Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 120



115 II 120

22. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. März 1989 i.S. S. gegen S.
(Berufung) Regeste

    Gerichtsstand der Scheidungsklage (Art. 144 ZGB).

    Nach dem neuen Eherecht ist die Ehefrau in gleicher Weise wie
der Ehemann berechtigt, einen selbständigen Wohnsitz zu begründen. Wo
sich der Wohnsitz eines Ehegatten befindet, beurteilt sich somit heute
ausschliesslich nach Art. 23 ff. ZGB und nicht nach dem Ort der ehelichen
Wohnung. Allerdings muss der Wille eines Ehegatten, den gemeinsamen
ehelichen Wohnsitz aufzugeben und einen eigenen neuen Wohnsitz zu
begründen, deutlich erkennbar geworden sein. In Zweifelsfällen ist daher
der bisherige eheliche Wohnsitz nach wie vor als Wohnsitz des klagenden
Ehegatten zu betrachten.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- In der Berufung wird geltend gemacht, dass die Bejahung der
Wohnsitzbegründung der Klägerin in W. durch die Vorinstanz mit den
Grundsätzen nicht vereinbar sei, die das Bundesgericht in BGE 97 II
1 ff. im Hinblick auf den Scheidungsgerichtsstand des Art. 144 ZGB
aufgestellt habe und die auch noch seit dem Inkrafttreten des neuen
Eherechts Gültigkeit hätten.

    a) Die Vorinstanz hat mit Recht darauf hingewiesen, dass BGE 97 II 1
ff. unter dem alten Eherecht ergangen ist, während dessen Gültigkeitsdauer
die Ehefrau nicht über einen selbständigen, sondern bloss über einen vom
Ehemann abgeleiteten Wohnsitz verfügte (Art. 25 aZGB). Dieser Umstand
bildete denn auch einen der Gründe, weshalb das Bundesgericht es nicht
leichthin anerkennen wollte, dass ein Ehemann den Wohnsitz am Orte, wo
er mit seiner Familie gelebt hatte, aufgegeben und anderswo einen neuen
Wohnsitz begründet habe (so BGE 97 II 4 f.). Nachdem die Ehefrau seit
dem Inkrafttreten des neuen Eherechts in gleicher Weise wie der Mann
zur Begründung eines selbständigen Wohnsitzes berechtigt ist, besteht
unter diesem Gesichtspunkt kein Grund mehr, bei der Beurteilung der
Wohnsitzfrage im Interesse der Frau besondere Zurückhaltung zu üben. Wo
sich der Wohnsitz eines Ehegatten befindet, beurteilt sich heute vielmehr
ausschliesslich nach Art. 23 ff. ZGB und nicht nach dem Ort der ehelichen
Wohnung, wenn auch einzuräumen ist, dass sich der Lebensmittelpunkt
beider Ehegatten im Normalfall nach wie vor dort lokalisieren lässt
(HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, N. 6 zu Art. 25/162
ZGB). Das andere in BGE 97 II 4 f. angeführte Argument zugunsten der
Fixierung des Scheidungsgerichtsstandes des Art. 144 ZGB am Ort des
gemeinsamen ehelichen Wohnsitzes ist mit der Eherechtsrevision allerdings
nicht weggefallen: Der letzte gemeinsame eheliche Wohnsitz würde aus
Gründen der Zweckmässigkeit eigentlich den natürlichen Gerichtsstand
für die Scheidungsklage bilden. Diesem Gesichtspunkt kann indessen nur
in dem Sinne weiterhin massgebende Bedeutung zukommen, als der Wille
eines Ehegatten, den gemeinsamen ehelichen Wohnsitz zu verlassen und
einen eigenen, neuen Wohnsitz zu begründen, sich deutlich manifestiert
haben muss. In Zweifelsfällen wird daher in der Regel nach wie vor als
Wohnsitz des klagenden Ehegatten im Sinne von Art. 144 ZGB der bisherige
gemeinsame eheliche Wohnsitz zu betrachten sein.

    b) Nicht beigepflichtet werden kann der in der Berufung vertretenen
Auffassung, es müssten ganz ausserordentliche Umstände vorliegen, wenn
bei einem gemeinsamen ehelichen Wohnsitz, der wie hier insgesamt 33
Jahre gedauert und sich während der letzten Jahre stets in U. befunden
habe, angenommen werden könne, dass ein Ehegatte nach einer faktischen
Trennung von nur 35 Tagen einen eigenen Wohnsitz begründet habe. Die
Vermutung, dass sich der Wohnsitz eines Ehegatten am Ort der gemeinsamen
ehelichen Wohnung befinde, beruht in erheblichem Masse auf der grossen
Bedeutung, die der ehelichen Lebensgemeinschaft bei der Wohnsitzbestimmung
zukommt. Ist jedoch davon auszugehen, ein Ehegatte habe den festen Willen,
diese Lebensgemeinschaft aufzugeben und die eheliche Wohnung endgültig zu
verlassen, kann es bei der Prüfung der Frage, wo sich der Lebensmittelpunkt
dieses Ehegatten befinde, nicht mehr darauf ankommen, dass die Ehegatten
lange Zeit gemeinsam am gleichen Ort gewohnt haben. Ein solcher Fall
liegt aufgrund der für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen
der Vorinstanz hier vor. Bereits während der etwa ein halbes Jahr lang
dauernden ehelichen Streitigkeiten hat die Klägerin bei jedem Streit die
Möglichkeit eines endgültigen Bruches erwogen und diesen dann am 13. Juni
1988 vollzogen. In dieser Situation hat sie sich zu ihrer alleinstehenden
Schwester in W. begeben, die bereit war, sie nötigenfalls für dauernd
aufzunehmen, wobei noch andere menschliche Beziehungen sie mit dem neuen
Aufenthaltsort verbanden. Unter diesen Umständen kann der Vorinstanz
keine Bundesrechtsverletzung vorgeworfen werden, wenn sie dem bisherigen
ehelichen Wohnort bei der Beurteilung des Wohnsitzes der Klägerin keine
Bedeutung mehr beimass.

    c) Richtig ist, dass bei der für die Bestimmung des Wohnsitzes
entscheidenden Frage, wo sich der Mittel- oder Schwerpunkt der
Lebensbeziehungen einer Person befinde, nicht einfach auf deren inneren
Willen abzustellen ist, sondern auf die objektiv erkennbaren äusseren
Umstände, aus denen auf die Absicht dauernden Verbleibens geschlossen
werden kann (BGE 97 II 3/4 mit Hinweisen; PEDRAZZINI/OBERHOLZER, Grundriss
des Personenrechts, 2. Aufl., S. 103). Entgegen der in der Berufung
vertretenen Meinung kann jedoch nicht gesagt werden, die Vorinstanz
habe dies verkannt. Sie durfte aus dem ersten Aufenthalt der Klägerin
bei ihrer Schwester in W. im Herbst 1987 auf eine gewisse Brüchigkeit
des Ehebandes schliessen und ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung vom
13. Juni 1988 einen endgültigen Charakter beimessen. Für die Bestimmung
des Lebensmittelpunktes der Klägerin nach dem Verlassen der ehelichen
Wohnung in U. durfte die Vorinstanz neben der Aufenthaltnahme in W. den
verschiedenen Beziehungen der Klägerin zu diesem Ort und insbesondere zu
ihrer dort als alleinstehende Witwe lebenden Lieblingsschwester erhebliches
Gewicht beimessen. Noch vor der Einreichung der Scheidungsklage beim
Bezirksgericht hat die Klägerin sodann erste Schritte unternommen, sich
bei der Gemeindeverwaltung in W. anzumelden; dass die definitive Anmeldung
erst später erfolgen konnte, beruhte auf von ihrem Willen unabhängigen
Gründen. Wenn einer solchen Anmeldung bei der Wohnsitzbestimmung auch
kein sehr grosses Gewicht zukommt, so handelt es sich doch um ein objektiv
feststellbares Indiz für die Absicht der Klägerin, in W. zu bleiben. Hiefür
spricht auch, dass sie in der Folge eine eigene Wohnung in W. suchte,
wobei dieser Umstand allerdings, wie in der Berufung zutreffend eingewendet
wird, erst nach dem massgebenden Stichtag eintrat. Dass die Klägerin ihre
Kleider erst anfangs September 1988 aus der früheren ehelichen Wohnung
in U. holte, wurde von der Vorinstanz in durchaus vertretbarer Weise
nicht stark gewichtet, nachdem der Trennung der Parteien Streitigkeiten
vorausgegangen waren. Jedenfalls kann bei der Würdigung aller Umstände
nicht gesagt werden, die Vorinstanz habe das ihr bei der Abwägung
der einzelnen Faktoren zustehende Ermessen in einer gegen Bundesrecht
verstossenden Weise verletzt.