Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 181



115 II 181

31. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. Mai 1989
i.S. Stiftung gegen H. (Berufung) Regeste

    Art. 15 Abs. 1 und Art. 27 Abs. 2 lit. c LPG.

    Selbstbewirtschafter im Sinne dieser Bestimmungen ist ein Bauer,
d.h. eine natürliche Person, die sich mit ihren Angehörigen in wesentlichem
Umfang selbst auf dem Grundstück betätigt; bei juristischen Personen
müssen deren Mitglieder oder Gesellschafter diese Voraussetzung erfüllen.

Sachverhalt

    A.- Mit Vertrag vom 21. Mai 1980 pachtete H. von J. 374 Aren
Wiesland. Am 8. September 1987 kündigte J. das Pachtverhältnis auf Ende
April 1989. Das Pachtland - nebst weiteren rund 7,5 Hektaren Wiesen und
Wald - verkaufte er am 28. Dezember 1987 an eine Stiftung. Mit Schreiben
vom 1. März 1988 erklärte die neue Eigentümerin ihrerseits die Kündigung
des Pachtverhältnisses per 31. März 1989.

    B.- In seiner Klage vom 16. Dezember 1987 beantragte der Pächter
dem Mietgericht, das Pachtverhältnis um sechs Jahre zu erstrecken. Die
Stiftung teilte dem Gericht am 3. Februar 1988 mit, sie sei Rechts- und
Prozessnachfolgerin des J. Sie schloss auf Abweisung der Klage. Das
Mietgericht hiess die Klage teilweise gut und erstreckte das
Pachtverhältnis um fünf Jahre.

    Das Obergericht hiess den dagegen eingelegten Rekurs der Stiftung
teilweise gut. Es hob den Entscheid des Mietgerichtes auf und erstreckte
das Pachtverhältnis um vier Jahre bis zum 30. April 1993.

    C.- Die Stiftung hat den Beschluss des Obergerichts mit Berufung
angefochten. Sie beantragt dem Bundesgericht, die Erstreckungsklage
abzuweisen, eventualiter die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen,
subeventualiter das Pachtverhältnis lediglich um die gesetzliche
Minimaldauer zu erstrecken.

    H. schliesst in seiner Antwort auf Abweisung der Berufung, und mit
Anschlussberufung beantragt er, Ziffer 1 des angefochtenen Beschlusses
aufzuheben und das Pachtverhältnis um fünf Jahre bis zum 30. April 1994
zu erstrecken.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Als Ausnahme vom Grundsatz "Kauf bricht Pacht nicht" statuiert
Art. 15 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die landwirtschaftliche Pacht (LPG;
SR 221.213.2), dass der Erwerber einen Pachtvertrag auflösen kann, "wenn
er den Pachtgegenstand ... zur Selbstbewirtschaftung übernimmt (pour être
exploitée par le nouveau propriétaire; per gestirla direttamente)". Für
den Fall der ordentlichen Kündigung durch den Verpächter bestimmt
Art. 27 Abs. 2 LPG, dass bei einer Erstreckungsklage des Pächters der
Verpächter zu beweisen habe, dass die Fortsetzung der Pacht für ihn
nicht zumutbar oder aus anderen Gründen nicht gerechtfertigt ist. Das
ist nach lit. c dieses Absatzes der Fall, "wenn der Verpächter, sein
Ehegatte, ein naher Verwandter oder Verschwägerter den Pachtgegenstand
selbst bewirtschaften will (le bailleur lui-même, son conjoint, un proche
parent ou allié entend exploiter personnellement la chose affermée; il
locatore, il suo coniuge, un parente od affine stretto intende gestire
personalmente la cosa affittata)". Es besteht kein Zweifel, dass der
Begriff der "Selbstbewirtschaftung" in den beiden zitierten Normen
identisch sein muss, geht es doch in beiden Fällen um die gesetzliche
Regelung des Konflikts zwischen dem Wunsch des Eigentümers, das Grundstück
möglichst bald selbst bewirtschaften zu können, und dem Schutzbedürfnis
des bisherigen Pächters. Durch Auslegung ist zu ermitteln, ob die beklagte
Stiftung als Selbstbewirtschafterin im Sinne der erwähnten Bestimmungen
anzuerkennen ist. Rechtsfragen wie diese pflegt das Bundesgericht von sich
aus zu entscheiden. Auf den Antrag der Beklagten, Experten beizuziehen,
ist deshalb nicht weiter einzugehen.

    a) Als Pächter und Verpächter können sowohl natürliche als auch
juristische Personen auftreten; daran hat das LPG nichts geändert
(vgl. Art. 33 Abs. 3 LPG; STUDER/HOFER, Das landwirtschaftliche
Pachtrecht, S. 52 und 55). Auch soweit das Gesetz die Erstreckung des
Pachtverhältnisses regelt (Art. 15 und 27 LPG), beschränkt es den Grundsatz
nicht ausdrücklich. Zwar nennt Art. 27 Abs. 2 lit. c LPG als mögliche
Selbstbewirtschafter den Verpächter und dessen Verwandte. Indessen lässt
sich weder aus dem Umstand, dass juristische Personen keine Verwandte
haben können, noch aus ihrer ausdrücklichen Erwähnung in Art. 33 Abs.
3 LPG bereits zwingend schliessen, sie seien durch den Wortlaut des
Gesetzes ausgeschlossen. Auch die einhellige Lehre und Rechtsprechung
zum gleich lautenden Art. 267c lit. c OR gesteht das Recht, Eigenbedarf
geltend zu machen, juristischen Personen ebenfalls zu (vgl. dazu SCHMID,
N. 18 zu Art. 267c OR). Ob das gleiche im landwirtschaftlichen Pachtrecht
gilt, ist daher durch Auslegung zu ermitteln.

    Um den genauen Sinn einer Norm zu ergründen, ist unter anderem ihre
Stellung in der Rechtsordnung von Bedeutung. Die Bundesversammlung hat
das LPG gestützt auf Art. 31bis Abs. 3 lit. b BV erlassen. Die Verfassung
ermächtigt dort den Bund - nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und
Gewerbefreiheit -, Vorschriften zu erlassen, die einen gesunden Bauernstand
und eine leistungsfähige Landwirtschaft erhalten sowie den bäuerlichen
Grundbesitz festigen. Demnach soll in der Regel ein Bauer Träger des
landwirtschaftlichen Betriebes sein, d.h. eine natürliche und nicht eine
juristische Person als Eigentümer oder Pächter auftreten (ADOLF PFENNINGER,
Der Begriff der Landwirtschaft im schweizerischen Recht, in: BlAR 21
(1987) S. 97 ff. S. 121, BBl 1982 S. 264 Nr. 113). Wie schon die beiden
kantonalen Instanzen zutreffend ausgeführt haben, bedeuten "bewirtschaften"
bzw. "selbst bewirtschaften" nach allgemeinem Sprachgebrauch eine
landwirtschaftliche Tätigkeit, durch die ein Haupt- oder Nebeneinkommen
als Grundlage der wirtschaftlichen Existenz des Landwirtes und seiner
Familie erzielt werden soll (PFENNINGER, aaO S. 107 und S. 121). Dass
die Landwirtschaftspolitik und insbesondere auch das Pachtrecht auf die
natürlichen Personen, den Familienbetrieb, ausgerichtet ist, bestätigte
anlässlich der Eintretensdebatte auch der Kommissionssprecher Nussbaumer im
Nationalrat. Er betonte, die enge Bindung zwischen Bauernfamilie und Boden
habe mannigfaltige Vorteile für unser Land (Sten.Bull. 1985 NR 305). Die
Bauernfamilie wird denn auch im LPG verschiedentlich, beispielsweise bei
der Zupacht, als massgebendes Kriterium erwähnt (Art. 31 Abs. 2 lit. a
und b, vgl. auch Art. 15 Abs. 3, Art. 27 Abs. 3 lit. c, Art. 33). Den
verfassungsrechtlichen Zweckgedanken ausdrücklich übernommen hat das
Bundesgesetz über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes (Art. 1 EGG).
Auch in der Botschaft zu einem Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht
(BGBB) werden dessen Ziele in diesem Sinne formuliert. Eines davon ist
die Sicherung der landwirtschaftlichen Existenz im Rahmen der bäuerlichen
Familie, einschliesslich des Schutzes des Pächters (BBl 1988 S. 968). Das
von der Beklagten festgestellte Schweigen von Lehre und Rechtsprechung
zum Problem der Selbstbewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Gewerbes
durch eine juristische Person dürfte daher nicht, wie sie behauptet,
rein zufällig sein.

    Der Selbstbewirtschafter hat im Landwirtschaftsrecht eine zentrale
Bedeutung. Angefangen beim bäuerlichen Erbrecht, wo der Erbe, der das
landwirtschaftliche Gewerbe selbst bewirtschaften will und hierfür als
geeignet erscheint, in erster Linie Anspruch auf ungeteilte Zuweisung
hat (Art. 621 Abs. 2 ZGB). Das Bundesgericht hat in diesem Zusammenhang
erwogen, Selbstbewirtschaftung liege nicht schon dann vor, wenn der
Bewerber das Gewerbe selber leiten wolle und könne; darüber hinaus
sei vielmehr erforderlich, dass er sich darin in wesentlichem Umfang
persönlich betätige (BGE 107 II 33 mit Hinweis). Ist in einem anderen
Bereich der Begriff des Selbstbewirtschafters zu definieren, wird immer
wieder auf die Praxis zu dieser Bestimmung zurückgegriffen (STUDER/ HOFER,
aaO S. 70 und 177 je mit Hinweisen). Auch der Bundesrat geht in seiner
Botschaft zum BGBB beim Begriff der Selbstbewirtschaftung von der erwähnten
Rechtsprechung des Bundesgerichts aus (BBl 1988 S. 987). Rechtsbegriffe
sind wegen der Rechtssicherheit für die ganze Rechtsordnung - zumindest
aber in einem Teilbereich - nach Möglichkeit gleich auszulegen. Dabei ist
Ungleiches nach Massgabe der Ungleichheit unterschiedlich zu behandeln.
Vorliegend sprechen keine sachlichen Gründe gegen eine einheitliche
Definition der Selbstbewirtschaftung im Landwirtschaftsrecht. Die von der
Beklagten geforderte Unterscheidung zwischen dem Erwerb und der Ausübung
von Eigentum und Rechten, drängt sich jedenfalls nicht auf. Bei den
fraglichen Bestimmungen geht es nicht um die Ausübung des Eigentums in all
seinen Formen, sondern wiederum um die Förderung des Selbstbewirtschafters.

    Verwandt mit dem Begriff der Selbstbewirtschaftung ist der Eigenbedarf
nach Art. 267c lit. c OR. Gemäss Lehre und Praxis zu dieser Bestimmung
können juristische Personen des Privatrechts Eigenbedarf nur für sich
selbst und nicht für die Bedürfnisse ihrer Mitglieder - selbst wenn es
sich um den Alleinaktionär handeln sollte - geltend machen (CHARLES ALBERT
EGGER, Les justes motifs de la prolongation judiciaire du bail, S. 135
mit Hinweisen in FN 32). In diesem Sinne hat auch das Obergericht des
Kantons Zürich am 20. März 1979 entschieden. Es verneint Eigengebrauch bei
einer Genossenschaft, die beabsichtigt, anstelle der zurzeit bestehenden
Räumlichkeiten neue Wohnungen zu bauen, die sie entsprechend ihrem
statutarischen Zweck Mitgliedern zur Verfügung stellen will. Es liess
bei der juristischen Person Eigenbedarf nur an Geschäftsräumen geltend
(ZR 78 (1979), S. 295 Nr. 129).

    b) Ausgehend von der üblichen Bedeutung des Wortes, unter
Berücksichtigung des Art. 31bis Abs. 3 lit. b BV sowie dem geltenden
Landwirtschaftsrecht und dem in Entstehung begriffenen BGBB, ergibt sich,
dass als Selbstbewirtschafter nur Bauern, d.h. natürliche Personen zu
verstehen sind, die sich mit ihren Angehörigen in wesentlichem Umfang
selbst auf dem Grundstück betätigen. Nicht grundsätzlich ausgeschlossen
sind juristische Personen, deren Mitglieder oder Gesellschafter diese
Voraussetzung erfüllten.

    c) Im Lichte dieser Auslegung ist offensichtlich, dass die beklagte
Stiftung nicht Selbstbewirtschafterin im Sinne der Art. 15 und 27 LPG
sein kann, da sie den Pachtgegenstand durch einen angestellten Bauern
bewirtschaften lassen will. Die ausschlaggebende Bedingung, auf dem
Grundstück in einem wesentlichen Umfang selbst tätig zu sein, erfüllt sie
nicht. Dass das Wiesland dazu beitragen würde, den Stiftungszweck besser
zu erreichen, kann nicht als Selbstbewirtschaftung anerkannt werden. Es
erübrigt sich deshalb auch, zu erörtern, ob der Stiftungszweck der
Zielsetzung des Landwirtschaftsrechts wirklich entspricht. Anders
entscheiden hiesse, der Stiftung vorliegend zu ermöglichen, durch
Berufung auf "Selbstbewirtschaftung" den angestammten Pächter durch einen
angestellten Bauern zu ersetzen.

    Kann sich die Beklagte nicht auf Art. 15 LPG berufen, so ist auf ihre
Vorbringen zur "kleinen Erstreckung" nach Art. 15 Abs. 3 LPG und auf die
Bemerkungen zur Passivlegitimation mangels Eintritts in den Vertrag nicht
näher einzugehen.