franken bzw. 20'000
Franken auch dann im arbeitsrechtlichen Verfahren zu beurteilen, wenn
die Summe von Klage und Widerklage oder die Widerklage allein die
Streitwertgrenze übersteigt und nach den kantonalen Grundsätzen der
Streitwertbemessung auf die Summe von Haupt- und Widerklage bzw. auf den
höheren Betrag der Widerklage abzustellen wäre. Die Unbeachtlichkeit
der Widerklagebegehren gemäss Art. 343 Abs. 2 OR soll verhindern,
dass der Kläger durch eine möglicherweise haltlose Widerklage um das
rasche, einfache und grundsätzlich kostenlose Verfahren gebracht wird,
wie es die genannte Bestimmung vorschreibt. Dagegen schreibt Art. 343
Abs. 2 OR den Kantonen nicht vor, ob Widerklagebegehren, welche die
Streitwertgrenze dieser Bestimmung überschreiten, im arbeitsrechtlichen
oder im ordentlichen Verfahren zu beurteilen sind (Amtl.Bull. 1969
N S. 853 Voten Mugny und Muheim; Amtl.Bull. 1970 S S. 364 Votum
Borel; Urteil des Kassationsgerichts Zürich vom 24. März 1980 E. 2,
in JAR 1981 S. 209 ff., S. 210; Urteil des Zivilgerichts Glarus vom
18. Februar/23. März 1983 E. 3c, in JAR 1985 S. 118 ff., S. 119 f.;
Urteil des Obergerichts Zürich vom 30. August 1984, in JAR 1986 S. 242
ff., S. 243; BRÜHWILER, Handkommentar, N. 4 zu Art. 343 OR; STREIFF,
Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 4. A. 1986, N. 6 zu Art. 343 OR).

    Vorliegend hat das Schiedsgericht die Hauptklage über Fr. 2'311.60
beurteilt und damit den bundesrechtlichen Zuständigkeitsanforderungen
entsprochen, die eine Überweisung des ganzen Prozesses an den ordentlichen
Richter zufolge des Widerklagebegehrens über Fr. 12'883.-- verboten hätten.

Erwägung 4

    4.- Die Frage, ob zur Verrechnung gestellte Gegenforderungen im
arbeitsrechtlichen Verfahren zu beurteilen gewesen wären, wird mangels
substanzierter Rüge (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG) nicht geprüft.