Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IB 88



115 Ib 88

10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
22. Mai 1989 i.S. X. und Mitbeteiligte gegen Bundesamt für Polizeiwesen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Bundesgesetz zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika
über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 3. Oktober 1975 (BG-RVUS);
aufschiebende Wirkung der Einsprache nach Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS.

    Auslegung des Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS, welcher die Frage der
aufschiebenden Wirkung der Einsprache regelt. Die Vorschrift ist im
gleichen Sinne zu interpretieren wie die entsprechende Bestimmung des
Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März
1981 (Art. 24 Abs. 3 IRSG).

Sachverhalt

    A.- Das Justizdepartement der Vereinigten Staaten von Amerika
(USA) stellte am 16. Dezember 1988 beim Bundesamt für Polizeiwesen
(BAP) gestützt auf den Rechtshilfevertrag Schweiz/USA vom 25. Mai 1973
und die Vereinbarung vom 10. November 1987 zwischen der Schweiz und
den USA betreffend Rechtshilfe in ergänzenden Verwaltungsverfahren bei
Insider-Untersuchungen ein Begehren um Rechtshilfe in einer Untersuchung,
welche die Securities and Exchange Commission wegen Verdachts von
Insider-Geschäften im Zusammenhang mit dem Kauf und Verkauf von Aktien
der Firma T. führt. Die USA verlangen, es seien bei bestimmten Banken
in der Schweiz Erhebungen über Konten vorzunehmen, über die sich die
betreffenden Geschäfte abgewickelt hätten, die entsprechenden Belege seien
herauszugeben, und es seien Zeugen einzuvernehmen. Aufgrund des Ersuchens
ordnete das BAP am 19. Dezember 1988 in Anwendung von Art. 8 Abs. 1 des
Bundesgesetzes zum Rechtshilfevertrag mit den USA vom 3. Oktober 1975
(BG-RVUS) an, dass die bei der Schweizerischen Volksbank in Zürich
oder Lugano befindlichen Konten, die im Ersuchen ausdrücklich erwähnt
seien oder den im Ersuchen genannten (Juristischen) Personen gehörten,
"ab sofort und bis zum Abschluss des Rechtshilfeverfahrens im Umfang der
unzulässigen Gewinne gesperrt" seien. Gegen diese vorsorgliche Massnahme
wurde keine Einsprache erhoben.

    Mit Schreiben vom 27. Januar 1989 übermittelte das BAP das
amerikanische Rechtshilfeersuchen an die Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich zuhanden der Bezirksanwaltschaft Zürich. Es führte in dem Schreiben
aus, das Ersuchen entspreche den Formerfordernissen des RVUS und sei
nicht offensichtlich unzulässig. Der im Begehren geschilderte Sachverhalt
betreffe das Ausnützen der Kenntnis vertraulicher Tatsachen, welche
Handlung nach schweizerischem Recht gemäss Art. 161 StGB strafbar sei. Die
Bedeutung der Tat rechtfertige die Anwendung von Zwangsmassnahmen. Die
Staatsanwaltschaft werde daher ersucht, für den Vollzug der im Ersuchen
verlangten Handlungen besorgt zu sein.

    Am 9. Februar 1989 erhoben X. und Mitbeteiligte, deren Konten bei der
Schweizerischen Volksbank in Lugano aufgrund der vom BAP in Anwendung von
Art. 8 Abs. 1 BG-RVUS getroffenen Anordnung gesperrt worden waren, gegen
die Anordnungen des BAP vom 27. Januar 1989 Einsprache. Sie beantragten,
es sei dieser aufschiebende Wirkung zu erteilen. Das BAP stellte mit
Zwischenverfügung vom 10. März 1989 fest, dass die betreffende Einsprache
keine aufschiebende Wirkung habe.

    Gegen diese Verfügung haben X. und Mitbeteiligte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Das Bundesgericht weist die
Beschwerde ab, soweit es darauf eintreten kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführer rügen, das BAP habe Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
unrichtig ausgelegt, indem es festgestellt habe, dass der von ihnen gegen
die Anordnungen des BAP vom 27. Januar 1989 erhobenen Einsprache keine
aufschiebende Wirkung zukomme.

    a) Gemäss Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS hat die Einsprache aufschiebende
Wirkung, ausgenommen, es sei Gefahr im Verzuge oder der vom Einsprecher
geltend gemachte Nachteil könne erst infolge der Übermittlung der
Vollzugsakten an die amerikanischen Behörden eintreten. Das BAP stützte
sich bei der Auslegung dieser Vorschrift auf die neueste Rechtsprechung
des Bundesgerichts (BGE 115 Ib 65 ff.) zur Frage des Suspensiveffektes
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 17 Abs. 5 BG-RVUS, welcher
vorsieht, dass die Beschwerde - abgesehen von derjenigen gegen vorsorgliche
Massnahmen - aufschiebende Wirkung hat. In der Präsidialverfügung wurde
ausgeführt, diese Vorschrift sei im gleichen Sinne auszulegen wie Art. 21
Abs. 4 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen
vom 20. März 1981 (IRSG), nach welcher Bestimmung die Beschwerde gegen
einen Entscheid, der die Erteilung von Auskünften aus dem Geheimbereich
bewilligt, in Abweichung von Art. 111 Abs. 2 OG aufschiebende Wirkung
hat. Entsprechend der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 21 Abs. 4
IRSG (BGE 113 Ib 259 und 267 f. E. 4b) müsse Art. 17 Abs. 5 BG-RVUS
so verstanden werden, dass nur jenen Beschwerden von Gesetzes wegen
aufschiebende Wirkung zukomme, die sich gegen Entscheide richteten, welche
die Weiterleitung von Auskünften oder Dokumenten an den ersuchenden Staat
bewilligten oder den Vollzug von Massnahmen anordneten, bei dem solche
Auskünfte dem ersuchenden Staat zur Kenntnis gelangten. Das BAP vertrat
in der angefochtenen Verfügung die Ansicht, in derselben Weise müsse auch
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS interpretiert werden. Es hielt gestützt auf diese
Auslegung fest, bei den hier in Frage stehenden Massnahmen gehe es noch
in keiner Weise um die Weiterleitung von Auskünften oder Dokumenten aus
dem Geheimbereich der Einsprecher an den ersuchenden Staat. Auch gehe
im vorliegenden Fall das Interesse daran, dass das Rechtshilfeverfahren
seinen Fortgang nehmen könne, dem Interesse der Einsprecher an der
Wahrung des Bankgeheimnisses vor. Aus diesen Gründen gelangte das BAP
zum Schluss, dass die von den Beschwerdeführern eingereichte Einsprache
keine aufschiebende Wirkung habe.

    b) Die Beschwerdeführer machen geltend, eine solche Auslegung des
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS halte "weder vor dem Gesetzeswortlaut noch vor den
Materialien zu dieser Bestimmung stand". Der Wortlaut der Vorschrift sei
klar und unmissverständlich. Danach komme einer Einsprache - abgesehen
von zwei Ausnahmefällen - immer Suspensivwirkung zu. Dies müsse, entgegen
der Ansicht des BAP, auch im vorliegenden Fall gelten, sei doch weder
Gefahr im Verzug, noch könnten die von den Beschwerdeführern geltend
gemachten Nachteile erst infolge der Übermittlung der Vollzugsakten an die
amerikanischen Behörden eintreten. Aus dem Materialien zu Art. 16 Abs. 4
BG-RVUS sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Suspensivwirkung
nur jenen Beschwerden habe zuerkennen wollen, die sich gegen Entscheide
richten, mit welchen die Weiterleitung von Auskünften oder Dokumenten
an den ersuchenden Staat bewilligt wurde. Hätte er dies gewollt, so
hätte er Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS auch entsprechend formuliert. Dass das
nicht geschehen sei, lasse darauf schliessen, dass der Gesetzgeber die
vom BAP vorgenommene Unterteilung von Beschwerden "eben gerade nicht"
gewollt habe. Eine grammatikalische und systematische Auslegung von
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS führe jedenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Auch
eine teleologische Interpretation der Bestimmung führe zum Schluss,
dass Einsprachen im Sinne von Art. 16 BG-RVUS - abgesehen von zwei
Ausnahmefällen - immer aufschiebende Wirkung hätten, denn der Zweck dieser
Vorschrift bestehe darin, dem von einer Rechtshilfehandlung Betroffenen
einen minimalen Rechtsschutz zu gewähren; insbesondere sollten keine
Vollzugsmassnahmen erfolgen, solange über die Zulässigkeit der Gewährung
der Rechtshilfe noch kein rechtskräftiger Entscheid vorliege.

    c) Sowohl das BG-RVUS als auch das IRSG sehen vor, dass gegen
Anordnungen der Zentralstelle bzw. des BAP das Rechtsmittel der Einsprache
zulässig ist. Hinsichtlich des Suspensiveffektes des Rechtsmittels
bestimmt Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS, die Einsprache habe "aufschiebende
Wirkung, ausgenommen, es sei Gefahr im Verzuge oder der vom Einsprecher
geltend gemachte Nachteil könne erst infolge der Übermittlung der
Vollzugsakten an die amerikanischen Behörden eintreten". Demgegenüber
hat nach Art. 24 Abs. 3 IRSG die Einsprache "nur aufschiebende Wirkung,
wenn der Vollzug der Anordnung für den Einsprecher einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken könnte oder wenn andere wichtige
Gründe es rechtfertigen". Der Wortlaut der beiden Vorschriften ist zwar
unterschiedlich. Indessen verfolgen die Bestimmungen den gleichen Zweck;
sie wollen beide den von einer Anordnung des BAP Betroffenen vor dem
Vollzug derselben schützen. Schon das legt es nahe, Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
und Art. 24 Abs. 3 IRSG im gleichen Sinne zu interpretieren. Hinzu kommt,
dass eine gleichförmige Auslegung der beiden Vorschriften dem Willen
des Gesetzgebers entspricht, wie sich den Materialien zum IRSG deutlich
entnehmen lässt. In den Erläuterungen zu Art. 20 des Entwurfs für ein
IRSG, dessen Absatz 3 hinsichtlich der Frage des Suspensiveffektes der
Einsprache wörtlich mit dem heutigen Art. 24 Abs. 3 IRSG übereinstimmt,
wird ausdrücklich festgestellt, die Regelung der Einsprache entspreche im
wesentlichen der Ordnung im Bundesgesetz zum Rechtshilfevertrag mit den
USA (Botschaft des Bundesrates zum IRSG vom 8. März 1976, BBl 1976 II
S. 480). Nach dem Grundsatz, dass das jüngere Recht dem früher erlassenen
vorgeht (lex posterior derogat legi priori), ist bei der Auslegung der
genannten Vorschriften vom Wortlaut des Art. 24 Abs. 3 IRSG als der
später erlassenen Bestimmung auszugehen, auch wenn an sich das IRSG
ein allgemeines, das BG-RVUS hingegen ein spezielles Gesetz ist, das
sich nur auf einen bestimmten Staatsvertrag bezieht (vgl. BGE 96 I 490
f. E. 4 und ferner BGE 113 Ib 85 f., in welchem Fall das Bundesgericht
bereits Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS im Sinne der entsprechenden Bestimmung
des IRSG - Art. 21 Abs. 3 - ausgelegt hat). Gemäss Art. 24 Abs. 3 IRSG
hat die Einsprache gegen eine vom BAP getroffene Anordnung nur dann von
Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung, "wenn der Vollzug der Anordnung
für den Einsprecher einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken
könnte oder wenn andere wichtige Gründe es rechtfertigen". Abgesehen
vom Fall, in dem Gefahr im Verzug ist, hat die Einsprache nach dem Sinn
des Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS keine aufschiebende Wirkung, solange mit der
fraglichen Anordnung nicht der Weg für die Bekanntgabe der Auskünfte
an die amerikanischen Behörden geöffnet ist; erst dann kann von einem
im Sinne des Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS beachtlichen Nachteil gesprochen
werden. Unter dem Gesichtspunkt der Art. 24 Abs. 3 IRSG und 16 Abs. 4
BG-RVUS kann von einem nicht wieder gutzumachenden Nachteil, den der
Vollzug einer vom BAP getroffenen Anordnung für den Einsprecher bewirken
könnte, nur dann die Rede sein, wenn der Vollzug der Anordnung für sich
allein genügt, um Auskünfte aus dem Geheimbereich des Einsprechers dem
ersuchenden Staat zur Kenntnis zu bringen. Das ist in der Regel erst
dann der Fall, wenn das BAP gestützt auf die betreffende Anordnung
nach Eintritt der Rechtskraft ohne weiteres, d.h. ohne dass es einer
zusätzlichen Verfügung seitens der kantonalen Behörde bedarf, die vom
ersuchenden Staat verlangten Auskünfte, Dokumente oder Vermögenswerte an
diesen weiterleiten kann (vgl. Art. 13 BG-RVUS und Art. 83 IRSG über den
Abschluss des Rechtshilfeverfahrens). Ein irreparabler Nachteil liegt somit
nicht schon dann vor, wenn das BAP nach Eingang des Rechtshilfeersuchens
und Prüfung der Eintretensvoraussetzungen gemäss Art. 78 Abs. 1 IRSG und
Art. 10 BG-RVUS das Ersuchen samt Unterlagen an die kantonale Behörde
zur Ausführung bzw. Vornahme der im Ersuchen verlangten Handlungen
weiterleitet. Es ist klar, dass das BAP allein gestützt auf diese
sogenannte Eröffnungsverfügung nicht in der Lage ist, Auskünfte oder
Dokumente dem ersuchenden Staat zu übermitteln, liegen doch die sogenannten
Vollzugsakten (vgl. Art. 83 Abs. 2 IRSG und Art. 13 Abs. 3 BG-RVUS) noch
gar nicht vor. Bei der hier in Frage stehenden Anordnung des BAP vom 27.
Januar 1989, gegen welche die Beschwerdeführer Einsprache erhoben haben,
handelt es sich um eine solche Eröffnungsverfügung. Das BAP überwies der
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich zuhanden der Bezirksanwaltschaft
Zürich das amerikanische Rechtshilfeersuchen in Sachen T. mit der Bitte,
für den Vollzug der im Ersuchen verlangten Untersuchungshandlungen
besorgt zu sein. Wie dargelegt wurde, ist die Eröffnungsverfügung
keine Anordnung, deren Vollzug für den Einsprecher einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken könnte. Die Beschwerdeführer legten in
ihrer Einsprache vom 9. Februar 1989 dar, weshalb ihrer Ansicht nach die
betreffenden Anordnungen des BAP für sie irreversible Nachteile bewirken
könnten. Sie machten in erster Linie geltend, sie würden dadurch, dass
die kantonale Behörde Erhebungen über ihre Bankkonten vornehme, als
Bankkunden in Misskredit geraten. Das ist an sich wenig überzeugend, und
auf jeden Fall kann darin kein irreparabler Nachteil im Rechtssinn gesehen
werden. Im weiteren brachten die Beschwerdeführer vor, es entständen ihnen
auch prozessuale Nachteile, wenn der Einsprache keine aufschiebende Wirkung
beigelegt werde, denn in einem solchen Fall würden sie Gefahr laufen, dass
die kantonale Behörde "Nachforschungen (betreffend Angelegenheiten ihrer
Privatsphäre)" anstellten, "ohne dass ihnen vorgängig ihr rechtliches
Gehör gewährt" werde. Auch diese Argumentation ist unbehelflich. Die
Beschwerdeführer werden dadurch, dass Auskünfte aus ihrem Geheimbereich
an die schweizerischen Rechtshilfebehörden erteilt werden, nicht in ihren
Interessen beeinträchtigt, da diese Behörden an das Amtsgeheimnis gebunden
sind. Ein irreparabler Nachteil wäre für die Beschwerdeführer erst dann
gegeben, wenn die kantonale Ausführungsbehörde eine Anordnung träfe, bei
deren Vollzug Auskünfte aus dem Geheimbereich dem ersuchenden Staat zur
Kenntnis gelangen würden (z.B. Anordnung der Einvernahme eines Zeugen
oder der Sichtung der eingelegten Bankakten in Gegenwart von Vertretern
des ersuchenden Staates). Eine derartige Anordnung der kantonalen Behörde
steht hier nicht in Frage.

    Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das BAP Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
nicht unrichtig ausgelegt hat, wenn es die Ansicht vertrat, es liege
hier kein Fall vor, in welchem der Einsprache gegen eine Anordnung des
BAP von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukomme. Der angefochtene
Zwischenentscheid verstösst daher nicht gegen Bundesrecht. Die vorliegende
Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann.