Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 III 138



115 III 138

30. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Dezember 1989 i.S.
T. gegen G. (Berufung) Regeste

    Art. 285 Abs. 2 Ziff. 1 SchKG.

    Liegt nur ein provisorischer Verlustschein vor, so braucht mit der
Gutheissung einer Anfechtungsklage nicht zugewartet zu werden, bis ein
endgültiger Verlustschein vorliegt, sofern in der betreffenden Betreibung
später noch ein solcher ausgestellt werden kann. Die Gutheissung der Klage
hat in dem Sinn zu erfolgen, dass das Anfechtungsobjekt nur verwertet
werden darf, wenn in der hängigen Betreibung inzwischen ein endgültiger
Verlustschein ausgestellt worden ist.

Sachverhalt

    A.- a) Mit öffentlich beurkundetem Ehevertrag vom 26. Mai 1982 wählten
Hans und Anita G. anstelle des bisherigen ordentlichen Güterstandes
der Güterverbindung jenen der allgemeinen Gütertrennung. Unter anderem
vereinbarten sie, dass Forderungen gegenüber der Z. AG und weiteren
juristischen Personen im Gesamtbetrag von Fr. 545'000.-- auf die Ehefrau
übergehen sollten, zur Abgeltung ihrer Forderungen für eingebrachtes Gut
und ihren Vorschlagsanteil.

    b) In einer Auseinandersetzung mit der Z. AG wurde Hans G. durch
Rechtsanwalt T. vertreten. Am 5. Dezember 1984 zedierte der Klient
einen allfälligen Prozessgewinn an seinen Rechtsvertreter, einstweilen
mindestens bis zu einer Höhe von Fr. 100' 000.--. Am 6. Dezember
1984 schliesslich unterzeichnete Hans G. auch eine Abtretungserklärung
zu Gunsten von Anita G. Zediert wurden, soweit nicht bereits Gegenstand
einer anderen Forderungsabtretung, die erwarteten Guthaben aus nicht
näher umschriebenen Verfahren vor Bezirksgericht Plessur und Kreisamt Chur.

    In einer schriftlichen Vereinbarung vom 6. Februar 1986 anerkannte
Hans G. gegenüber T. ein Restguthaben von Fr. 200'000.-- aus anwaltlichen
Bemühungen, die für ihn und seine Frau erbracht worden seien. Mit
Zahlungsbefehl Nr. 876636 des Betreibungsamtes Chur vom 9. November 1987
wurde Hans G. hiefür betrieben. Anlässlich der Pfändung vom 22. Januar
1988 stellte sich heraus, dass er nicht über genügend pfändbares Vermögen
verfügte. In der Folge wurde dem Gläubiger am 22. Februar 1988 die als
provisorischer Verlustschein wirkende Pfändungsurkunde ausgehändigt.

    c) Am 16. September 1985 schlossen Hans und Anita G. mit der Z. AG
und weiteren Beteiligten eine Vereinbarung ab, mit der sie die zwischen
ihnen bestehenden Streitfragen bereinigten. Die Parteien erklärten, dass
sie mit dem Vollzug der einzelnen Abmachungen per Saldo aller Ansprüche
auseinandergesetzt seien und dass sie in der Folge sämtliche Zivil- und
Strafklagen zurückziehen würden. Unter anderem verpflichtete sich die
Z. AG, dem Betreibungsamt Chur für Hans G. eine Zahlung von Fr. 150'000.--
zu leisten, um seine zur Zeit bekannten Betreibungsgläubiger zu
befriedigen. Ausserdem übertrug die Z. AG Hans G. zu einem Anrechnungswert
von Fr. 2'350'000.-- gegen Übernahme der bestehenden Hypotheken in der
Höhe von Fr. 1'900'000.-- die Liegenschaft X-Strasse in C. In einem
Nachtrag vom 17. Oktober 1985 kamen die gleichen Parteien überein, dass
die genannte Liegenschaft statt auf Hans G. auf Anita G. übergehen solle
und dass der Anrechnungspreis von Fr. 2'350'000.-- auf Fr. 2'100'000.--
reduziert werde. Ziffer 3 dieses Vertrages lautet sodann:

    "3. Aufgrund von Besprechungen, die Hans G. mit dem Betreibungsamt

    Chur geführt hat, ist sich Hans G. darüber im klaren, dass es seine

    Angelegenheit ist, nach dem Abschluss der Vereinbarung sich mit seinen

    Gläubigern auseinanderzusetzen."

    B.- Mit Klage vom 11. Mai 1988 gegen Anita G. focht T. dieses
Geschäft gestützt auf Art. 288 SchKG beim Bezirksgericht Plessur an. Am
30. August 1988 wies das Bezirksgericht die Klage ab. Dieses Urteil
wurde am 7. Februar 1989 auf Berufung von T. hin vom Kantonsgericht von
Graubünden bestätigt.

    C.- Gegen dieses Urteil hat T. Berufung erhoben. Wie bereits den
kantonalen Instanzen beantragt er dem Bundesgericht im wesentlichen,
das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden sei aufzuheben. Die
Rechtshandlung, mit welcher Hans G. seiner Ehefrau ihm aus dem Vertrag
vom 16. September 1985 zukommende Rechte übertragen habe, insbesondere die
Übernahme der Liegenschaft X-Strasse in C., sei im Sinne von Art. 288 SchKG
für ungültig zu erklären. Dies zumindest insoweit, als der Kläger in der
Betreibung Nr. 876636 des Betreibungsamtes Chur gegen Hans G. zu Verlust
gekommen sei. Eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung, soweit darauf
eingetreten werden könne. Auch das Kantonsgericht von Graubünden beantragt
die Abweisung der Berufung und verzichtet auf Gegenbemerkungen unter
Hinweis auf das angefochtene Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Kantonsgericht hat die Klage in erster Linie deshalb
abgewiesen, weil kein endgültiger Verlustschein vorliege. Der Kläger
erblickt darin eine Verletzung von Bundesrecht, weil das Gesetz einen
provisorischen Verlustschein genügen lasse und ihm das Vorlegen eines
endgültigen Verlustscheins nicht möglich sei, da ein Widerspruchsverfahren
zwischen ihm und der Beklagten über in der entsprechenden Betreibung
gepfändete Gegenstände hängig sei.

    a) Nach der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist das
Vorliegen eines Verlustscheins eine Voraussetzung der Aktivlegitimation
(BGE 103 III 103 ff.; im Gegensatz zu BGE 37 II 503 f., wo noch von
Prozessvoraussetzung die Rede war). Bei einem provisorischen Verlustschein
steht die Aktivlegitimation unter einer Resolutivbedingung. Wird bis zum
Urteil kein endgültiger Verlustschein beigebracht, fällt sie dahin. Die
Begründung liegt darin, dass der provisorische Verlustschein den Verlust
des Gläubigers nicht zweifelsfrei auszuweisen vermag (BGE 103 III 103;
AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, Bern 1988,
S. 424). Der Verlust kann erst als bewiesen gelten, wenn er amtlich
festgestellt ist, ohne dass noch irgendein Einwand möglich wäre. Erst mit
dem Ausstellen des endgültigen Verlustscheins wird die Grösse des Verlusts
genau bestimmt. Die bisherige Rechtsprechung ging deshalb davon aus,
dass der Gläubiger, welcher aufgrund eines provisorischen Verlustscheins
klagte, einen endgültigen erwirken müsse, bevor das Urteil gefällt werde
(BGE 103 III 103). Einer aufgrund eines provisorischen Verlustscheins
eingeleiteten Klage kann namentlich dann kein Erfolg beschieden sein,
wenn die Betreibung gar nicht mehr zu einem endgültigen Verlustschein
führen kann (vgl. BGE 96 III 116; 103 III 104 f.).

    Demgegenüber vertritt GILLIERON die Auffassung, der Verlustschein habe
bei der Anfechtungsklage eine doppelte Bedeutung: Zum einen sei er eine
objektive Prozessvoraussetzung. Wenn kein provisorischer oder endgültiger
Verlustschein vorliege, sei auf die Klage gar nicht einzutreten (GILLIERON,
Poursuite pour dettes, faillite et concordat, Lausanne 1988, S. 399). Zum
andern sei materiell das Vorliegen eines Schadens nötig. Dieser könne
aber nur mit einem provisorischen oder endgültigen Verlustschein bewiesen
werden (GILLIERON, aaO, S. 399 und 392). Insofern handelt es sich beim
Verlustschein nach der Auffassung GILLIERONS auch um eine materielle
Voraussetzung des Anspruchs.

    Es sind materielle Überlegungen, welche das Bundesgericht dazu
führen, einen provisorischen Verlustschein nicht vorbehaltlos als Ausweis
der Aktivlegitimation anzuerkennen. Die anfechtbare Rechtshandlung ist
grundsätzlich gültig. Der Anfechtungsbeklagte ist rechtmässiger Eigentümer
des Vermögenswerts, der der Befriedigung des Gläubigers dienen soll. Es
wird somit das Vermögen eines Dritten zur Befriedigung des Gläubigers
herangezogen. Das soll aber nur dann geschehen, wenn zweifelsfrei
feststeht, dass das Vermögen des Schuldners nicht ausreicht (BGE 96 III
115). Das Erfordernis des Verlustscheins schützt somit in erster Linie
den Anfechtungsbeklagten, der nicht eine Leistung aus seinem Vermögen
erbringen müssen soll, solange der Schuldner leistungsfähig ist.

    Im Gegensatz zur Ausdrucksweise, welche das Bundesgericht in BGE
37 II 503 f. verwendet hat, handelt es sich beim Erfordernis eines
Verlustscheins nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht
um eine Prozessvoraussetzung, sondern um eine Frage der Aktivlegitimation,
somit der materiellen Berechtigung des Anfechtungsklägers (BGE 96 III 114
f.; 103 III 103 ff.). Wäre der Verlustschein eine Prozessvoraussetzung
und fehlte er, müsste die Klage nicht abgewiesen werden, sondern es wäre
auf sie nicht einzutreten (vgl. WALDER-BOHNER, Zivilprozessrecht, Zürich
1983, S. 271).

    Nachdem die Rechtsprechung davon abgekommen ist, im Vorliegen eines
Verlustscheins nur eine Prozessvoraussetzung zu sehen, unterscheidet
sie sich von der Auffassung GILLIERONS (aaO, S. 399) im wesentlichen
dadurch, dass das Fehlen eines Verlustscheins nach der Auffassung des
Bundesgerichts zur Abweisung der Klage führt, während nach GILLIERON
auf die Klage nicht einzutreten wäre. Zudem scheint dieser Autor für
den Entscheid über die materielle Berechtigung des Anspruchs auch einen
provisorischen Verlustschein genügen zu lassen (aaO, S. 392), während
das Bundesgericht grundsätzlich einen endgültigen verlangt.

    Die Frage, ob das Fehlen eines Verlustscheins zur Abweisung der Klage
führt oder diesfalls auf sie nicht einzutreten ist, kann im vorliegenden
Fall offenbleiben, da unbestrittenermassen ein provisorischer Verlustschein
vorliegt.

    b) Mit Bezug auf die Frage, ob ein provisorischer Verlustschein für die
materielle Berechtigung des Anspruchs ausreicht, gilt es zu beachten, dass
auch das Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung ausnahmsweise
einen solchen genügen liess. Eine entsprechende Ausnahme liegt vor und
ein provisorischer Verlustschein genügt, wenn mit der Anfechtungsklage
ein Drittanspruch beseitigt werden soll, der in derjenigen Betreibung
erhoben wurde, welche zu diesem provisorischen Verlustschein geführt hat
(BGE 39 II 385 f.; bestätigt in 103 III 104). In diesem Fall kann vor
dem Abschluss des Widerspruchsverfahrens kein endgültiger Verlustschein
beigebracht werden. Um das Widerspruchsverfahren abzuschliessen, muss
aber die Anfechtungsklage beurteilt werden. Überdies kann auch dem
Anfechtungsgegner kein ungerechtfertigter Schaden entstehen, da der
Anfechtungsgegenstand im gleichen Betreibungsverfahren verwertet wird,
das auch zum provisorischen Verlustschein geführt hat. Die Verwertung
wird deshalb nur erfolgen, soweit die anderen Vermögenswerte tatsächlich
nicht ausreichen, um die in Betreibung gesetzten Forderungen zu decken.

    c) Der enge Zusammenhang zwischen Widerspruchsverfahren und
Anfechtungsklage, welcher das Bundesgericht in BGE 39 II 380 bewogen
hat, ausnahmsweise ein Anfechtungsurteil auch bei Vorliegen eines nur
provisorischen Verlustscheins zuzulassen, ist im zu beurteilenden Fall
nicht gegeben. Das vom Kläger behauptete Widerspruchsverfahren läuft wohl
zwischen den gleichen Parteien wie der Anfechtungsprozess; es dreht sich
aber um andere Objekte. Die beiden Verfahren können gar nicht vereinigt
werden. Die Prozessökonomie gebietet somit nicht, das Urteil schon aufgrund
eines provisorischen Verlustscheins zuzulassen. Ebensowenig besteht die
Sicherheit, dass ein positives Anfechtungsergebnis nur verwertet wird,
wenn die in der Betreibung gepfändeten Gegenstände zur Befriedigung des
Gläubigers nicht ausreichen. Die Verfahren sind vollständig getrennt.

    Es ist aber nicht zu verkennen, dass der Kläger in Anbetracht des
von ihm behaupteten hängigen Widerspruchsverfahrens ein schutzwürdiges
Interesse daran hat, mit der Anfechtungsklage nicht bis zum Vorliegen eines
endgültigen Verlustscheins zuwarten zu müssen. Sonst könnte allenfalls die
in Art. 292 SchKG vorgesehene Frist nicht eingehalten werden. Dem Kläger
kann jedoch nicht gefolgt werden, soweit er vom Vorliegen eines endgültigen
Verlustscheins vollständig absehen will. Einer Anfechtungsklage ist trotz
Vorliegens eines provisorischen Verlustscheins immer dann der Erfolg
zu versagen, wenn in der betreffenden Betreibung gar kein endgültiger
Verlustschein mehr ausgestellt werden kann, namentlich weil die Frist zur
Stellung des Verwertungsbegehrens unbenutzt verstrichen ist. Insoweit
ist an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten (BGE 96 III 114 ff.;
103 III 103 ff.).

    Dem legitimen Anliegen des Klägers, mit dem Anfechtungsurteil
nicht zuwarten zu müssen, bis in der durch das Widerspruchsverfahren
verzögerten Betreibung ein endgültiger Verlustschein ausgestellt wird,
kann dennoch Rechnung getragen werden. Der Weg dafür ist in BGE 39
II 385 f. vorgezeichnet. Dort wurde eine im Zusammenhang mit einem
Widerspruchsverfahren erhobene Anfechtungseinrede trotz Fehlens eines
endgültigen Verlustscheins zugelassen, wobei das Bundesgericht festhielt,
dass die Gutheissung vor durchgeführter Verwertung nur den Sinn habe,
festzustellen, "dass das Anfechtungsobjekt in die Pfändung einzubeziehen
resp. darin zu belassen ist, sofern die übrigen Pfändungsobjekte zur
Deckung der Pfändungsgläubiger nicht ausreichen" (BGE 39 II 385 f.). Im
vorliegenden Fall könnte eine Klagegutheissung in dem Sinne erfolgen,
dass das Anfechtungsobjekt nur verwertet werden darf, wenn in der hängigen
Betreibung ein endgültiger Verlustschein ausgestellt wird.